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Deutsch-französisches Reformkonzept für die Europäische Währungsunion: Marktdisziplin und Risikoteilung unter einem Hut

Pressemitteilung vom 17. Januar 2018

Gemeinsame Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des ifo Instituts - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.

Eine Gruppe von 14 Ökonominnen und Ökonomen aus Deutschland und Frankreich, der auch Marcel Fratzscher (Präsident des DIW Berlin) und Clemens Fuest (Präsident des ifo Instituts) angehören, schlägt heute ein Reformpaket für die Europäische Währungsunion vor. Dessen Umsetzung würde den Euroraum robuster und krisenresistenter machen, für solidere Staatsfinanzen sorgen und mehr Wirtschaftswachstum ermöglichen. 

Nach beinahe zehn Jahren Stagnation geht es für die europäische Wirtschaft wieder aufwärts. Gleichzeitig bleibt das Banken- und Finanzsystem der Währungsunion anfällig für Krisen, der Euroraum ist wirtschaftlich und politisch gespalten und nicht in der Lage, sein Wachstumspotential auszuschöpfen. Es ist höchste Zeit für eine Reform der finanziellen, fiskalischen und institutionellen Architektur des Euroraums.

Autorinnen und Autoren

Agnès Bénassy-Quéré (Paris School of Economics und Université Paris 1), Markus Brunnermeier (Princeton University), Henrik Enderlein (Hertie School of Governance und Jacques Delors Institut Berlin), Emmanuel Farhi (Harvard University), Marcel Fratzscher (DIW und Humboldt Universität Berlin), Clemens Fuest (ifo Institut und Universität München), Pierre-Olivier Gourinchas (University of California at Berkeley), Philippe Martin (Sciences Po und Conseil d'Analyse Économique), Jean Pisani-Ferry (Bruegel, EUI, Hertie School of Governance und Sciences Po), Hélène Rey (London Business School), Isabel Schnabel (Universität Bonn und Sachverständigenrat zur Begutachtung des gesamtwirtschaftlichen Entwicklung), Nicolas Véron (Bruegel und Peterson Institute for International Economics), Beatrice Weder di Mauro (INSEAD und Universität Mainz) und Jeromin Zettelmeyer (Peterson Institute for International Economics).

Alle Autorinnen und Autoren haben sich im eigenen Namen beteiligt.

In sechs Bereichen haben 14 Ökonominnen und Ökonomen aus Frankreich und Deutschland die Mängel des fiskalischen und finanziellen Gerüsts der Währungsunion analysiert und Reformvorschläge entwickelt. Dieses Reformpaket bedeutet keinen Bruch mit der Philosophie des europäischen Projekts und würde keine politische Neuausrichtung der Währungsunion nach sich ziehen.

„Reformen sind im Euroraum dringend geboten, wenn die Währungsunion ihr Wohlstandsversprechen halten und für zukünftige Krisen gewappnet sein will. Gleichzeitig wissen wir, dass man für politische Reformprozesse in Europa einen langen Atem braucht. Wir plädieren also nicht dafür, alles anders zu machen, sondern schlagen begrenzte und realistische Maßnahmen vor, die aber das Potential haben, sehr effektiv zu sein“, so Marcel Fratzscher.    

Frankreich und Deutschland müssen aufeinander zugehen

Das vorgeschlagene Paket kombiniert mehr Risikoteilung zwischen den Euro-Mitgliedsstaaten mit mehr fiskalischer Disziplin. Zu oft wurden diese beiden Prinzipien vereinfacht als „französische Position“ und „deutsche Position“ dargestellt und als unvereinbar angesehen. Dieser vermeintliche Antagonismus blockiert notwendige Reformen.

