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So lässt sich die Rente retten

Medienbeitrag vom 3. September 2018

Die Politik versagt bei der Altersvorsorge. Um sie zu sichern, sind jetzt fünf Maßnahmen notwendig.

Die große Koalition hat vor wenigen Tagen ein Rentenpaket vorgelegt. Das Selbstlob nach der Einigung über das Paket steht in keinem Verhältnis zu seinem Inhalt. Auf den hatte man sich sowieso schon im Koalitionsvertrag im März geeinigt. Trotzdem hat man sich noch einmal selbst applaudiert und behauptet, die soziale Sicherung im Alter auf neue Füße gestellt zu haben. Das ist sicher nicht der Fall. Solange sich aber die Politik unbequemen Wahrheiten nicht öffnen will und grundlegende Reformen scheut, werden Hoffnungen auf eine nachhaltige Rentenstrategie unerfüllt bleiben. Der nächste Streit ist vorprogrammiert. Es braucht in Sachen Rente einen viel größeren Wurf.

Das aktuelle Rentenniveau von 48 Prozent ist weder großzügig noch auskömmlich. Über die Hälfte der Menschen, die kurz vor der Rente stehen, werden ihren Lebensstandard zum Teil deutlich einschränken müssen. Viele haben nicht oder nicht ausreichend privat vorgesorgt, um ihre Rente aus der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zu ergänzen. Zudem wird das Rentenniveau ab Mitte der 2020er-Jahre zurückgehen und in den 2040er- Jahren sogar unter 43 Prozent fallen. Es wird zudem immer mehr Menschen mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, mit "Niedriglohnkarrieren" oder in Teilzeit und daher mit geringeren Rentenansprüchen, geben. Es ist also geboten, die gesetzliche Rente zu stärken - über 2025 hinaus.

Wie ist das zu finanzieren? Die große Koalition hat versprochen, den Beitragssatz erst einmal nicht steigen zu lassen. Das ist sicher sinnvoll, denn die Sozialversicherungsbeiträge gehören zu den höchsten aller Industrieländer und auch in der Kranken und Pflegeversicherung wird mit steigenden Beitragssätzen gerechnet. Eine noch stärkere Belastung gefährdet letztlich den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Sollen also Steuermittel für die Stabilisierung des Rentenniveaus aufkommen? Die von manchen geforderte Erhöhung der Mehrwertsteuer oder anderer indirekter Steuern wäre eine Mogelpackung, bei der den Menschen Geld aus der linken Tasche genommen und in die rechte Tasche zugesteckt würde. Ein solcher Schritt würde einkommensschwache Menschen benachteiligen, auch Rentnerinnen und Rentner, die einen vergleichsweise hohen Anteil ihrer Ausgaben als indirekte Steuern entrichten. Ob dies die Akzeptanz der Rentenversicherung erhöhen würde, ist sehr fraglich.

Das Rentenniveau kann nur dann glaubhaft stabilisiert werden, wenn die Politik den Mut aufbringt, unbequeme und schwierige Reformen umzusetzen - weit über das hinaus, was sie jetzt auf den Tisch gelegt hat. Hierzu gehören im Kern fünf Maßnahmen. Zum einen muss die Absicherungsfunktion der staatlichen Rente speziell für Menschen mit geringen Einkünften gestärkt werden. Dafür sollte das sogenannte Äquivalenzprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung aufgeweicht werden. Dieses Prinzip besagt, dass jeder Euro, der in die GRV eingezahlt wird, die gleiche monatliche Rentenleistung erzielen soll, unabhängig vom Einkommen der Beitragszahlenden. 

Menschen mit sehr geringem Einkommen haben jedoch eine um sieben Jahre geringere Lebenserwartung als Menschen mit sehr hohem Einkommen, beziehen daher deutlich kürzer Rentenleistungen. Dies bedeutet, dass Beiträge und Zuschüsse der GRV bereits heute überproportional Rentnern zugutekommen, die hohe Einkommen und meist auch eine private Vorsorge haben.

