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Die Lage der Weltwirtschaft
und der deutschen Wirtschaft im Frühjahr 2001

Pressemitteilung vom 10. April 2001

KURZFASSUNG

Weltkonjunktur kühlt sich ab

Die weltwirtschaftliche Expansion hat sich seit Mitte 2000 deutlich verlangsamt. Damit ging eine Phase außerordentlich hoher Dynamik zu Ende. Verantwortlich war zum einen der Anstieg der Ölpreise, der die wirtschaftliche Aktivität dämpfte. Zum anderen bremste die Geldpolitik mit dem Ziel, das bis zur Jahresmitte hohe konjunkturelle Tempo zu verringern und so einer Inflationsbeschleunigung entgegenzuwirken. Eine geringere konjunkturelle Expansion war somit wirtschaftspolitisch gewollt.
Besonders stark kühlte die Konjunktur in den USA ab. Damit fiel die maßgebliche Antriebskraft der Weltwirtschaft aus. In Japan kam die ohnehin zögerliche konjunkturelle Belebung im Verlauf des vergangenen Jahres erneut ins Stocken; die binnenwirtschaftlichen Auftriebskräfte reichten nicht aus, um den Wegfall der außenwirtschaftlichen Impulse zu kompensieren. Im Euroraum ging das Expansionstempo ebenfalls zurück, wenn auch nicht so ausgeprägt. Die Abkühlung war primär dadurch bedingt, dass die Realeinkommen wegen des Kaufkraftabflusses in die Ölexportländer langsamer stiegen.

Als in den USA zum Jahresende die deutliche Abschwächung der Konjunktur erkennbar wurde, vollzog die Zentralbank eine entschlossene Zinswende. Auf eine erneute Eintrübung der Konjunkturperspektiven hat auch die Bank von Japan reagiert. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre Leitzinsen bislang unverändert gelassen. Sie dürfte sie in Erwartung einer abgeschwächten konjunkturellen Expansion und eines nachlassenden Preisauftriebs aber noch im Frühjahr senken. In zahlreichen Ländern Europas und in den USA werden Steuern reduziert.

Die Dynamik der Weltwirtschaft bleibt in den kommenden Monaten verhalten. Zwar sind die Ölpreise wieder gefallen. Doch bestimmt die Abschwächung in den USA vorerst das weltwirtschaftliche Klima. Einer stärkeren Abkühlung wirkt im Euroraum die expansive Finanzpolitik entgegen. Zudem stützt in der ersten Jahreshälfte 2001 noch der niedrige Eurokurs. Mit der weltwirtschaftlichen Belebung beschleunigt sich der Produktionsanstieg im kommenden Jahr wieder, bleibt aber deutlich verhaltener als im vergangenen Jahr. Der Preisauftrieb wird im Prognosezeitraum nachlassen.


Aufschwung in Deutschland zu Ende - aber keine ausgeprägte Konjunkturschwäche

In Deutschland ist der konjunkturelle Aufschwung im zweiten Halbjahr zu Ende gegangen: Die Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten hat nicht weiter zugenommen; sie ist zuletzt sogar etwas zurückgegangen. In der Industrie waren Auftragseingänge und Produktion zwar weiterhin aufwärts gerichtet. Das Geschäftsklima hat sich jedoch merklich eingetrübt. Die Abkühlung der Konjunktur strahlte auch auf den Arbeitsmarkt aus. Seit Beginn dieses Jahres steigt die Zahl der Erwerbstätigen nur noch verhalten. Der Preisauftrieb hat sich kaum abgeschwächt.

Ein Nachlassen der konjunkturellen Dynamik war von den Instituten in ihrem Gemeinschaftsgutachten vom Herbst letzten Jahres erwartet worden. Dafür sprachen der Ölpreisschock sowie die Straffung der Geldpolitik in den USA und im Euroraum. Allerdings wurde das Ausmaß der Abschwächung unterschätzt. So wurde die Binnennachfrage durch den Ölpreisschock stärker belastet als erwartet. Zudem kühlte sich die Konjunktur in den USA stärker ab als noch im Herbst des vergangenen Jahres angenommen; das hat die Exporterwartungen gedämpft und das Geschäftsklima verschlechtert. Obwohl die Konjunktur in Deutschland stärker als erwartet an Fahrt verloren hat, halten die Institute an ihrer Einschätzung fest, dass es nicht zu einer ausgeprägten Konjunkturschwäche oder gar zu einer Rezession kommen wird. Vielmehr bleibt die gesamtwirtschaftliche Produktion merklich aufwärts gerichtet. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um 2,1 % und im nächsten um 2,2 % steigen. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich weiter verbessern, und der Preisauftrieb wird nachlassen (vgl. Tabelle).
Fortsetzung des Stabilitätskurses in der Wirtschaftspolitik -
kein Grund für hektischen Aktionismus.

Ob aus der konjunkturellen Abkühlung ein wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf abzuleiten ist, hängt vor allem von dem Urteil ab, was die konjunkturelle Abkühlung bewirkt hat, wie sich die Wirtschaft in absehbarer Zeit entwickeln wird und wie der aktuelle Kurs der Wirtschaftspolitik einzuschätzen ist.

