DIW Wochenbericht 48 / 2018, S. 1031-1037
Pio Baake, Jana Friedrichsen, Helene Naegele
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„Das Problem ist, dass sich immer mehr Kooperativen zertifizieren lassen und es irgendwann so viele Kooperativen im System gibt, dass jede einzelne nur noch einen kleinen Teil ihrer Produktion durch Fairtrade absetzen kann.“ Helene Naegele, Studienautorin
Fairtrade-Siegel sollen die Einkommen und Lebensbedingungen von ProduzentInnen erhöhen und so zu mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel führen. Ökonomische Überlegungen und empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass dieses Ziel bei Kaffee nur eingeschränkt erreicht wird: Das Fairtrade-Siegel führt bestenfalls zu geringen Einkommenserhöhungen für die Kaffeebäuerinnen und -bauern. Auch hinsichtlich der Vorteile durch geringere Einkommensschwankungen, Zahlungen, die an die Umsetzung sozialer Projekte gebunden sind, sowie einem besseren Zugang zu Krediten sind die Ergebnisse gemischt. Für die Röstereien und Einzelhandelsunternehmen ist Fairtrade ein weiteres Mittel zur Marktsegmentierung.
Die Grundidee fairen Handels, wie er von der Fairtrade Labeling Organization International (FLO) umgesetzt wird, ist einfach: Ein garantierter Mindestpreis und eine Sozialprämie, kombiniert mit Sozialstandards und Auflagen für die Abnehmer, erhöhen und stabilisieren das Einkommen der Produzentinnen und Produzenten in Entwicklungs- und Schwellenländern und verbessern so ihre wirtschaftliche und soziale Situation. Ein unabhängiges Unternehmen kontrolliert die Einhaltung der Vorgaben, vergibt entsprechende Zertifikate und sichert so die Glaubwürdigkeit des Fairtrade-Siegels gegenüber den VerbraucherInnen.Für Details zu den Prinzipien und Konditionen des Fairen Handels siehe Kasten sowie http://www.fairtrade.de/index.php/mID/1.1/lan/de. Auch andere Siegel wie Utz Certified und Rainforest Alliance werben mit sozialen Standards (Kasten). Soziale Nachhaltigkeitssiegel gibt es mittlerweile für viele Produkte, dieser Bericht konzentriert sich auf den Kaffeemarkt. Kaffee gehört mit Kakao zu den ersten Gütern, die Fairtrade zertifiziert wurden, und ist heute mit einem Anteil von über 30 Prozent am Gesamtumsatz des Fairen Handels zu Endverbrauchspreisen das umsatzstärkste fair gehandelte Produkt.Dies gilt nicht nur für das Fairtrade-System sondern bezieht sich auf Zahlen des Forums Fairer Handel e.V., das wiederum Angaben anerkannter Fair-Handels-Importorganisationen, der Naturland Zeichen GmbH, der Ecocert IMOswiss AG und TransFair e.V. verwendet, Forum Fairer Handel e.V. (2018): Aktuelle Entwicklungen im Fairen Handel (online verfügbar, abgerufen am 20. November 2018. Dies gilt insofern nicht anders vermerkt auch für alle anderen Onlinequellen in diesem Bericht).
Die wichtigsten Nachhaltigkeitssiegel (auch: „Labels“) im Kaffeemarkt sind Fairtrade, Utz Certified und Rainforest Alliance (RA). Das heutige Fairtrade-Siegel geht zurück auf die im Jahr 1988 gegründete niederländische Organisation Max Havelaar, nach deren Beispiel weitere nationale Fairtrade-Organisationen entstanden, in Deutschland beispielsweise TransFair. Die nationalen Organisationen sind seit 1997 im Dachverband Fairtrade Labeling Organisation International (FLO) zusammen organisiert und nutzen seit 2003 ein gemeinsames Siegel.
Utz und RA haben sich im Januar 2018 zu einer Organisation zusammengeschlossen. Sie setzen Standards für soziale Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit, die von unabhängigen Zertifizierungsunternehmen geprüft werden. LandwirtInnen, die dieses Audit bestehen, können ihren Kaffee unter dem jeweiligen Siegel verkaufen.
