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Armutsrisiko in Deutschland steigt: Kinder und junge Erwachsene besonders betroffen

Pressemitteilung vom 18. Februar 2010

DIW Berlin: Höhere Hartz-IV-Sätze lindern Symptome, aber Ursachen von Armut bleiben

Nach aktuellen Daten lebten im Jahr 2008 in Deutschland rund 14 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle. Das sind rund ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. Dabei sind Kinder und junge Erwachsene besonders betroffen, so das Ergebnis einer neuen DIW-Studie. „Höhere Hartz-IV-Sätze reduzieren zwar Einkommensdefizite“, sagt Markus Grabka, einer der Autoren der DIW-Studie, „sinnvoller erscheinen uns aber Investitionen in Kinderbetreuung und in verbesserte Erwerbschancen für Alleinerziehende und Familien mit jungen Kindern.“

Hintergrund SOEP

Empirische Grundlage der Studie sind die vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung erhobenen Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine seit 25 Jahren laufende Langzeitbefragung von mehr als 10.000 privaten Haushalten in Deutschland. Das am DIW Berlin angesiedelte SOEP gibt Auskunft über Faktoren wie Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung oder Gesundheit. Weil jedes Jahr die gleichen Personen befragt werden, können langfristige soziale und gesellschaftliche Trends besonders gut verfolgt werden – unter anderem die Entwicklung der Einkommensverteilung in Deutschland.

Ein Viertel der jungen Erwachsenen lebt unter der Armutsschwelle

Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens seines Landes zur Verfügung hat. So hat es die Europäische Kommission festgelegt, die 2010 auch zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen hat. „Erst wenn wir von Ursachen und Auswirkungen von Armut ein klares Bild haben, können wir sie wirkungsvoll bekämpfen“, sagt DIW-Experte Markus Grabka. In Deutschland sind nach den aktuellsten Daten für 2008 etwa 14 Prozent der Bevölkerung armutsgefährdet – 11,5 Millionen Menschen. „Vor allem junge Erwachsene und Haushalte mit Kindern sind betroffen.“ Unter den 19- bis 25-Jährigen lebte 2008 knapp ein Viertel unterhalb der Armutsschwelle, so die DIW-Studie.

Die DIW-Forscher machen dafür vor allem drei Gründe aus: So hätten die Dauer der Ausbildung sowie der Anteil der Hochschulabsolventen zugenommen – was den Einstieg ins Berufsleben verzögert. Zudem würden viele Berufsanfänger über schlecht bezahlte Praktika und prekäre Arbeitsverhältnisse ins Arbeitsleben einsteigen, und es gebe den Trend, das Elternhaus früher zu verlassen.

Risiko steigt mit Kinderzahl – Allein zu erziehen erhöht Armutsgefahr

„Insbesondere Familienhaushalte mit mehr als zwei Kindern sind stärker von Armut betroffen“, sagt Joachim Frick, Co-Autor der Studie. Für Familien mit drei Kindern liegt das Risiko bereits bei knapp 22 Prozent, bei vier und mehr Kindern erreicht es 36 Prozent. „Gegenüber 1998 ist das Armutsrisiko kinderreicher Haushalte beträchtlich gestiegen“, so Frick, „und das, obwohl der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze und das Elterngeld diese Entwicklung bereits entlastet haben.“ Mit über 40 Prozent weisen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern ebenfalls weit überdurchschnittliche Armutsraten auf.

Altersarmut aktuell kein großes Problem

Relativ gut stellen sich nach der Studie dagegen die aktuell 46- bis 55-Jährigen. „Diese Gruppe hat die Bildungskarriere in der Regel abgeschlossen und ist überwiegend berufstätig“, so Joachim Frick. Personen am Ende ihres Berufslebens oder zu Beginn des Ruhestands weisen ebenfalls ein unterdurchschnittliches Armutsrisiko auf. Erst nach dem 75. Lebensjahr steigt das Armutsrisiko wieder auf das Durchschnittsniveau, was die Forscher unter anderem auf den höheren Anteil von Witwen mit geringeren Alterseinkünften zurückführen. „Knapp ein Fünftel der allein lebenden alten Frauen lebt unterhalb der Armutsschwelle“, sagt Joachim Frick. „Für Ältere, die in einer Partnerschaft leben, stellt Armut derzeit aber kein großes Problem dar.“

Höhere Hartz-IV-Sätze lindern zwar akute Einkommensdefizite...

Obwohl der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze seit 1993 und auch das 2007 eingeführte Elterngeld Wirkung zeigen, bleiben Kinder und Jugendliche einem besonders hohen Risiko ausgesetzt. Eine Anhebung der Hartz-IV-Sätze kann zwar den akuten Einkommensbedarf der Betroffenen decken, trifft aber nach Auffassung der Wissenschaftler nicht den Kern des Problems. Das gelte auch für die jüngste Anhebung des Kindergelds nach dem Gießkannenprinzip. „Hier mangelt es an Zielgenauigkeit“, so Grabka.

...zielgruppengenaue Maßnahmen können aber Ursachen von Armut erreichen

„Finanzielle Unterstützung allein bekämpft zwar Symptome, kuriert aber nicht die Ursachen von Armut“, so die Autoren der DIW-Studie. Sie fordern einen auf die Zielgruppe zugeschnittenen Mix aus finanzieller und nicht-finanzieller Unterstützung. „Investitionen in Betreuungseinrichtungen und in die Verbesserung der Erwerbschancen für Alleinerziehende und Eltern junger Kinder könnten hier effektiver wirken.“

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