DIW Wochenbericht 24 / 2019, S. 407-409
Claus Michelsen, Guido Baldi, Martin Bruns, Marius Clemens, Geraldine Dany-Knedlik, Hella Engerer, Marcel Fratzscher, Stefan Gebauer, Max Hanisch, Simon Junker, Konstantin A. Kholodilin, Malte Rieth, Thore Schlaak
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„Die deutsche Wirtschaft steht nicht schlecht da. Aber vor allem exportierende Industrieunternehmen bekommen die weltweite Unsicherheit zu spüren. In diesen Zeiten ist es wichtig, wirtschafts- und finanzpolitisch eine klare Linie zu fahren. In Deutschland sollten die Kommunen, die für viele wichtige Investitionen zuständig sind, finanziell gestärkt werden.“ Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef
Allen Unkenrufen zum Trotz: Um die deutsche Wirtschaft steht es im Frühsommer des Jahres 2019, dem privaten Konsum und einem starken Arbeitsmarkt sei Dank, gar nicht so schlecht. Auch nicht um die Staatskassen, die gut gefüllt sind und dies erstmal auch bleiben werden. Alles gut also? Nicht ganz. Das konjunkturelle Bild wird sich in den kommenden Monaten eintrüben, vor dem Hintergrund schwelender Handelskonflikte und einer fragilen konjunkturellen Lage weltweit. Und finanzpolitisch muss gehandelt werden. Es ist längst an der Zeit, die kommunalen Finanzen und Aufgaben in Deutschland neu zu ordnen, damit die Kommunen ihrer Aufgabe der Daseinsvorsorge wieder nachkommen können. Auch wenn das heißt, die Schuldenrestriktionen zu lockern und, ja, das Dogma der Schuldenbremse in Frage zu stellen.
Das DIW Berlin hält an seiner Einschätzung aus dem Frühjahr fest: Die Konjunktur wird sich weiterhin recht ordentlich entwickeln. Für das laufende Jahr ist hierzulande mit einem Wachstum von 0,9 Prozent zu rechnen, für das Jahr 2020 mit einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung von 1,7 Prozent. Getragen wird das Wachstum vor allem durch die Binnenwirtschaft – das Auslandsgeschäft bleibt vergleichsweise verhalten. Weiterhin lasten die Unsicherheit über Handelskonflikte und die Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union auf der Investitionsbereitschaft – die auf den Export von Investitionsgütern spezialisierte deutsche Wirtschaft trifft dies in besonderem Maße.
Nach der Flaute in der zweiten Jahreshälfte 2018 hat die deutsche Wirtschaft wieder Tritt gefasst. Dafür gesorgt haben die florierende Bauwirtschaft, vor allem aber erhebliche finanzpolitische Impulse wie die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dies hat Konsumentinnen und Konsumenten zusätzliche Kaufkraft beschert. Auch die Unternehmen investierten zu Jahresbeginn äußerst rege in zusätzliche Maschinen und Anlagen. Der finanzpolitische Schub zieht sich durch das gesamte Jahr. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt sorgen weiterhin für Einkommenszuwächse: Die Beschäftigung wird weiter aufgebaut, die Arbeitslosigkeit sinkt voraussichtlich auf durchschnittlich 4,6 Prozent im Jahr 2020, den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Dies wirkt sich in spürbaren Lohnsteigerungen aus: Real können sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Jahr über ein Plus von rund 1,3 Prozent freuen. Weil die Nachfrage aus dem Inland weiterhin robust bleibt, dürften die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Land allmählich wieder Tritt fassen und die mittlerweile vielfach leeren Lager wieder aufgefüllt werden.
Weiterhin Sorge bereitet das außenwirtschaftliche Umfeld – Stichwort Handelskrieg. Der zunehmende Protektionismus dürfte auf dem Wirtschaftsgeschehen lasten, da einerseits die Preise für Konsumentinnen und Konsumenten steigen, andererseits verunsichern die Konflikte die Unternehmen, was deren Investitionsneigung bremst.
Nach wie vor ist die globale konjunkturelle Lage fragil. Die deutschen Unternehmen verfügen zwar über ein beträchtliches Auftragspolster, das die derzeitige Schwäche bei den Neubestellungen weniger dramatisch erscheinen lässt. Sollten allerdings die globalen Handelskonflikte eskalieren und die Probleme innerhalb der Europäischen Union ungelöst bleiben, dann droht ein stärkerer konjunktureller Einbruch.
Unbeeindruckt von den beschriebenen Entwicklungen zeigen sich die Staatsfinanzen. Bereits im ersten Quartal wurden staatliche Einnahmeüberschüsse von rund 19 Milliarden Euro erzielt. Dies liegt vor allem an der sprudelnden Lohnsteuer. Für das Gesamtjahr rechnet das DIW Berlin mit Überschüssen in der Größenordnung von 40 Milliarden Euro im laufenden Jahr und rund 32 Milliarden Euro im Jahr 2020. Allein im Bundeshaushalt beträgt der Überschuss in diesem Jahr etwa 18 Milliarden Euro. Allerdings kommt bei den Kommunen von diesen Überschüssen nur ein kleiner Teil an. Sie sind aber die wichtigsten öffentlichen Investoren und verantwortlich für die Bereitstellung und den Erhalt eines Großteils der Infrastruktur, die über Jahre vernachlässigt wurde. Hier ist ein Umdenken notwendig. Der Finanzierungsbedarf der Kommunen summiert sich laut KfW aktuell auf über 150 Milliarden Euro.
Damit die Kommunen ihren Aufgaben der Daseinsvorsorge wieder nachkommen können, ist eine Neustrukturierung der kommunalen Finanzen und Aufgaben wichtig. Hierfür könnte der Bund seine eingesparten Mittel peu à peu für eine Entschuldung der Kommunen einsetzen. Zudem ist denkbar, dass der Bund vor allem konjunkturabhängige Aufgaben und Ausgaben von ihnen übernimmt und das Budget der Städte und Gemeinden somit deutlich weniger schwankungsanfällig werden lässt. Der aktuelle institutionelle Rahmen bietet aber für eine derartige Umgestaltung kaum Raum. Zusätzliche öffentliche Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur sind angesichts der niedrigen Zinsen aber hoch rentabel. Daher wäre es durchaus sinnvoll und erstrebenswert, die Schuldenrestriktionen zu lockern und, zumindest bei durch den Bund finanzierten Projekten, zusätzliche Spielräume zur Nettokreditaufnahme zu eröffnen.
Themen: Konjunktur
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-24-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/200232