Im Jahre 2000 nahm das reale Bruttoinlandsprodukt sowohl in Deutschland als auch im Euroraum mit der höchsten Rate seit rund einer Dekade zu. Dies war wesentlich begünstigt durch eine kräftige Expansion der Weltkonjunktur. Es konnte allerdings nicht damit gerechnet werden, dass die Weltwirtschaft auf Dauer in dem hohen Tempo - die Produktion nahm rascher zu als jemals zuvor in den vergangenen 15 Jahren - wachsen würde. Insbesondere wäre es in den USA bei anhaltend hoher Überauslastung der Kapazitäten zu inflationären Spannungen gekommen, die wahrscheinlich eine ausgeprägte Rezession nach sich gezogen hätten. Neben der Weltkonjunktur hat ein weiterer Faktor die Exporte begünstigt, der als nicht nachhaltig bezeichnet werden kann: Die Abwertung des Euro hat sowohl in Deutschland wie auch im Euroraum zu dem ungewöhnlich kräftigen Exportboom beigetragen. Es war nicht zu erwarten, und es war auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht erwünscht, dass der Euro weiter abwerten würde. Tatsächlich hat er sich seit Herbst des vergangenen Jahres etwas erholt.

Die Europäische Zentralbank hat noch nicht auf die Verschlechterung der konjunkturellen Aussichten reagiert, sondern die Leitzinsen unverändert gelassen. Dies ist sowohl vor dem Hintergrund der geldpolitischen Strategie der EZB als auch der Indikatoren zur Konjunktur- und Preisentwicklung nachvollziehbar. Um Konsistenz mit früheren Entscheidungen und damit Glaubwürdigkeit zu wahren, sollte sich die EZB weiterhin allein auf die von ihr selbst gewählte Zwei-Säulen-Strategie stützen. Zum einen orientiert sie sich an einem Referenzwert für die Geldmengenentwicklung. Zum anderen verwendet sie ein breites Bündel von Indikatoren, um die künftige Entwicklung der Inflation abzuschätzen. Beide Säulen deuten darauf hin, dass sich die Gefahren für die Preisstabilität im Prognosezeitraum wohl verringern werden. Um kein falsches Signal für die Preisstabilität zu geben, kann die monetäre Lockerung zum derzeitigen Zeitpunkt nur geringfügig ausfallen. Die Institute halten eine Senkung der Leitzinsen um 0,5 Prozentpunkte für gerechtfertigt.

Gegenwärtig wird kontrovers diskutiert, wie die Finanzpolitik auf die konjunkturelle Abschwächung reagieren soll. Die Institute plädieren wie in früheren Gutachten dafür, dass die automatischen Stabilisatoren der Finanzpolitik wirken sollen. Das bedeutet zum einen, dass es nun nicht um zusätzliche Ausgabenprogramme gehen kann, etwa um die Nachfrage zu stimulieren. Zum anderen besteht aber auch kein Anlass, jetzt vermehrt zu sparen oder Abgaben zu erhöhen, weil die Defizite in den öffentlichen Haushalten konjunkturbedingt höher ausfallen, als noch vor einigen Monaten erwartet worden war.

Die Institute schlagen ein Konzept der Haushaltskonsolidierung vor, bei dem sich die Finanzpolitik weniger an den Haushaltsdefiziten und mehr an einem mittelfristig fixierten Ausgabenpfad orientiert. Um letzteren nicht zu gefährden, darf der Staat zusätzlichen Ausgabenwünschen nur nachgeben, wenn gleichzeitig Einsparungen an anderer Stelle vorgeschlagen und auch akzeptiert werden. Eine derartige Regelbindung der Haushaltspolitik ist in den USA mit dem Budget Enforcement Act, wo ein solcher Pfad für die konsumtiven Ausgaben festgelegt wurde, erfolgreich praktiziert worden. Dabei wurde für die jährlich zu bewilligenden Ausgaben eine Obergrenze vorgegeben. Bei einer drohenden Überschreitung dieser Grenze mussten Kürzungen bei anderen Ausgaben vorgenommen werden. Auf diese Weise konnte der Ausgabenanstieg gebremst werden. Die konjunkturbedingten Mehreinnahmen konnten dann entsprechend zum Abbau des Budgetdefizits und danach zum Schuldenabbau verwendet werden. Mit entsprechenden Vorkehrungen würde auch in Deutschland der mittelfristig vorgesehene Budgetausgleich erleichtert.

Die moderaten Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich die Beschäftigung wieder erhöhte und gleichzeitig der Preisauftrieb trotz spürbarer außenwirtschaftlicher Teuerungsimpulse begrenzt blieb. Jetzt geht es darum, die tarifpolitischen Weichen für das Jahr 2002 und darüber hinaus zu stellen. Die Institute plädieren dafür, den moderaten Kurs fortzusetzen. Dies bedeutet, dass sich die Lohnentwicklung prinzipiell am Produktivitätszuwachs orientieren sollte, allerdings bei entsprechender Berücksichtigung der Lage am Arbeitsmarkt.

Die Glaubwürdigkeit eines anhaltend moderaten lohnpolitischen Kurses könnte erhöht werden, wenn die Tarifparteien Lohnabschlüsse tätigen würden, die etwas weiter in die Zukunft reichen. Eine Möglichkeit wäre - wie schon in der Vergangenheit praktiziert -, längere Laufzeiten von Tarifverträgen zu vereinbaren. Allerdings gibt es an deren Ende - wie in diesem Jahr - auch Unsicherheiten, ob der lohnpolitische Kurs tatsächlich fortgesetzt wird. Eine andere Möglichkeit wäre, die Lohnabschlüsse nicht- wie sonst üblich -für das laufende, sondern für das jeweils kommende Jahr abzuschließen. Dies würde der Geldpolitik frühzeitig signalisieren, wie der Kurs der Lohnpolitik auf mittlere Sicht einzuschätzen ist und auch die Planungssicherheit der Unternehmen nähme zu.


Die Beurteilung der Wirtschaftslage erfolgte durch folgende Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V., Essen:

- DIW Berlin, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
- Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv, HWWA
- ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München
- Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, IfW
- Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IW
- Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, RWI Essen
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