Die FLO definiert einen ähnlichen Standardkatalog, fügt dem jedoch als zentrales Argument einen Mindestpreis und eine Sozialprämie hinzu: Liegt der Weltmarktpreis unter dem Mindestpreis, bekommen Fairtrade-zertifizierte LandwirtInnen den Mindestpreis plus die Prämie; liegt der Weltmarktpreis über dem Mindestpreis, bekommen sie den Weltmarktpreis plus die Prämie (Abbildung). Die Prämie soll in soziale Projekte und Entwicklung investiert werden. Utz und RA argumentieren, dass Bäuerinnen und Bauern mit ihrem Siegel auch eine Preisprämie erwirtschaften, jedoch ist dies nicht garantiert.
Die Zertifizierung der bäuerlichen Betriebe wird bei den drei Siegeln von einer anderen Organisation übernommen als die Festlegung der Produktionsstandards: Während die Standards von NGOs festgelegt werden, sind die Zertifizierer typischerweise Unternehmen. Die FLO arbeitet ausschließlich mit der FLOCert GmbH, welche auch Utz und RA Zertifizierung anbietet. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Fairtrade ist, dass die Organisation im Kaffeebereich nur mit demokratisch organisierten Kooperativen von Kleinbäuerinnen und -bauern zusammenarbeitet – Kaffee-Plantagen mit Angestellten sind vom Fairtrade-Siegel ausgeschlossen. Keine der Label-Organisationen kauft selber Kaffee ein oder bietet Abnahmegarantien.
Zurzeit liegt der FLO Mindestpreis für konventionellen gewaschenen Kaffee der Sorte Arabica bei 1,40 US-Dollar pro Pfund, die Prämie bei 0,20 US-Dollar pro Pfund, wovon ein Teil in Maßnahmen investiert werden soll, die Produktivität und Qualität steigern. Die Abbildung zeigt, dass der Fairtrade-Mindestpreis bis zum Jahr 2007 meist über dem Weltmarktpreis lag und zu einer großen Preisdifferenz zwischen konventionellem und Fairtrade-zertifiziertem Kaffee führte. Seit 2007 liegt der Weltmarktpreis nur noch gelegentlich unter dem Fairtrade-Mindestpreis, so dass dieser vor allem als eine Versicherung der Bäuerinnen und Bauern gegen Marktpreisschwankungen verstanden werden kann.
Der Aufstieg des Fairtrade-Siegels ist im Kontext des Endes des Kalten Krieges zu sehen. Mit diesem endete auch das International Coffee Agreement (ICA), das den Kaffeepreis auf hohem Niveau stabilisiert hatte. Ohne das ICA fielen die Preise dramatisch. Nach und nach gelangte die Information über KaffeeproduzentInnen, deren Einkommen häufig unter dem Existenzminimum lag, an die Öffentlichkeit. Außerdem begannen die Fairtrade-Siegel nicht nur mit Weltläden und Reformhäusern sondern auch mit großen Röstereien und Supermärkten zusammenzuarbeiten. Obwohl die Kaffeepreise sich seit 2006/2007 wieder auf ihr ICA-Niveau erholten, verzeichnet der Absatz an Fairtrade-Produkten weiterhin ein jährliches Wachstum im zweistelligen Prozentbereich. In deutschen Supermärkten lag der Marktanteil von Fairtrade-Kaffee im Jahr 2010 bei 1,5 Prozent.Anna Lu (2017): Inference of Consumer Consideration Sets. DIW Berlin Discussion Paper Nr. 1681 (online verfügbar).
Nach einer kurzen Diskussion der Forschungsansätze zur Zahlungsbereitschaft von Verbraucherinnen und Verbrauchern für fair gehandelte Produkte werden im Folgenden theoretische Überlegungen und empirische Evidenz dargelegt, die zeigen, dass das Fairtrade-Siegel nur bedingt die beworbenen Umverteilungs- und Einkommenseffekte zugunsten der bäuerlichen Kaffeeproduzentinnen und -produzenten erreicht.
Im Vergleich zu konventionellen Produkten verbinden Fairtrade-Produkte den Erwerb der eigentlichen Güter mit einer Spende zu Gunsten der Produzenten.Vgl. David Reinstein und Joon Song (2012): Efficient consumer altruism and fair trade products. Journal of Economics & Management Strategy 21(1), 213–241. Wenn VerbraucherInnen eine solche Spende aufgrund von Gerechtigkeitsüberlegungen oder prosozialen Einstellungen positiv bewerten, sind sie auch bereit, höhere Preise als für konventionelle Produkte zu bezahlen.Siehe beispielsweise Patrick De Pelsmacker, Liesbeth Driesen und Glenn Rayp (2005): Do consumers care about ethics? Willingness to pay for fair-trade coffee. Journal of Consumer Affairs 39(2), 363–385; Maria Loureiro und Justus Lotade (2005): Do fair trade and eco-labels in coffee wake up the consumer conscience? Ecological Economics 53(1), 129–138.
