Direkt zum Inhalt

Besuch einer Privatschule hängt immer stärker von der Bildung der Eltern ab: Interview

DIW Wochenbericht 51/52 / 2018, S. 1112

C. Katharina Spieß, Erich Wittenberg

get_appDownload (PDF  83 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.83 MB)

Frau Spieß, wie viele Privatschülerinnen und Privatschüler gibt es in Deutschland und wie hat sich deren Zahl in den vergangenen Jahren entwickelt? Inzwischen besucht fast jedes zehnte Kind in Deutschland eine Privatschule. Dabei stellen wir leichte Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland fest. Das Interessante aber ist die Entwicklung der vergangenen Jahre. Anfang 1992 zum Beispiel haben in Westdeutschland sechs Prozent der Schülerinnen und Schüler eine Privatschule besucht. In Ostdeutschland hingegen war der Anteil sehr niedrig. Der Osten hat aber über die Jahre hinweg massiv zugelegt und von einem sehr viel niedrigeren Ausgangsniveau den Westen sogar leicht überholt.

Welche Eltern schicken ihre Kinder auf Privatschulen? Insbesondere Kinder aus Akademikerhaushalten gehen auf Privatschulen. Bei den Kindern, deren Eltern beispielsweise eine Ausbildung haben, sind die Unterschiede nicht so groß. Wir sehen darüber hinaus, dass sich der Privatschulbesuch auch nach dem Einkommen des Haushalts, in dem die Kinder leben, unterscheidet.

Wie haben sich diese Unterschiede über die Zeit entwickelt? Tatsächlich sehen wir, dass die Schere sowohl in West- als auch in Ostdeutschland mit Blick auf die elterliche Bildung auseinandergeht. Es sind vermehrt bildungsstärkere Haushalte, die für ihre Kinder Privatschulen in Anspruch nehmen. Die Einkommensunterschiede gewinnen insbesondere in Ostdeutschland an Bedeutung.

Wie sehr unterscheidet sich die Schülerschaft in öffentlichen und privaten Schulen? Die Schülerschaft unterscheidet sich in der Tat signifikant. Wir können sehen, dass die soziale Segregation der Schülerinnen und Schüler über die Zeit zunimmt. Das gilt sowohl für West- als auch für Ostdeutschland.

Heißt das, dass der Bildungsvorsprung wohlhabender und bildungsnaher Familien zunimmt? Wenn wir von Bildungsvorsprung sprechen, dann ist die Frage entscheidend, ob Kinder auf Privatschulen tatsächlich mehr oder besser lernen als Kinder auf öffentlichen Schulen. Wir wissen aus anderen Untersuchungen, dass sich die Leistungen von Privatschülerinnen und -schülern und von Schülerinnen und Schülern auf öffentlichen Schulen nicht signifikant unterscheiden. Deshalb geht es nicht darum, dass die einen besser und die anderen schlechter lernen, sondern darum, ob wir Kinder gemeinsam lernen lassen wollen.

Betrifft diese soziale Segregation alle Schulformen? Wir stellen in den verschiedenen Schulformen unterschiedliche Arten der Segregation fest. Die von uns im Hinblick auf Bildung und Einkommen der Eltern beschriebene Segregation findet sich besonders im Sekundarschulbereich. Wenn wir uns den Sekundarschulbereich noch einmal genauer anschauen, sehen wir, dass insbesondere die Gymnasien unter Privatschulen sehr stark vertreten sind. Wenn wir allerdings betrachten, ob ein Teil der zunehmenden Segregation vielleicht nur deshalb zustande kommt, weil vergleichsweise viele Gymnasiastinnen und Gymnasiasten auf Privatschulen gehen, finden wir dafür keine Belege.

Wie könnte man der von Ihnen geschilderten Entwicklung entgegensteuern? Das sogenannte Sonderungsverbot im Grundgesetz verbietet es Privatschulen, Schülerinnen und Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern zu unterscheiden. Vielleicht sollten Maßnahmen ergriffen werden, die das Sonderungsverbot flankieren, zum Beispiel eine soziale Staffelung oder eine Höchstgrenze für die Schulgelder. Es geht aber auch darum, dass öffentliche Schulen für alle Gruppen, auch für bildungs- und einkommensstarke Haushalte, wieder attraktiv werden, damit wir nicht zunehmend getrennte Lernumwelten haben.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

keyboard_arrow_up