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Unionsparteien und SPD werden sich in der Struktur ihrer Wählerschaft immer ähnlicher

Pressemitteilung vom 19. Juli 2017

Nichtwählende haben kaum vom Einkommenswachstum der letzten 15 Jahre profitiert – Zufriedenheit mit der eigenen materiellen Lage ist an den politischen Rändern am geringsten

In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Zusammensetzung der Wählerschaft der Parteien in Deutschland zum Teil erheblich gewandelt. Zu diesem Ergebnis kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in einer aktuellen Studie. „Die Alterung der Gesellschaft und der Wandel der Arbeitswelt wirken sich auch auf die Wählerpräferenzen aus, sodass manch altes Muster wie etwa das von der SPD als klassischer Arbeiterpartei verblasst ist“, sagt DIW-Forschungsdirektor Alexander Kritikos. „Die Wählerschaften von Union und SPD ähneln sich dagegen immer mehr.“

Das Sozio-oekonomische Panel

Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist die größte und am längsten laufende multidisziplinäre Langzeitstudie in Deutschland. Das SOEP im DIW Berlin wird als Teil der Forschungsinfrastruktur in Deutschland unter dem Dach der Leibniz-Gemeinschaft vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern gefördert. Für das SOEP werden seit 1984 jedes Jahr vom Umfrageinstitut Kantar Public (zuvor TNS Infratest Sozialforschung) in mehreren tausend Haushalten statistische Daten erhoben. Zurzeit sind es etwa 30.000 Personen in etwa 15.000 Haushalten. Die Daten des SOEP geben unter anderem Auskunft über Einkommen, Erwerbstätigkeit, Bildung, Gesundheit und Lebenszufriedenheit. Weil jedes Jahr dieselben Personen befragt werden, können nicht nur langfristige gesellschaftliche Trends, sondern auch die gruppenspezifische Entwicklung von Lebensläufen besonders gut analysiert werden.

Bei den Grünen ist der Anteil an Beschäftigten im öffentlichen Dienst besonders hoch

Generell bleiben die alten Parteien Westdeutschlands auch heute noch stärker in den westlichen Bundesländern verankert, während die AfD und viel mehr noch die Linke in den ostdeutschen Ländern über eine stärkere Basis verfügen. CDU/CSU und AfD werden eher in den ländlichen Gebieten, SPD, Grüne und Linke mehr in den Großstädten gewählt. Die stärkste Veränderung der Wählerstruktur hat die SPD erfahren, deren Wählerschaft sich stark von der Arbeiterschaft hin zu den Angestellten und Personen im Ruhestand verschoben hat. Auch bei der FDP ist der Anteil der Personen im Ruhestand überproportional angestiegen, der Altersdurchschnitt ist bei dieser Partei am höchsten. Mit 48 Jahren ist die Wählerschaft der Grünen deutlich jünger, sie ist aber in der Zeit von 2000 bis 2016 am stärksten gealtert – um acht Jahre. „Bei ihnen ist außerdem mit 40 Prozent der erwerbstätigen Wählerschaft der Anteil an Beschäftigten im öffentlichen Dienst besonders hoch“, sagt DIW-Arbeitsmarktexperte Karl Brenke, Ko-Autor der Studie, „während Gewerkschaftsmitglieder einen relativ hohen Anteil an der Wählerschaft der Linken ausmachen“.

„Auffallend ist auch“, so Kritikos weiter, „dass die Wählerschaft der AfD einen hohen Anteil an Beschäftigten mit einfachen Tätigkeiten aufweist. Daneben gibt es bei der AfD auch einen ähnlich hohen Anteil an Selbständigen wie bei der FDP.“ Die Grünen sind die einzige Partei, deren Wählerschaft sich mehrheitlich aus Frauen zusammensetzt, wohingegen bei der AfD, auch bei der FDP und in geringerem Maße bei der Linken die Männer überwiegen. Nur in den beiden großen Parteien ist das Geschlechterverhältnis ausgewogen.

FDP nach wie vor die Partei der „Besserverdienenden“, vor den Grünen und der Union

Die Präferenz für eine Partei steht auch in einem Zusammenhang mit der Höhe des Einkommens. Teilt man das Haushaltseinkommen aller Wahlberechtigten in zwei gleich große Hälften (Median), so liegt das Medianeinkommen der Wählerschaft von FDP deutlich oberhalb des Medians aller Wahlberechtigten, gefolgt von den Grünen und der CDU/CSU. Das Medianeinkommen der SPD-Wählerschaft liegt in etwa beim Median aller Wahlberechtigten, das der Wählerschaft von AfD und der Linkspartei liegt darunter. Karl Brenke weist aber noch auf einen anderen Effekt hin, wonach die AfD-Wählerschaft noch weiter zurückfällt, wenn man das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen heranzieht. Allerdings gibt es bei der AfD wie bei der Wählerschaft der anderen Parteien eine erhebliche Einkommensspreizung: Neben einem bedeutenden Teil an Gutverdienenden finden sich immer auch in erheblicher Zahl Personen mit geringem Einkommen.  „Am untersten Ende der Einkommensskala“, so Brenke weiter, „stehen schließlich jene Menschen, die sich ganz von der Politik abgewandt haben und gar nicht zur Wahl gehen wollen.“ Diese Gruppe hat auch am wenigsten vom Einkommenswachstum der letzten 15 Jahre profitiert und fällt noch in anderer Hinsicht aus dem Rahmen: Unter den Nichtwählern und Nichtwählerinnen befinden sich überproportional viele Menschen, die als Beschäftigte nur einfachen Tätigkeiten nachgehen oder arbeitslos sind. „Die Einkommenshöhe und die Partizipation am wirtschaftlichen Wachstum ist also nach wie vor mit politischer Teilhabe korreliert“, so Kritikos. „Mit diesem Phänomen sollten sich die Parteien im Interesse einer höheren Wahlbeteiligung stärker auseinandersetzen.“

Persönlich zufrieden in einer oft als ungerecht empfundenen Gesellschaft

Über alle Wählergruppen hinweg überwiegt die persönliche Zufriedenheit mit der eigenen materiellen Lage. Ihrer Einkommenssituation entsprechend sind die Wählerschaften der Linken und der AfD sowie die Nichtwählerschaft aber relativ am wenigsten zufrieden. Die Wählerschaften der Linken und der AfD äußern auch die meisten Sorgen mit Blick auf gesamtgesellschaftliche Themen. Die oben genannte Annäherung zwischen der Wählerschaft von SPD und Union zeigt sich bis zu einem gewissen Maß auch beim Thema Sorgen, wenngleich SPD-Wählende sich immer noch eher um Ausländerfeindlichkeit, die Folgen des Klimawandels und die Umwelt, CDU/CSU-Wählende sich dagegen mehr um Kriminalität und um die Zuwanderung nach Deutschland bekümmert zeigen. Parteiübergreifend fühlt sich allerdings der überwiegende Teil der Wahlberechtigten persönlich gerecht behandelt. Weiter verbreitet ist allerdings die Vorstellung, dass es in der Gesellschaft insgesamt an sozialer Gerechtigkeit mangele.

Grundlage der DIW-Studie sind die Erhebungen zur Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaft (ALLBUS) sowie die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

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