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Flüchtlinge und der deutsche Wohnungsmarkt: neue Realität und alte Lösungen

DIW Roundup 80, 11 S.

Konstantin A. Kholodilin, Dmitry Chervyakov

2015

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13. Oktober 2015

In den vergangenen zwei Jahren ist die Migration nach Deutschland erheblich gestiegen. Dies ist vor allem auf den außergewöhnlich starken Zuzug von Flüchtlingen zurückzuführen, die in Deutschland Asyl beantragen. Viele von diesen Migranten werden in Deutschland wohl dauerhaft bleiben. Dies stellt das Land vor große Herausforderungen. Sowohl die Integration in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt muss geleistet, als auch ausreichend Wohnraum bereitgestellt werden. Um die wohnungsmarktpolitischen Herausforderungen zu bewältigen, werden derzeit zahlreiche Maßnahmen diskutiert, die sich bereits in der Vergangenheit, als Deutschland ähnlichen Herausforderungen gegenüberstand, bewährt haben. Dieser Roundup fasst bisherige Regelungen der Wohnraumlenkung zusammen und zeigt, in welchem historischen Zusammenhang die derzeit diskutierten Maßnahmen stehen.

Neue Herausforderungen: steigende Nachfrage nach Wohnraum

Seit 2009 steigt die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland wieder (siehe Abbildung 1); seither nimmt auch der Zuwanderungssaldo kräftig zu. Eine immer wichtigere Rolle dabei spielt der Zuzug von Asylbewerbern, die in den letzten zwei Jahren vor allem in der Folge der Kriege im Nahen Osten in immer größerer Zahl nach Deutschland geströmt sind. Im Jahr 2014 beantragten 202.834 Menschen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Asyl (“Das Bundesamt in Zahlen 2014“ und „Flyer Schlüsselzahlen Asyl Halbjahr 2015“). In den ersten neun Monaten des laufenden Jahres hat diese Zahl der Anträge mit insgesamt 303,443 begonnenen Verfahren den Vorjahreswert bereits deutlich überschritten [Wegen des enorm verstärkten Zuwanderungsstroms werden aber nicht alle Asylgesuche registriert; die tatsächliche Zahl der Asylsuchenden ist daher deutlich höher.]. Es wird damit gerechnet, dass die Zahl der nach Deutschland kommenden Asylbewerber bis Ende des Jahres auf 800,000 (siehe BAMF Asylprognose in seinem Entscheiderbrief 07-08/2015) steigt und den bisherigen Höchstwert aus den frühen 1990er Jahren weit übertrifft. Von den 136.418 im laufenden Berichtsjahr bearbeiten Anträgen lehnte das BAMF 37,9% ab. Dies ist deutlich weniger als der Durchschnittswert von 50,9% in den Jahren 2000 bis 2014.

Abbildung 1: Zuzüge aus dem Ausland und Asylbewerbungen, 1950-2015

Anmerkung: Die Zahl für Asylanträge im Jahr 2015 bezieht sich auf die ersten neun Monate des Jahres.

Viele Flüchtlinge werden vermutlich für längere Zeit in Deutschland bleiben. Zudem werden sie über Familienzusammenführung versuchen, auch ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen bzw. eine neue Familie zu gründen. Dies hat Auswirkungen für die Wohnraumnachfrage: Spätestens nach drei Monaten sollen Asylbewerber außerhalb der Notunterkünfte und Erstaufnahmestellen untergebracht werden. Danach können sie sich im Prinzip eigene Wohnungen suchen (siehe Kasten) – allerdings ist die Unterbringung in Sammelunterkünften gängige Praxis. Erfahrungsgemäß ist jedoch die Unterbringung in privaten Wohnungen deutlich günstiger (https://www.tagesschau.de/inland/leverkusener-modell-100.html). Deshalb wird das sogenannte Leverkusener Modell als besonders beispielhaft angesehen, nach dem anerkannte Asylbewerber möglichst schnell in reguläre Wohnungen untergebracht werden. Vor allem wegen ihrer in der Regel geringen Einkommen werden viele Migranten (eine schnelle Arbeitsmarktintegration vieler Flüchtlinge scheint derzeit unwahrscheinlich, siehe hierzu Kasten) zunächst vermehrt billigen Wohnraum nachfragen.