Eine weitere Erklärung für den Markterfolg von Fairtrade-Produkten ist, dass sie es den KonsumentInnen ermöglichen, ein positives Signal über ihr Interesse am Wohlergehen der Kaffeebäuerinnen und -bauern und damit ihre prosoziale Einstellung zu senden; eine solche Signalfunktion verleiht dem Produkt einen zusätzlichen symbolischen Wert.Vgl. Jens Beckert (2010): Was unsere Güter wertvoll macht. Handelsblatt, 19. November 2010; Jana Friedrichsen und Dirk Engelmann (2018): Who cares about social image? European Economic Review 110(November 2018), 61–77; siehe auch Jana Friedrichsen (2016): “Shopping for a better world” funktioniert nur bedingt. DIW Wochenbericht Nr. 38, 851–856 (online verfügbar, abgerufen am 15. November 2018).
Auch wenn die VerbraucherInnen durchschnittlich bereit sind, einen höheren Preis für fair gehandelte als für konventionelle Produkte zu zahlen, so variiert die Bereitschaft, den fairen Handel durch höhere Preise zu unterstützen in der Bevölkerung, stark.Dies zeigt eine in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten durchgeführte Feldstudie: Jens Hainmueller, Michael Hiscox und Sandra Sequeira (2015): Consumer Demand for Fair Trade: Evidence from a Multi-Store Field Experiment. Review of Economics and Statistics 97(2), 242–256. Dies kann an Unterschieden in den prosozialen Präferenzen, im Bedürfnis, sich durch eine Kaufentscheidung zu profilieren, oder in den finanziellen Möglichkeiten liegen. Außerdem schätzen KonsumentInnen die Notwendigkeit und Wirksamkeit des Fairtrade-Systems unterschiedlich ein.
Das Fairtrade-Siegel ermöglicht es Unternehmen (im Fall von Kaffee Röstereien und Einzelhandel), Produkte in einer ethischen Dimension zu differenzieren. Produkte, die mit höheren Einkommen von Landwirtinnen und Landwirten in Entwicklungs- und Schwellenländern verbunden sind, werden in der Regel als höherwertig eingestuft. Fairtrade-Kaffee stellt damit ein Premiumprodukt dar, das von den Unternehmen dazu genutzt werden kann, von der höheren Zahlungsbereitschaft prosozial orientierter VerbraucherInnen zu profitieren. Der Preisunterschied zwischen konventionellem und Fairtrade-zertifiziertem Kaffee ist dabei für den Endverbraucher in der Regel weitaus größer als der Einkommensunterschied auf Seiten der Kaffeebäuerinnen und -bauern. Reagieren stark prosozial orientierte KonsumentInnen weniger auf Preiserhöhungen für Fairtrade-Produkte, besteht für die Unternehmen der Anreiz, hohe Preisaufschläge bei diesen Produkten zu verlangen.Hiscox, Hainmueller und Sequeira (2015), a.a.O. Zusätzlich führen Nachhaltigkeitssiegel zu einer Segmentierung des Marktes und zu einer Verringerung der Wettbewerbsintensität, wobei es zu verschiedenen Konstellationen kommen kann.Für eine ausführliche Diskussion dieser Modelle siehe Pio Baake und Helene Naegele (2017): Competition between For-Profit and Industry Labels: The Case of Social Labels in the Coffee Market. DIW Discussion Paper Nr. 1686 (online verfügbar). Ist der Wettbewerb zwischen den Unternehmen sehr intensiv, kann das Fairtrade-Siegel zu einer Aufteilung des Marktes führen, wobei nur eine oder sehr wenige Röstereien Fairtrade-Kaffee anbieten. Bei weniger intensivem Wettbewerb lohnt es sich auch für mehrere Röstereien, Fairtrade-Kaffee anzubieten. Eine solche Konstellation besteht auf dem deutschen Kaffeemarkt: Fast alle großen Röstereien bieten sowohl konventionellen (nicht zertifizierten) als auch Fairtrade-zertifizierten Kaffee an. Selbst in einem solchen oligopolistischen Markt ist der zu erwartende Preisunterschied zwischen konventionellen und fair gehandelten Produkten für die VerbraucherInnen in der Regel größer als die Prämie, die an die LandwirtInnen geht. Dies liegt daran, dass sich der Wettbewerbsdruck zwischen den Produkten durch die ethische Differenzierung verringert und die Gewinnmargen dadurch steigen.
