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Wer studiert, ist informiert? Studienentscheidungen und Informationsdefizite

DIW Roundup 35, 5 S.

Frauke H. Peter, Vaishali Zambre

2014

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4. September 2014 I Frauke H. Peter fpeter@diw.de, Vaishali Zambre vzambre@diw.de

Immer wieder wird die soziale Ungleichheit beim Übergang in die Hochschule thematisiert. Diese Debatte wird überwiegend aus der Perspektive der Chancengerechtigkeit geführt. Weniger diskutiert werden die ökonomische Fehlallokation von Ressourcen und die damit verbundene Ineffizienz. Dass Studienberechtigte aus nicht-akademischen Familien, bei gleicher Leistung, signifikant seltener ein Studium aufnehmen als ihre Mitschüler aus Elternhäusern mit akademischem Abschluss, ist keine optimale Nutzung von Bildungspotenzialen. Im Hinblick auf den demographischen Wandel und den damit verbundenen Rückgang im Erwerbspersonenpotenzial benötigen wir ein tieferes Verständnis über die Wirkungszusammenhänge bei Bildungsentscheidungen, um alle Bildungspotenziale auszuschöpfen. Dabei sollte die Rolle von Informationen stärker berücksichtigt und untersucht werden.

Studierende aus nicht-akademischen Elternhäusern sind an deutschen Universitäten weiterhin unterrepräsentiert (siehe auch Storck 2013). Während von 100 Akademiker-Kindern 77 ein Studium aufnehmen, sind es bei nicht-Akademiker-Kindern lediglich 23 (Middendorff et al. 2013), wobei nicht berücksichtigt wird, welcher Schulabschluss erreicht wird. Doch selbst wenn man lediglich Abiturienten untersucht, d.h. bereits eine selektivere Gruppe, bleibt der Unterschied bestehen. Für Abiturienten aus Familien, in der keiner einen Universitätsabschluss hat, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Übergangs in ein Studium 20 Prozentpunkte niedriger als für Abiturienten aus Akademiker-Familien (Bildungsbericht 2014) Dieser Unterschied ist in den letzten 16 Jahren relativ stabil geblieben (siehe Abbildung). Verschiedene Studien zeigen darüber hinaus, dass die tatsächlichen Leistungsdifferenzen lediglich etwa ein Fünftel dieses Unterschieds erklären können (z. B. Lörz 2012, Schindler und Reimer 2010). Die mit der niedrigeren Übergangswahrscheinlichkeit einhergehende suboptimale Ausschöpfung von Bildungspotenzialen führt dazu, dass sich Ungleichheiten verfestigen, da insbesondere Arbeitsmarkterfolge von einem höheren Berufsabschluss abhängen. Ein Hochschulabsolvent beispielsweise verdient über sein gesamtes Erwerbsleben 1,8-mal so viel wie Personen mit einer Berufsausbildung und hat ein um 3 Prozent geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko (z.B. Schmillen und Stüber 2014, Weber und Weber 2013).

Abb: Studierwahrscheinlichkeit der Studienberechtigtenjahrgänge 1996 bis 2012 nach höchstem beruflichen Abschluss der Eltern (in %) aus Bildungsbericht 2014

Quelle: Bildungsbericht (2014), Abbildung F2-4A

Finanzielle Restriktionen sind nicht alles

In der ökonomischen Theorie wird die Bildungsentscheidung als Kosten-Nutzen Abwägung modelliert. Ein Individuum entscheidet sich für ein Universitätsstudium, sofern der erwartete Nutzen die erwarteten Kosten übersteigt und die Rendite höher ist als bei alternativen Bildungswegen (siehe hierzu auch Humankapitaltheorie). Als Begründung für die bestehende Bildungsungleichheit werden in der Bildungsökonomie hauptsächlich finanzielle Restriktionen aufgeführt. Dieser Fokus auf finanzielle Engpässe wird vor allem vom angelsächsischen Raum geprägt, in dem hohe Studiengebühren tatsächlich eine enorme Belastung für die Studierenden darstellen. Finanzielle Restriktionen scheinen in Deutschland jedoch, insbesondere mit der Abschaffung der Studiengebühren, im Vergleich zum angelsächsischen Raum von geringerer Relevanz zu sein. Doch selbst in angelsächsischen Studien ist die empirische Evidenz hinsichtlich der Wirkung finanzieller Förderprogramme auf das Studierverhalten nicht eindeutig (für einen Überblick siehe Dynarski 2002 und Long 2008). Für Deutschland zeigen z.B. Steiner und Wrohlich (2012), dass staatliche Finanzierungsprogramme (BAföG) einen Effekt auf die Studienentscheidung haben können, wenn auch einen geringen. Das zeigt auch, dass für Deutschland andere Einflussfaktoren eine wichtige Rolle spielen.