Laut den Schätzungen des DIW Berlin (Herbstgrundlinien 2015, DIW Wochenbericht Nr. 38.2015, Kasten 2 auf S. 842) sollte sich 2015 und 2016 infolge der Asylwanderungen ein Bevölkerungsaufbau von insgesamt 290.000 ergeben. Schätzungsweise sind ungefähr zwei Drittel der Asylbewerber junge Männer (Brenke). Dies bedeutet, dass sie über 190.000 zusätzliche Haushalte darstellen, die früher oder später möglicherweise auch im Hinblick auf Familiengründung bzw. -nachzug die entsprechende Anzahl an Wohneinheiten nachfragen werden.

Die Lage auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich zu

Nach einem jahrzehntelang rückläufigen Trend steigt die Zahl fertiggestellter Wohnungen seit dem Jahr 2011 wieder an (siehe Abbildung 2). Im Jahr 2014 wurden 245.325 Wohnungen neu errichtet, was etwa dem Niveau von vor 10 Jahren entspricht.

Abbildung 2: Wohnungsbau in Deutschland, fertiggestellte Wohnungen, 1950-2014 in Tausend

Die Lage auf vielen Wohnungsmärkten ist allerdings weiterhin angespannt und wird sich angesichts der oben beschriebenen Tendenzen weiter verschärfen. Bereits jetzt hält die Neubauleistung gerade im urbanen Zentrum kaum mit der gestiegenen Nachfrage Schritt. Laut den Schätzungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln besteht aktuell alleine in den fünf größten deutschen Metropolen ein Nachholbedarf von ca. 160.000 Wohnungen (http://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/immobilienmarkt-metropolen-haben-boom-verschlafen-243283). Laut den jüngsten Prognosen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung wird der Neubaubedarf im Zeitraum zwischen 2015-2030 jährlich rund 272.000 Wohnungen betragen (BBSR-Wohnungsmarktprognose 2015). Diese Zahl berücksichtigt allerdings noch nicht die zusätzliche Nachfrage durch Flüchtlinge.

Um die potenzielle Nachfrage nach Wohnraum zu befriedigen, muss das Angebot an Wohnungen daher rasch erweitert werden. Kurzfristig ist dies allerdings aufgrund des langen Planungs- und Genehmigungsvorlaufs und der sich daran anschließenden Bauphase nur schwer umzusetzen. Es könnte damit notwendig werden, den Wohnungsneubau durch eine sogenannte Wohnraumlenkung zu ergänzen. Damit ist die Erfassung und möglichst effiziente Umverteilung der leerstehenden bzw. unterbelegten, für das Wohnen aber geeigneten Räume gemeint.

Lehren aus der Vergangenheit

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Instrument der Wohnraumlenkung bereits häufiger in Phasen großer Knappheit am Wohnungsmarkt eingesetzt wurde. Vor allem nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, als Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, sowie Anfang der 1990er Jahre, als mehrere Tausend Asylbewerber und Aussiedler insbesondere aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen — wurde diese Politik aktiv angewandt, um den sehr knapp gewordenen Wohnraum unter den vielen Wohnungssuchenden zu verteilen.

In der Vergangenheit gab es eine Vielfalt an Regelungen. Ursprünglich als provisorische Maßnahmen im Jahr 1918 eingeführt, blieb die Wohnraumlenkung bis Mitte der 1960er Jahre erhalten und in den meisten Regionen nur sehr langsam zurückgefahren. In manchen Großstädten überdauern Relikte der Wohnungszwangswirtschaft bis heute. Bisherige Maßnahmen der Wohnraumlenkung sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Die Spalte „Damals“ enthält die Regelungen, die zwischen 1918 und 1953 in Kraft traten. Die Spalte „Wird heute diskutiert“ beinhaltet die Maßnahmen, die derzeit vorgeschlagen werden.