Um die Einkommenseffekte des Fairtrade-Systems auf Seiten der Bäuerinnen und Bauern sowie derer Kooperativen zu verstehen, muss man beachten, dass die Fairtrade-Zertifizierung keine Abnahmegarantie beinhaltet: Die FLOCert vergibt nur Siegel-Lizenzen, tritt aber gegenüber den Kooperativen nicht als Käufer auf. Die Mehreinahmen einer Kooperative durch die Fairtrade-Zertifizierung entstehen aus der Sozialprämie, der Differenz zwischen garantiertem Mindest- und Marktpreis und der Menge, die sie tatsächlich innerhalb des Fairtrade-Systems absetzen kann. Liegt der Marktpreis über dem Mindestpreis, beschränken sich die Mehreinnahmen auf die Sozialprämie. Hinzu kommen die Kosten für die Zertifizierung, die nicht nur einmalig sondern jährlich anfallen und in der Regel unabhängig von der später abgesetzten Menge sind.Die Zertifizierungskosten hängen vor allem davon ab, wie viele Mitglieder die zertifizierte Kooperative hat. Im Jahr 2015 zahlte zum Beispiel eine kleine Kooperative (weniger als 50 Kaffeebäuerinnen und -bauern) dafür initial 1466 Euro und danach jährlich 1199 Euro (FLOCERT (2015): Fee system small producer organization. Version 26, 1. Januar 2015).
Dabei ist die Zahl der teilnehmenden Kooperativen beim Fairtrade-Siegel nicht begrenzt. Die Entscheidung, an dem Fairtrade-Siegel teilzunehmen und sich zertifizieren zu lassen, liegt grundsätzlich bei den einzelnen Kooperativen. Teilnahme und Zertifizierung lohnen sich dabei so lange, wie die erwarteten Zusatzeinnahmen über den Zertifizierungskosten liegen. Je mehr Kooperativen sich jedoch zertifizieren lassen, desto größer wird auch das Angebot an potenziell zertifiziertem Kaffee und desto kleiner die Menge, die jede einzelne Kooperative zu den garantierten Fairtrade-Preisen absetzen kann.Kaffee kann nur dann als Fairtrade an EndverbraucherInnen vermarktet werden, wenn alle Akteure der Handelskette im Fairtrade-System zertifiziert werden. Weltweit wurden 2012 ca. 30 Prozent der Produktion von zertifizierten Kooperativen mit dem Siegel verkauft, der Rest wird als konventioneller Kaffee verkauft. Ein großer Teil des zertifizierten Kaffees wird als konventioneller Kaffee verkauft. Siehe dazu Jason Potts et al. (2014): The state of sustainability initiatives review 2014: Standards and the green economy. Winnipeg, MB: International Institute for Sustainable Development. Mit jeder weiteren zertifizierten Kooperative sinken die zu erwartenden Zusatzeinnahmen aus dem Absatz Fairtrade-zertifizierten Kaffees. Am Ende lohnt es sich für keine bisher nicht zertifizierte Kooperative, das Fairtrade-Siegel anzustreben: Die erwarteten Fairtrade-Einnahmen liegen unter den Fairtrade-Zertifizierungskosten.Vgl. Alain de Janvry, Craig McIntosh und Elisabeth Sadoulet (2015): Fair Trade and Free Entry: Can a Disequilibrium Market Serve as a Development Tool? Review of Economics and Statistics 97 (3), 567–573. Sofern sich die Kooperativen mit Blick auf ihre erwarteten Zusatzeinnahmen ähnlich sind, wird daher keine von ihnen von dem Fairtrade-Siegel und der Zertifizierung profitieren. Zu den Gewinnern der Zertifizierung können nur solche Kooperativen gehören, die einen überdurchschnittlichen Anteil ihrer Produktion unter dem Fairtrade-Siegel verkaufen. Andere Kooperativen werden nach wie vor wenig oder nichts durch die Zertifizierung gewinnen oder sich bei ungünstigen Ernteergebnissen oder aufgrund anderer Schocks sogar schlechter stellen.
