Pressemitteilung vom 17. Oktober 2013
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose
Abgeschlossen in Essen am 15. Oktober 2013
Konjunktur zieht an - Haushaltsüberschüsse sinnvoll nutzen
Die deutsche Wirtschaft steht vor einem Aufschwung. Getragen wird er von der Binnennachfrage. Das sich bessernde weltwirtschaftliche Umfeld und eine abnehmende Unsicherheit beflügeln die Investitionen. Der Private Konsum profitiert von günstigen Beschäftigungs- und Einkommensaussichten. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2014 um 1,8 Prozent expandieren nach nur 0,4 Prozent in diesem Jahr. Die Ver-braucherpreise dürften dabei moderat um 1,6 Prozent in diesem und um 1,9 Prozent im kommenden Jahr steigen. Der Staatshaushalt dürfte weiterhin einen Überschuss aufweisen.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V.
www.diw.de
Pressekontakt Tel.: (030) 89789‑252
E-Mail: sfiedler@diw.de
in Kooperation mit:
Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung
www.wifo.ac.at
ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e.V.
www.ifo.de
Pressekontakt Tel.: (089) 9224 1604
E-Mail: marquardt@ifo.de
in Kooperation mit:
KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
www.kof.ethz.ch
Institut für Wirtschaftsforschung Halle
www.iwh-halle.de
Pressekontakt Tel.: (0345) 77 53 720
E-Mail: Stefanie.Orphal@iwh-halle.de
in Kooperation mit:
Kiel Economics
www.kieleconomics.de
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
www.rwi-essen.de
Pressekontakt Tel.: (0201) 81 49 213
E-Mail: sabine.weiler@rwi-essen.de
in Kooperation mit:
Institut für Höhere Studien Wien
www.ihs.ac.at
Im ersten Halbjahr 2013 hat sich die Weltkonjunktur belebt. Die Produktion wurde vor allem in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften rascher ausgeweitet, in den Schwellenländern hat sich das Expansionstempo dagegen kaum erhöht. Eine in den meisten Ländern steigende Zuversicht der Unternehmen spricht für eine Fortsetzung der weltwirtschaftlichen Belebung in der zweiten Jahreshälfte.
In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird die wirtschaftliche Aktivität zwar immer noch durch Strukturprobleme belastet. Seit Jahresbeginn stehen die Zeichen aber auf Erholung: Die Wirtschaft in den USA hat die Einschnitte in die öffentlichen Haushalte recht gut verkraftet. In Japan ist es der neuen Regierung durch eine sehr expansive Wirtschaftspolitik im ersten Halbjahr 2013 gelungen, die Konjunktur deutlich zu beleben, und die britische Wirtschaft hat sich aus der Stagnation gelöst. Schließlich hat im Euroraum die Produktion zuletzt erstmals seit eineinhalb Jahren wieder zugelegt. In den Schwellenländern ist die Wachstumsdynamik im Allgemeinen zwar noch hoch, sie hat sich aber seit einigen Jahren deutlich verlangsamt. Hemmend wirken mehr und mehr mangelhafte Institutionen. Das gilt besonders für die großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China. Die schwächere Expansion in China, das die weltwirtschaftliche Dynamik des vergangenen Jahrzehnts geprägt hat, fällt dabei am meisten ins Gewicht.
Die Notenbanken aller großen fortgeschrittenen Volkswirtschaften haben angekündigt, in diesem und im nächsten Jahr auf expansivem Kurs zu bleiben. Diese Ankündigung war auch deshalb glaubhaft, weil Preisdynamik und Inflationserwartungen ohnehin niedrig sind oder, im Fall Japans, eine höhere Preisdynamik sogar erwünscht ist. Schwerer ist es vorherzusagen, wann aus Sicht der Notenbanken die Zeit kommt, eine behutsame Rücknahme des geldpolitischen Expansionsgrades einzuleiten. Dieses Problem stellt sich im Prognosezeitraum aber wohl nur für die Geldpolitik in den USA. Allerdings wird sich die Arbeitsmarktlage in den USA im Winterhalbjahr wohl weiter bessern, und die US-Notenbank dürfte dann mit der Rückführung der monetären Expansion beginnen.
In den USA blockiert derzeit das Patt im Kongress erneut alle finanzpolitischen Entscheidungen. Falls es dort nicht zu einer Einigung über die Schuldenobergrenze für den Bundeshaushalt kommt, steht sogar die Zahlungsfähigkeit der USA gegenüber den Kapitalmarktgläubigern auf dem Spiel. Es wird angenommen, dass es letztlich doch noch zu einer Einigung über die Erhöhung der Schuldenobergrenze kommen wird. Die finanzpolitische Blockade wird damit aber im Grundsatz nicht aufgehoben. Im Euroraum ist unklar, mit welchen Maßnahmen und in welcher Zeit die Konsolidierungsziele insgesamt erreicht werden. In dieser Prognose wird unterstellt, dass der Restriktionsgrad der Finanzpolitik zurückgeht.
