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Eine Chance wird vertan

Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 2001
Veröffentlichung des DIW-Wochenberichts Nr. 1-2/2001

Pressemitteilung vom 2. Januar 2001

Das kräftige Wachstum im vergangenen Jahr hat die Bürde der Arbeitslosigkeit in Deutschland etwas leichter werden lassen. Wünschenswert wäre, dass dieser Weg weiter beschritten würde, ohne im Tempo nachzulassen. Die Voraussetzungen schienen zunächst günstig; doch zeigt sich inzwischen, dass die vorhandenen Chancen nicht hinreichend genutzt werden.

Bei der hier prognostizierten wirtschaftlichen Entwicklung bleibt Ostdeutschland weiter zurück. Die unbestreitbaren Erfolge im industriellen Sektor werden auch in diesem und im kommenden Jahr von der rezessiven Entwicklung im Bau überlagert. Dringlich bleibt in Ostdeutschland der weitere Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Die Investitionsförderung sollte dagegen von 2004 an lediglich im Rahmen der Regionalförderung erfolgen, um der heterogenen Entwicklung in den einzelnen Regionen Rechnung zu tragen.

All dies zeigt: Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich der Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland unvermindert fortsetzt. Die Bürde einer hohen Arbeitslosigkeit muss also weiter getragen werden.
Im Jahr 2000 war das Wachstum der Weltwirtschaft so kräftig wie seit langem nicht mehr. Gestützt auf die ohnehin hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen, die durch die spürbare Abwertung des Euro verstärkt wurde, nahmen insbesondere die deutschen Exporte geradezu boomartig zu. Doch der Ölpreisschock und die sich allmählich entfaltenden restriktiven Wirkungen der Geldpolitik haben das Wachstumstempo in den Industrieländern in der zweiten Jahreshälfte merklich gebremst. So ist vor allem die Konjunktur in den USA deutlich schwächer geworden. Darunter leiden insbesondere die übrigen amerikanischen Volkswirtschaften, doch sind auch in Asien die Schwächezeichen unübersehbar.

Im Idealfall würde Europa die nachlassende Zugkraft der Konjunkturlokomotive USA ausgleichen. Damit ist aber nicht zu rechnen. Allein in Mittel- und Osteuropa wird sich das Wachstumstempo nahezu ungebrochen fortsetzen. In der EU und vor allem auch in der Europäischen Währungsunion (EWU) kam es jedoch bereits zu einer spürbaren Verlangsamung. Ölpreisschock und Geldpolitik belasten auch hier die Konjunktur, so dass das Expansionstempo der Binnennachfrage nicht ausreicht, um die negativen außenwirtschaftlichen Einflüsse zu kompensieren. Die Steuerreformen, die in vielen Ländern der EWU - hauptsächlich aber in Deutschland - die privaten Haushalte merklich entlasten, werden zusammen mit den sinkenden Ölpreisen primär in der ersten Hälfte dieses Jahres die Konjunktur zwar wieder stimulieren; auch wird es in den USA nicht zu einer Rezession kommen. Aber diese Impulse werden von der im Verlauf dieses Jahres immer stärkeren Restriktionswirkung der Geldpolitik zunichte gemacht.
Daher werden in diesem und auch im nächsten Jahr die hohen Zuwachsraten von 2000 nicht wieder erreicht werden. Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird in diesem Jahr um 2,5 % und im nächsten um 2,7 % zunehmen. Vor diesem Hintergrund wird auch die günstige Beschäftigungsentwicklung in Deutschland nicht im gleichen Tempo anhalten und die Arbeitslosigkeit nicht mehr so rasch zurückgehen. Für 2001 ist mit einer Ausweitung der Zahl der Erwerbstätigen um 0,9%, nach 1,5 % im Jahre 2000, zu rechnen. Im kommenden Jahr dürfte die Steigerung nur noch 0,6 % betragen. Dabei geht die Arbeitslosenquote von 9,2 % im Vorjahr über 8,5 % in diesem Jahr auf 8,0 % im nächsten zurück. Die Zahl der Arbeitslosen wird Ende 2002 noch auf rund 3,3 Millionen sinken.