Wohnraumerfassung. Im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges wurde die Grundlage für die Wohnraumlenkung geschaffen. Grundlage dafür bildete eine im Jahr 1918 veranlasste totale Erfassung der leerstehenden Wohnungen. Ab dem Jahr 1943 wurde zudem eine Meldepflicht für unbelegten Wohnraum, d. h. die Wohnungen, bei denen die Anzahl der Wohnräume die Zahl der Benutzer um mehr als einen Raum überstieg, eingeführt. Wohnungssuchenden wurde von den Behörden frei gewordener Wohnraum zugeteilt. Die Rechte des Vermieters bzw. Hauptmieters, über seine Wohnung frei zu verfügen, wurden damit erheblich eingeschränkt. So mussten die Hauptmieter fremde Mitbewohner in ihren Wohnungen dulden. Bei der Zuteilung wurden bestimmte Bevölkerungskreise wie z. B. Flüchtlinge und Vertriebene privilegiert. Heute mehren sich die Stimmen, leerstehende Gebäude und sogar nicht verkaufte Eigentumswohnungen zu beschlagnahmen, um dort sozial schwache Menschen, darunter auch Flüchtlinge, zu unterbringen. In Hamburg wurde bereits ein Gesetz verabschiedet, nach dem Behörden ungenutzte Grundstücke und Gebäude sicherstellen dürfen, sofern vorhandene Flüchtlingsunterkünfte über nicht ausreichend Platz verfügen. Ein solches Gesetz bedeutet einen ähnlich starken Eingriff in private Eigentumsrechte, wie in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Prinzipiell könnten derartige Regelungen auch für private Wohnimmobilien Anwendung finden. Allerdings lehnt der Hamburger Justizsenator derartige Vorhaben derzeit noch ab (http://www.zeit.de/hamburg/politik-wirtschaft/2015-09/hamburg-immobilien-beschlagnahme). Zudem ist nicht klar, was der Begriff „ungenutzt“ genau bedeutet: Es kann sich um eine einen Monat oder um eine ein Jahrzehnt leerstehende Immobilie handeln.

Wohnraumerhaltung. Um den knappen Wohnraum zu erhalten, wurden schon nach dem Ersten Weltkrieg Abrisse und Zweckentfremdung von Wohnräumen verboten. Sowohl das Abriss- als Zweckentfremdungsverbot wurden in den meisten westdeutschen Regionen im Laufe des Abbaus der Wohnungszwangswirtschaft bis Ende der 1960er Jahre weitgehend abgeschafft. Allerdings hat die sozialliberale Koalition bereits im Jahr 1971 ein Gesetz verabschiedet, das die Länder ermächtigte, eigene Verordnungen zur Zweckentfremdung zu erlassen. Sie können seither Regionen bestimmen, in denen „die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum besonders gefährdet ist“, und dort die Zweckentfremdung zu verbieten (Gesetz zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen. Vom 4. November 1971). Seitdem kam es zu aufeinander folgenden Phasen der Verschärfung bzw. Lockerung dieser Regelungen. Anfang 2000er Jahre wurde das Zweckentfremdungsverbot in den meisten Bundesländern abgeschafft bzw. lief es aus. Seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre wächst die Zahl der Länder, die das Verbot erneuern. So wurde 2007 in Bayern das Zweckentfremdungsverbot wieder eingeführt. Seine Geltungsdauer beschränkt sich zunächst auf den Zeitraum zwischen Anfang 2009 und Mitte 2017. Im Jahr 2013 folgte Berlin dem Beispiel Bayerns. Im Jahr 2014 verabschiedeten auch Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ein Zweckentfremdungsverbot. Ein ähnlicher Gesetzentwurf wurde im Mai 2015 in den Landtag des Saarlandes durch die Fraktion „Die Linke“ eingebracht. Als zweckentfremdet gilt nicht nur der Wohnraum, der anderen als Wohnungszwecken (z.B. für Gewerbe oder Ferienwohnungen) zugeführt wird, sondern auch abgerissen wird oder leer steht. Dabei variiert der Begriff der leerstehenden Wohnungen je nach Bundesland: Reguliert wird die Nutzung von Wohnungen, die länger als drei bzw. sechs Monate leer stehen. Kürzlich wurde in Thüringen ein Vorschlag unterbreitet, ein Moratorium für die staatlich geförderten Abrisse im Rahmen des Programms „Stadtumbau Ost“ auszurufen.

