Direkt zum Inhalt

DIW-Studien: Neue Erkenntnisse zum Zusammenhang von Bildung der Eltern und Gesundheit ihrer erwachsenen Kinder

Pressemitteilung vom 20. März 2019

Studien untersuchen Auswirkungen der elterlichen Bildung auf die langfristige Lebenserwartung ihrer Kinder und psychische Gesundheit im Erwachsenenalter – Ziel sollte sein, Gesundheit unabhängiger von Bildung der Eltern zu machen – Quantitativer und qualitativer Ausbau von außerfamilialen Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten könnte helfen

Bildung wirkt sich nicht nur im Geldbeutel aus, sondern auch auf die Gesundheit. Das zeigen zwei neue Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekts zu nichtmonetären Erträgen von Bildung entstanden sind. Die Studien untersuchen, inwiefern die Gesundheit von Erwachsenen mit der Bildung der vorherigen Generation, also den Eltern, zusammenhängt – dabei geht es um die Auswirkungen der elterlichen Bildung auf die langfristige Lebenserwartung ihrer Kinder und auf die psychische Gesundheit im Erwachsenenalter.

Die Ergebnisse in Kürze: Hat die Mutter mindestens einen Realschulabschluss, leben ihre Kinder im Alter ab 65 Jahren im Durchschnitt zwei Jahre länger als Personen, deren Mutter höchstens einen Volksschulabschluss hat – vor allem deshalb, weil höher gebildete Mütter auf eine gesündere Lebensweise ihrer Kinder hinwirken. Wie die zweite Studie zeigt, wirkt sich ein Jahr mehr Schulbildung von Müttern hingegen kaum auf die mentale Gesundheit ihrer erwachsenen Kinder aus. Das überrascht, denn eigentlich wäre zu erwarten, dass Bildung positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit hat, ähnlich wie auf die körperliche. Offenbar wird der zu erwartende Effekt aber von bisher nicht identifizierten Mechanismen konterkariert.

„Bildungs- und Gesundheitspolitik werden häufig getrennt voneinander betrachtet – dabei hängen Bildung und Gesundheit in der Regel langfristig eng miteinander zusammen, und das sogar über Generationen hinweg“, erklärt Daniel Schnitzlein, einer der Studienautoren. „Kinder, die aufgrund ihres Elternhauses Nachteile haben, sollten gezielt unterstützt werden, damit deren Gesundheit nicht so stark vom Elternhaus abhängt“, ergänzt Bildungsforscher Mathias Huebener. „Das ist eine Frage der Chancengerechtigkeit.“ Dies könnte beispielsweise dadurch erreicht werden, dass außerfamiliale Bildungs- und Betreuungsangebote ausgebaut werden – und zwar auch mit Blick auf ihre Qualität.

Zwei Jahre höhere Lebenserwartung, wenn die Mutter mindestens einen Realschulabschluss hat

Den Zusammenhang von Lebenserwartung und elterlicher Bildung haben Mathias Huebener und Jan Marcus aus der Abteilung Bildung und Familie des DIW Berlin erstmalig für Deutschland auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) unter die Lupe genommen. Das SOEP ist der einzige große Datensatz, der sowohl Informationen zur Mortalität von Personen als auch zur Bildung der Eltern enthält. Die Berechnungen ergaben, dass die jährlichen Überlebenswahrscheinlichkeiten von Personen im Alter ab 65 Jahren im Durchschnitt deutlich höher sind, wenn die Mutter einen Realschulabschluss oder Abitur hat. Der Unterschied in der Lebenserwartung entspricht ungefähr zwei Jahren im Vergleich zu Personen, deren Mutter einen Volksschul- oder gar keinen Schulabschluss hat. Zieht man den Schulabschluss des Vaters heran, zeigt sich kein Zusammenhang.

Um auszuschließen, dass die Schulbildung der Mutter nur stellvertretend für den Zusammenhang ganz anderer familialer Faktoren mit der Lebenserwartung steht, haben die Autoren zahlreiche potentielle Einflussfaktoren in ihre Berechnungen einbezogen – beispielsweise die berufliche Stellung der Eltern oder die Bildung des Kindes selbst. Dennoch blieb der starke statistische Zusammenhang zwischen dem Schulabschluss der Mutter und der Lebenserwartung der Kinder bestehen. In der untersuchten Stichprobe wurden die Kinder um das Jahr 1940 geboren – starke Zusammenhänge zwischen der Bildung der Mutter und der Gesundheit ihrer Kinder gibt es jedoch auch heute. Sie zeigen sich in der Regel schon nach der Geburt und in der frühen Kindheit und verfestigen sich im Lebensverlauf eher, als dass sie sich auflösen. Das liegt etwa daran, dass höher gebildete Mütter positiv auf das Gesundheitsverhalten ihrer Kinder einwirken. Das betrifft beispielsweise die Ernährung, das Rauchverhalten, den Alkoholkonsum und die sportliche Aktivität.

Kaum Effekte einer höheren Pflichtschulzeit bei Müttern auf psychische Gesundheit ihrer erwachsenen Kinder

Die Auswirkungen der Schulbildung der Mutter auf die psychische Gesundheit ihrer erwachsenen Kinder haben Daniel Graeber und Daniel Schnitzlein, wissenschaftliche Mitarbeiter des SOEP am DIW Berlin, untersucht. Konkret betrachteten sie den Effekt der Erhöhung der Pflichtschulzeit in Westdeutschland in den 1940er bis 1960er Jahren von acht auf neun Jahre. In der Folge veränderte sich die psychische Gesundheit der erwachsenen Kinder betroffener Mütter kaum. Lediglich bei den Töchtern war der Effekt leicht negativ, allerdings nicht im medizinisch relevanten Bereich.

Das ist insofern überraschend, als die in Folge der Schulreform höhere Bildung der Mutter, die steigende Erwerbstätigkeit und das zunehmende Einkommen eigentlich mit positiven Effekten auf die psychische Gesundheit der Kinder verbunden sein sollten. Dass sich diese nicht einstellen, scheint auf Mechanismen zurückzugehen, die mit dem vorliegenden Studiendesign nicht rekonstruiert werden können. Eine Rolle könnte das Schulsystem spielen: Von der Reform betroffen waren nur Haupt- und VolksschülerInnen – möglicherweise vermittelte aber erst der Schulbesuch über die Pflichtschulzeit hinaus die Kompetenzen, bei der Kindererziehung stärker auf gesundheitliche Aspekte zu achten.

Links

Interview mit Daniel D. Schnitzlein: "Nichtmonetäre Effekte von Bildung sind mindestens so wichtig wie monetäre" (Print (PDF, 73.95 KB) und
O-Ton von Daniel D. Schnitzlein
Kaum Effekte einer höheren Pflichtschulzeit bei Müttern auf die psychische Gesundheit ihrer erwachsenen Kinder - Interview mit Daniel D. Schnitzlein
keyboard_arrow_up