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Euro für alle: viele Kandidaten erfüllen die Kriterien, es sieht derzeit aber nicht nach einem Beitritt aus

DIW aktuell ; 3

Philipp Engler, Malte Rieth

2017

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Von Philipp Engler und Malte Rieth

Am 13. September hielt der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, eine vielbeachtete Rede zur Lage der Union. Kontrovers diskutiert wurde vor allem ein kurzer Abschnitt, in dem er das Ziel formulierte, der Euro solle die Währung der gesamten Europäischen Union sein. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident Emmanuel Macron teilen diese Position. Doch können die sieben Euro-Beitrittskandidaten die Voraussetzungen überhaupt erfüllen? Ja, die meisten schon, zeigt die Analyse des DIW Berlin. Doch manche Konvergenzkriterien wie die Preisstabilität und der Schuldenstand müssten überarbeitet oder erweitert werden, um noch aussagekräftig zu sein. „Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe. Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein.“

„Wenn wir wollen, dass der Euro unseren Kontinent mehr eint als spaltet, dann sollte er mehr sein als die Währung einer ausgewählten Ländergruppe. Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein.“

Diese Forderung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist an sich nichts Erwähnenswertes, schließlich ist in den Europäischen Verträgen die Einführung des Euro in der gesamten Union vorgesehen. Jedes Mitgliedsland (außer das Vereinigte Königreich und Dänemark, für diese beiden Länder gelten Sonderregelungen) hat sich im „Vertrag der Arbeitsweise der Europäischen Union“ dazu verpflichtet, den Euro einzuführen. Voraussetzung ist die Erfüllung der Konvergenzkriterien, die alle zwei Jahre in einem Konvergenzbericht der Europäischen Zentralbank überprüft werden. Was ist also so besonders an dieser Äußerung?

De facto dringt momentan niemand intensiv auf eine schnelle Einführung des Euro in Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Kroatien oder Schweden, den sieben EU-Ländern, die noch über eine eigene Währung verfügen. Die Eurokrise hat die unvollständige Architektur der Währungsunion brutal offengelegt, so dass statt einer großen Erweiterung erst ein umfangreicher Reformprozess anstand. Warum sollte ein Land auch einer solch wackeligen Konstruktion beitreten? Und warum sollte man sich um die aufwendige Aufnahme weiterer Länder in ein kompliziertes Rechtskonstrukt wie den Euroraum kümmern, wenn dieses als unvollendet betrachtet wird? Und so haben in den vergangenen acht Jahren mit Estland, Lettland und Litauen nur sehr kleine EU-Staaten (sowie Andorra) den Euro eingeführt.

Mit Bankenunion und ESM sind die Risiken für eine weitere Eurokrise begrenzt worden

Aber gelten die Vorbehalte noch? Schließlich sind bei der Reform des Euroraums große Fortschritte zu verzeichnen. Wesentliche Konstruktionsfehler sind mit der Gründung der Bankenunion und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) angegangen worden, auch wenn vor allem die Bankenunion als noch unvollständig betrachtet werden muss. Durch riesige grenzüberschreitende Kapitalflüsse innerhalb des Euroraums waren seit Anfang der 2000er Jahre dramatische finanzielle Ungleichgewichte entstanden, die schließlich in einer Banken- und Staatsschuldenkrise gipfelten, welche heute kurz als Eurokrise bezeichnet wird. Als die Probleme auftraten, waren einige Mitgliedsstaaten den schnell steigenden Schuldenbergen nicht gewachsen. Die in solchen Fällen übliche Lösung einer Rückversicherung der Staatsschulden durch die Zentralbank war nicht mehr möglich. Mit der Bankenunion wurde nun die Zuständigkeit für die Regulierung, Aufsicht und letztlich auch Abwicklung im Insolvenzfall vergemeinschaftet. Über den ESM können unter Auflagen im Krisenfall Kredite an Mitgliedsländer vergeben werden, womit ihre Zahlungsfähigkeit gewährleistet werden kann. Damit ist eine Wiederholung der Eurokrise unwahrscheinlicher geworden, und es sind einige Gründe für die geringe Zahl von Beitritten zum Euroraum in den vergangenen Jahren entfallen.

Formal ist bei den Beitrittskandidaten wenig zu beanstanden

Auch auf Seiten der Beitrittskandidaten hat sich einiges getan, zumindest wenn man die formalen Kriterien (Konvergenz- oder Maastrichtkriterien) zugrunde legt. Das Kriterium der Preisstabilität besagt, dass die Inflationsrate im Beitrittsland nicht um mehr als 1,5 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der drei EU-Länder mit den niedrigsten Inflationsraten liegen darf. Aktuell wird es von den meisten Kandidatenländern gerissen, aber nur, weil die drei Referenzländer Spanien, Slowenien und Bulgarien (welches selbst ein Beitrittskandidat ist) aufgrund von Krisennachwirkungen in einer Phase der Deflation stecken und das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von knapp unter zwei Prozent mit 0,7 Prozent deutlich unterschreiten. Die Verfehlung ist also eher ein Problem dieser Staaten als das der Beitrittsländer. Angesichts der Deflationsrisiken im Gefolge der Eurokrise scheint die Formulierung dieses Kriteriums zudem reformbedürftig. Zwar stellt es sicher, dass die Preise innerhalb des Währungsraumes nicht zu stark divergieren und damit eine einheitliche Geldpolitik, die an der durchschnittlichen Preisentwicklung orientiert ist, sinnvoll ist. Gleichzeitig wirkt es aber Deflationsgefahren nicht in gleichem Maße entgegen, wie es etwa eine Orientierung an dem Preisstabilitätsziel der Europäischen Zentralbank täte.

