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DIW-Konjunkturprognose: Deutschland in der Hochkonjunktur, aber nicht auf dem Weg in die Überhitzung

Pressemitteilung vom 13. Dezember 2017

DIW Berlin erhöht Konjunkturprognose für dieses und nächstes Jahr auf jeweils  2,2 Prozent – Aufschwung der deutschen Wirtschaft nun auf breiterem Fundament – Privater Konsum, Exporte und auch höhere Investitionen tragen das Wachstum – Finanzpolitische Spielräume sollten genutzt werden, um künftige Wachstumsaussichten zu verbessern – Einige globale Risiken sind nicht vom Tisch

Der deutsche Konjunkturmotor läuft weiter rund – sogar mit einer noch etwas höheren Drehzahl als zuletzt erwartet: Die Konsumnachfrage im Inland ist kräftig, nicht zuletzt, weil immer mehr Menschen in Beschäftigung sind. Hinzu kommt, dass aufgrund einer zunehmend florierenden Weltwirtschaft und einer kräftiger wachsenden Wirtschaft im Euroraum auch die Exporte dynamischer steigen als zuvor. Deshalb investieren die Unternehmen hierzulande auch wieder mehr in ihre Maschinen und Anlagen. In seiner neuesten Konjunkturprognose geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) daher davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 2,2 Prozent wachsen wird. Damit erhöhen die Konjunkturforsche­rInnen ihre Prognose gegenüber dem Herbst um einen Viertel-Prozentpunkt. Auch im kommenden Jahr dürfte das Bruttoninlandsprodukt in dieser Größenordnung zunehmen.

KURZ GESAGT

Marcel Fratzscher (DIW-Präsident): „Wir dürfen uns von den guten Wachstumszahlen nicht täuschen lassen, denn die deutsche Wirtschaft ist derzeit ein Scheinriese. Sie profitiert von den niedrigen Zinsen und einer starken Weltwirtschaft. Doch große Herausforderungen wie der demografische Wandel, die Digitalisierung und bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen müssen nun endlich angegangen werden. Die künftige Bundesregierung sollte die Überschüsse primär für Zukunftsinvestitionen nutzen und muss dringend einen Plan für die Neuausrichtung der Europäischen Union einbringen: Wenn sie dies nicht schnell tut, ist der Zug möglicherweise bald abgefahren, und das würde langfristig vor allem der deutschen Wirtschaft schaden.“

Ferdinand Fichtner (DIW-Konjunkturchef): „Die deutsche Wirtschaft befindet sich derzeit in einer Hochkonjunktur – eine Überhitzung droht jedoch nicht, dagegen spricht die verhaltene Lohn- und Preisdynamik. Für das Ende des Prognosezeitraums erwarten wir schon ein etwas schwächeres Wachstumstempo der Wirtschaft, im Jahr 2019 dürfte es bei 1,6 Prozent liegen. Das ist dann zwar kein ausgeprägter Abschwung, aber eine allmähliche Normalisierung der Konjunktur nach dieser wirklich sehr kräftigen Phase in diesem und im nächsten Jahr.“

Simon Junker (Experte für die deutsche Wirtschaft): „Das Wachstum der deutschen Wirtschaft steht nun auf einem breiteren Fundament. Neben eine lebhafte Konsumnachfrage ist seit Jahresbeginn ein exportgetriebener Investitionszyklus getreten. Die Unternehmen legen nach und nach ihre Zurückhaltung ab und investieren wieder mehr in Maschinen und Anlagen, auch weil viele globale Risiken, die die Ausgabebereitschaft hierzulande, aber auch in vielen anderen Ländern zuvor gedämpft hatten, nun weggefallen sind.“

Kristina van Deuverden (Finanzexpertin): „Die öffentlichen Kassen quellen derzeit über. Das dürfte zwar Koalitionsverhandlungen erleichtern, birgt aber auch Gefahren: Deutlich mehr als die Hälfte der Überschüsse geht auf die Überauslastung der Wirtschaft oder das extrem niedrige Zinsniveau zurück. Und der Zeitpunkt, zu dem die schrumpfende und alternde Bevölkerung zur Bürde für Wirtschafts- und Finanzentwicklung wird, rückt näher und näher. Wir müssen das Geld jetzt nutzen, um für die Zukunft besser aufgestellt zu sein.“