Dieses Ergebnis behält auch dann seine Gültigkeit, wenn Vorgaben berücksichtigt werden, mit denen Abnehmer verpflichtet werden, langfristige Beziehungen zu den Kooperativen aufzubauen. Reduzieren langfristige Verträge das Risiko von Einkommensschwankungen, steigt im Gleichgewicht die Zahl der zertifizierten Kooperativen und der Anteil ihrer Produktion, den sie unter dem Siegel absetzen können, sinkt. Im Ergebnis muss wiederum gelten, dass sich keine weitere Kooperative durch die Teilnahme am Fairtrade besser stellen kann. Analoge Überlegungen gelten für die Umsetzung sozialer Projekte. Profitieren Kooperativen von diesen Projekten, können sie als weitere Zusatzeinnahme interpretiert werden.Die Zweckbindung der Sozialprämie kann dabei durchaus effizient sein, da sie zur Überwindung von Koordinations- und Freifahrerproblemen bei der Finanzierung öffentlicher Infrastrukturen, Schulen oder anderer sozialer Projekte beitragen kann. An der Entscheidung zur Zertifizierung ändert sich theoretisch nichts.
Mittlerweile existieren zahlreiche empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen von Fairtrade auf die Lage von Kleinbäuerinnen und -bauern.Umfassende Überblicke finden sich in Carlos Oya et al. (2017): Effects of certification schemes for agricultural production on socio-economic outcomes in low- and middle-income countries: a systematic review. Campbell Systematic Reviews 2017:3; sowie Valerie Nelson und Barry Pound (2009): The Last ten Years: A comprehensive review of the literature on the impact of Fair Trade. Greenwich: Natural Resource Institute (NRI). Neben den Einkommenseffekten werden zusätzliche Aspekte wie Produktivität, Schulbildung oder Kreditzugang untersucht. Tabelle 1 gibt einen Überblick über den Effekt von Fairtrade-Zertifizierung auf die Einkommen von Kaffeebäuerinnen und -bauern. Die Ergebnisse sind gemischt, finden jedoch häufig keinen insgesamt positiven Einkommenseffekt.
AutorInnen | Land, Jahr | Kriterium | Effekt | Anmerkung |
---|---|---|---|---|
Chiputwa et al. (2015)1 | Uganda, 2012 | Einkommen | Signifikant positiv | Höherer Teil der Wertschöpfung bei der Kooperative durch eigene Weiterverarbeitung als Erklärung |
Ruben und Fort (2012)2 | Peru, 2007/2008 | Einkommen | Nicht signifikant | Marktpreis über Mindestpreis, geringe Mengen als Fairtrade verkauft |
Beuchelt und Zeller (2011)3 | Nicaragua, 1997 vs. 2007 | Armutsgrenze | Stärkerer Armutsanstieg bei zertifizierten Bauern | |
Van Rijsbergen et al. (2016)4 | Zentral-Kenia, 2009–2013 | Gesamteinkommen (Kaffee und andere Einkommensquellen) | Signifikant negativ | Geringere Diversifizierung bei zertifizierten Bäuerinnen und Bauern |
Valkila und Nygren (2010)5 | Nicaragua, 2005/2006 | Einkommensvolatilität | Niedriger für Fairtrade-LandwirtInnen |
1 Brian Chiputwa, David Spielman und Matin Qaim (2015): Food Standards, Certification, and Poverty among Coffee Farmers in Uganda. World Development 66, 400–412.
2 Ruerd Ruben und Ricardo Fort (2012): The Impact of Fair Trade Certification for Coffee Farmers in Peru. World Development 40(3), 570–582.
3 Tina Beuchelt und Manfred Zeller (2011): Profits and poverty: Certification‘s troubled link for Nicaragua‘s organic and fairtrade coffee producers. Ecological Economics 70(7), 1316–1324.
4 Bart van Rijsbergen et al. (2016): The Ambivalent Impact of Coffee Certification on Farmers’ Welfare: A Matched Panel Approach for Cooperatives in Central Kenya. World Development 77(C), 277–292.
