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Zukünftige Altersarmut

DIW Roundup 25, 9 S.

Johannes Geyer

2014

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24. Juni 2014, Johannes Geyer, jgeyer@diw.deI

Im Mai 2014 prognostizierte OECD-Generalsekretär Gurría: „Deutschland bekommt ein Problem mit Altersarmut“. Die Sorge um wachsende Altersarmut hat in Deutschland längst die Politik erreicht. Bereits im Frühjahr 2008 warnten die beiden ostdeutschen Minister aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, Jens Bullerjahn und Erwin Sellering, vor einer drohenden Altersarmut in Ostdeutschland. Im September 2012 schlug die damalige Bundesarbeitsministerin von der Leyen Alarm: „Es steht nicht mehr und nicht weniger als die Legitimität des Rentensystems für die junge Generation auf dem Spiel. Die Brisanz von Altersarmut liegt darin, dass Ältere ihre Einkommensposition nach dem Erwerbsaustritt kaum noch verbessern können und im Armutsfall häufig dauerhaft arm bleiben. Obwohl die Gründe dieser Entwicklung, zum einen die Rentenreformen der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte und zum anderen die Arbeitsmarktentwicklung, weitgehend unstrittig sind, gibt es erst wenige Prognosen der zukünftigen Armutsentwicklung. Dem liegen methodische Probleme zugrunde, die im Folgenden erläutert werden. Daran anschließend werden die bislang vorliegenden Erkenntnisse zur Einkommensentwicklung Älterer vorgestellt.

Zwei Armutskonzepte: Grundsicherungsbezug und relative Armut

Wissenschaftliche Beiträge zum Thema Altersarmut verwenden in der Regel die folgenden beiden relativen monetären Armutsmaße (vgl. z.B. Hauser 2009; Goebel und Grabka 2011; Wissenschaftlicher Beirat BMWI 2012; Börsch-Supan et al. 2013): die Grundsicherungsbezugs- und die Armutsquote.

Einerseits wird die Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung (SGB XII) verwendet, um Altersarmut zu messen. Die Grundsicherung ist eine bedarfsgeprüfte staatliche Fürsorgeleistung, die das sozio-kulturelle Existenzminimum sicherstellen soll. Leistungsberechtigt sind hilfebedürftige Personen, die dauerhaft erwerbsgemindert sind oder die Altersgrenze erreicht haben. Sie setzt sich aus einem Regelsatz und den Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen. Andererseits werden statistische Armutsquoten verwendet, um Altersarmut zu quantifizieren. Bei der häufig verwendeten Armutsrisikoquote gelten Personen als armutsgefährdet, deren verfügbares Einkommen weniger als 60 Prozent des Medians des Nettoäquivalenzeinkommens beträgt. Das verfügbare Einkommen wird anhand der Haushaltsgröße gewichtet, da größere Haushalte ökonomischer mit ihren Ressourcen wirtschaften können.

Beide Armutsdefinitionen berücksichtigen sämtliche Einkommensarten des Haushaltes, um die Bedürftigkeit des Haushaltes zu bestimmen. Bei der Bedarfsprüfung für den Grundsicherungsbezug wird außerdem das Vermögen herangezogen (vgl. §90 SGB XII). Prognosen zukünftiger Altersarmut müssen also eine Reihe unterschiedlicher Einkommensarten, aber auch die Haushaltskonstellationen und den Vermögensaufbau fortschreiben. Im Falle der Grundsicherungsquote kommen die Regelsätze und die zu erwartenden Kosten für Unterkunft und Heizung hinzu. Börsch-Supan et al. (2013) sehen in dieser Komplexität einen wesentlichen Grund dafür, dass erst wenige wissenschaftliche Studien zu diesem Thema durchgeführt wurden, die zudem in wichtigen Bereichen Unzulänglichkeiten aufweisen (siehe dazu auch Grabka und Rasner 2012). So fokussieren sich viele Studien auf die Fortschreibung der Einkommen aus der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), da die Renten der GRV ein relativ guter Indikator der Einkommensposition Älterer sind (Geyer und Steiner 2014; Krenz et al. 2009; Arent und Nagl 2010). Andere Einkunftsarten bleiben dabei außer acht. Diese sind jedoch bereits heute relevant und werden noch an Bedeutung gewinnen, da das Rentenniveau der GRV weiter sinkt.