Hochkonjunktur, aber keine Überhitzungsgefahren

Damit befindet sich die deutsche Wirtschaft in einer Phase der Hochkonjunktur. Eine Überhitzung droht nach Einschätzung des DIW Berlin dennoch nicht. Zwar sind die Produktionskapazitäten der Unternehmen weiter gut ausgelastet. Besonders in der Bauwirtschaft und in der Industrie sind die Auftragsbücher derzeit voller als im langjährigen Durchschnitt. Allerdings gibt es nach wie vor keine Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale, die das typische Merkmal einer überhitzenden Wirtschaft wäre. Obwohl die Beschäftigung weiter steigt – laut DIW-Prognose um 650.000 Personen in diesem, 400.000 im nächsten und 300.000 im übernächsten Jahr – und die Arbeitslosenquote bis 2019 auf 5,2 Prozent sinkt, steigen die Löhne nur moderat. Das liegt auch daran, dass vor allem aus dem europäischen Ausland nach wie vor viele Menschen kommen, um hierzulande zu arbeiten. Deshalb verknappt sich das Angebot an Arbeitskräften nur allmählich, sodass die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Lohnverhandlungen erst nach und nach besser wird. Auch Güter und Dienstleistungen verteuern sich vergleichsweise wenig. Die Inflationsrate wird mit 1,7 Prozent in diesem und im nächsten Jahr zwar bereits deutlich höher liegen als zuletzt, allerdings nur, weil die Energiepreise nicht mehr sinken.

Straffere Geldpolitik dürfte die Weltwirtschaft Tempo kosten

Gegen eine Überhitzung spricht auch, dass sich das derzeit außergewöhnlich hohe Tempo der deutschen Wirtschaft schon bald etwas verlangsamen wird: Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) allmählich beginnt, die geldpolitischen Zügel anzuziehen, dürfte dies nicht ganz spurlos an der Wirtschaft im Euroraum vorbeigehen.

Die DIW-ForscherInnen haben für ihre Prognose unterstellt, dass die EZB ab dem kommenden Jahreswechsel etwas weniger Anleihen kauft und zur Jahresmitte 2019 erstmals die Zinsen anhebt. Andere Zentralbanken dürften ähnlich agieren, weshalb die derzeit sehr kräftige Weltwirtschaft wohl etwas Dynamik einbüßen wird. Das trifft auch die exportlastige deutsche Wirtschaft. Der Beschäftigungsaufbau dürfte dann etwas abflachen und die Kaufkraft der Haushalte weniger stark zunehmen. Für das Jahr 2019 rechnet das DIW Berlin daher mit einem Wachstum von 1,6 Prozent.

Große Unklarheit über zukünftige Ausrichtung der deutschen Finanzpolitik

Allerdings könnte das Wirtschaftswachstum im späteren Prognosezeitraum auch etwas höher ausfallen. Das hängt vor allem davon ab, welche Vorhaben eine künftige Bundesregierung beschließen wird. Da die konkreten Maßnahmen derzeit völlig unklar sind, gehen die DIW-KonjunkturforscherInnen für ihre Prognose vom finanzpolitischen Status quo aus. Werden stattdessen zum Beispiel Steuern und Abgaben gesenkt oder die Ausgaben erhöht, könnte das Wachstum deutlich höher ausfallen. Mit Blick auf politische Entscheidungsprozesse wäre das vor allem im Jahr 2019 der Fall. Beispielsweise könnten Maßnahmen mit dem häufig diskutierten Volumen von 15 Milliarden Euro einen Anstieg der Wachstumsrate um einen halben Prozentpunkt zur Folge haben.

Finanzpolitischer Spielraum ist in jedem Fall vorhanden (siehe dazu auch die Pressemitteilung zur Finanzpolitik). Das DIW Berlin empfiehlt, mit dem Geld nicht kurzfristig die Wirtschaft zu befeuern, sondern angesichts bevorstehender Herausforderungen wie dem demografischen Wandel dafür zu sorgen, dass die Arbeitsaufnahme lohnender wird, aber auch mehr Geld in Infrastruktur und Bildung fließt.

Einige globale Risiken sind derweil nicht vom Tisch: etwa der unklare wirtschaftspolitische Kurs der USA, der möglicherweise doch noch in der Aufkündigung internationaler Handelsabkommen gipfeln könnte. Oder der Brexit, der die deutsche Konjunktur bisher kaum geschwächt hat – was sich aber ändern könnte, wenn die Verhandlungen doch noch scheitern. Und würde die Europäische Zentralbank die geldpolitischen Zügel zu schnell anziehen, hätte dies das Potential, Banken in Ländern wie Italien an ihre Belastungsgrenze zu bringen und schlimmstenfalls die Finanzkrise im Euroraum wieder aufflammen zu lassen.

Links

Interview mit DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner: "Schwierige Regierungsbildung spielt keine große Rolle für die Konjunktur" (Print (PDF, 321.17 KB) und
O-Ton von Ferdinand Fichtner
Schwierige Regierungsbildung spielt keine große Rolle für die Konjunktur - Interview mit Ferdinand Fichtner
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