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Arm, arbeitslos und unpolitisch

Pressemitteilung vom 16. Oktober 2013

Die Ungleichheit in der politischen Beteiligung nimmt in Deutschland leicht zu - Soziale Herkunft prägt politische Teilhabe

Menschen mit niedrigem Einkommen und Arbeitslose sind hierzulande politisch weniger interessiert und engagiert als andere. Dieser Zusammenhang hat sich seit den 90er Jahren tendenziell verstärkt. Im europäischen Vergleich sind in Deutschland die Unterschiede in der politischen Beteiligung der verschiedenen sozialen Gruppen relativ stark ausgeprägt. So lauten die zentralen Ergebnisse einer im Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) veröffentlichten Studie auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Mit ihrer Studie stellen die Autoren die weit verbreitete Annahme in Frage, dass eine prekäre Wirtschaftslage sich direkt auf die politische Teilhabe auswirkt: „Weder der Verlust des Arbeitsplatzes noch ein Einkommensrückgang führen dazu, dass Menschen ihr politisches Engagement einschränken“, sagt der Politikwissenschaftler Martin Kroh, einer der Autoren der Studie. „Viel mehr prägt die soziale Herkunft den Grad der politischen Teilhabe in Deutschland.“

Stichwort SOEP

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP ist am DIW Berlin angesiedelt und wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft (WGL) von Bund und Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut TNS Infratest Sozialforschung mehrere tausend Menschen befragt. Zurzeit sind es etwa 30.000 Befragte in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.
Die SOEP-Daten zeigen: In den vergangenen 30 Jahren war die politische Beteiligung von Arbeitslosen und Menschen mit niedrigem Einkommen fast immer geringer als die der restlichen Bevölkerung. Diese Ungleichheit hat sich seit den 90er Jahren leicht verschärft: Während der Anteil der Menschen ohne Arbeit, die sich stark oder sehr stark für Politik interessieren, sich von 30 Prozent auf etwa 19 Prozent im Jahr 2009 verringert hat, ist dieser Anteil unter den Erwerbstätigen in den vergangenen 30 Jahren vergleichsweise stabil geblieben. Das gleiche gilt für den Anteil der politisch interessierten Männer und Frauen mit einem geringen Einkommen im Vergleich zum Anteil der politisch interessierten Menschen oberhalb der Armutsrisikoschwelle.

Für ihre Studie hatten die Forscher neben Angaben aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) auch Daten des European Social Survey (ESS) ausgewertet. Für den ESS wurden in insgesamt 34 europäischen Ländern zwischen 2002 und 2010 alle zwei Jahre jeweils zwischen 1.000 und 3.000 Menschen in den einzelnen Ländern befragt.

Der Blick auf andere europäische Demokratien zeigt: Der Grad der Ungleichheit in der politischen Beteiligung nach sozialem Status ist in Deutschland überdurchschnittlich hoch. Hierzulande liegt die Beteiligungsquote für die Mitarbeit in Parteien und politischen Organisationen bei erwerbstätigen Menschen 91 Prozent über der von Arbeitslosen. „Diese Quote ist hoch im Vergleich zu den direkten Nachbarländern Frankreich, Österreich, Dänemark und den Niederlanden“, sagt SOEP-Bereichsleiter Martin Kroh. „Nur in einigen Ländern Ost- und Mitteleuropas, zum Beispiel in der Slowakei und in Polen, ist dieser Unterschied noch wesentlich ausgeprägter.“

Warum ist die politische Teilhabe gerade von Menschen in prekären wirtschaftlichen Situationen besonders gering? Die weit verbreitete Annahme, dass Armut und Arbeitslosigkeit zu einer geringeren politischen Teilhabe führen, konnten die Autoren durch ihre Analysen nicht bestätigen. Vielmehr zeigt die DIW-Studie, dass das Interesse für Politik nachhaltig durch die soziale Herkunft geprägt wird. „Es sollte eine staatliche Aufgabe sein, diesem Herkunftseffekt frühzeitig, zum Beispiel in der Schule, entgegen zu wirken“, fordern die Autoren. „Dazu gehört die Verringerung von durch die soziale Herkunft bedingten Bildungsunterschieden, aber auch eine breitere Verankerung demokratischer Bildung in Schulen.“

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