Pressemitteilung vom 14. März 2019
Bruttoinlandsprodukt steigt dieses Jahr um voraussichtlich 1,0 Prozent und 2020 um 1,8 Prozent – Abschwächung der Weltwirtschaft belastet deutsche Exportindustrie in besonderem Maße – Beschäftigungsaufbau geht weiter, privater Konsum bleibt stark, Bauwirtschaft brummt – Überschüsse in öffentlichen Haushalten und niedriges Zinsniveau sollten für Zukunftsinvestitionen genutzt werden
Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in diesem und im kommenden Jahr mit soliden Wachstumsraten aufwarten. Zwar korrigieren die Berliner KonjunkturforscherInnen ihre Prognose für dieses Jahr im Vergleich zum Winter um 0,6 Prozentpunkte auf 1,0 Prozent nach unten – im Vergleich zu den meisten anderen Prognosen ist der Ausblick aber optimistisch. Die Prognose für das kommende Jahr bleibt unverändert bei einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 1,8 Prozent.
Marcel Fratzscher (Präsident des DIW Berlin): „Die Konjunktur in Deutschland kühlt sich ab, aber das ist kein Weltuntergang. Wir sollten nicht zu schwarz malen, denn vor allem auf dem Arbeitsmarkt sieht es nach wie vor hervorragend aus und auch der private Konsum ist stark. Meine Sorge ist, dass die deutsche Wirtschaft nicht zukunftsfest ist. Wir müssen endlich mehr in Infrastruktur, Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung investieren, um das Wachstumspotential langfristig zu erhöhen. Das ist eine Frage der Prioritäten, und die sollten mehr auf Investitionen als auf staatlichem Konsum oder Steuersenkungen liegen. Die Haushaltsspielräume jedenfalls wären da.“
Claus Michelsen (DIW-Konjunkturchef): „In China und in Teilen des Euroraums ist die Nachfrage, gerade nach Investitionsgütern aus Deutschland, deutlich zurückgegangen. Das schlägt sich natürlich auch in einer schwächeren Entwicklung der deutschen Exportindustrie nieder, die auf eben diese Investitionsgüter spezialisiert ist. Hinzu kommt, dass die Wachstumsdynamik vielerorts zunehmend vom Konsum statt von Investitionen getragen wird. Allerdings sind einige Gründe für die Exportschwäche vorübergehender Natur und China hat umfangreiche konjunkturstützende Maßnahmen angekündigt. Das Auslandsgeschäft wird sich daher wieder beleben.“
Simon Junker (Experte für die deutsche Wirtschaft): „Die deutsche Wirtschaft ist derzeit besser als ihr Ruf. Zwar treffen beispielsweise die Handelskonflikte und der ungewisse Ablauf des Brexit die deutsche Exportwirtschaft in besonderem Maße. Dafür läuft es mit der Binnenwirtschaft umso besser: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben mehr Geld im Portemonnaie, der Beschäftigungsaufbau geht nahezu ungebremst weiter, die Bauwirtschaft brummt und die Unternehmen investieren weiter moderat.“
Malte Rieth (Experte für die Weltwirtschaft und den Euroraum): „Zum Jahreswechsel hat das globale Wirtschaftswachstum weiter nachgelassen und auch in diesem Jahr dürfte die Weltwirtschaft weniger stark wachsen als in den vergangenen Jahren. Zwar entwickelt sich die Lage auf den Arbeitsmärkten weiterhin positiv, das internationale Umfeld bleibt jedoch rau. Handelskonflikte, politische Unsicherheiten und die nachlassende Konjunktur in China dämpfen die Investitionstätigkeit der Unternehmen.“
In erster Linie ist die Weltwirtschaft dafür verantwortlich, dass die Konjunktur hierzulande in diesem Jahr deutlich abkühlt. Die Weltwirtschaft wird unter anderem durch die konjunkturelle Schwäche Chinas belastet, aber auch durch die Handelskonflikte zwischen den USA, China und der Europäischen Union sowie durch die Unsicherheit um den Fortgang des Brexit. All das trifft in besonderem Maße die auf den Investitionsgüterexport spezialisierte deutsche Wirtschaft. Hinzu kommt, dass die Wachstumsdynamik vielerorts zunehmend vom Konsum statt von Investitionen getragen wird. Deswegen fällt die deutsche Exportdynamik sogar noch hinter das Tempo der schwächelnden Weltwirtschaft zurück.