Das im ersten Halbjahr 2013 etwas erhöhte Tempo der weltwirtschaftlichen Expansion dürfte in der zweiten Jahreshälfte und auch im Jahr 2014 gehalten werden. Die zu beobachtende Verbesserung der Stimmung hat wohl auch fundamentale Ursachen: Manches, was seit der Finanzkrise die wirtschaftliche Aktivität belastet hat, verliert langsam an Bedeutung. Die Weltproduktion dürfte im Jahr 2013 um 2,1 Prozent und damit in etwa so rasch wie im Jahr 2012 expandieren. Im Jahr 2014 wird der Zuwachs wohl 2,8 Prozent betragen. Erhebliche Risiken für die vorliegende Prognose gehen von den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen aus. Falls in den USA die Schuldenobergrenze des Bundes bis Mitte Oktober nicht angehoben würde, müssten die Ausgaben in der Größenordnung des gegenwärtigen Staatsdefizits von 4 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt gekürzt werden. Dies würde zu einer schweren Rezession in den USA führen, mit gravierenden Folgen für die Weltwirtschaft. Auch die prognostizierte allmähliche Überwindung der Krise im Euroraum ist keineswegs gesichert.
Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Herbst 2013 am Beginn eines Aufschwungs. Die lebhaftere Expansion der Weltwirtschaft und die abnehmende Unsicherheit im Zusammenhang mit der Krise im Euroraum schaffen ein Umfeld, in dem die günstigen binnenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder mehr zum Tragen kommen. Die kräftige Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion im zweiten Quartal konnte zwar nicht gehalten werden, da sie auf Nachholeffekte nach dem strengen und langen Winter zurückzuführen war. Die aktuellen Indikatoren weisen aber darauf hin, dass die Grundtendenz der Konjunktur aufwärts ge-richtet ist.
Eine steigende Beschäftigung und merkliche Lohnzuwächse sorgen bereits seit längerem für eine robuste Entwicklung des privaten Verbrauchs. Dies dürfte sich im weiteren Verlauf des Prognosezeitraums fortsetzen, da die Erwerbstätigkeit weiterhin deutlich ausgeweitet wird. Die Exporte werden von der sich weiter belebenden Weltwirtschaft angeregt. Bereits seit einiger Zeit erhöhen sich die Ausfuhren in die außereuropäischen Länder recht dynamisch, mit der wirtschaftlichen Stabilisierung dort werden die Lieferungen in den Euroraum an Kraft gewinnen. Alles in allem dürfte die Zunahme der deutschen Ausfuhren aber eher verhalten sein. Die Importe werden hingegen durch die kräftige binnenwirtschaftliche Nachfrage angeregt. Per saldo wird der Expansionsbeitrag des Außenhandels zum Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich negativ bleiben.
Die Investitionstätigkeit wird im Prognosezeitraum langsam Fahrt aufnehmen, nachdem sich die Unsicherheit über eine erneute Zuspitzung der Krise im Euroraum verringert hat und sich Absatzperspektiven auf den Weltmärkten aufhellen. Damit entfalten die weiterhin günstigen Finanzierungsbedingungen ihre Wirkungen. Die Baukonjunktur wird durch das günstige Investitionsumfeld und insbesondere das niedrige Zinsniveau gestützt.
Alles in allem dürfte das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 0,4 Prozent zunehmen; das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht von 0,2 bis 0,6 Prozent. Die niedrige jahresdurchschnittliche Zunahme geht vor allem auf die deutlichen Produktionsrückgänge im Winterhalbjahr 2012/2013 zurück. Für das kommende Jahr ist eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um 1,8 Prozent zu erwarten; das 68-Prozent-Prognoseintervall reicht dabei von 0,6 bis 3,0 Prozent. Die deutsche Wirtschaft dürfte im Jahr 2014 schneller als das Produktionspotenzial wachsen, und die Unterauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten verringert sich deutlich.
Der Preisauftrieb bleibt im Prognosezeitraum mit Inflationsraten von 1,6 Prozent in diesem und 1,9 Prozent im kommenden Jahr moderat. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte weiter zunehmen um 235 000 Personen im Durchschnitt dieses Jahres und um 260 000 Personen im kommenden Jahr. Da das Erwerbspersonenpotenzial aber zunimmt, schlägt sich dies kaum in eine Abnahme der Arbeitslosigkeit nieder. Die Arbeitslosenquote sinkt nur leicht von 6,9 Pro-zent im Jahr 2013 auf 6,8 Prozent im Jahr 2014.