Der Einkommensmix im Alter

Die GRV ist in Deutschland das bedeutendste Alterssicherungssystem, wie beispielsweise die repräsentative Erhebung „Alterssicherung in Deutschland“ (ASID) aus dem Jahr 2011 zeigt: insgesamt 90 Prozent aller Personen ab 65 Jahren bezogen eine eigene Rente aus der GRV. In Westdeutschland lag der Anteil bei 88 Prozent, in Ostdeutschland bei 99 Prozent. Der Beitrag der GRV zum Einkommen ist ebenfalls groß: Ihr Anteil am Bruttodurchschnittseinkommen Älterer beträgt 64 Prozent. Andere Alterssicherungssysteme kommen auf einen Anteil von 21 Prozent, und weitere Einkommensquellen, wie Transfers oder Einkünfte aus Erwerbstätigkeit, machen rund 16 Prozent aus (Bundesregierung 2012, S.15f). Tabelle 1 zeigt, dass auch hier die Bedeutung der GRV in Ostdeutschland höher ist als im Westen. Häufig wird außerdem der Einkommensvorteil („Mietwert“) einer selbstgenutzten Immobilie berücksichtigt. Ältere besitzen häufiger als der Rest der Bevölkerung hypothekenfreie Immobilien. Goebel und Grabka (2011) schätzen, dass sich der Mietwert auf sechs bis zehn Prozent des Haushaltsbruttoeinkommens aller Rentnerhaushalte beläuft.

Anteile von Einkommenskomponenten am Bruttoeinkommensvolumen (in %)

Quelle: Bundesregierung (2012, S.98)

Goebel und Grabka weisen zudem darauf hin, dass die Bedeutung der GRV mit steigendem Haushaltsnettoeinkommen abnimmt und sich zwischen 1994 und 2009 gerade im obersten Quintil der Einkommensverteilung weiter verringert hat. Umgekehrt bestreiten die beiden untersten Quintile ihren Lebensunterhalt relativ konstant zu rund 80 Prozent aus der GRV. Ein Grund dafür ist die niedrige Sparquote einkommensschwacher Haushalte (Wagner und Brenke 2013; Grabka und Westermeier 2014).

Ursachen wachsender Altersarmut und entgegenwirkende Tendenzen

Bäcker (2009, S.363f) weist darauf hin, dass die zukünftige Einkommensverteilung im Alter durch eine „Fülle von ökonomischen, sozial-strukturellen, demografischen und politischen Faktoren bestimmt“ wird, und eine verlässliche Prognose daher erschwert wird. Allerdings identifiziert er „externe“ und „interne“ Risikofaktoren. Die externen Risiken resultieren aus der schlechten Arbeitsmarktsituation in der Vergangenheit, insbesondere in Ostdeutschland, und dem Wandel der Erwerbsformen. Dazu zählt Bäcker die Zunahme von Niedriglohnbeschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit und den Anstieg der Unterbrechungen von Erwerbsverläufen (siehe hierzu auch Simonson et al. 2012. Hinzu kommt die Zunahme nicht versicherungspflichtiger Beschäftigung mit niedrigen Einkommen, wie die Minijobs und Solo-Selbständigkeit (vgl. z.B. Hauser 2009; Sachverständigenrat 2008, Ziffern 714ff.).

Zu den externen Faktoren mit gegenläufiger Tendenz zählt insbesondere in Westdeutschland die Zunahme der Frauen- und Müttererwerbstätigkeit – wenngleich in der Regel lediglich in Teilzeitbeschäftigung und dauerhafter Beschäftigung in Minijobs. Die steigende Erwerbstätigkeit Älterer könnte ebenfalls eine positive Wirkung auf die Rentenhöhe haben, allerdings verkürzt ein späterer Renteneintritt auch die Rentenlaufzeit. Externe Risiken verortet Bäcker auch im Wandel der privaten Lebensformen. Alleinlebende können Einkommensrisiken nicht durch den Haushaltszusammenhang kompensieren. Allerdings haben sie eine höhere Erwerbsbeteiligung, von der ein positiver Effekt auf das Alterseinkommen zu erwarten ist, und bislang steigt der Anteil Älterer, die in Paarhaushalten leben, im Zeitablauf stärker als der Anteil der alleinlebenden Älteren.Goebel und Grabka (2011)können zeigen, dass die relative Zunahme von Paarhaushalten zwischen 1992 und 2009 eine armutsdämpfende Wirkung hatte, obwohl die Rentenzahlbeträge in diesen Jahren nicht so stark gewachsen sind wie die Lohneinkommen.

