Pressemitteilung vom 19. September 2018
Studie auf Basis von SOEP-Daten untersucht Kita-Nutzungsquoten nach verschiedenen Merkmalen eines Haushalts – unter anderem haben Migrationshintergrund und Erwerbstätigkeit der Eltern einen großen Einfluss – Politik sollte mehr Maßnahmen ergreifen, damit Kinder aus allen Familien vom Kita-Ausbau profitieren
Obwohl das Angebot an Plätzen in Kindertageseinrichtungen (Kitas) für Kinder unter drei Jahren in den vergangenen zehn Jahren massiv ausgebaut wurde und es seit 2013 für jedes Kind ab dem zweiten Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz gibt, hängt der Kita-Besuch nach wie vor stark vom Elternhaus ab. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Demnach spielen der sozioökonomische Hintergrund eines Haushalts – also beispielsweise die Bildung der Mutter, die Erwerbstätigkeit der Eltern und das Armutsrisiko – sowie der Migrationshintergrund der Eltern nach wie vor eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, ob und in welchem Umfang ein Kind in einer Kita betreut wird. „Mit dem Kita-Ausbau und der Ausweitung des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz ab dem zweiten Lebensjahr war teilweise auch die Hoffnung verbunden, dass sich Nutzungsunterschiede nach dem Familienhintergrund reduzieren“, erklärt C. Katharina Spieß, Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW Berlin. „Diese Hoffnung hat sich bisher jedoch nicht erfüllt.“
Vom U3-Ausbau profitieren vor allem sozioökonomisch besser gestellte Haushalte
Für die Studie hat Spieß gemeinsam mit Jonas Jessen, Sophia Schmitz und Sevrin Waights Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zur Kita-Nutzung ausgewertet – erstmals für einen längeren Zeitraum und über 2013 hinaus sowie differenziert nach mehreren Merkmalen eines Haushalts. Dafür definierten die ForscherInnen verschiedene Phasen, die mit Blick auf die Nutzungsquoten besonders relevant sind: Im U3-Bereich, also der Betreuung von Kindern unter drei Jahren, machte sich der Kita-Ausbau vor allem ab den Jahren 2007/2008 bemerkbar (Ausbauphase). Die sogenannte Anspruchsphase begann mit Einführung des Rechtsanspruchs im Jahr 2013.
Die Analysen zeigen, dass insbesondere Kinder unter drei Jahren, deren Eltern beide einen Migrationshintergrund haben, in Kitas stark unterrepräsentiert sind. Zwar stieg der Anteil der Kita-Kinder in dieser Gruppe mit Beginn der Ausbauphase um knapp zehn Prozentpunkte auf 18 Prozent – danach ging es aber kaum weiter aufwärts. Nach Einführung des Rechtsanspruchs war der Anstieg der Nutzungsquote mit vier Prozentpunkten in dieser Gruppe sogar am geringsten. Ähnlich ist das Bild, wenn man die Bildung der Mutter, die Erwerbstätigkeit der Eltern und das Armutsrisiko des Haushalts betrachtet: In allen Fällen haben sich die sozioökonomischen Unterschiede in den Nutzungsquoten insbesondere in der Ausbauphase vergrößert, mit dem Rechtsanspruch haben sie dann nicht abgenommen. Am größten ist die Lücke mit Blick auf die Erwerbstätigkeit: Sind beide Elternteile berufstätig, werden 71 Prozent der Kinder in einer Kita betreut. Sind beide Elternteile oder ein Elternteil nicht berufstätig, liegt der Anteil bei gerade einmal etwas mehr als 20 Prozent. Der Unterschied von fast 50 Prozentpunkten hat sich damit seit 2003/2004 um etwa 30 Prozentpunkte erhöht.
Nutzungsunterschiede bei Ganztagsangeboten im Ü3-Bereich haben sich teilweise umgekehrt
Neben dem U3-Bereich haben die BildungsforscherInnen auch den Ü3-Bereich, also die Betreuung von Kindern ab drei Jahren, unter die Lupe genommen – und zwar speziell den Ausbau des Ganztagsangebots, der sich ab 2011/2012 bemerkbar macht. Auch davon haben ressourcenstärkere Haushalte mehr profitiert als ressourcenschwächere. Teilweise haben sich die Verhältnisse sogar umgekehrt, etwa bei den Nutzungsquoten nach dem Armutsrisiko: Gingen 2003/2004 anteilig noch mehr Kinder ab drei Jahren aus Haushalten auf oder unter der Armutsrisikogrenze ganztags in eine Kita (gut 31 Prozent) als Kinder aus Haushalten über der Armutsrisikogrenze (knapp 23 Prozent), war es 2015/2016 andersherum (gut 41 vs. fast 49 Prozent).
Mehr Informationen und niedrigschwellige Angebote könnten helfen
Die Ergebnisse sind insofern bedenkenswert, als bildungsökonomische Studien zeigen, dass insbesondere Kinder aus sozioökonomisch schlechter gestellten Familien von einem Kita-Besuch besonders profitieren. „Deshalb sollte die Politik verstärkt Maßnahmen ergreifen, damit nicht nur bestimmte, sondern alle Gruppen vom Kita-Ausbau profitieren“, empfiehlt Spieß. „Manchmal scheitert es vermutlich schon daran, dass Familien gar nichts von ihrem Rechtsanspruch wissen. Deshalb sollte es gezielte Informationen über das System der Kindertagesbetreuung und damit verbundene Rechtsansprüche geben, zudem könnten niedrigschwellige frühpädagogische Angebote helfen.“