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Risiko Staatsanleihen: Reformbedarf bei der EU-Bankenregulierung

Pressemitteilung vom 17. Oktober 2012

Die Kreditrisiken von Staaten und ihren heimischen Bankensektoren sind eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Die wechselseitigen Ansteckungseffekte werden durch die Neigung der Banken verschärft, überwiegend in Staatsanleihen des Heimatlandes zu investieren. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Staatsanleihen sind keine risikolosen Anlagen. Die künftige EU-Bankenregulierung sollte Schluss machen mit ihrer systematischen Verharmlosung“, sagt DIW-Experte Sören Radde, der die Studie zusammen mit Johannes Pockrandt, Referent im Europäischen Parlament, verfasst hat.

Wie die jüngsten Entwicklungen in Irland, Griechenland und Spanien gezeigt haben, gefährden Finanzierungskrisen von Staaten deren Bankensektoren und Bankenkrisen die Zahlungsfähigkeit ihrer Heimatstaaten. Der Zusammenhang entsteht bereits lange bevor es zu einem tatsächlichen Zahlungsausfall kommt. Sobald Staaten von Ratingagenturen herabgestuft werden, sinkt der Wert der Staatsanleihen im Bankenportfolio und damit das besicherte Kreditvolumen. Somit verschlechtern sich die kurzfristigen Refinanzierungsbedingungen der Banken. Auf der anderen Seite dämpft eine Kreditverknappung seitens der Banken das Investitionsvolumen, die Konjunktur und schließlich die Steuereinnahmen. Die Sorge vor einer Kreditklemme treibt Staaten gar zu Rettungsmaßnahmen, die sie an den Rand ihrer eigenen Finanzierungsmöglichkeiten führen – es kommt zu einer Zwillingskrise. „Auffällig ist, dass dieser Zusammenhang unabhängig vom Kreditrating der Staaten auf den Märkten wahrgenommen wird. Er besteht nicht nur in den von der Schuldenkrise betroffenen Staaten, sondern auch in den Kernländern der Eurozone“, sagt Radde. Der unheilvolle Zusammenhang ließe sich entschärfen, wenn Banken ihre Staatsanleiheportfolios regional diversifizierten. Tatsächlich investieren Banken jedoch zum überwiegenden Teil in die Staatsanleihen ihres Heimatstaates und verstärken damit das Risiko. Diese Verzerrung zugunsten des Heimatstaates („Home Bias“) beträgt im europäischen Durchschnitt 53 Prozent, in den Staaten mit Schuldenproblemen sogar deutlich über 60 Prozent.

„Sowohl die geltende Regulierung als auch die Pläne zur Umsetzung des Regelwerks Basel III ignorieren diese Zusammenhänge: Für eine Investition in europäische Staatsanleihen müssen Banken kein Eigenkapital vorhalten und bevorzugen sie daher gegenüber vergleichbar riskanten privaten Papieren“, erklärt Radde. Dass Anleihekäufe von EU-Mitgliedsländern von Größenbeschränkungen ausgenommen sind, verstärke diese Tendenz zusätzlich.

Die Autoren plädieren für eine Streichung der Ausnahmereglungen, die es Banken erlauben, ihr Staatsanleiheportfolio pauschal als risikolos zu bewerten. Ideal wäre eine Eigenkapitalunterlegung für Staatsanleihen, je nach Rating. Das Rating von Staatsanleihen sei in der Praxis jedoch schwer zu bestimmen. Denkbar wäre daher auch, die Höchstgrenze für Kredite von 25 Prozent der Eigenmittel einer Bank, die bereits für private Gegenparteien gilt, auf Staatsanleihen auszuweiten. Für eine noch wirkungsvollere Risikostreuung sollten Banken zumindest in der Eurozone generell nur Staatsanleihen ohne länderspezifisches Risiko kaufen dürfen, zum Beispiel aus einem Pool von gemeinschaftlich begebenen Anleihen mit getrennter Haftung.

Links

Wochenbericht 42/2012 (PDF, 0.7 MB)

O-Ton von Sören Radde
EU-Bankenregulierung muss das Problem des Home Bias bei Staatsanleihen ernst nehmen - Fünf Fragen an Sören Radde
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