 

„Interne Risiken“ nennt Bäcker demgegenüber die mit den Reformen des Rentenversicherungssystems selbst verbundenen Risikofaktoren für Altersarmut. Wichtigster Faktor ist die geplante langfristige Senkung des Rentenniveaus in der GRV. Insbesondere durch die Einführung des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors in der Rentenanpassungsformel, entkoppelt sich die Anpassung der Renten der GRV von der allgemeinen Lohnentwicklung. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Nettorentenniveau vor Steuern bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 sinkt. Bäcker folgert, dass sich das Armutsrisiko dann erhöht, wenn die Armutsschwelle in Zukunft eher mit der allgemeinen Lohnentwicklung wächst, also stärker als die Renten der GRV.

 

Zudem wurde die Absicherung von Langzeitarbeitslosen in der GRV in mehreren Schritten gesenkt (einen Überblick dazu bietet Portal Sozialpolitik). Seit dem 1.Januar 2011 werden von der Agentur für Arbeit keine Beiträge mehr an die GRV gezahlt. Die Aufstockung niedriger Rentenbeiträge für Geringverdiener („Rente nach Mindestentgeltpunkten“ SGB VI §262), wie sie für Zeiten vor 1992 gilt, wurde nicht verlängert. In veränderter Form wirkt eine ähnliche Regelung fort, die aber nur noch erziehungsbedingte Teilzeitarbeit („Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung“) aufwertet. Allerdings zeigen Buslei et al. (2014), dass sich Kinderberücksichtigungszeiten kaum auf die wirtschaftliche Stabilität von Familien im Alter auswirken (eine Übersicht zu den Regelungen für Geringverdiener in der GRV liefertSteffen 2011>).

Auch die Einführung der kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge, die Riesterrente, wirkte rentenmindernd. In der Rentenformel dämpft sie die Rentenanpassungen. Portal Sozialpolitik schätzt, dass die Renten zwischen 2003 und 2011 aus diesem Grund um rund fünf Prozentpunkte hinter der Entwicklung der Löhne zurückgeblieben sind. Zugleich betreiben längst nicht alle Förderberechtigten eine private Altersvorsorge. Gerade Haushalte und Personen mit unterdurchschnittlichen Einkommen, und also höherem Altersarmutsrisiko sorgen seltener privat vor (Geyer 2012). Ein weiterer interner Risikofaktor waren die Abschläge für vorzeitigen Rentenbezug.Faik und Köhler-Rama (2013) betonen, dass auch Invalidität ein Armutsrisiko darstellt. Immerhin rund ein fünftel aller Rentenzugänge eines Jahres gehen in die Erwerbsminderungsrente. Die Reform der Rente wegen Invalidität Ende 2000 hat aufgrund der eingeführten Abschläge und der veränderten Zugangsbedingungen zu einem stetigen Sinken der Leistungen aus dieser Rente geführt. Zu den internen gegenläufigen Tendenzen zählt die Verbesserung in der rentenrechtlichen Absicherung von Kindererziehungs- und Pflegezeiten. Auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente im jüngsten Rentenpaket der Bundesregierung wirken dem Armutsrisiko entgegen.

Entwicklung der Altersarmut – bisherige Erkenntnisse

Erste Anhaltspunkte dafür, wie sich die Alterseinkünfte entwickeln werden, liefert der Alterssicherungsbericht der Bundesregierung. Er wird in jeder Legislaturperiode erstellt (Bundesregierung 2008; Bundesregierung 2012) und simuliert für verschiedene Kategorien „typischer“ Rentenempfänger/innen einzelner Rentenzugangsjahrgänge das sich aus dem Verhältnis von Erwerbs- und Alterseinkünften ergebende Gesamtversorgungsniveau (vgl. BT-Drs. 15/2678). Das langfristig sinkende Sicherungsniveau der GRV soll durch den Aufbau einer privaten und/oder betrieblichen Altersvorsorge kompensiert werden. Mit dem Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) wurde 2004 zudem beschlossen, langfristig auf die nachgelagerte Besteuerung von Alterseinkünften überzugehen, wonach Renten in der Auszahlungsphase voll besteuert, Beitragszahlungen während der Erwerbsphase hingegen steuerfrei gestellt werden. Die Berechnung des Gesamtversorgungsniveaus bezieht Renten aus der GRV, geförderte private Vorsorge (Riester) und die mit dem AltEinkG verbundene Nettoeinkommenserhöhung als private Rente in die Simulation ein (vgl. §154 Abs. 2 Nr.5 SGB VI).

Der Alterssicherungsbericht 2012 weist das Gesamtversorgungsniveau für acht Kategorien von Rentenempfänger/innen bis zum Jahr 2030 aus.