Wohnraumgewinnung. Um schnell neuen Wohnraum zu gewinnen, wurden bereits 1918-1919 unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. Zum einem wurden die Besitzer gezwungen, Um- und Ausbauten, Reparaturen sowie die Umwandlung von Nutzräumen in Wohnräume durchzuführen. Zum anderen griffen die Behörden in die Eigentumsrechte ein, um durch Enteignungen für Neubauten benötigte Grundstücke zu erlangen – zum Teil lediglich als Drohkulisse, um den geforderten Wohnungsbau zu beschleunigen. Zudem wurden Vorschriften gelockert, um den Neubau zu erleichtern. Einen ähnlichen Weg schlägt die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt heute vor. Am 15. September 2015 wurde dem Berliner Senat ein Gesetzentwurf zur weiteren Beschleunigung des Wohnungsbaus vorgelegt. Die Bundesregierung hat im September 2015 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der unter anderem auch bestimmte zeitlich befristete (zunächst bis 31. Dezember 2019) Lockerungen der Vorschriften beim Bau der Flüchtlingsunterkünfte vorsieht. Es geht um die Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans bei der Errichtung mobiler Unterkünfte, Abweichung von Vorschriften des Baugesetzbuchs beim Bau der „dringend benötigten“ Flüchtlingsunterkünfte und der Lockerung der Energieeffizienzmaßnahmen für die Flüchtlingsheime in den öffentlichen Gebäuden, wenn sich durch Anwendung der geltenden Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes „die Schaffung von Aufnahmeeinrichtungen... oder von Gemeinschaftsunterkünften... erheblich verzögern“ würde. Damit die knappen Ressourcen in die Errichtung preisgünstiger Wohnungen für die nach Meinung des Gesetzgebers bedürftigsten Bevölkerungsschichten kanalisiert werden sollen, wurde im Jahr 1919 zeitweise der Bau von Luxuswohnungen verboten bzw. eingestellt. Zu solchen Vorschlägen kam es bis jetzt in der öffentlichen Debatte nicht.

Beschränkung der Freizügigkeit. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges kam man auf die Idee, die Freizügigkeit der Bevölkerung zu beschränken. In der Praxis bedeutete das, dass der Zuzug in die „Brennpunkte des Wohnungsbedarfs“ (hauptsächlich Großstädte) erschwert bzw. der Auszug in kleine Städte und ländliche Gebiete (bspw. durch Gewährung der Umzugskosten) erleichtert werden sollte. Solche Regulierungen sind aktuell noch nicht in die Debatte eingeflossen, werden aber wohl notwendig sein, wenn nach dem Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, ein größerer Teil der ankommenden Flüchtlinge in die leerstehenden Wohnungen in Ostdeutschland untergebracht werden sollte (http://www.focus.de/politik/deutschland/streit-um-kretschmanns-vorschlag-schickt-die-fluechtlinge-in-den-leeren-osten-geniale-loesung-oder-fataler-fehler_id_4830706.html oder http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-09/leerstand-fluechtlinge-unterbringung-wohnungsbau-schrumpfung-land-dorf/komplettansicht). In diesen Regionen sind die Beschäftigungschancen für Migranten aber schlechter als in Westdeutschland, da die Arbeitslosenquote (9,8% im Jahr 2014 laut Statistischem Bundesamt) in den Neuen Bundesländern im Vergleich zum Früheren Bundesgebiet (5,9%) fast doppelt so hoch ist. Eine vermehrte Unterbringung der Flüchtlinge würde die dortigen ökonomischen Probleme kurzfristig noch verschärfen. Dies wäre auch nur möglich, wenn der Königsteiner Schlüssel, der die Verteilung der Asylbewerber zwischen Bundesländern bestimmt, geändert wird. Denn die Asylbewerber sind, sofern sie Sozialleistungen beziehen, durch die Wohnsitzauflage an bestimmte Orte gebunden. Eine Änderung des Schlüssels erscheint allerdings angesichts der derzeitigen Lage kaum realisierbar und würde mutmaßlich am Widerstand einzelner Länder scheitern.