„Frankreich und Deutschland spielen bei der Euro-Reform eine Schlüsselrolle. Sie sollten ein gemeinsames Konzept entwickeln und dann ihre europäischen Partner überzeugen. Das funktioniert, wenn beide Länder Kompromisse eingehen und sich aufeinander zubewegen“, so Clemens Fuest. „Frankreich sollte mehr Marktdisziplin zulassen und Deutschland sollte zu mehr Risikoteilung bereit sein. Gleichzeitig müssen mit Risikoteilung verbundene Fehlanreize ebenso eingedämmt werden wie mit Marktdisziplin verbundene Destabilisierungseffekte. Mit den Reformen, die wir vorschlagen, würde keine Transferunion geschaffen, wie sie viele in Deutschland ablehnen.“   

Konkrete Reformen in sechs Bereichen

Die folgenden Vorschläge sollten als ein Paket betrachtet werden, das gemeinsame Implementierung erfordert.

1) Bankenunion und Kapitalmarktunion vervollständigen, unter anderem durch die Einführung des lang diskutierten gemeinsamen Einlagesicherungsmechanismus. Es wird auch die Einführung einer konzentrationsabhängigen Eigenkapitalunterlegung (sovereign concentration charge) vorgeschlagen: Übersteigt der Anteil von Wertpapieren eines einzigen Emittenten (zum Beispiel ihres Heimatlandes) in der Bilanz einer Bank eine bestimmte Schwelle, dann wird diese Bank aufgefordert, ihr Eigenkapital zu erhöhen. So soll der „doom loop“, die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Staaten und ihren Banken, durchbrochen werden.

2) Eine neue Ausgabenregel anstelle des Maastricht-Defizitkriteriums. Die Maastricht-Regel, wonach das Haushaltsdefizit eines Mitgliedlandes drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten darf, ist reformbedürftig. Es fehlt ihr in schlechten Zeiten an Flexibilität und in guten Zeiten an Biss. Sie sollte durch eine neue, einfache Ausgabenregel ersetzt werden.. Nationale Fiskalräte, die wiederum von einer unabhängigen Institution auf der Ebene des Euroraums beaufsichtigt werden, überwachen die Einhaltung der neuen Regel. Bei Regelüberschreitungen müssen die Mitgliedstaaten die überschießende Verschuldung mit nachrangigen Anleihen finanzieren (Accountability Bonds).

3) Grundlage für eine geordnete Schuldenrestrukturierung für Länder, deren Solvenz nicht durch Hilfskredite mit Auflagen wiederhergestellt werden kann. Die Politik und die Entscheidungsprozeduren des Rettungsfonds ESM müssen sicherstellen, dass Länder mit dauerhaft nicht tragbarer Verschuldung keine Rettungskredite erhalten.

4) Neuer gemeinsamer Fonds zur Unterstützung einzelner Länder bei großen wirtschaftlichen Krisen. Mitgliedsländer zahlen in den Fonds ein, wobei für wirtschaftliche Verwerfungen besonders anfällige Länder überproportional beitragen. Bei einem Einbruch der Beschäftigung bzw. Anstieg der Arbeitslosigkeit über eine hohe, festgesetzte Schwelle hinaus erhält das betroffene Land eine Zahlung aus dem Fonds.

5) Neues Euro-Anlageprodukt als Alternative zu Staatsanleihen (EsBies). Hohe Risikostreuung und Aufteilung in einer vorrangigen und einer nachrangigen Tranche würden die vorrangige Tranche dieses neuen Finanzprodukts, das ausdrücklich kein Eurobond ist, zu einem besonders sicheren Anlageprodukt machen. Dabei entsteht keinerlei Solidarhaftung der Mitgliedstaaten.

6) Reform der Institutionen: Präsident der Eurogruppe an die Kommission anbinden. Zurzeit agiert die Eurogruppe sowohl als politischer Entscheidungsträger als auch als Aufsicht. Vorgeschlagen wird eine Trennung dieser beiden Funktionen mit der Schaffung einer neuen unabhängigen Aufsicht. Die Präsidentschaft der Eurogruppe würde der Kommission zufallen durch ein neu geschaffenes Amt, analog zur Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.  

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