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Nachhaltige europäische Konsolidierungspolitik: Der Schlüssel liegt im Finanzsektor

Pressemitteilung vom 19. Mai 2014

DIW Berlin stellt neues „Vierteljahrsheft zur Wirtschaftsforschung“ vor

Der Finanz- und Bankensektor war nicht nur der Auslöser der weltweiten Wirtschaftskrise, sondern er spielt auch in der europäischen Konsolidierungspolitik eine zentrale Rolle. Das neue ‚Vierteljahrsheft zur Wirtschaftsforschung‘ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) setzt sich deshalb nicht nur kritisch mit der bisherigen Finanzmarktregulierung auseinander, sondern zieht auch eine Bilanz der gesamtwirtschaftlichen europäischen Konsolidierungspolitik der letzten Jahre. Ein wesentliches Fazit des Heftes besteht darin, dass Nachhaltigkeit als zentrale Richtschnur des politischen Handelns noch viel zu wenig beachtet wird. Das trifft auf beide Politikfelder zu.

Die Aufsätze im Überblick:

Bernhard Emunds zeigt, dass es sich bei Teilen des Finanzmarktes um eine reine Rent Seeking-Ökonomie handelt: Ihre Akteure können mit vielen Geschäftspraktiken auch dann Einkommen erzielen, wenn sie nichts zur Wertschöpfung und damit zur Wohlstandsmehrung beitragen. Dies könne nur beendet werden, wenn Finanzmarktpolitik nicht mehr primär als Finanzmarktförderung der jeweils heimischen Institute betrieben werde. Dem entspräche - neben strengeren Eigenkapitalregeln – die Einführung eines Trennbankensystems.

Christoph Scherrer klopft verschiedene Theorien auf mögliche Antworten auf die Frage ab, ob eine Rückkehr zu einem „langweiligen“ – weniger risikoreichen – Finanzwesen gelingen kann. Er warnt jedoch vor kleineren Reformschritten, da sie Exzesse nur kurzfristig beseitigen, die Vorherrschaft des Finanzkapitals jedoch eher stabilisieren würden.

Dorothea Schäfer und Brigitte Young fordern eine Demokratisierung des Finanzsektors, der wie eine Infrastruktureinrichtung allen zur Verfügung stehen müsse und dessen Stabilität ein globales öffentliches Gut sei. Nur so könne man wieder Vertrauen in die Finanzmärkte herstellen.

Mark Demary möchte dagegen das Problem der Finanzmarktstabilität im Rahmen des bestehenden Regulierungsrahmens lösen, und zwar durch die Bindung des systemischen Eigenkapitalpuffers an ein Maß für die Systemrelevanz der jeweiligen Bank.

Beat Weber stellt mit Vollgeld und Bitcoin zwei populäre Ansätze zur Kritik der Geldschöpfung als Ursache der Krise auf den Prüfstand. Beiden Konzepten spricht der Autor die Alltagstauglichkeit ab und befürchtet zusätzliche Risiken sowie stark negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft.

Die folgenden Beiträge widmen sich der Nachhaltigkeit im Finanzsektor:

Melanie Feßmann untersucht die Wachstumschancen des ethisch-ökologisch orientierten Geschäftsmodells, das vor allem gebremst werde durch das regulatorische Risiko bei der Energiewende, branchenspezifische Barrieren und die Unsicherheit bezüglich der Bereitschaft der Bevölkerung, Renditeverluste zugunsten der Nachhaltigkeit hinzunehmen.
 
Edelgard Bulmahn betont in ihrem Vorwort zum Konzept für ein stabiles und sicheres Finanzsystem der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität, dass nachhaltige Finanzstabilität nicht mit staatlich gestützter Stabilität einzelner Banken verwechselt werden dürfe.

Hans-Helmut Kotz und Dorothea Schäfer sehen als Ursache für die schwerwiegenden Fehleinschätzungen der Rating-Agenturen den „administrierten Zwangskonsum“. Rating-Fehlurteile sind wohl unvermeidbar, könnten aber entschärft werden, zum Beispiel durch die Definition einer von den Risikogewichten unabhängigen Leverage Ratio als regulatorisches Mindestkapital.

André Semmler, Willi Semmler und Christian Schoder untersuchen die makroökonomischen Effekte der Haushaltskonsolidierung in der Europäischen Union. Ihre Schlussfolgerung: Eine kurzfristig orientierte Politik führte zu einer Double-dip-Rezession in Europa.

Paul de Grauwe und Yuemei Ji sehen dies als Bürde, die der Eurozone in Form hoher Schuldenquoten und eines zunehmenden Umschuldungsdrucks noch lange nachhängen wird.

Horst Tomann analysiert die Schuldenkrise auf der Basis einer frühen Schrift von Keynes. Das Kernproblem liege in der Bereinigung der Bankbilanzen. Solange die Europäische Bankenunion nicht vollendet sei, liege auch die Überwindung der europäischen Schuldenkrise noch in weiter Ferne.

Die Analyse des noch unzureichend erforschten Zusammenhangs zwischen Wachstum und Ungleichheit steht im Mittelpunkt des Beitrages von Jan Behringer, Christian A. Belabed, Thomas Theobald und Till van Treeck. In ihrer empirischen Mehrländerstudie finden die Autoren ihre Hypothese bestätigt, dass eine steigende Ungleichheit der Haushaltseinkommen die Verschuldung von Privathaushalten und Leistungsbilanzdefizite tendenziell fördert.

Nachhaltige europäische Konsolidierungspolitik – Chancen und Herausforderungen. Von Dorothea Schäfer, Willi Semmler und Brigitte Young. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 4/2013. Journalisten können ein Rezensionsexemplar über die DIW-Pressestelle beziehen.

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