Insgesamt können sich sowohl Immobilieneigentümer als auch Mieter wohl auf umfassende wohnungsmarktpolitische Eingriffe einstellen. Die Geschichte lehrt, dass in Zeiten knappen Wohnraums die Wohnraumlenkungsmaßnahmen in der Regel auch durch Mietpreiskontrolle und verstärkten Kündigungsschutz flankiert werden. Berlin hat als erstes Bundesland am 28. April 2015 die Mietpreisbremse eingeführt und so den Spielraum für die Mietpreissetzung durch den Markt weiter beschränkt. Es ist durchaus möglich, dass anderen Länder bald folgen.

Tabelle 1: Wohnraumlenkung damals und jetzt

Maßnahmen

Damals

Wird heute diskutiert

Wohnraumerfassung

Meldepflicht für leerstehende Räume und unterbelegte Wohnungen [BMgW 1918; GMgWM 1920; VWLB 1943; KR-WG 1946; WRBG 1953]

 

Wohnraumerhaltung

Untersagung von Abrissen [BMgW 1918; GMgWM 1920]

Moratorium für den Abriss von Wohnungen [Thüringen]

 

Zweckentfremdungsverbot: verboten, die zu Wohnungszwecken bestimmte Wohnungen zu anderen Zwecken, insbesondere als Fabrik-, Lager-, Werkstätten-, Dienst- oder Geschäftsräume zu verwenden [BMgW 1918; GMgWM 1920]

Zweckentfremdungsverbot in Bayern [ZwEWG 2007]; Zweckentfremdungsverbot in Berlin [ZwVbG 2013]; Zweckentfremdungsverbot in Baden-Württemberg [ZwEWG 2013]Zweckentfremdungsverbot in Nordrhein-Westfalen [WAG NRW 2014]; Zweckentfremdungsverbot im Saarland [EWAG SL 2015]

Wohnraumgewinnung

Überlassung von Nicht-Wohnraum an die Gemeinde [BMgW 1918; GMgWM 1920]

 

 

Zweckentfremdete Wohnräume ihrem ursprünglichen Zweck wieder zuführen [VWRL 1943; KR-WG 1946; WRBG 1953]

 

 

Um- und Ausbau des vorhandenen Wohnraums [VWRL 1943; Wohnungsgesetz 1946]

 

 

zwanghafte Durchführung der dringenden Reparaturen an Häusern [KR-WG 1946]

 

 

Befreiung von bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften und Verordnungen [VBDW 1919]

Lockerung der Vorschriften über Bebauung von Friedhöfen und Denkmalschutz, leichtere Umwandlung der Wälder in Bauflächen [WBBG]; Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans bei Errichtung mobiler Unterkünfte, Abweichung von Vorschriften des Baugesetzbuchs beim Bau der dringend benötigten Flüchtlingsunterkünften und Lockerung der Energieeffizienzmaßnahmen für die Flüchtlingsheime in den öffentlichen Gebäuden [EGAAA 2015]

 

Festsetzung der Fristen zur Erledigung der erforderlichen Genehmigungsverfahren [VBDW 1919]

 

 

Enteignung oder Belastung der Grundstücke mit einem Erbbaurecht, wenn kein Bauland in passender Lage zu angemessenem Preise zum Wohnungsbau zur Verfügung steht [VBDW 1919]

 

 

Enteignung der Grundstücke, wenn die Wohnungsbauarbeiten lange Zeit (>6 Monate) unterbrochen beim schuldhaften Verzögern sind [VBDW 1919]

 

 

 

Wohnraumschaffung durch Errichtung von Containerdörfern für Flüchtlinge [Mario Czaja]

Wohnraumverteilung

Zuteilung erfassten Wohnraums an bevorzugte Bevölkerungsgruppen (kriegsversehrte Personen, Träger des Eisernen Kreuzes, Widerständler oder Opfer des Nazi Regimes, kinderreiche Familien, Flüchtlinge und Vertriebene) [GMgWM 1920; VWRL 1943; KR-WG 1946; WRBG 1953]