Die Rolle von (fehlenden) Informationen

Berücksichtigt man, dass die geschätzten Bildungsrenditen positiv sind, d.h. ein Studium lohnenswert ist (u.a. OECD 2013, Glocker und Steiner 2011), und darüber hinaus staatliche Programme zur Finanzierung eines Studiums bereitstehen, u. a. Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) oder das Deutschlandstipendium, ist es aus theoretischer Perspektive bemerkenswert, dass Abiturienten aus nicht-akademischen Elternhäusern signifikant seltener ein Studium aufnehmen. Doch die Kosten-Nutzen Abwägung hängt nicht nur vom individuellen Budget ab, sondern auch von vorhandenen Informationen, u.a. über Kosten und Nutzen eines Studiums, über verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten sowie über die Studienplatzvergabe. Verschiedene angelsächsische Studien weisen darauf hin, dass diese Informationen für die Studienentscheidung relevant sind (Bettinger et al. 2012, McGuigan et al. 2012, Oreopoulos und Dunn 2013, Scott-Clayton 2012).

Das unterschiedliche Studierverhalten der Abiturienten aus nicht-akademischem Elternhaus könnte demnach damit begründet werden, dass diese die ökonomischen Vorteile eines Studiums auf dem Arbeitsmarkt unterschätzen, da sie diese nur sehr eingeschränkt bei ihren Eltern oder im sozialen Umfeld beobachten können. Dieser unterschiedliche Informationsstand könnte dazu führen, dass auch bei gleicher objektiver Entscheidungssituation, Abiturienten aus nicht-akademischen Elternhäusern zu anderen Bildungsentscheidungen gelangen. Ein solches potenzielles Informationsdefizit bei Studienberechtigten aus nicht-akademischem Elternhaus könnte an der fehlenden Hochschulerfahrung der Eltern liegen, da nicht auf das Erfahrungswissen der Eltern zurückgegriffen werden kann (Tornatzky et al. 2002, Horn et al. 2003, Grodsky und Jones 2006).

Besteht tatsächlich ein vom familiären Hintergrund abhängiges Informationsdefizit?

Eine kanadische Studie hat gezeigt, dass Schüler die Kosten eines Studiums über- und die Einkommensgewinne unterschätzen und dass diese Diskrepanz für Schüler mit niedrigerem sozio-ökonomischem Hintergrund deutlich stärker ausfällt (Usher 2005). Neben einer Über- oder Unterschätzung des zu erwartenden Einkommens und der Kosten spielen auch fehlende Informationen über die Berechtigung auf finanzielle Unterstützung eine Rolle bei der Bildungsentscheidung. Auch hier wird häufig ein Informationsdefizit festgestellt. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass staatliche Förderungen nicht von allen Anspruchsberechtigten genutzt werden. Eine Studie aus den USA zeigt, dass Informationsdefizite bei der Anspruchsberechtigung auf finanzielle Förderung dazu führen können, dass Schüler aus den unteren Einkommensschichten die Kosten eines Studiums überschätzen (Kofoed 2012). Eine andere Studie aus den USA zeigt dagegen, dass sowohl die Kosten als auch die Einkommenssteigerungen von allen Schülern überschätzt werden und keine signifikanten Unterschiede zwischen den sozio-ökonomischen Gruppen bestehen (Avery und Kane 2004). Bisherige Forschungsergebnisse legen insgesamt nahe, dass sich die Befragten unabhängig ihres familiären Hintergrundes in der Regel über die positiven Bildungsrenditen im Klaren sind, die Einschätzung der Höhe der Rendite jedoch stark variiert.

Kann das Entscheidungsverhalten durch Informationen beeinflusst werden?