5 Joni Valkila und Anja Nygren (2010): Impacts of Fair Trade certification on coffee farmers, cooperatives, and laborers in Nicaragua. Agriculture and Human Values 27(3), 321–333.
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Zertifizierungskosten kommen in den meisten Studien kaum vor, wohingegen Alain de Janvry, Craig McIntosh und Elisabeth Sadoulet diesem Aspekt eine zentrale Bedeutung zumessen.Janvry, McIntosh und Sadoulet (2015), a.a.O. Unter anderem testen sie die folgenden Hypothesen: a) der Nutzen, den die Kooperativen aus der Teilnahme an Fairtrade haben, ist in den Perioden negativ, in denen der Weltmarktpreis über dem Fairtrade-Mindestpreis liegt und b) der langfristige Nutzen aus der Teilnahme an Fairtrade ist gleich null, da die Zertifizierungskosten die zusätzlichen Gewinne ausgleichen. Ihre empirische Untersuchung mittelamerikanischer Kaffee-Kooperativen zwischen 1997 und 2009 bestätigt beide Hypothesen. In ihrer Stichprobe setzen zertifizierte Kaffeebauern durchschnittlich 22 Prozent ihrer Produktion mit Fairtrade-Siegel ab und dieser Anteil korreliert positiv mit den Weltmarktpreisen.In den Daten von Valkila et al. (2010) setzen Fairtrade-zertifizierte nicaraguanische Kooperativen 30 bis 60 Prozent ihrer Produktion mit dem Siegel ab; Dragusanu und Nunn (2014) berichten, dass die Anteile bei vier interviewten Kooperativen in Costa Rica zwischen zehn und 80 Prozent liegen. Vgl. Joni Valkila, Pertti Haaparanta und Niina Niemi (2010): Empowering coffee traders? The coffee value chain from Nicaraguan fair trade farmers to Finnish consumers. Journal of Business Ethics 97(2), 257–270; Raluca Dragusanu, Daniele Giovannucci und Nathan Nunn (2014): The Economics of Fair Trade. Journal of Economic Perspectives 28(3), 217–236.
Neben der Einkommenssteigerung ist Preisstabilität ein zentrales Argument für das Fairtrade-System. Da der Preis nicht unter den Fairtrade-Mindestpreis fallen kann, wird die Preisvolatilität automatisch begrenzt. Die Autoren argumentieren jedoch, dass die Schwankungen in der Absatzmenge einen Teil dieser Preisstabilität zunichtemachen: in den Jahren mit niedrigen Weltmarktpreisen ist Fairtrade-Kaffee relativ teuer und die Absatzmengen dafür geringer.
Anders als eine Bio-Zertifizierung beeinflusst die Fairtrade-Zertifizierung die konkreten Produktionsbedingungen kaum. Dies zeigt sich auch darin, dass selbst Mitglieder zertifizierter KooperativenDie Zertifizierung erfolgt auf der Ebene der Kooperative, nicht der individuellen Kaffee-LandwirtInnen. häufig nicht wissen, dass sie Fairtrade-Kaffee verkaufen oder wie das Fairtrade-System funktioniert.Vgl. Silje Johanessen und Harold Wilhite (2010): Who really benefits from Fairtrade? An analysis of value distribution in Fairtrade coffee. Globalizations 7(4), 525–544; Valkila und Nygren (2010), a.a.O.
Die gemischten Ergebnisse zu anderen Aspekten als dem Einkommen sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Unter anderem soll Zertifizierung den Kaffeebäuerinnen und -bauern ermöglichen, einen größeren Teil der Wertschöpfungskette innerhalb der Kooperative zu übernehmen und dadurch mehr Gewinn zu machen. Dieser Effekt wird von mehreren theoretischen Arbeiten zum Thema Fairtrade unterstrichen,Vgl. Claire Chambolle und Sylvaine Poret (2013): When fairtrade contracts for some are profitable for others. European Review of Agricultural Economics 40(5), 835–871; sowie Martin Richardson und Frank Stähler (2014): Fair Trade. Economic Record 291, 447–461. ist empirisch jedoch nicht immer nachweisbar.