Beschlagnahme der leerstehender Gebäude (Wohn- und Gewerbe) für Unterkünfte [GFUE 2015; Tübingen; Salzgitter]; Beschlagnahme nicht verkaufter Eigentumswohnungen oder Häuser, die in Erwartung einer Sanierung zum Teil ungenutzt sind [Berliner Mieterverein]; Beschlagnahme der Luxuswohnungen [Friedrichshain-Kreuzberg]

 

Einzelzuweisung [BMgW 1918]

 

 

zwanghafter Wohnungstausch, um die Verteilung des Wohnraums zu verbessern [KR-WG 1946]

 

Verbot und Einstellung der Luxusbauten

Verbot der Ausführung oder Einstellung der nicht für erforderlich erachteten Bauten, insbesondere Luxusbauten [VBDW 1919]

 

Eingriffe in Freizügigkeit

In Regionen mit besonders starkem Mangel an Wohnungsraum: Beschränkung des Zuzugs ortsfremder Personen [ GMgWM 1920; VWRL 1943; KR-WG 1946]

 

 

Förderung der Abwanderung in kleine und ländliche Gemeinden durch Gewährung von Umzugskosten und Mietbeihilfen (VWRL 1943; KR-WG 1946)

 

Berliner Mieterverein = Berliner Morgenpost 12/13. September 2015, S. 10 "Für die Armen wird es eng"

BMgW 1918 = Bekanntmachung über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel vom 23.09.1918

EGAAA 2015 = Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze. Stand 29. September 2015, http://www.bundesrat.de/SharedDocs/beratungsvorgaenge/2015/0401-0500/0446-15.html;jsessionid=0756E980D76398DA8D16CAE47150B904.2_cid391?cms_fromSearch=true

Friedrichshain-Kreuzberg = Morgenpost, http://www.morgenpost.de/berlin/article205756199/Bezirk-will-Luxuswohnungen-fuer-Fluechtlinge-beschlagnahmen.html

GFUE 2015 = Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen. Vom 2.10.2015 (HmbGVBl. Nr. 40, S. 245)

EWAG SL 2015 = Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines Wohnungsaufsichtsgesetzes (WAG SL), Stand 13. Mai. 2015;

GMgWM 1920 = Gesetz über Maßnahmen gegen Wohnungsmangel vom 11.05.1920

Mario Czaja = Sozialsenator Berlin, Der Tagesspiegel, http://www.tagesspiegel.de/berlin/mehr-fluechtlinge-in-berlin-integration-durch-containerdoerfer/10865414.html

Salzgitter = Frank Klingebiel (Oberbürgermeister Salzgitter), Frankfurter Allgemeine Zeitung, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/beschlagnahmung-leerstehender-wohnungen-fuer-fluechtlinge-13749366.html

Thüringen = Die Grünen (Thüringen), Die Welt, http://www.welt.de/regionales/thueringen/article146138407/Gruene-fordern-Moratorium-fuer-Abriss-von-Wohnungen.html

Tübingen = Boris Palmer (Tübingens Oberbürgermeister), Die Welt, http://www.welt.de/politik/deutschland/article145362505/Notfalls-muss-ich-Haeuser-beschlagnahmen.html

VBDW 1919 = Verordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 09.12.1919