 

Gesamtversorgungsniveau unterschiedlicher Rentenempfänger/innen im Alterssicherungsbericht 2012 

Quelle: Bundesregierung (2012)

Außer für Alleinerziehende sinkt das Niveau der GRV zwischen 2012 und 2030. Für Geringverdienende (definiert als 45 Jahre Erwerbsarbeit mit 50 Prozent des Durchschnittsverdienstes) ist der Rückgang besonders stark, da die „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ ausläuft und im Rentenzugangsjahr 2030 kaum noch Anwendung findet. Würde die Regelung weitergeführt, so fiele die Niveausenkung deutlich moderater aus (vgl. die Kategorie „Geringverdienende mit Höherbewertung“).

Mit Ausnahme der Geringverdienenden kann dieser Rückgang allerdings durch private Altersvorsorge überkompensiert werden (siehe Abbildung 1). Die Simulation geht davon aus, dass Personen den vollen förderfähigen Anteil ihres Einkommens in eine Riester-Rente investieren und die aus den steuerfrei gestellten Beiträgen zur GRV erzielte Nettoeinkommenserhöhung in eine private Rente investieren. Riedmüller und Willert (2008) erachten diese Annahmen  für unrealistisch und gehen von einem niedrigeren Gesamtversorgungsniveau aus. Auch das Gutachten des Sozialbeirats hinterfragt insbesondere die Annahme, dass die steuerfrei gestellten Beiträge tatsächlich in eine zusätzliche private Altersvorsorge investiert werden (Sozialbeirat 2012). Insgesamt können die Simulationen des Alterssicherungsberichts zwar die institutionellen Rahmenbedingungen sehr detailliert abbilden, jedoch keine repräsentativen Ergebnisse oder Prognosen liefern.

Geyer und Steiner (2010; 2014) untersuchen zukünftige Anwartschaften in der GRV für die Kohorten 1937 bis 1971 und stützen ihre Simulation auf die Erwerbsbiografien dieser Kohorten. Auch die langfristige Niveausenkung durch den Nachhaltigkeitsfaktor wird berücksichtigt. Die unsichereren Erwerbsverläufe insbesondere der ostdeutschen jüngeren Kohorten wirken sich auch auf die Einkommen aus der GRV aus. Beginnend mit der Kohorte 1947-1951 bei den ostdeutschen Männern und der Kohorte 1952-1956 sinken die Rentenanwartschaften kontinuierlich ab. In Westdeutschland sind vor allem Geringqualifizierte betroffen, während Frauen ihre Erwerbsposition im Kohortenvergleich verbessern und höhere gesetzliche Renten erzielen. Für Ostdeutschland ist die Fortschreibung stark von der negativen Arbeitsmarktsituation in der Vergangenheit geprägt. Ein wesentlich schwächerer Rückgang ergibt sich, wenn eine positivere Arbeitsmarktentwicklung in der Zukunft angenommen wird.

Auch Krenz et al. (2009) sowie Arent und Nagl (2010) betrachten ausschließlich die Altersrenten der GRV und vergleichen die Kohorten 1939-1941 und 1955-1957 miteinander. Für ostdeutsche Männer weist die Kohorte 1955-1957 ein niedrigeres Rentenniveau und zugleich eine größere Heterogenität auf. Unter den westdeutschen Männern ist die Heterogenität nur etwas höher, während kein Rückgang der GRV-Renten zu verzeichnen ist. Arent und Nagl (2010) untersuchen zudem den Anteil der Rentner, deren Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus liegt („Armutsrisiko“). Im Kohortenvergleich zeigt sich für Westdeutschland ein Anstieg des Armutsrisikos von 16 auf 32 Prozent und in Ostdeutschland von 0 auf 18 Prozent. Für die Frauen beider Kohorten sind die Ergebnisse weniger klar: das Armutsrisiko ostdeutscher Frauen steigt von 27 auf 35 Prozent, während es im Westen etwas sinkt. Für Ostdeutschland untersuchen Krenz et al. (2009) zudem, ob der Haushaltskontext das Armutsrisiko moderiert. Während das Risiko geringer GRV Renten für Paarhaushalte nur leicht ansteigt, nimmt es für Alleinlebende deutlich zu. Schupp (2009) kritisiert allerdings insbesondere, dass zukünftige Altersarmut nicht allein auf Basis der Einkommen aus der GRV berechnet werden könne.

