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Die Sanktionen wirken langsam: Gastbeitrag von Georg Wagner, Konstantin A. Kholodilin und Dirk Ulbricht

Nachricht vom 24. Juli 2014

Ein Gastbeitrag von Georg Wagner und Konstantin A. Kholodilin unter Mitarbeit von Dirk Ulbricht, erstmals veröffentlicht in Zeit.online am 23. Juli 2014.

Die Europäische Union und die USA haben angekündigt, die Sanktionen gegen Russland als Reaktion auf die politische Krise in der Ostukraine weiter zu verschärfen. Die USA weiten die bestehenden Sanktionen auf die Rohstoffkonzerne Gazprom und Rosneft aus, und auch die EU wird erstmalig Unternehmen auf ihre schwarze Liste setzen und Investitionen in öffentliche Projekte stoppen. Die EU will bis Donnerstag Vorschläge erarbeiten.

Ob es etwas nützt? Bisher scheint die russische Außenpolitik davon unbeeindruckt und es ist zu erwarten, dass auch die neuerliche Verschärfung zumindest politisch verpuffen wird. Da drängt sich die Frage auf: Sind wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland überhaupt geeignet, dessen Außenpolitik zu beeinflussen? Sind Wirtschaftssanktionen dazu überhaupt in der Lage?

Einige Forscher kommen in empirischen Studien zum Schluss, dass sogenannte Smart Sanctions, die sich gezielt gegen eine bestimmte Personengruppe oder einen strategischen Sektor richten, effektiv sein können. Andere halten es für entscheidender, wie hart eine Sanktion das Land gesamtwirtschaftlich trifft. In jedem Fall kann der Effekt von Wirtschaftssanktion nur selten exakt bestimmt werden, da diese meist nur ein Teil des außenpolitischen Konflikts sind.

Koordinierte Maßnahmen zeigen Wirkung

Aus der Vergangenheit lassen sich jedoch Faktoren ableiten, die zum Erfolg von Wirtschaftssanktionen beitragen können. Da ist zunächst die Größe der Volkswirtschaft: Je kleiner die Wirtschaftskraft des sanktionierten Landes, desto schwerer kann es die Strafen in der Regel absorbieren. Wichtig sind auch die politischen und ökonomischen Verbindungen zwischen den beteiligten Ländern. Gary C. Hufbauer, einer der bedeutendsten Forscher auf diesem Gebiet, sagte dazu einmal, es sei "effektiver, einen Freund als einen Feind zu bestrafen", da in diesem Fall sehr viel mehr auf dem Spiel stehe.

Ein weiterer Faktor ist der multilaterale Charakter der Maßnahmen: Koordinierte Sanktionen mehrerer Länder erhöhen die Erfolgsaussichten, da das sanktionierte Land nicht einfach seinen Handelspartner austauschen kann. Dies hat allerdings den Nachteil, dass sich die Beteiligten auf einen gemeinsamen Nenner einigen müssen – und der  ist, wie die EU-Sanktionen gegen Russland zeigen, oftmals eher überschaubar.

Die Skepsis hinsichtlich der Erfolgschancen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland ist deshalb durchaus verständlich: Das Land ist eine relativ große Volkswirtschaft und ist aufgrund seiner immensen Bodenschätze in der Lage, mit ökonomischer Isolation zumindest temporär umzugehen. Hinzu kommt, dass Russland über große Dollarreserven verfügt und die Staatsverschuldung  gering ist. Durch Öl- und Gasexporte erzielt es seit Jahren Außenhandelsüberschüsse. Gleichzeitig hat die Europäische Union als Handelspartner eine zentrale Rolle, während die USA bis auf einige strategische Industrien eher unwichtig sind für die russischen Handelsbeziehungen. So stand im Jahr 2013 ein Außenhandelsumsatz von 326 Milliarden Euro zwischen EU und Russland lediglich einem Umsatz von 21 Milliarden Euro zwischen Russland und den USA gegenüber.

Dennoch war die bisher eher gemäßigte Vorgehensweise der EU und der USA nicht ohne Wirkung. Die Zinsen auf russische Staatsanleihen sind am 3. und am 12. März jeweils sprunghaft angestiegen – im ersten Fall, weil russische Militäreinheiten auf der Krim einmarschierten und im zweiten Fall, weil EU und USA kurz zuvor eine Verschärfung ihrer Sanktionen ankündigt hatten.

Noch deutlicher hat sich die militärische Zuspitzung am Aktienmarkt niedergeschlagen: Der wichtige MICEX10-Index brach innerhalb eines Tages um neun Prozent ein. Nach einer kurzen Erholung stürzten die Kurse weiter ab und erreichten Mitte März ihren niedrigsten Stand seit 2009.

Während sich der Aktienindex wieder erholt hat und seit Juni auf Vorkrisenniveau liegt, ist die Rendite auf Staatsanleihen weiterhin konstant höher als vor der Ukraine-Krise – vermutlich, weil die Investoren bei der Beurteilung von Länderrisiken zwischen privaten und öffentlichen Vermögenswerten unterscheiden.

Tragen die Sanktionen zur Lösung der Krise bei?

Ein teilweiser Erfolg der Sanktionen zeigt sich auch bei den Nettokapitalabflüssen aus Russland: Rund 50 Milliarden US-Dollar zogen die Investoren im ersten Quartal 2014 ab, so viel wie seit dem Höhepunkt der Finanzkrise Ende des Jahres 2008 nicht mehr. Das könnte Russland in Schwierigkeiten bringen: Laut Internationalem Währungsfonds hat das Land in den vergangenen 15 Jahren im Wesentlichen von seinen enormen natürlichen Ressourcen gelebt, ohne ein nachhaltiges Wachstumsmodell jenseits von Rohstoffen zu entwickeln. Verabschieden sich nun innovationsstarke ausländische Unternehmen, wird das ohnehin schwache Wachstum weiter zurückgehen.

Die Ukraine-Krise wirkt sich also sichtbar negativ auf die russische Wirtschaft aus. Wie stark letztendlich der Einfluss der Sanktionen war, ist gleichwohl nicht genau abschätzbar. Ihre Wirkung entfalteten sie wohl am ehesten indirekt über eine Verunsicherung der Investoren – und nicht etwa über das Einfrieren der Konten von Putin-Vertrauten. Was bleibt, ist die Frage, ob die Sanktionen zur Lösung der Krise beitragen und Putin zu einem Kurswechsel in seiner Außenpolitik zwingen. Bislang war dies nicht der Fall.
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