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„Wir würden vor Großbritannien auf die Knie fallen, um sie in der EU zu halten“

Bericht vom 3. Mai 2016

Die Rolle Großbritanniens in Europa ist auf der Veranstaltung „Britain’s Role in Europe“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) diskutiert worden. Joschka Fischer, David Lidington, Judy Dempsey und Marcel Fratzscher waren sich einig: Ein Brexit schadet ganz Europa.

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Die Europäische Union steht vor einer historische Entscheidung: Am 23. Juni 2016 sind alle BritInnen aufgerufen, über den Verbleib ihres Landes in der EU abzustimmen. Am Donnerstagabend, 28. April, wurden im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) verschiedene „Horrorszenarien“ gezeichnet. Der britische Europaminister David Lidington warnte vor „chaotischen Zuständen“ für den Fall eines Brexits: „Es kann mehr als zehn Jahre dauern, bis Großbritannien ein neues Handelsabkommen mit der EU ausgehandelt hat.“ Die EU-Verträge sähen dafür aber nur zwei Jahre vor. Judy Dempsey, Chefredakteurin von Strategic Europe, verwies an dieser Stelle auf die Aussage von US-Präsident Barack Obama: Großbritannien werde von den USA nicht mit offenen Armen empfangen, sollte sich das Land gegen seine europäischen Bündnispartner entscheiden.

Lidington nannte Wirtschaft, Sicherheit, die Provokationen aus Russland und die Instabilität des Mittleren Ostens und einiger afrikanischer Staaten die Hauptherausforderungen in Europa, bei denen Großbritannien Europa brauche und umgekehrt. Der Europaminister bezeichnete den europäischen Binnenmarkt als eine der größten Errungenschaften der Europäischen Union. Wer die britische Bevölkerung glauben lasse, auch nach dem Brexit alle Vorteile dieses gemeinsamen Marktes nutzen zu können, der erzähle „Märchen“. Jeder einzelne Haushalt auf der Insel wäre langfristig betroffen.

Ein Brexit schadet ganz Europa

Doch nicht nur die wirtschaftliche Perspektive auf einen möglichen Brexit wurde an dem Abend diskutiert. Joschka Fischer, Europakenner und ehemaliger deutscher Außenminister, sprach von „geopolitischen Realitäten“, vor denen niemand die Augen verschließen könne. Europa brauche eine effiziente und funktionierende Grenzpolitik wegen der hohen Zahl an Menschen, die nach Europa flüchten. Als weitere Herausforderung für Europa nannte der Grünen-Politiker den Umgang mit Russland: „Dabei geht es auch um Ideologie.“ Wie zur Zeit des Kalten Krieges sei es die Aufgabe der europäischen Staaten für ihre gemeinsamen Werte einzustehen und diese zu verteidigen. „Ich hoffe auf den britischen Praktizismus“, sagte Fischer. „Wir würden vor Großbritannien auf die Knie fallen, um sie in der EU zu halten.“

DIW-Präsident Marcel Fratzscher moderierte die Diskussion und zeigte sich über die Isolation Deutschlands in Europa und den Trend zum Nationalismus besorgt. Ein Brexit mache „Deutschland verletzlich“, attestierte auch Dempsey. Es scheine populär zu sein, Europa die Schuld an vielem zu geben, sagte die Journalistin. Außerdem werde die britische Rolle für die europäische Sicherheitspolitik in Europa „vollkommen unterschätzt“. Die drei Diskutierenden legten zwar unterschiedliche Schwerpunkt, waren sich aber einig, dass das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ein Verlust für alle Beteiligten wäre: „Wir alle würden etwas Wichtiges verlieren“, sagte Dempsey und erhielt Zustimmung von den drei anderen Europa-Befürwortern.

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Marcel Fratzscher, Joschka Fischer, David Lidington, Judy Dempsey (v.l.n.r.)

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