Autoren | Land | Kriterium | Effekt | Anmerkung |
---|---|---|---|---|
Dragusanu und Nunn (2018)1 | Costa Rica | Schulbildung | Positiv | Effekt beschränkt sich nicht nur auf die Kinder der zertifizierten Bauern |
Gitter et al. (2012)2 | Mexiko | Schulbildung | Positiv für Mädchen | |
Minten et al. (2018)3 | Äthiopien | Kinderarbeit | Kein Effekt | Ca. 30 Prozent nutzen Kinderarbeit |
Van Rijsbergen et al. (2016) | Kenia | Weiterverarbeitung | Kein Effekt | |
Ruben und Fort (2012) | Peru | Kredit | Besserer Zugang | |
Van Rijsbergen et al. (2016) | Kenia | Kredit | Kein Effekt | |
Valkila und Nygren (2010) | Nicaragua | Kredit | Durchschnittlich schlechterer Zinssatz | Fairtrade-Kooperativen zwischen 18 und 22 Prozent, andere durchschnittlich elf Prozent |
1 Raluca Dragusanu und Nathan Nunn (2018): The Effects of Fairtrade Certification: Evidence from Coffee Producers in Costa Rica. Working Paper No. 2460, National Bureau of Economic Research.
2 Seth Gitter et al. (2012). Fairtrade-organic coffee cooperatives, migration, and secondary schooling in Southern Mexico. Journal of Development Studies 48(3), 445–463.
3 Bart Minten et al. (2018): Tracking the quality premium of certified coffee: evidence from Ethiopia. World Development 101, 119–132.
Quelle: Eigene Zusammenstellung.
Theoretische Überlegungen und empirische Evidenz machen deutlich, dass die einfache Idee, wonach Mindestpreise zu höheren Einkommen für Kaffeebäuerinnen und -bauern führen, nicht ohne Weiteres funktioniert. Ohne Begrenzung des Zutritts zum Fairtrade-System werden mögliche Einkommensgewinne durch ein Überangebot an Fairtrade-zertifizierter Produktion eliminiert. Höheren Einnahmen in Zeiten, in denen der Mindestpreis über dem Marktpreis liegt, stehen Kosten der Zertifizierung und damit verbundene Verluste in Zeiten hoher Marktpreise gegenüber. Positive Wirkungen des Fairtrade-Systems ergeben sich nicht aus dem Mindestpreis sondern aus Regelungen, die zur Umsetzung sozialer Projekte, dem langfristigen Aufbau von Lieferbeziehungen sowie einem besseren Zugang zu Krediten führen, aber auch hier sind die Ergebnisse empirischer Studien nicht durchweg positiv.
Die von einigen vorgeschlagene Befreiung des Fairtrade-zertifizierten Kaffees von der Kaffeesteuer, die in Deutschland immerhin gut zwei Euro pro Kilo ausmacht, würde eventuell die Nachfrage steigern, ohne jedoch die grundsätzlichen Probleme des aktuellen Fairtrade-Systems zu beheben.
Wie wirksamere Alternativen zum Fairtrade-System gestaltet werden sollten, kann hier nicht abschließend beantwortet werden. Zutrittsbeschränkungen, wie sie in Direct Trade-Systemen mit direkten Verhandlungen zwischen LandwirtInnen und Unternehmen bestehen, können die Situation der beteiligten Bäuerinnen und Bauern und Kooperativen zwar verbessern, wirken aber diskriminierend gegenüber denjenigen, die weiterhin auf die konventionelle Vermarktung angewiesen sind. Nachhaltige, strukturelle Veränderungen lassen sich wohl eher durch technische Unterstützung und Veränderungen in der Wertschöpfungskette erreichen. StudienergebnisseBradley Parrish, Valerie Luzadis und William R. Bentley (2005): What Tanzania's coffee farmers can teach the world: a performance-based look at the fair trade–free trade debate. Sustainable Development 13(3), 177–189. zeigen, dass Qualitätssteigerungen, die dank technischer Hilfe erzielt werden, zu höheren Prämien als unter dem Fairtrade-Siegel führen können. In anderen Arbeiten wird die Bedeutung der Wertschöpfungskette deutlich. Mit der eigenen Weiterverarbeitung ihrer Produkte können sich Kooperativen in Entwicklungs- und Schwellenländern auch einen größeren Anteil an der gesamten Wertschöpfung sichern.Chiputwa (2015), a.a.O.
Themen: Wettbewerb und Regulierung, Verbraucher, Märkte
JEL-Classification: F12;F63;L30;O13
Keywords: Coffee, consumers, Fair Trade, livelihood
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-48-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/190774