Ein zweites Element ist die Erhöhung der Erwerbstätigkeit. Fehlende Ganztagsschulen und Angebote von Kitas, unzureichende Qualität, ein Ehegattensplitting, das Erwerbstätigkeit vor allem für Frauen weniger attraktiv macht, und Diskriminierung im Arbeitsmarkt tragen dazu bei, dass viele Frauen in Deutschland nicht oder deutlich weniger arbeiten, als sie es ohne diese von Staat und Markt gelegten Hürden tun würden. Auch bei älteren Menschen und bei Migrantinnen und Migranten gibt es ein riesiges Erwerbspotenzial, das wir als Gesellschaft nicht ausreichend nutzen. Ein transparentes Einwanderungsgesetz könnte langfristig eine stabile Zuwanderung und erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt gewährleisten und damit die Sozialsysteme entlasten.

Drittens braucht die Rentenversicherung ein Modell zur Absicherung von neuen Formen selbständiger Erwerbstätigkeit, weil Erwerbsverhältnisse im Zuge der Digitalisierung vermutlich zunehmend von der Norm abweichen werden. Mehr Menschen in Arbeit und mehr Versicherte in der Rentenversicherung könnten diese in der kurzen und mittleren Frist entlasten - was gerade ab den 2020er-Jahren bis 2040 relevant wäre. Dabei entstünden aber auch neue Ansprüche, die später gedeckt werden müssten. Es braucht also noch weitere Elemente.

Deswegen sollte als vierte Maßnahme die Flexibilisierung des Renteneintritts ins Auge gefasst werden. Immer mehr ältere Menschen arbeiten bereits heute, weil sie ihre Tätigkeit mögen oder einen Zuverdienst wollen oder brauchen. Diesen Menschen werden zu hohe Hürden in den Weg gelegt. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wäre deren Beseitigung für die Wirtschaft wichtig. Und die Lebenserwartung steigt weiter, sodass die Politik nicht umhinkommen wird, eine längere Lebensarbeitszeit durchzusetzen. Wünschenswert wäre, den Menschen dabei eine möglichst große Wahlfreiheit zu ermöglichen.

Neben der staatlichen Rente sollte schließlich als fünftes Element die private Vorsorge gestärkt werden. Viele verlassen sich zu sehr auf den Sozialstaat, der aber gerade durch den demografischen Wandel stark in Anspruch genommen wird. Die Stärkung der privaten Vorsorge, wie beispielsweise mit der Riester-Rente, ist gescheitert. Der Staat kann und muss bessere Anreize setzen, damit mehr Menschen privat fürs Alter sparen. Gleichzeitig ist es so, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch kein nennenswertes Erspartes haben, weil ihr gesamtes Einkommen in ihren Lebensunterhalt fließt. Auch deshalb wird diese Komponente alleine das Vorsorgeproblem nicht langfristig lösen.

Die Weichenstellung für das Rentensystem sollte jetzt, in wirtschaftlich guten Zeiten, gesetzt werden und nicht erst dann, wenn die Politik mit dem Rücken zur Wand steht. Durch einen sinnvollen Mix aus stabilem Beitragsniveau, Steuerzuschüssen, höherer Erwerbsquote, Zuwanderung und einem steigenden Rentenalter kann das Rentenniveau nachhaltig stabilisiert werden. Im Kern geht es darum, die Beitragsbasis der Rentenversicherung zu stärken, Versicherungslücken zu schließen, Geringverdiener besser abzusichern und eine funktionsfähige private Vorsorge als ergänzende Einkommensquelle im Alter zu ermöglichen. Von alledem sind die aktuellen Beschlüsse noch weit entfernt.

Der Gastbeitrag von Marcel Fratzscher und Johannes Geyer ist am 3. September 2018 in der Süddeutschen Zeitung (Seite 18) erschienen.

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