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Kommunale Infrastruktur in Deutschland muss deutlich gestärkt werden

Pressemitteilung vom 21. Oktober 2015

[Regionalisierte Version für Ostdeutschland]

Anhaltende Investitionsschwäche bei den Kommunen – Sozialausgaben schmälern die Spielräume – Strukturschwache Regionen drohen weiter zurückzufallen – DIW-Experten empfehlen, den Soli temporär zu nutzen, um Kommunen bei den Sozialausgaben zu entlasten

Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und die Schaffung von Wachstumspotentialen. Vor allem die kommunale Infrastruktur fährt jedoch seit Jahren auf Verschleiß. Eine Forschergruppe des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hat die kommunale Investitionstätigkeit in Deutschland näher untersucht. „Trotz der öffentlichen Überschüsse investiert ein großer Teil der Kommunen zu wenig, und die Probleme werden sich für viele von ihnen noch verschärfen, wenn die Wirtschaftspolitik nicht schnell und entschieden gegensteuert. Vor allem Kommunen mit hohen Sozialausgaben investieren deutlich weniger“, bilanziert DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Die Experten des DIW Berlin empfehlen deshalb, den Solidaritätszuschlag temporär zu nutzen, um die Kommunen bei den Sozialleistungen für Wohnen und Heizkosten zu entlasten. Damit würde der Rahmen für mehr kommunale Investitionen geschaffen.

Große Herausforderungen bei den Investitionen

In Deutschland werden über die Hälfte der Investitionen auf der kommunalen Ebene getätigt, Kommunen finanzieren Kitas, Schulen und den kommunalen Verkehr. Die Herausforderungen der Zukunft sind vielfältig angesichts des demographischen Wandels und vor dem Hintergrund der beschlossenen Energiewende. Zudem sind es die Kommunen, die den Zustrom an Flüchtlingen organisieren und verwalten. „Mit Investitionen in die Integration dieser Menschen gestalten die Kommunen nicht nur deren Zu­kunft, sondern auch die eigene“, so DIW-Präsident Fratzscher.

Negative Nettoinvestitionen seit 2003

Die Auswertungen des DIW Berlin zeigen jedoch, dass die kommunale Investitionstätigkeit seit Jahren ausgeprägt schwach ist. Die Investitionsquote hat sich gegenüber dem Jahr 1991 etwa halbiert. Seit der Jahrtausendwende reichen die kommunalen Investitionen nicht einmal mehr aus, um die bestehende Infrastruktur zu erhalten beziehungsweise zu modernisieren. „Die Nettoinvestitionen, das heißt der Saldo aus Investitionen und Abschreibungen, sind seit dem Jahr 2003 negativ. Seither sind mehr als 46 Milliarden Euro im Bereich der Infrastruktur nicht mehr ersetzt worden“, sagt DIW-Investitionsexperte Claus Michelsen. Auch die Investitionen der kommunalen Unternehmen konnten dieses Defizit nicht ausgleichen.

Kommunale Investitionen sind auf die Länder ungleichmäßig verteilt

Bereits auf Länderebene zeigen sich deutliche regionale Unterschiede in den 13 Flächenländern. Die Länder Bayern und Baden-Württemberg haben mit 469 beziehungsweise 371 Euro pro Einwohner im Jahr 2013 die höchsten Investitionsausgaben. Demgegenüber fallen die Ausgaben für Investitionen in anderen westdeutschen Ländern und in Ostdeutschland deutlich geringer aus. Allein in Ostdeutschland müssten die Kommunen etwa 2,8 Milliarden Euro mehr investieren, um ein vergleichbares Investitionsniveau pro Einwohner wie in Bayern zu erreichen.

Ostdeutschland ist dabei ein Sonderfall. Dort sind die Investitionsausgaben mit dem Abschmelzen der Mittel aus dem Solidarpakt II seit dem Jahr 2004 rapide zurückgegangen; in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise von 393 Euro pro Kopf im Jahr 2000 auf nur noch 148 Euro im Jahr 2013. „Je geringer die Sonderzuweisungen des Bundes ausfallen, desto stärker tritt dort die eigene geringe Steuer- und Finanzkraft zu Tage – ein Effekt, der durch den Bevölkerungsrückgang noch verstärkt wird“, so DIW-Regionalexperte Ronny Freier.

