DIW Wochenbericht 11 / 2019, S. 192
Karl Brenke
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Jüngst sickerten an die Presse Planungen der SPD für eine Gesetzesinitiative durch, mit der abhängig Beschäftige ein Recht auf Home-Office verschafft werden soll. Eigentlich sollte die Gesetzesinitiative unnötig sein, denn Home-Office bietet allseits nur Vorteile. Die abhängig Beschäftigten erhalten mehr Zeitautonomie und ersparen sich das oft zeitaufwendige und stressige Pendeln zum betrieblichen Arbeitsplatz. Das entlastet den Verkehr. Der Arbeitgeberseite eröffnen sich günstige Möglichkeiten, Produktivitätspotentiale zu erschließen.
Natürlich kann nicht jede Tätigkeit von zu Hause ausgeübt werden. Aber bei immerhin etwa 40 Prozent der Jobs wäre eine Tätigkeit von zu Hause aus möglich – zumindest gelegentlich. Tatsächlich arbeiten aber in Deutschland nur zwölf Prozent der Beschäftigten auch von zu Hause aus. Warum hat trotz der Vorteile nicht längst der Markt für eine stärkere Verbreitung gesorgt? Liegt hier „Marktversagen“ vor? Aber was ist der Markt? Er ist keine Zauberkraft, der die Menschen lenkt. Der Markt sind vielmehr die Menschen selbst und ihr Handeln. Es sind folglich immer bestimmte Interessen, Ziele und Rationalitäten im Spiel, die in der Summe keineswegs stets das bestmögliche Ergebnis für alle hervorbringen müssen.
Von denjenigen Beschäftigten, bei denen Home-Office möglich wäre, aber bisher nicht praktiziert wird, weiß man, dass ein Drittel gar keine Berufstätigkeit von zu Hause aus will. Über deren Motive kann nur spekuliert werden. Vielleicht wollen sie Berufsarbeit und Freizeit strikt trennen. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass man den täglichen Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen braucht; der Betrieb wird als ein kommunikativer Ort angesehen.
Wie dem auch sei: Es liegt hauptsächlich an der Arbeitgeberseite, dass Berufstätigkeit noch wenig zu Hause ausgeübt wird. Über die Motive der Arbeitgeber hat der Bitkom, der Unternehmerverband der Digitalwirtschaft, versucht, Klarheit zu gewinnen. Zwar wird einer jüngst veröffentlichten Umfrage zufolge unter den Mitgliedsfirmen relativ häufig und in zunehmenden Maße Heimarbeit zugelassen. Gleichwohl: Etwa 60 Prozent der Unternehmen sträuben sich dagegen. Von diesen gaben zwei Drittel an, dass Home-Office nicht für alle Beschäftigten in Frage käme und im Sinne einer Gleichbehandlung deshalb niemand zu Hause arbeiten darf. Auf den ersten Blick scheint in diesen Unternehmen der Kommunismus eingezogen zu sein. Das wird aber gewiss nicht so sein, denn beim Einkommen dürfte es mit der Gleichbehandlung vorbei sein, denn der Chef verdient bestimmt mehr als die Sekretärin. Offenkundig wurde also nur ein Argument vorgeschoben.
Ein weiterer, von 55 Prozent der entsprechenden Unternehmen genannter Grund ist, dass Home-Office „nicht vorgesehen“ sei. Das erinnert an den Beamtendreisatz der k. u. k. Monarchie: Erstens war es schon immer so, zweitens könnt‘ ja jeder kommen und drittens kann man da nichts machen. Ein weiteres vorgeschobenes Argument – aber interessant, wie manche Verantwortlichen in der deutschen Digitalwirtschaft denken. Häufig genannt wurde auch noch, dass ohne direkten Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen die Produktivität sinken würden und dass die Beschäftigten nicht jederzeit ansprechbar seien. Auch das muss Staunen auslösen, denn warum sollten gerade in dieser Branche moderne Kommunikationstechniken nicht bekannt sein.
Von einem Drittel der skeptischen Unternehmen wurde noch angeführt, dass die Arbeitszeit bei Heimarbeit schwer zu kontrollieren sei. Dieses Argument hat tatsächlich Gewicht. Denn natürlich kann die Leistung nicht mehr daran gemessen werden, wie lange die Beschäftigten im Büro sind. Stattdessen müssen für die Heimarbeit konkrete Aufgaben definiert werden. Das verlangt von den Vorgesetzten mehr Anstrengung – und wird manche von ihnen aus dem gewohnten Trott bringen. Wahrscheinlich wird eine Umorientierung bei der Leistungsbemessung auch unnütze Tätigkeiten oder betrieblichen Leerlauf aufdecken. Home-Office kann Bewegung in die Betriebe bringen, und das wird offenbar gescheut. Solche Bequemlichkeit ist auch eine Art von Rationalität – aber eine, die der modernen Arbeitswelt immer weniger gerecht wird.
Dieser Beitrag ist am 5. März 2019 auf tagesspiegel.de erschienen.
Themen: Unternehmen, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-11-5
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/195135