Pressemitteilung vom 26. September 2012
DIW Berlin aktualisiert internationalen Index für Kampf gegen Menschenhandel – Italien, Schweden und Niederlande an der Spitze
Die Anstrengungen Deutschlands beim Schutz der Opfer von Menschenhandel haben seit 2010 deutlich nachgelassen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Der Opferschutz hinkt den anderen Bemühungen im Kampf gegen den Menschenhandel eindeutig hinterher“, sagt Studienleiterin Seo-Young Cho. Weitaus aktiver ist die Bundesregierung in den Bereichen Strafverfolgung und Prävention. Aufgrund der Defizite beim Opferschutz schafft es Deutschland im internationalen Vergleich unter 185 Ländern jedoch nur auf Platz 34, hinter europäischen Ländern wie Polen, Irland und Bulgarien. „Der Opferschutz muss wieder verstärkt in den Vordergrund rücken“, empfiehlt DIW-Forscherin Cho.
Im Rahmen der Untersuchung hat das DIW Berlin den 3P-Index aktualisiert, der den gegenwärtigen Stand einzelner Länder in den Bereichen Strafverfolgung, Opferschutz und Prävention (prosecution, protection, prevention) misst. Auf einer Skala von 3 bis 15 Punkten erreichte Deutschland 2011 den Wert 12, einen Punkt weniger als noch ein Jahr zuvor. Der weltweite Durchschnitt lag im letzten Jahr bei 9,80 Punkten und sank damit leicht gegenüber 2010 (9,87 Punkte). Deutschland gilt als ein Hauptzielland für Menschenhandel. Grund dafür ist die geografische Nähe zu weniger entwickelten und einkommensschwachen Staaten vor allem in Osteuropa. Allein die vom Bundeskriminalamt anerkannten Opferzahlen liegen jährlich zwischen 600 und 1 200, wobei dies nur die offiziellen Fälle umfasst, die wirkliche Zahl dürfte bedeutend höher sein. Bei der großen Mehrheit der Fälle handelt es sich um sexuelle Ausbeutung in Form von Prostitution.
Dilemma: Weitreichender Opferschutz kann Menschenhandel fördern
Die schlechtere Bewertung Deutschlands im Bereich Opferschutz geht einher mit dem Übergang von einer CDU/SPD-Koalition zu einer CDU/FDP-Regierung auf Bundesebene: Im ersten vollständigen Jahr nach der Bundestagswahl 2009 rutschte der entsprechende Teilindex 2010 vom höchsten Wert ab auf eine Bewertung, die nur noch mäßige Bemühungen bescheinigt. Problematisch ist vor allem die Unterscheidung zwischen illegalen Einwanderern und Opfern von Menschenhandel. Letzteren wird etwa keine Straffreiheit gewährt für Taten, die sie als Opfer von Menschenhandel begehen mussten.
Zwar stehen betroffene Länder vor dem Problem, durch einen weitreichenden Opferschutz wie Amnestie und Aufenthaltsgenehmigungen einen zusätzlichen Anreiz für Menschenhandel zu bieten. Dennoch rät DIW-Ökonomin Cho: „Trotz dieses Zielkonflikts sollten Länder wie Deutschland dem Opferschutz mehr Beachtung schenken und Menschenhandel nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Einwanderungspolitik betrachten, sondern auch die Einhaltung grundsätzlicher Menschenrechte sicherstellen.“
Weltweit führend im Kampf gegen Menschenhandel sind Italien, Schweden und die Niederlande – mit der jeweils maximalen Punktzahl in allen drei Teilbereichen. Zahlen der Vereinten Nationen zufolge gibt es derzeit rund 2,45 Millionen Opfer von Menschenhandel, darunter etwa 1,2 Millionen unter 18 Jahren. Aufgrund der hohen Dunkelziffer dürfte die tatsächliche Zahl der Opfer weit höher liegen. Der Umsatz von Menschenhändlern wird derzeit weltweit auf insgesamt 31,6 Milliarden US-Dollar geschätzt.