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Menschen in den oberen Einkommensschichten sind zunehmend in regulären Arbeitsverhältnissen, in den unteren Schichten verbreiteten sich seit 1995 atypische Erwerbsformen zu Lasten der Nicht-Erwerbstätigkeit

Pressemitteilung vom 5. Juli 2017

DIW Berlin untersucht Entwicklung der Einkommensschichtung im Zusammenspiel mit Entwicklung der Erwerbsformen – Anteil der Bevölkerung in Deutschland mit mittlerem Einkommen ist zwischen 1995 und 2015 gesunken, Anteil der Armutsbedrohten und der Reichen hat zugenommen – In unteren Einkommensschichten sind niedrig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse mehr verbreitet als noch vor 20 Jahren, in oberen Schichten haben mehr Menschen reguläre Stellen 

Nicht alle in Deutschland haben vom Beschäftigungsboom der letzten Jahre gleich profitiert. Trotz deutlichem Rückgang der Arbeitslosigkeit sind die Einkommen heute ungleicher verteilt als noch vor 20 Jahren, was im Wesentlichen an einer Zunahme der Ungleichheit bis zum Jahr 2005 liegt. Zudem sind in unteren Einkommensschichten Niedriglöhne weiter verbreitet als früher, während reguläre Arbeitsverhältnisse in den oberen Einkommensschichten häufiger sind als vor 20 Jahren. Das sind die Kernergebnisse einer neuen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die frühere Analysen des DIW Berlin und anderer Forscher aufgreift und verfeinert.

Auf Basis von Daten der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) haben die Autoren Peter Krause, Christian Franz und Marcel Fratzscher die Entwicklung der Einkommensverteilung sowie der Erwerbsformen der Menschen in Deutschland zwischen 1995 und 2015 untersucht. Die Verknüpfung der Einkommens- und Erwerbsbetrachtung erlaubt es, Verschiebungen der Erwerbsformen innerhalb der Einkommensgruppen zu identifizieren. Hierbei wurde sehr feinmaschig mit 15 verschiedenen Erwerbsformen gearbeitet. Eine Besonderheit der Studie ist auch, dass sie die gesamte Bevölkerung betrachtet, und nicht, wie in Bezug auf Erwerbsformen oft der Fall, nur 25- bis 64-Jährige.

Zum Medianeinkommen

Das Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Würde man die Bevölkerung nach der Höhe ihres Einkommens sortieren und dann zwei gleich große Gruppen bilden, würde die Person, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht das Medianeinkommen beziehen. In Deutschland betrug das äquivalenzgewichtete Haushaltsmedianeinkommen im Durchschnitt der Jahre 2014 und 2015 20 053 Euro pro Person.

Der Anteil derer, die über Einkommen um den Median verfügen (77 bis 130 Prozent des Medians), ist über den gesamten Zeitraum um gute sechs Prozentpunkte zurückgegangen (von 47,8 auf 41,4 Prozent). Gleichzeitig gab es im Jahr 2015 mehr Menschen (29 Prozent), die über ein Einkommen unterhalb von 77 Prozent des Medians verfügten, als 20 Jahre zuvor (25 Prozent). Der Anteil derer mit einem Einkommen über 169 Prozent des Medians ist von 12 auf 14 Prozent gestiegen. „Diese waren aber keine kontinuierlichen Entwicklungen“, so DIW-Präsident Marcel Fratzscher, „der Rückgang in der Mitte fand insbesondere bis 2005 statt. Seitdem hat sich der Prozess stabilisiert und verlangsamt“.

Parallel dazu hat die Erwerbsbeteiligung in Deutschland seit 1995 deutlich zugenommen, insbesondere bei Frauen und Älteren, die Arbeitslosigkeit ist zurückgegangen und der Anteil der Bevölkerung ohne Erwerb hat sich in der Altersgruppe zwischen 25 und 64 Jahren halbiert. „Andere Trends auf dem Arbeitsmarkt waren eine Zunahme der Lohnspreizung bis 2005 und ausdifferenzierte Arbeitszeiten, mit einer Verbreitung zum Beispiel von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen“, so Christian Franz. „Die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Einkommensverteilung sind allerdings nicht eindeutig, vielmehr wirken diese Faktoren in komplexer Weise zusammen und manchmal auch in gegenläufige Richtungen.“

So ist in den unteren Einkommensschichten der Anteil der Beschäftigten mit niedrigen Löhnen (für das Jahr 2015 entspricht das Stundenlöhnen unter 10,66 Euro brutto) stetig gestiegen, und zwar mehr als in anderen Schichten. Die Nicht-Erwerbstätigkeit ging zurück. In den Gruppen mit mittlerem Einkommen blieb die Quote der Beschäftigten in regulären Arbeitsverhältnissen (Vollzeit) stabil, aber es gingen auch mehr Menschen einer niedrig entlohnten Beschäftigung nach. In den oberen Einkommensgruppen gibt es mehr Beschäftigte mit „normalen“ Arbeitsverhältnissen.

„Insgesamt hat die Bedeutung der typischen Arbeitsverhältnisse keineswegs abgenommen, sie sind aber weniger als früher auch in den unteren Einkommensschichten verbreitet. Dort ist Nichterwerbstätigkeit häufig atypischer Erwerbstätigkeit gewichen“, so Peter Krause.

„Insgesamt machen diese Entwicklungen deutlich, dass der erfreuliche Beschäftigungsanstieg der vergangenen Jahre nicht alle gleich erreicht hat und alleine nicht ausreichen dürfte, um allen in der Gesellschaft Wohlstand und Teilhabe zu ermöglichen“, so Fratzscher.

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Peter Krause

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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