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BIP-indexierte Kredite könnten Griechenland aus der Schuldenfalle helfen 

Pressemitteilung vom 30. Juli 2014

DIW Berlin schlägt Kopplung der Zinszahlungen an griechisches Wirtschaftswachstum vor – Hohe Zinsen in guten Zeiten, niedrige Zinsen in schlechten Zeiten – Neues Kreditinstrument ermöglicht laut DIW-Berechnungen eine nachhaltigere Schuldenentwicklung, einen stabileren Konjunkturverlauf und ein geringeres Ausfallrisiko für Kredite

Als einen Schritt zur Lösung der griechischen Staatsschuldenkrise schlägt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vor, die Höhe der griechischen Kreditzinsen künftig an die Entwicklung der griechischen Wirtschaftsleistung zu binden. Sogenannte BIP-indexierte Kredite würden dafür sorgen, dass Griechenland im Falle eines größer als prognostiziert ausfallenden Wachstums höhere Zinsen zahlt, während die Zinsen bei einem geringeren Anstieg des Bruttoinlandsprodukts automatisch sinken. „Das könnte die griechische Konjunktur stabilisieren und die Schuldenquote und das Ausfallrisiko für Kredite senken“, sagt DIW-Ökonom Malte Rieth, der die Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Große Steffen und DIW-Präsident Marcel Fratzscher verfasst hat. Den Berechnungen des DIW Berlin zufolge könnte das vorgeschlagene Instrument die Schwankungsbreite des Wachstums der griechischen Wirtschaft um 20 Prozent reduzieren und die Ausfallwahrscheinlichkeit griechischer Schulden auf vier bis fünf Prozent verringern. „Davon würde nicht nur Griechenland profitieren, sondern auch Deutschland und andere Gläubigerländer, da das Risiko einer griechischen Staatspleite deutlich kleiner wäre“, erklärt Rieth. „Besonders wichtig ist aber, dass Griechenland sein Schicksal wieder selbst in die Hand nehmen könnte, da es auch in schlechten Zeiten Spielraum für Reformen hätte.“

Griechische Staatsschuld liegt wieder über dem Niveau vor erstem Schuldenschnitt

Die griechischen Staatsschulden kletterten im Jahr 2013 auf rund 302 Milliarden Euro oder 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weil das Land in diesem und im nächsten Jahr besonders viele Kredite tilgen muss, dürfte es ein drittes Hilfspaket benötigen. Um die Schuldentragfähigkeit zu verbessern, müssten aber zusätzlich auch bestehende Kreditkonditionen verändert werden. Denn: Die Schulden belasten den griechischen Haushalt enorm, allein im vergangenen Jahr musste das Land vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Zinsen zahlen. Fast 90 Prozent der Staatsschulden halten öffentliche Gläubiger. Neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) sind die Länder des Euroraums die größten Gläubiger Griechenlands: Im Rahmen des ersten Hilfsprogramms haben sie dem südeuropäischen Krisenstaat 53 Milliarden Euro geliehen, die ab 2020 sukzessive zurückgezahlt werden müssen.

Im Falle einer künftigen Kopplung der Kreditzinsen an die wirtschaftliche Entwicklung würde der Haushalt in einer Rezession aufgrund der sinkenden Zinszahlungen weniger belastet; zudem bliebe Spielraum für Reformen erhalten. Die Wirtschaft könnte sich schneller erholen. Im Aufschwung wären dann jedoch höhere Zinszahlungen fällig – mit der Folge reduzierter Ausgabenspielräume und eines dämpfenden Einflusses auf die Konjunktur. Ein solcher automatischer Stabilisator würde die Schwankungsbreite des BIP-Wachstums um rund 20 Prozent reduzieren. Mit dieser antizyklischen Finanzpolitik könne die griechische Regierung der Wirtschaft viel besser unter die Arme greifen, betont Große Steffen: „Dass Griechenland bisher prozyklisch agieren und in der Rezession die Haushalte konsolidieren musste, hat der wirtschaftlichen Entwicklung nicht gutgetan.“

Das neue Kreditinstrument wäre eine bessere Option als ein weiterer Schuldenschnitt

Ein gleichmäßigerer Konjunkturverlauf könnte zudem einen weiteren Vorteil BIP-indexierter Kredite noch verstärken: Die Ausfallrisiken für die Gläubiger – und damit auch die deutschen Steuerzahler – würden sinken. Da der griechische Staat nur dann höhere Zinsen zahlen müsste, wenn er sich diese auch leisten kann, fiele die Ausfallwahrscheinlichkeit griechischer Schuldtitel von derzeit über 13 Prozent auf rund vier bis fünf Prozent. Allerdings: Da die Investoren die Höhe der Zinszahlungen schlechter vorhersehen könnten, verlangen sie möglicherweise einen Risikoaufschlag. „Der Zahlungsstrom der Zinsen war aber auch in der Vergangenheit nicht besonders planbar, denn die Kreditkonditionen wurden mehrfach nachverhandelt“, erklärt Rieth. Dass Griechenland sein Wachstum absichtlich drosseln könnte, um höheren Zinszahlungen zu entgehen, ist indes nicht zu befürchten: Die DIW-Berechnungen zeigen, dass von einem Prozentpunkt zusätzlichen Wachstums lediglich ein Fünftel in Form höherer Zinsen an die Gläubiger ginge.

Die Vorteile BIP-indexierter Kredite sehen die Ökonomen des DIW Berlin folglich auf beiden Seiten. Neben Griechenland profitierten auch Deutschland und andere Gläubigerländer, da das Kreditrisiko sänke und die Rückzahlungen langfristig höher ausfielen, sobald die griechische Wirtschaft schneller wächst. Zudem wären aufwendige Neuverhandlungen der Kreditkonditionen zwischen dem Land und seinen europäischen Gläubigern nicht länger nötig, was den schwelenden Konflikt zwischen Griechenland und seinen europäischen Nachbarn beenden helfen könnte. „Die Kopplung der Zinsen an die wirtschaftliche Entwicklung ist daher die bessere Option als die von der griechischen Regierung gewünschte generelle Absenkung der Zinsen und Verlängerung der Laufzeiten, was faktisch einem weiteren öffentlichen Schuldenschnitt gleich käme“, so DIW-Präsident Fratzscher. „Wir sollten nun endlich einen Weg finden, die griechische Staatsverschuldung nachhaltig zu gestalten. Das kann allerdings nicht durch einen weiteren Schuldenschnitt gelingen, sondern nur, wenn Griechenland die volle Verantwortung für seine eigenen Reformen übernimmt. Diese Chance sollte Europa Griechenland und sich selbst geben.“

Links

DIW Wochenbericht 31+32/2014 (PDF, 0.59 MB)

DIW Wochenbericht 31+32/2014 als E-Book (EPUB, 2.35 MB)

Interview mit Malte Rieth (Print (PDF, 70.43 KB) und

O-Ton von Malte Rieth
Kopplung der Zinsen an wirtschaftliche Entwicklung verspricht viele Vorteile - Sechs Fragen an Malte Rieth

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DIW Wochenbericht 24/2014: "Den Euroraum zukunftsfähig machen" (PDF, 406.2 KB)

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