Binnenwirtschaft stützt die deutsche Wirtschaft
Kurzfristig wird die deutsche Wirtschaft noch durch Sondereffekte geprägt: Die hiesigen Autobauer hatten bis zuletzt mit den Folgen der schleppenden Zertifizierung ihrer Fahrzeugflotte nach dem neuen EU-Abgas- und Verbrauchsstandard WLTP zu kämpfen – zeitweise musste die Produktion erheblich gedrosselt werden. Zudem haben die niedrigen Pegelstände des Rheins im vergangenen Herbst die Wertschöpfungsketten zeitweilig unterbrochen – in der Folge blieben viele Produktionsstätten unterausgelastet. Mittlerweile gibt es Anzeichen, dass allmählich wieder eine weitgehend störungsfreie Produktion aufgenommen wird.
Davon unbeeindruckt stützt die Binnenwirtschaft das Wachstum auch in diesem Jahr. Nicht zuletzt die Beschlüsse der Großen Koalition kurbeln den privaten Konsum an, denn durch die wieder hergestellte paritätische Finanzierung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seit Anfang des Jahres spürbar mehr Geld im Portemonnaie. Der Arbeitsmarkt entwickelt sich ohnehin schon prächtig: Der Beschäftigungsaufbau geht nahezu ungebremst weiter, die Arbeitslosenquote dürfte dieses Jahr erstmals seit der Wiedervereinigung unter die Fünf-Prozent-Marke fallen und die Reallöhne steigen auch dank einer wieder geringeren Inflation – in diesem Jahr wird sie voraussichtlich 1,5 Prozent betragen – recht kräftig.
Auch die Bauwirtschaft steht nach wie vor glänzend da, die Nachfrage nach neu gebautem Wohnraum ist ungebrochen. Und selbst die Unternehmen in Deutschland haben trotz aller Unwägbarkeiten bis zuletzt weiter moderat in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten investiert.
Investitionen in Zukunftsbereiche würden kurz- und langfristig helfen
Bei alldem darf aber nicht übersehen werden, dass die Lage vergleichsweise fragil ist und der Wind schnell drehen kann. In Europa bereitet vor allem die italienische Wirtschaft Sorgen. Auch China zeigte sich zuletzt eher schwach und es ist unklar, wie schnell die umfangreichen Konjunkturpakete der chinesischen Regierung wirken werden. Ungemach zeichnet sich in Form eines neuerlichen Aufflammens des Konflikts zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten um Automobilexporte in die USA ab. Auch die Turbulenzen rund um den Brexit helfen der deutschen Wirtschaft nicht. Sollte global die Schwäche der Industrie auch auf die Dienstleistungssektoren überspringen, könnte die weltweite Nachfrage weiter an Schwung verlieren. Zudem steht die Automobilindustrie vor strukturellen Veränderungen: Viele umsatzstarke Modelle werden überwiegend nicht in Deutschland gebaut. Und angesichts der anhaltenden Diskussion um Dieselfahrzeuge gerät deren Produktion zunehmend ins Stocken.
Umso wichtiger wäre es nach Ansicht der KonjunkturforscherInnen des DIW Berlin, jetzt endlich verstärkt in die Zukunft zu investieren, in Infrastruktur und vor allem in die Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung, um das künftige Wachstumspotential und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu fördern. Die Überschüsse in den öffentlichen Haushalten, die zwar von 58 Milliarden Euro im vergangenen Jahr auf gut 37 Milliarden Euro im kommenden Jahr zurückgehen, aber hoch bleiben werden, würden dies ermöglichen.
Themen: Konjunktur