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Mehr Zukunft, bitte!

Medienbeitrag vom 8. Juni 2020

Dieser Gastbeitrag ist am 5. Juni 2020 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

Das Konjunkturpaket ist ein guter Start, aber es wird viel zu wenig für Investitionen getan. Die sind wichtig für Deutschlands Zukunft. Besonders zwei Felder erfordern nämlich zusätzliche Anstrengungen.

Das von der Koalition beschlossene Konjunkturprogramm enthält viele sinnvolle Elemente. Anders als von vielen befürchtet, haben sich mächtige Lobbyverbände nicht durchgesetzt. Zentrale Punkte wie die befristete Senkung der Mehrwertsteuer oder der Familienbonus zeigen den Willen, den Konsum auf breiter Front zu beleben. Das Volumen ist einzigartig in der bundesdeutschen Geschichte. Es ist der dramatischen Situation angemessen und lässt hoffen, dass der Neustart der Wirtschaft gelingt. Unzureichend ist das Konjunkturpaket allerdings mit Blick auf die mittel- bis langfristige Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft.

Es fehlt ein überzeugendes Konzept zu einer Transformation hin zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Hier bleibt das Paket insgesamt Stückwerk. Dies wiegt umso schwerer, als unvermeidlich die Staatsverschuldung anwachsen muss. Künftigen Steuerzahlern muss eine wettbewerbsfähige Wirtschaft hinterlassen werden, die einen Abbau der zusätzlichen Schulden erlaubt. In seiner jetzigen Form setzt das Programm zu einseitig auf Konsum und zu wenig auf Investitionen. Daher kann das jetzt vorgestellte Programm auch nur Startpunkt grundlegender wirtschaftlicher Reformen und Umstrukturierungen sein.

Der Vorteil ist die rasche Umsetzbarkeit

Es ist richtig, dass Unternehmen entlastet werden, um einen Anstieg der Insolvenzen zu begrenzen und eine exzessive Verschuldung von Unternehmen zu vermeiden. Dass besonders betroffene Branchen wie das Gastgewerbe und die Kulturbetriebe im Fokus stehen, ist zu begrüßen. Die befristete Mehrwertsteuersenkung wird zudem die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern beleben. Davon wird auch die Schlüsselbranche Automobilindustrie profitieren, sie muss schnell wieder auf die Beine kommen. Es wäre fatal gewesen, mit einem Aufputschmittel wie der Kaufprämie für traditionelle Technologien die künftige Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Der Autobranche ist mehr geholfen, wenn der dringend notwendige Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen Mobilitätswende inklusive Elektromobilität durch gezielte Förderungen ermöglicht wird: durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Förderung der nachhaltigen Elektromobilität auch in den Städten. Sicherlich wäre es auch eine Option gewesen, über weitere konkrete Kaufprämien für digitale oder klimaschonende Produkte oder Gutscheine zielgenauer in den strukturellen Wandel der Nachfrage einzugreifen. Aber wer sollte auf die Schnelle die entsprechenden Zuordnungen objektiv und nachvollziehbar vornehmen? Der Vorteil des gewählten Weges der Konsumstimulierung über die Mehrwertsteuersenkung und den Kinderbonus liegt in seiner unkomplizierten und raschen Umsetzbarkeit, was auch verteilungspolitisch ausgewogen ist. Wichtig ist das Signal, dass es wieder aufwärts geht.

Problematisch ist die Investitionsschwäche

Ein zentrales Problem aber wird kaum adressiert: die private Investitionsschwäche. Allein die Ausrüstungsinvestitionen sind schon im ersten Quartal im Vorjahresvergleich um fast zehn Prozent gesunken. Dies ist auch deshalb problematisch, weil Digitalisierung und Klimaschutz gerade zusätzliche Investitionsanstrengungen erfordern, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft mittel- und langfristig zu sichern. Ein erprobtes und unter Ökonomen auf breiten Konsens stoßendes Instrument zur konjunkturellen Belebung der Investitionsnachfrage ist eine Verbesserung der Abschreibungsbedingungen. Das Konjunkturpaket sieht eine befristete Zulassung degressiver Abschreibungen vor. Solche steuerlichen Anreize laufen allerdings ins Leere, wenn Unternehmen gar keine Aussicht auf Gewinne haben.

Ein Investitionsfonds für mehr Geld in Digitalisierung und Klimaschutz

Die private Investitionsschwäche kann nur überwunden werden, wenn auch mittelfristige Marktrisiken durch eine gezielte staatliche Beteiligung vermindert werden. Die Einrichtung eines Investitionsfonds wäre ein probates Mittel, mit dem gezielte Investitionsförderprogramme und -partnerschaften von Unternehmen und Staat entwickelt werden können. Ähnlich wie bei der Förderung der Batteriezellenproduktion sollten dabei EU-weite Partnerschaften gesucht werden. Die Bundesregierung sieht ein umfangreiches Programm vor, um öffentliche Zukunftsinvestitionen anstoßen - in das Gesundheitssystem, für Klimaschutz und digitale Netze. Hierbei sollte die Politik die notwendige Transformation hin zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit noch bewusster und gezielter unterstützen, indem der Ausbau der erneuerbarer Energien schneller vorangeht, mehr Geld für die energetische Gebäudesanierung sowie "Solarprämien" und "Umstiegsprämien" für eine echte Verkehrswende bereit gestellt werden.

Leider hatte die Koalition auch nicht den Mut, sich zu einer Entschuldung der finanzschwachen Kommunen durchzuringen. Mit der Ausweitung der Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund ist allerdings ein wichtiger Schritt getan, um Verwerfungen zwischen wirtschaftsschwachen und -starken Gemeinden künftig zu verringern. Zwar hilft es den Kommunen sehr, dass die erwarteten Ausfälle der Gewerbesteuer zu wesentlichen Teilen kompensiert werden sollen. Letztlich aber stehen den Gemeinden derzeit nicht mehr, sondern eher weniger Mittel für Investitionen zur Verfügung. Um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern, muss gerade jetzt alles getan werden, den kommunalen Investitionsstau aufzulösen. Unabdingbar hierfür ist ein kommunaler Investitionsfonds.

Die Politik hat alle Möglichkeiten

Zudem muss die Bundesregierung ihr mit Frankreich vorgeschlagenes europäisches Wiederaufbauprogramm mit aller Entschiedenheit umsetzen. Die deutsche Wirtschaft alleine wird den Neustart nicht erfolgreich bewerkstelligen, wenn nicht ganz Europa dies schafft. Finanzielle Transfers aus Deutschland zu den schwächsten und von der Pandemie am stärksten betroffenen Ländern Europas sind nicht nur solidarisch, sondern auch im Eigeninteresse Deutschlands. Die für Deutschland zentralen Investitionsgüterindustrien sind auf die Absatzmärkte in Europa unabdingbar angewiesen.

Die Bundesregierung braucht weiter Mut, einen klaren Kompass und Durchsetzungsvermögen, um ein überzeugendes Konjunktur- und Wachstumsprogramm umzusetzen. Kaum ein Staat ist so solide aufgestellt und kann sich zu negativen Zinsen finanzieren. Die Politik hat also alle Möglichkeiten, das Richtige zu tun, und damit auch die Chance, wichtige Transformationsprozesse anzustoßen. Das vorgeschlagene Paket ist ein guter Start, weitere Schritte sollten noch zukunftsorientierter werden.

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