Pressemitteilung vom 19. September 2018
DIW-Studie zeigt: Arbeitszeitpräferenzen hängen vom Beschäftigtenstatus ab, nicht vom Geschlecht – Paare würden Arbeitszeiten gerne symmetrischer verteilen – Restriktionen bei der Verwirklichung der Wünsche sind größer in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, für gering Qualifizierte, ausländische und ostdeutsche Beschäftigte sowie bei unzureichender Kinderbetreuung.
Viele Teilzeitbeschäftigte würden gerne mehr arbeiten, viele Vollzeitbeschäftigte lieber weniger. Paare wünschen zunehmend, ihre Arbeitszeiten gleichmäßiger aufzuteilen. Die tatsächlichen Arbeitszeitmuster sind aber seit 30 Jahren erstaunlich stabil. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Die DIW-ÖkonomInnen haben auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) untersucht, inwieweit Wunsch und Wirklichkeit bei den Arbeitszeiten auseinanderklaffen, aber auch, welche Restriktionen der Verwirklichung von Arbeitszeitwünschen im Wege stehen.
„Die Tatsache, dass die meisten Teilzeitbeschäftigten Frauen sind, verführt zu der Annahme, dass Frauen grundsätzlich gerne mehr arbeiten würden. Offensichtlich ist aber der Beschäftigungsstatus und nicht das Geschlecht ausschlaggebend“, fasst Studienautor Kai-Uwe Müller die Ergebnisse zusammen. Tatsächlich zeigt die Studie, dass sich in vergleichbaren Arbeitssituationen die Wünsche von Männern und Frauen nur geringfügig unterscheiden: Vollzeitbeschäftigte Frauen würden ebenso wie Männer ihre Arbeitszeit lieber reduzieren und Männer in Teilzeitjobs ebenso wie Frauen gerne aufstocken.
© DIW Berlin
Die Umfrage unter Paarhaushalten zeigt auch, dass sich Paare eine gleichmäßigere Aufteilung der Arbeitszeit wünschen. Einseitige Stundenverteilungen werden hingegen kaum gewünscht. Die Präferenz für eine gleichmäßige Verteilung ist in Ostdeutschland nach wie vor deutlich größer als im Westen. Derzeit arbeiten aber noch bundesweit mehr als 50 Prozent der Frauen in Paarhaushalten in Teilzeit.
Laut den SOEP-Daten waren im Jahr 2016 gut zwölf Prozent der Erwerbstätigen unterbeschäftigt und gut die Hälfte überbeschäftigt. Ein entscheidender Faktor ist hierbei vor allem die Bildung: Je höher der Bildungsstand, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, überbeschäftigt zu sein, und umgekehrt. Auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit spielt eine Rolle: Je länger die Erwerbstätigen in einem Betrieb beschäftigt sind, desto stärker steigt der Anteil der Überbeschäftigten (bei Männern von 54 Prozent bei weniger als zwei Jahren Betriebszugehörigkeit auf 65 Prozent bei mehr als 20 Jahren, bei Frauen von 41 auf 64 Prozent).
Die Gründe für Über- oder Unterbeschäftigten sind vielschichtig. Zum einen kann es individuelle Präferenzen geben, zum anderen spielen aber auch exogene Faktoren wie der Arbeitsmarkt in der Region oder die Kinderbetreuungsmöglichkeiten eine Rolle. Die Hürden, um gewünschte Arbeitszeiten zu realisieren, sind allgemein größer bei hoher Arbeitslosigkeit, für gering Qualifizierte, ausländische und ostdeutsche Beschäftigte sowie bei unzureichender Kinderbetreuung. Auch die Berufsgruppe ist entscheidend: So können beispielsweise ManagerInnen schwerer in Teilzeitjobs arbeiten.
Unterschiede gibt es aber auch nach Geschlechtern. „Mit Restriktionen konfrontiert sind die Geschlechter eher dann, wenn die Arbeitszeiten nicht dem traditionellen Rollenmuster entsprechen: Männer haben eher Probleme, geeignete Teilzeit-Jobs zu finden. Für Frauen erschweren diverse Beschränkungen vor allem die Realisierung gewünschter Vollzeitstellen“, berichtet Kai-Uwe Müller.
Die StudienautorInnen haben schließlich auf Basis des Arbeitsangebotsmodells die Wirkungen verschiedener Reformmaßnahmen simuliert. Da ein wesentliches Problem im deutschen Steuer- und Transfersystem in mangelnden Arbeitsanreizen für Zweitverdienende besteht, haben sie die Effekte einer Lohnsubvention untersucht. Diese hängt von der Höhe des Stundenlohns und der Zahl der Kinder im Haushalt ab und ist daran gebunden, dass die aufgenommene Beschäftigung mindestens einen Umfang von 25 Wochenstunden aufweist. Die Simulation zeigt, dass die reinen Anreizeffekte größer sind als die tatsächlich zu erwartenden Beschäftigungsänderungen. „Deutlich effektiver wäre es nach unseren Simulationen, die Restriktionen abzubauen“, sagt Studienautor Müller.
„Eine Arbeitswelt ganz ohne Restriktionen ist nur ein langfristiges Ideal, das neben einer drastisch verbesserten Kinderbetreuung auch Umwälzungen der Arbeitskultur und der Zeitflexibilität in Unternehmen erfordert.“ Kai-Uwe Müller
Denn in einem „Wunsch-Zustand“ ohne jegliche Restriktionen wäre die Beschäftigungsquote von Müttern in Paarhaushalten um zehn Prozentpunkte höher als im Status quo (etwa 75 Prozent). Ihre durchschnittlichen Arbeitsstunden würden um etwa 25 Prozent steigen. Hingegen würden Männer ihre Arbeitsstunden um rund fünf Prozent reduzieren. „Selbstredend ist eine Arbeitswelt ganz ohne Restriktionen nur ein langfristiges Ideal, das neben einer drastisch verbesserten Kinderbetreuung auch Umwälzungen der Arbeitskultur und der Zeitflexibilität in Unternehmen erfordert“, resümieren die AutorInnen. „Aber das Beschäftigungspotential, das auf diese Weise freigesetzt würde, wäre enorm.“