Das Asylverfahren in Deutschland

Der Verfahrensablauf für die Flüchtlinge ist deutschlandweit nach dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) geregelt. Wer einen Antrag auf Asyl stellen möchte, muss bei der Zentralen Aufnahmeeinrichtung (ZAA) des jeweiligen Bundeslandes vorsprechen. Bei Äußerung eines Asylbegehrens werden dort die Personalien der Antragsteller aufgenommen und anschließend die Verteilungsentscheidung mithilfe eines Onlineverfahrens durchgeführt. Die zuständige Erstaufnahme-Einrichtung wird anhand einer Aufnahmequote für die Bundesländer (festgesetzt durch den Königsteiner Schlüssel) und dem Herkunftsland der Flüchtlinge ermittelt, da nicht jede Nationalität von jeder Außenstelle bearbeitet wird. Daraufhin werden eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BÜMA) mit dem jeweiligen Verteilungsort und bei Bedarf eine Kostenübernahme für die Fahrt dorthin ausgestellt. Der eigentliche Asylantrag wird erst bei der zuständigen Außenstelle des BAMF gestellt. Dabei verpflichtet sich der Asylsuchende mindestens sechs Wochen, höchstens jedoch drei Monate, in der Erstaufnahme-Einrichtung zu wohnen. Für diesen Zeitraum wird eine Vollverpflegung und monatliches Taschengeld mit dem Höchstsatz von 140 Euro gewährt (Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) § 3). Während dieser Zeit findet auch die über das Asylverfahren entscheidende Anhörung beim Bundesamt statt. Wird der weitere Aufenthalt in Deutschland erlaubt, oder läuft die zuvor genannte Frist von drei Monaten ab, kann ein Wohnheimwechsel oder der Bezug einer privaten Wohnunterkunft gestattet werden. Um eine Wohnung zu beziehen, wird jedoch eine gültige Aufenthaltsgestattung mit einer Mindestdauer von sechs Monaten vorausgesetzt. Nach dem Entlassen aus der Erstaufnahme-Einrichtung werden weitere Leistungen fortan von der Zentralen Leistungsstelle für Asylbewerber (ZLA) gewährt, welche sich an den Hartz-IV-Regelsätzen richten und die Bereiche Lebensunterhalt, Wohnung und Krankenhilfe abdecken. Eine Arbeitserlaubnis kann grundsätzlich erst nach einem dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland erteilt werden. Hierfür muss ein konkretes Angebot vom Arbeitgeber vorliegen, wobei für die konkrete Beschäftigung eine Vorrangprüfung seitens der Arbeitsagentur erfolgt. Hiernach dürfen keine bevorrechtigten Bewerber (z.B. Deutsche oder EU-Bürger) zur Verfügung stehen und ortsüblicher Tariflöhn eingehalten werden. Die Vorrangprüfung entfällt nach 15 monatigem Aufenthalt, wobei eine Beschäftigungs¬bedingungsprüfung immer noch stattfinden und Leiharbeit ausschließt (AsylVfG § 61, Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) §§ 39 bis 42). Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und weiterer Gesetze (Stand 14. September 2015) soll jedoch Leiharbeitsverbot für die Asylbewerber und Geduldete nach drei Monaten entfallen. Außerdem wird es geplant, die Vorrangprüfung für sie zeitweise wegfallen lassen. Ein Beschäftigungsersatz ist durch das Leisten von gemeinnütziger Arbeit möglich und kann ohne Leistungskürzungen angerechnet werden. Diese darf 100 Stunden im Monat nicht überschreiten und wird von der jeweiligen Institution mit 1,05 Euro pro Stunde vergütet (AsylbLG § 5). Nach Ablauf von 15 Monaten können höhere Leistungen im Umfang des SGB XII bezogen werden (AsylbLG § 2). Dies bedeutet eine weitgehende Gleichstellung mit den Hilfsbezügen eines Sozialhilfeberechtigten und die Weitergabe der Zuständigkeit an das Jobcenter.

Quellen

Bell R., Emtmann B., Schäfer M., Sichert T., Todt-Arnold M., Wick M., Wiesend J. (2015) Entscheiderbrief 7-8/2015. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Entscheiderbrief/2015/entscheiderbrief-07_08-2015.html?nn=1363214

Brenke K., (2015) „Flüchtlinge sind sehr ungleich auf die EU-Länder verteilt — auch bezogen auf die Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl“, DIW Wochenbericht Nr. 39/2015, Seite 872 http://diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.514171.de/15-39.pdf

Fichtner F., Baldi G., Bremus F., Brenke K., Dreger C., Engerer H., Große Steffen C., Junker S., Michelsen C., Pijnenburg K., Podstawski M., Rieth M., Ulbricht D. und van Deuverden K., (2015) „Herbstgrundlinien 2015“ DIW Wochenbericht 38/2015 842. http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.513872.de/15-38-1.pdf

Held, T. und Waltersbacher M.(2015), „Wohnungsmarktprognose 2030“, BBSR-Analysen KOMPAKT 07/2015 http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/AnalysenKompakt/2015/DL_07_2015.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Konstantin A. Kholodilin

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/121395

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