Abbildung: Sieben Kandidaten, fünf Kriterien
In Prozent (bei Preisstabilität und Wechselkurs: Veränderung zum Vorjahr in Prozent)


Quelle: Eurostat.

Besser sieht es für die Kandidaten beim Konvergenzkriterium der langfristigen Zinsen aus, welche nur maximal zwei Prozentpunkte über dem Durchschnitt der langfristigen Zinsen in den drei eben genannten Ländern liegen dürfen. Im letzten Konvergenzbericht lagen diese bei zwei Prozent. Maximal erlaubt waren demnach vier Prozent. Dies wird von allen Beitrittskandidaten unterschritten. Am höchsten sind die Zinsen in Kroatien, Ungarn, Polen und Rumänien. Hier liegen sie etwa zwischen drei und vier Prozent.

Auch die Defizite der öffentlichen Haushalte relativ zum Bruttoinlandsprodukt, das wohl bekannteste Konvergenzkriterium, überschreiten aktuell die drei Prozent nicht. Lediglich die Neuverschuldung Rumäniens lag genau auf der Grenze. Alle anderen befanden sich klar darunter. Die Tschechische Republik und Schweden wiesen im Jahr 2016 sogar Überschüsse beim Finanzierungssaldo auf. Ähnlich positiv ist es für die meisten Länder um die 60-Prozent-Grenze der öffentlichen Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt bestellt. Diese Marke wird nur von Ungarn und Kroatien nicht eingehalten, von letzterem Kandidaten sogar mit knapp 90 Prozent recht deutlich. Angesichts der negativen Erfahrungen mit Staatsschulden aus der Eurokrise dürfte diesem Kriterium ökonomisch besondere Bedeutung zukommen. In Italien, Portugal und Griechenland war es vor allem die Verschuldung in diesem Sektor, die als eine der Ursachen für die Kapitalmarktturbulenzen und wirtschaftlichen Miseren in den vergangenen Jahren gesehen wird. Aber auch bei diesem Kriterium stellt sich die Frage, wie zeitgemäß es noch ist beziehungsweise ob es nicht erweitert werden sollte. So zeigte sich etwa in Spanien und Portugal während der Eurokrise, dass der private Schuldenstand eine ebenso wichtige Rolle spielt. In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden war es vor allem die Bilanzstruktur im Bankensektor, die immense Rettungspakete nach sich zog. Insofern ist es nur folgerichtig, dass seit dem Jahr 2014 jedes Land, das dem Euro beitritt, dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus für Banken durch die Europäische Zentralbank unterstellt ist.

Insgesamt stände derzeit formal vor allem das Inflationskriterium einer Aufnahme der meisten Länder entgegen, und in zwei Fällen das Schuldenkriterium. In den nächsten Jahren dürfte die Wahrscheinlichkeit, dass ersteres Kriterium verfehlt wird, aber sinken. Die Inflation in den drei aktuellen Referenzländern dürfte sich wieder normalisieren, und mit unvorhergesehenen Preisschüben in den Beitrittsländern ist derzeit nicht zu rechnen. Zudem müssten diese Länder die Mitgliedschaft im sogenannten Wechselkursmechanismus II beantragen. Dies ist formal das fünfte Kriterium: Für zwei Jahre vor dem Beitritt muss ein Kandidat dem Mechanismus angehören und seinen Wechselkurs zum Euro innerhalb bestimmter Bandbreiten halten.

Fazit: Reformen für den Euroraum notwendig

Innerhalb der nächsten Jahre scheint es daher allein aus formalen Gründen unwahrscheinlich, dass ein weiteres Land in den Euro aufgenommen wird. Die Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Berliner Runde der ARD im Anschluss an die Bundestagswahl, dass jedes Land, welches formal die Kriterien erfüllt, aufgenommen wird, dürfte daher für die kommende Legislaturperiode kaum praktische Auswirkungen haben.

Abgesehen davon deutet aber auch von Seiten der Beitrittskandidaten derzeit wenig auf ein solches Bestreben hin. Hierfür müsste der Euroraum wohl weiter an seiner Krisenfestigkeit arbeiten und der eingeschlagene Kurs zu Reformen seiner Institutionen fortgeführt werden, wie es jüngst in einem Aufruf von deutschen und französischen Ökonomen gefordert wurde.

Malte Rieth

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

Themen: Geldpolitik, Europa


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/173289

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