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Weitere Reformen im Euroraum sind überfällig

Pressemitteilung vom 12. Juni 2014

DIW Berlin legt Zukunftsagenda für Europäische Währungsunion vor – Fundamentale Konstruktionsfehler nach wie vor nicht behoben

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) spricht sich für entschiedene Reformen im Euroraum aus. Zwar hat sich die Lage an den Finanzmärkten zuletzt beruhigt und die Wirtschaft in der Währungsunion als Ganzes wächst wieder, allerdings ist die Krise nur vorübergehend zur Ruhe gekommen, betont DIW-Präsident Marcel Fratzscher: „Die Ursachen der Krise sind noch nicht beseitigt.“ Deshalb legt das DIW Berlin nun eine Reformagenda vor und skizziert wesentliche Elemente einer institutionellen Neuordnung der Währungsunion. Dazu gehören Reformen im Bereich der Finanzmärkte, der Realwirtschaft und der öffentlichen Finanzen, zu denen DIW-Ökonomen in den kommenden Wochen und Monaten Analysen veröffentlichen werden. Insbesondere müsse künftig vermieden werden, dass sich Probleme gegenseitig verstärken und in eine Abwärtsspirale führen. „Grundlegende Reformen sind dringend und die Zeit ist nach den Europawahlen und vor der Bankenunion günstig“, betont Fratzscher. „Damit die europäische Integration gelingen kann, müssen sowohl Länder mehr Eigenverantwortung übernehmen als auch europäische Institutionen gestärkt werden.“

Teufelskreis zwischen Banken, Staatsfinanzen und der Realwirtschaft muss durchbrochen werden

Gefahren lauern nach Ansicht der Berliner Wirtschaftsforscher auf den Finanzmärkten. Im Bankensektor gibt es noch immer Risiken, der Anteil ausfallgefährdeter Kredite in den Bankbilanzen steigt. Gleichzeitig ist fraglich, ob die neue gemeinsame Bankenaufsicht im Euroraum und zentrale Abwicklungsverfahren tatsächlich geeignet sind, in Schieflage geratene Großbanken abzuwickeln, sodass diese nicht mehr ganze Volkswirtschaften in den Abgrund reißen können. „Um den Teufelskreis zwischen Banken und Staaten aufzubrechen, brauchen wir weitere Reformen“, sagt DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner.

Dazu zählt auch, die vielerorts nach wie vor hohen Schuldenstände der öffentlichen Haushalte zu reduzieren. Zwar nähern sich die Haushaltsdefizite wieder der Drei-Prozent-Marke an, allerdings gibt es innerhalb der Währungsunion starke Unterschiede. Zudem profitieren die Euroländer von den derzeit günstigen Finanzierungsbedingungen, die ihre Zinslast reduzieren, sich aber jederzeit wieder verschlechtern können. Von einer verantwortungsvollen Ausgaben- und Schuldenpolitik ließen sich viele Mitgliedstaaten indes nicht überzeugen. Weil sich die No-bailout-Regel des Maastricht-Vertrags als wenig glaubwürdig herausgestellt hat, rechnen die Märkte nicht mit einem Schuldenausfall – folglich entfällt die disziplinierende Wirkung eigentlich steigender Zinsen. „Ändern dürfte sich das erst, wenn eine Staatsinsolvenz auch im Euroraum eine glaubwürdige Option ist“, so Fichtner.

Die hohen Schuldenstände engen die fiskalischen Spielräume weiterhin ein und bremsen die realwirtschaftliche Entwicklung. Zwar hat der Euroraum die mehr als zwei Jahre andauernde Rezession überwunden, doch vor allem die Unternehmensinvestitionen und der private Konsum dürften gedämpft bleiben. Die Konsequenz: die Wirtschaft des Euroraums wächst nur schwach. Helfen würden bessere Investitionsbedingungen, etwa für wachstumssteigernde Wirtschaftsbereiche oder für junge und innovative Unternehmen. Bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit müssten auch die Chancen einer erhöhten Migration im Euroraum besser genutzt werden.

Europäische Zentralbank braucht expliziten fiskalischen Rückhalt

Der erste Bericht der neuen DIW-Serie behandelt die zentrale Rolle der Europäischen Zentralbank in der europäischen Schuldenkrise. Indem sie den Banken nahezu unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellte, Staatsanleihen kaufte und im Sommer 2012 versprach, im Rahmen ihres Mandats alles für die Eurorettung zu tun, konnte die EZB die Spirale aus steigenden Zinsen und ungünstigen Erwartungen durchbrechen und die Finanzmärkte und Krisenstaaten stabilisieren. In ihrer Funktion als Lender of Last Resort (Kreditgeber letzter Instanz) für Banken und später auch für Staaten musste die EZB im Vergleich mit normalen Zeiten zu stark unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen greifen. Dennoch ist sie in ihren Aktivitäten gehemmt: Im Gegensatz etwa zur US-amerikanischen Notenbank Fed verfügt sie über keinen expliziten fiskalischen Rückhalt, der es ihr ermöglicht, ungeachtet etwaiger Verluste aus ihren Geschäften ihrem Mandat – der Sicherung der Preisstabilität – nachzugehen. Deshalb muss sich die Europäische Zentralbank weitaus stärker als andere Notenbanken gegen Risiken aus ihren geldpolitischen Geschäften absichern. „Tatsächlich unabhängig ist eine Zentralbank erst dann, wenn sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen kann, um ihr Mandat zu erfüllen. Anderenfalls tendiert sie dazu, zu zurückhaltend zu agieren“, erklären die Autoren Philipp König und Gerhard Illing. Gleichzeitig sei jedoch fraglich, ob die Europäische Zentralbank überhaupt als Lender of Last Resort für Staaten auftreten sollte. Prädestiniert dafür wäre der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der zahlungsunfähigen Mitgliedstaaten im Krisenfall unter Einhaltung strenger wirtschaftspolitscher Auflagen Finanzhilfen gewähren kann. Dieser müsste jedoch Zugang zu Krediten der EZB erhalten.

Links

DIW Wochenbericht 24/2014: Den Euroraum zukunftsfähig machen (PDF, 406.2 KB)

Interview mit Ferdinand Fichtner (Print (PDF, 145.33 KB) und

O-Ton von Ferdinand Fichtner
Stabilisierung der Europäischen Währungsunion: Höchste Zeit für mehr Reformen! - Sieben Fragen an Ferdinand Fichtner

Teil 1 der DIW-Serie "Zukunft der Währungsunion": Die Europäische Zentralbank als Lender of Last Resort (PDF, 0.55 MB)

Weitere Berichte aus der DIW-Serie "Zukunft der Währungsunion":

DIW Wochenbericht 27/2014: "Eine Investitionsagenda für Europa" (PDF, 1.23 MB)

DIW Wochenbericht 26/2014: "Bankenunion und Bankenregulierung: Stabilität des Bankensektors in Europa" (PDF, 411.65 KB)

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