Unterschiede zwischen einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten in Ostdeutschland

Unter den zehn Kommunen mit den höchsten Investitionsausgaben in den Kernhaushalten befinden sich keine ostdeutschen Kommunen. Die höchsten Investitionen in den jeweiligen ostdeutschen Bundesländern erreichen die Landkreise Teltow-Fläming (Brandenburg, 401 Euro), Vorpommern-Rügen (Mecklenburg-Vorpommern, 308 Euro), Sächsische Schweiz – Osterzgebirge (Sachsen, 311 Euro), Wittenberg (Sachsen-Anhalt, 229 Euro), Schmalkalden-Meiningen (Thüringen, 407 Euro).

Insgesamt erreichen die ostdeutschen Kommunen aber nur selten den Bundesdurchschnitt von etwa 270 Euro pro Einwohner – lediglich 25 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte im Osten können überdurchschnittlich investieren. Die anderen 75 Prozent liegen zum Teil abgeschlagen im unteren Bereich der Verteilung. Die Kommunen mit den jeweils niedrigsten Ausgaben für öffentliche Investitionen sind Cottbus (Brandenburg, 116 Euro), Rostock (Mecklenburg-Vorpommern, 156 Euro), Nordsachsen (Sachsen, 178 Euro), Halle (Sachsen-Anhalt, 80 Euro), Jena (Thüringen, 62 Euro).

Investitionsunterschiede erklären sich durch hohe Sozialausgaben

Die regionalen Unterschiede bei den kommunalen Investitionsausgaben in den Kernhaushalten haben sich über viele Jahre hinweg kaum verändert. In der Regel sind es strukturschwache Regionen mit geringen Steuereinnahmen und hohen Sozialausgaben, die dauerhaft weniger investieren können. „Eine entscheidende Ursache für dauerhaft geringe Investitionen liegt in den Sozialausgaben, die den finanziellen Spielraum für Investitionen verringern“, sagt Ronny Freier. So gibt beispielsweise die kreisfreie Stadt Halle 314 Euro für Kosten der Unterbringung und Heizung und 80 Euro für Investitionen aus, während der Wartburgkreis lediglich 83 Euro für diese Sozialausgabe ausgeben muss und 402 Euro pro Einwohner investieren kann.

Mehr finanziellen Spielraum für finanzschwache Kommunen schaffen

Die finanzschwachen Kommunen geraten in eine Abwärtsspirale: Weil sie kein Geld für Investitionen haben, werden sie wirtschaftlich noch weiter abgehängt. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, schlagen die DIW-Experten mehrere Maßnahmen vor. Der Bund könnte strukturschwache Kommunen unterstützen, indem er ihnen mehr Mittel für Investitionen überlässt. Lösungen bieten sich auch bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs, wenn finanzschwache Länder eher in die Lage versetzt werden, ihren Kommunen die notwendigen Mittel zukommen zu lassen. „Würden die kommunalen Steuereinnahmen im Länderfinanzausgleich vollständig berücksichtigt, so wären die finanzschwachen Länder in der Lage, ihren Kommunen zusätzliche Mittel für Investitionen zur Verfügung zu stellen“, sagt DIW-Finanzexpertin Kristina van Deuverden.

Kommunale Unternehmen stärken

Einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Investitionsschwäche kann die Stärkung kommunaler Unternehmen leisten, die schon heute in vielen Gemeinden einen wesentlichen Teil des Infrastrukturangebots abdecken. „Kommunale Unternehmen sollten mehr Aufgaben übernehmen, beispielsweise Bau von Verwaltungsgebäuden und Betreuungseinrichtungen, denn diese Unternehmensform hat sich in der Vergangenheit zumeist als erfolgreich erwiesen“, sagt DIW-Regionalökonom Martin Gornig. „Dies würde die Investitionsentscheidungen vom tagespolitischen Geschehen entkoppeln und die Kosten-Nutzen-Abwägungen transparenter machen.“

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