Der öffentliche Gesamthaushalt wird dieses Jahr mit einem Überschuss von etwa 3 Milliarden Euro oder 0,1 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt abschließen. Im kommenden Jahr dürfte der Überschuss bei besserer Konjunktur auf knapp 8 Milliarden Euro oder 0,3 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt steigen. Diese Prognose beruht auf den derzeit geltenden Haushalts- und Finanzplanungen.
Risiken für die deutsche Konjunktur resultieren insbesondere daraus, dass die Lage im Euroraum immer noch fragil und ein erneutes Aufflammen der Krise weiterhin nicht auszuschließen ist. Die in den vergangenen Jahren geschaffenen Instrumente zur Stabilisierung der Finanzmärkte und die Ankündigung der Europäischen Zentralbank, unter bestimmten Voraussetzungen stabilisierend auf den Märkten für Staatsanleihen einzugreifen, haben die Lage nur vorerst beruhigt, stellen aber keine dauerhafte Lösung dar. Ein Erlahmen der politischen Bemühungen um einen tragfähigen Ordnungsrahmen für die Europäische Währungsunion oder ein Nachlassen der Konsolidierungs- und Reformanstrengungen in den Krisenstaaten könnte zu erneuten Anspannungen auf den Finanzmärkten führen.
Die deutsche Wirtschaftspolitik steht im Herbst 2013 vor wichtigen politischen Weichenstellungen. Da die Bundestagswahl keine klare Regierungsmehrheit brachte, wird sich erst in den kommenden Wochen entscheiden, welchem Kurs die künftige Bundesregierung folgen wird. Die vorliegende Prognose wurde bezüglich der Wirtschaftspolitik unter Status quo-Bedingungen abgeleitet. Im Wahlkampf wurden aber vielfach Vorschläge unterbreitet, die – würden sie umgesetzt – Änderungen in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik nach sich ziehen würden. Dabei ging es sowohl um Verteilungsfragen als auch um die Förderung des Wirtschaftswachstums.
Die Finanzpolitik war in den vergangenen Jahren bestrebt, den Staatshaushalt zu konsolidieren, und hat so eine günstige Ausgangslage geschaffen. Im Jahr 2012 wies Deutschland erstmals seit 2000 einen strukturell annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt auf, und dies dürfte auch für 2013 gelten. Unterstellt man, dass in der mittleren Frist der Anstieg der Staatsausgaben eng begrenzt wird und keine steuerrechtlichen Änderungen vorgenommen werden, dürften die Überschüsse des Gesamtstaats deutlich steigen und im Jahr 2018 bei 1,5 Prozent in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt liegen. Ein Teil des Überschusses ist allerdings konjunkturbedingt und sollte für den Schuldenabbau verwendet werden, wie es die Schuldenbremse prinzipiell vorgibt. Der konjunkturbereinigte Finanzierungssaldo dürfte daher im Jahr 2018 bei 1 Prozent in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt liegen. Dies entspricht knapp 33 Milliarden Euro. Dieser Betrag steckt den budgetären Spielraum ab, innerhalb dessen die Finanzpolitik agieren kann, ohne die Steuern zu erhöhen.
Die Finanzpolitik sollte den Haushaltsüberschuss sinnvoll nutzen. Man könnte damit sowohl die kalte Progression abbauen als auch investive Ausgaben in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Forschung finanzieren. Zusätzliche Spielräume ließen sich gewinnen, wenn Steuervergünstigungen abgebaut und Finanzhilfen reduziert würden.
Die EZB hat mit ihrer Ankündigung, den Euro mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, die Lage an den Finanzmärkten beruhigt und damit der Wirtschaftspolitik eine Atempause verschafft. Allerdings hatte ihr Eingreifen möglicherweise negative Wirkungen auf die Intensität der Reformprozesse, da der Druck seitens der Finanzmärkte abgenommen hat.
Mit ihrer Geldpolitik hat die EZB auf die verhaltene Geldmengen- und Kreditentwicklung reagiert und den Zinssatz für die Hauptfinanzierungsgeschäfte des Eurosystems am 2. Mai 2013 um 25 Basispunkte auf 0,5 Prozent gesenkt. Allerdings zeigen sich mittlerweile die Grenzen expansiver geldpolitischer Maßnahmen im Euroraum. So dürften in den Krisenländern von einer weiteren Zinssenkung keine wesentlichen die Konjunktur stabilisierenden Im-pulse ausgehen, weil die Probleme in den dortigen Bankensektoren bisher nicht behoben worden sind. Den Schlüssel für eine wirtschaftliche Erholung sehen die Institute in der Bereinigung des dortigen Bankensektors. Hierbei sollten zunächst die Eigentümer und Fremdkapitalgeber der Banken herangezogen werden, im Ausnahmefall auch Inhaber von Sichteinlagen jenseits der Grenzen der Einlagensicherung. Dann noch verbleibende Altlasten wären zunächst von den Nationalstaaten zu tragen. Eine begrenzte europäische Lastenteilung kann lediglich die ultima ratio sein.