Damit setzt sich zwar die Aufwärtsentwicklung der deutschen Wirtschaft fort, doch bleibt das Tempo unterhalb des Möglichen. Maßgeblich hierfür ist die zu eng angelegte Geldpolitik. Die EZB hält ein Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktion in der EWU von über 2½ % für inflationsträchtig. Die Zinserhöhungen des vergangenen Jahres zielten denn auch auf eine Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Expansion, die nunmehr mit der üblichen Verzögerung eintreten wird. Die langsamere Gangart ist also geldpolitisch gewollt. Die Gründe hierfür überzeugen gleichwohl nicht, denn trotz des hohen Wachstums im vergangenen Jahr hat sich der binnenwirtschaftliche Inflationsdruck nicht erhöht. Die Lohnzuwächse in der EWU hätten für sich genommen zu einer Preissteigerungsrate von gut 1 % geführt. Die Beschleunigung der Inflationsentwicklung war allein außenwirtschaftlich, durch die Verteuerung des Erdöls und die markante Abwertung des Euro, bedingt. Diese Impulse können aber von der EZB nur begrenzt beeinflusst werden. Außerdem zeigt sich bereits, dass diese Belastungen nunmehr mit dem festeren Außenwert des Euro und den sinkenden Ölpreisen entfallen werden. Dies alles spricht dafür, dass in diesem und im nächsten Jahr ein höheres inflationsfreies Wachstum und damit auch eine günstigere Beschäftigungsentwicklung möglich wäre, als die EZB unterstellt und zulässt. Eine Chance für ein höheres Wachstum wird somit vertan.

Die Lohnpolitik in der EWU hat im vergangen Jahr einen erheblichen Beitrag zur Preisstabilität geleistet. Da die Lohnabschlüsse in den großen Ländern der EWU auf längerfristig laufenden Tarifverträgen basieren, ist zumindest bis zum nächsten Jahr keine Abkehr von einem stabilitätsorientierten Kurs zu erwarten. Die Lohnpolitik hat mit dem Verzicht auf Kompensation der ölpreisbedingten Inflationsbeschleunigung entscheidend dazu beigetragen, den aktuellen Ölpreisschock im Vergleich zu den früheren friktionsarm zu bewältigen. Dies zeigt, wie wichtig die frühzeitige Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Ziele bei der Lohnbildung ist. Die Forderungen nach einer stärkeren Dezentralisierung der Lohnbildung stehen im Widerspruch zu einer solchen makroökonomischen Stabilisierung. Die längerfristig orientierte Lohnpolitik sollte fortgesetzt werden; dabei sollte die allmähliche Rückkehr zu einer Produktivitätsorientierung angestrebt werden.

Die Finanzpolitik wird die Konjunktur in diesem Jahr erheblich stimulieren, im nächsten Jahr aber ihren Konsolidierungskurs fortsetzen. Diese Ausrichtung ist grundsätzlich angemessen. Jedoch erscheint jenseits der Konsolidierung eine erhebliche Umschichtung der Mittel innerhalb der öffentlichen Haushalte unerlässlich. Denn der Preis des harten Konsolidierungskurses der Vergangenheit wird immer deutlicher. Er besteht in einem teilweisen Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Dies steht im Hinblick auf den Erziehungs- und Bildungsbereich in klarem Widerspruch zu den Zielen der Lissaboner Gipfelkonferenz. Um diese Entwicklung umzukehren, ist ungeachtet notwendiger Effizienzsteigerungen eine Umschichtung der Mittel in Richtung Bildungssektor geboten. Auch müssen die Kommunen, die Hauptträger der öffentlichen Investitionen sind, finanziell besser ausgestattet werden. Daher sollte eine entsprechende Umverteilung der Steuermittel in Angriff genommen werden.

Bei der hier prognostizierten wirtschaftlichen Entwicklung bleibt Ostdeutschland weiter zurück. Die unbestreitbaren Erfolge im industriellen Sektor werden auch in diesem und im kommenden Jahr von der rezessiven Entwicklung im Bau überlagert. Dringlich bleibt in Ostdeutschland der weitere Ausbau der öffentlichen Infrastruktur. Die Investitionsförderung sollte dagegen von 2004 an lediglich im Rahmen der Regionalförderung erfolgen, um der heterogenen Entwicklung in den einzelnen Regionen Rechnung zu tragen.

All dies zeigt: Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich der Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland unvermindert fortsetzt. Die Bürde einer hohen Arbeitslosigkeit muss also weiter getragen werden.
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