Wie dargestellt, gibt es Hinweise, dass die Studienberechtigten weder vollständig über die Kosten-Nutzen-Relation eines Studiums informiert sind noch über die finanziellen Fördermöglichkeiten. Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion ist daher, ob durch eine Veränderung des Informationsstandes tatsächlich die Bildungsentscheidung beeinflusst werden kann.

Eine Studie aus Kanada zeigt, dass eine internet-basierte Informationskampagne, in der Schüler aus benachteiligten Gebieten in Toronto über die Kosten und Nutzen eines Studiums informiert wurden, für die Schüler, die neue Informationen erhalten haben, zu einer höheren Motivation einen postsekundären Bildungsabschluss zu erlangen führt (Oreopoulos und Dunn 2013). Dagegen führte die Bereitstellung von Informationen zur Anspruchsberechtigung staatlicher Förderungen und zur Höhe von Studiengebühren nur in Kombination mit einer persönlichen Unterstützung beim Ausfüllen der Anträge zu einer höheren Studienanfängerquote (Bettinger et al. 2012). Dieses Ergebnis zeigt, dass nicht allein fehlende Informationen, sondern darüber hinaus auch die Komplexität der Beantragung ein Hindernis darstellt. In einer Region Chinas konnte hingegen allein mit Hilfe einer Informationskampagne, sowohl die Einschreiberate als auch die Anzahl der Studenten, die finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen, erhöht werden (Loyalka et al. 2013). Bisherige Studien zur Rolle von Informationen bei der Studienentscheidung kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Diese sind auch darauf zurückzuführen, dass sowohl die post-sekundären Bildungswege, als auch die staatlichen Fördermaßnahmen in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und ähnliche Maßnahmen in verschiedenen Ländern nicht unbedingt die gleiche Wirkung entfalten.

Verwandte Studien (Dinkelman und Martínez 2014, Nguyen 2008, Jensen 2010) untersuchen die Rolle von Informationen für andere Bildungsentscheidungen und finden weitere Belege dafür, dass durch Informationen tatsächlich Bildungsentscheidungen beeinflusst werden können. Dennoch sind Studien zum Einfluss von Informationen auf die Bildungs- und Studienentscheidungen nach wie vor wenig verbreitet. Eine Vielzahl von Replikationen und systematischer Variation der bereitgestellten Informationen in ähnlichen Kontexten ist daher notwendig, um unser Verständnis der Wirkungszusammenhänge von Informationen und Bildungsentscheidungen zu verbessern. Darüber hinaus sollte nicht nur die Effektivität, d.h. die Wirkung der Maßnahmen, betrachtet werden, sondern stärker auch die Effizienz, d.h. wie viel diese Maßnahmen in Relation zu ihrer Wirkung kosten, in den Blick genommen werden. Hier könnte die Informationsbereitstellung eine attraktive Maßnahme sein. Beide Aspekte sind besonders relevant für eine evidenzbasierte Bildungspolitik, die alle Bildungspotenziale ausschöpfen will.

Quellen

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014): „Bildung in Deutschland 2014. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur Bildung von Menschen mit Behinderungen“, Bertelsmann, Bielefeld,
http://www.bildungsbericht.de/zeigen.html?seite=11123.

Avery, C. und Kane, T. J. (2004): “Student Perceptions of College Opportunities. The Boston COACH Program”, in: C. M. Hoxby (Hrsg.), “College choices The Economics of Where to Go, When to Go, and How to Pay For It”, University of Chicago Press, Chicago, S. 355-394,
http://www.nber.org/chapters/c10104.

Bettinger, E. P., Long, B. T., Oreopoulos, P. und Sanbonmatsu, L. (2012): “The Role of Application Assistance and Information in College Decisions: Results from the H&R Block FAFSA Experiment”, The Quarterly Journal of Economics 127(3), 1205-1242.

Dinkelman, T. und Martínez, A. C. (2014): „Investing in Schooling In Chile: The Role of Information about Financial Aid for Higher Education”, Review of Economics and Statistics 96(2), 244-257.

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Glocker, D. und Steiner, V. (2011): „Returns to Education across Europe“, CEPR Discussion Paper Nr. 8568, Center for Economic Policy Research.

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Weber, B. und Weber, E. (2013): „Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit“, IAB-Kurzbericht 4/2013, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung,
http://doku.iab.de/kurzber/2013/kb0413.pdf.


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111815

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