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"Es ist etwas Wahres dran an der Kritik"

Interview vom 18. November 2013

DIW-Chef Marcel Fratzscher glaubt, dass Deutschlands Exportüberschuss ein tief greifendes Problem verdeckt: Wir investieren zu wenig

Interview von Andrea Rexer, erschienen in der Süddeutschen Zeitung vom Samstag, 16. November 2013

Er stört sich nicht daran, wenn er mit seiner Meinung allein dasteht. Marcel Fratzscher, Chef des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW, bürstet Themen auch gern mal gegen den Mainstream. Bei der Kritik an den hohen Exportüberschüssen empfiehlt er Deutschland, von seinem hohen Ross herabzusteigen.

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (SZ): Deutschland ist empört über die Kritik an seiner Exportstärke. Zu Recht?

Marcel Fratzscher: Ich kann die Kritik verstehen und nachvollziehen. Wir Deutschen reagieren emotional, weil wir zu Recht stolz auf unsere Exporterfolge sind. Die Kritik wird als Neid empfunden. Wir Deutschen haben das Gefühl, dass diejenigen, die selbst wirtschaftspolitisch große Fehler gemacht haben, sich jetzt Kritik anmaßen. Aber es ist etwas Wahres dran an der Kritik.

SZ: Was denn?

Fratzscher: Die Kritik ist im Ergebnis richtig, aber in der Begründung falsch. Es heißt, Deutschland schade den europäischen Partnern durch die Überschüsse. Das ist Unsinn, denn unsere Überschüsse sind nicht deren Defizite. Das heißt, Deutschlands Überschüsse sind hauptsächlich gegenüber Ländern in Asien, Osteuropa und den USA, und immer weniger gegenüber den Krisenländern. Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit schadet auch nicht jener der europäischen Nachbarn. Denn die deutschen Firmen konkurrieren kaum mit portugiesischen oder französischen Unternehmen, sondern vielmehr mit amerikanischen oder asiatischen.

SZ: Die starke deutsche Wirtschaft zieht doch die anderen Länder mit, oder nicht?

Fratzscher: Eine Schwächung Deutschlands kann nicht im Sinne unserer Nachbarn sein, denn die profitieren natürlich von einem Wirtschaftswachstum bei uns.

SZ: Also sollte Deutschland seinen Export nicht schwächen?

Fratzscher: Nein, aber dennoch steckt hinter den Exportüberschüssen ein großes Problem: Sie spiegeln fundamentale, strukturelle Schwächen der deutschen Wirtschaft. Deutschlands Wirtschaft zerfällt in zwei Teile: Der exportgetriebene Teil ist wettbewerbsfähig, die Löhne sind hoch, der Anstieg in den vergangenen Jahren war üppig. Dem gegenüber steht aber ein nicht so produktiver Teil, in dem zu viel reguliert ist und es zu wenig Wettbewerb und Innovation gibt. Hier gibt es kaum Dynamik und kaum Investitionen. Das ist vor allem im Dienstleistungsbereich der Fall.

SZ: Wie kann man das kitten?

Fratzscher: Wir müssten gerade in diesen Sektoren und auch in einigen freien Berufen deregulieren und Anreize für mehr Wettbewerb schaffen. Auch im Energiebereich gibt es viel zu tun: Hier ist der politische Rahmen so unsicher, dass die Unternehmen nicht investieren wollen, weil sie nicht wissen, was die Zukunft bringt.

SZ: Die Deutschen sparen generell lieber, als zu investieren.

Fratzscher: Ja, aber das ist gefährlich. Sparen ist nicht per se gut. Ersparnisse aufzubauen bedeutet Verzicht und weniger Wohlstand heute. Das hat aber nur Sinn, wenn man in der Zukunft mehr für den zurückgelegten Euro zurückbekommt. Aber das hat in der Vergangenheit schlecht funktioniert.

SZ: Woran machen Sie das fest?

Fratzscher: Studien des DIW zeigen, dass Deutschland in den letzten 20 Jahren immer mehr Geld im Ausland angelegt hat. Diese Auslandsinvestitionen waren aber nicht gewinnbringend. Im Gegenteil: Die Deutschen haben über 400 Milliarden Euro Verlust damit seit 1999 gemacht. Dass deutsche Banken, Investoren und auch Privatpersonen im Ausland investiert haben, hat also nicht unseren Wohlstand gefördert, sondern verschlechtert.

SZ: Warum investieren die Unternehmen so wenig in Deutschland?

Fratzscher: Einerseits, weil sie sich falsche Hoffnungen gemacht haben, dass im Ausland höhere Renditen zu erzielen sind. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Andererseits sind es auch hausgemachte wirtschaftspolitische Fehler. Deutschland muss in einigen Bereichen – bei Dienstleistungen, der Infrastruktur, im Abbau von Bürokratie bei Neugründungen – Reformen durchführen. Dann kommen Investitionen zurück. Mitte der 90er Jahre hatte Deutschland 23 Prozent seiner Wirtschaftsleistung investiert, heute sind es kaum noch 17 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich am untersten Ende der Skala. Es sind also nicht die zu hohen Exporte, sondern die zu niedrigen Investitionen und Importe, die diese Überschüsse exzessiv machen.

SZ: Gilt die Investitionsempfehlung auch für den Staat?

Fratzscher: Ja. Wir müssen nicht notwendigerweise mehr Geld ausgeben, aber effizienter und an anderen Stellen als bisher. Wir brauchen dringend mehr Geld für Bildung und Infrastruktur. Deutschland hat im internationalen Vergleich erheblichen Nachholbedarf, was Bildung und insbesondere Fachkräfte angeht, auch die Telekommunikationsinfrastruktur und die Verkehrsinfrastruktur hinken hinterher.

SZ: Würden Sie denn auch privat ihr Erspartes lieber in Deutschland anlegen?

Fratzscher: Ja, natürlich. Die Deutschen kritisieren gern die Niedrigzinspolitik der Notenbanken, weil es ihre Altersvorsorge schwächt, glauben sie. Dabei müssten wir einfach nur überdenken, wie wir für unser Alter sparen: Klar, auf dem Sparbuch gibt es weniger Zinsen als früher. Aber gleichzeitig nimmt der deutsche Aktienleitindex Dax einen Rekord nach dem anderen, auch bei Immobilien gibt es ein Preishoch – das heißt, sowohl Aktien als auch Immobilien werfen hohe Renditen ab.

SZ: Wie sollte Deutschland nun mit dem Verfahren der EU-Kommission umgehen?

Fratzscher: Auf jeden Fall konstruktiv. Deutschland hat die Regeln dieser Prozedur selbst mit entworfen. Und diese Regeln sind gleichermaßen bindend für alle Länder der EU. Deutschland sollte nicht versuchen eine Ausnahme zu erwirken. Denn wir können nicht darüber klagen, dass andere EU-Staaten sich den gemeinsamen Regeln nicht unterwerfen, und gleichzeitig für uns eine Ausnahme in Anspruch nehmen wollen. Das würde unsere Glaubwürdigkeit in Europa schädigen, und die Zukunft der europäischen Integration noch weiter schwächen.

© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von Süddeutsche Zeitung Content

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