In diese Richtung zielt auch die Kritik von Kumpmann et al. (2012). Sie verwenden eine relativ einfache Fortschreibungsmethodik, die es erlaubt, fast alle Einkünfte der Haushalte bzw. ihr mittleres relatives Armutsrisiko zu projizieren. Im Fokus stehen dabei die zwischen 1958 und 1963 geborenen Geburtsjahrgänge, und die Projektion beruht auf Daten der Kohorte 1937 bis 1942. In der Altersgruppe der 65- bis 70-Jährigen steigt die Armutsquote bis 2023 um 18 Prozent. Der Anstieg ist in Ostdeutschland besonders ausgeprägt, wo die Armutsquote von 12,8 auf 17,2 steigt. Dieser Anstieg geht ausschließlich auf die Armut ostdeutscher Männer zurück.

Eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWI) untersucht den Anteil der Grundsicherungsempfänger/innen in den Kohorten 1965 bis 1979 (Wissenschaftlicher Beirat BMWI 2012). Verglichen werden die Wirkungen der Rentenreformen auf die Grundsicherungsquote mit und ohne Verhaltensanpassungen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die Verhaltensreaktionen die Niveausenkung überkompensieren können. Auch im Hinblick auf die Beschäftigungsentwicklung geht er, trotz erhöhter Armutsrisiken für Geringqualifizierte, Migrantinnen und Migranten sowie Ostdeutsche, von einer überschaubaren Risikoentwicklung aus. Unter negativen Annahmen wird die Grundsicherungsquote von 2,6 Prozent im Jahr 2010 bis 2030 um weitere 1,4 Prozentpunkte zunehmen (siehe Tabelle 2). Faik und Köhler-Rama (2013) kritisieren das Gutachten und wenden ein, dass beispielsweise Invalidität und Langzeitarbeitslosigkeit als Armutsrisiken nicht ausreichend berücksichtigt worden seien.

 

Effekte der Reformmaßnahmen bzw. möglicher Verhaltensänderungen auf den Anteil der Grundsicherungsbezieher der 65-Jährigen und Älteren 

Quelle: Wissenschaftlicher Beirat BMWI 2012, S.10

Die bisher umfangreichste Studie zur Entwicklung der Alterseinkommen liefert schließlich das von der Deutschen Rentenversicherung Bund und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Auftrag gegebene Forschungsprojekt „Altersvorsorge in Deutschland (AVID) 2005“ (Heien et al. 2007). Die AVID 2005 beruht auf einer repräsentativen Befragung deutscher Personen, die zwischen 1942 und 1961 geboren wurden. In einem detaillierten Mikrosimulationsmodell werden die Biografien der untersuchten Kohorten fortgeschrieben und alle Einkommensarten bis auf Kapitalerträge und der Wert selbstgenutzter Immobilien berücksichtigt.

Im Ergebnis verschlechtern sich die Erwerbsbiografien der jüngeren Kohorten. Insbesondere in Ostdeutschland steigt der Anteil derjenigen, die über eine längere Dauer arbeitslos waren, während die Erwerbsjahre zurückgehen. Gerade in Ostdeutschland sinken daher die GRV-Renten, was allerdings. durch private Vorsorge und Betriebsrenten kompensiert wird. Wenn man zusätzlich die Niveausenkung der GRV berücksichtigt, zeigt sich allerdings, dass die jüngeren Kohorten die Niveausenkung – mit Ausnahme westdeutscher Frauen – nicht kompensieren können – auch dann nicht, wenn man von einer 100-prozentigen privaten Altersvorsorge ausgeht. Nürnberger (2007) merkt kritisch zur AVID an, dass die Rentenbesteuerung durch das AltEinkG nicht berücksichtigt wurde und Risiken, die in möglichen Beitragssatzsteigerungen der Pflege- und Krankenversicherung liegen, nicht modelliert wurden. Hauser (2007) kritisiert, dass es der Studie aufgrund des Fokus auf Deutsche an Repräsentativität mangelt, da Ausländer unterschätzt werden. Zudem kritisiert er, dass die im Zentrum des Berichts stehende Basisvariante wichtige Rentenreformen nicht berücksichtigt.

Fazit

Das Einkommen im Alter hängt von der Erwerbshistorie, den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und vom Haushaltskontext ab. Die langfristige Abschätzung von Einkommensrisiken im Alter ist schwierig. Bereits heute zeichnen sich allerdings bestimmte Risikogruppen ab. Langzeitarbeitslosigkeit oder Niedriglohnbeschäftigung, die schon in der Erwerbsphase ein Armutsrisiko darstellen, wirken kumuliert im Ruhestand fort. Zugleich werden die Einkommen aus der GRV nicht mehr ausreichen, um das Einkommensniveau im Ruhestand zu erhalten. Inwieweit Beschäftigte mit höheren Armutsrisiken diese Lücke durch private Vorsorge schließen können, bedarf trotz aller Schwierigkeiten der Fortschreibung weiterer Forschung.

Quellen

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Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111804

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