DIW Wochenbericht 31 / 2019, S. 537-543
Marius Clemens, Marius Goerge, Claus Michelsen
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„Im Euroraum-Durchschnitt zeigt sich, dass staatliche Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Umweltschutz mittelfristig einen besonders hohen Effekt auf die privatwirtschaftliche Investitionstätigkeit haben. In Deutschland sind staatliche Investitionen in Bau und Infrastruktur sehr effektiv.“ Marius Clemens
Die Investitionen im Euroraum sind auch zehn Jahre nach der Finanzkrise noch immer nicht auf dem Vorkrisenniveau. Öffentliche und private Investitionen entwickeln sich so schwach, dass der Kapitaleinsatz pro Erwerbstätigem nahezu konstant bleibt. Ein Anstieg der öffentlichen Investitionstätigkeit könnte auch die private anregen. Schätzergebnisse für den Euroraum zeigen, dass ein Anstieg öffentlicher Investitionen um eine Milliarde Euro mit einem mittelfristigen Anstieg der privaten Investitionen von etwa 1,1 Milliarden Euro einhergeht. In Deutschland ist der Effekt sogar etwas größer: Eine investierte öffentliche Milliarde Euro erhöht die privaten Investitionen im Zeitraum von fünf Jahren um knapp zwei Milliarden Euro. Der Effekt wird insbesondere durch Bau- und Infrastrukturinvestitionen getrieben. Die weitreichende Investitionszurückhaltung der öffentlichen Hand könnte somit auch einen Teil der Schwäche der privaten Investitionstätigkeit erklären. Öffentliche Investitionen müssen jetzt verstärkt getätigt werden. Dazu sollte die starre Schuldenbremse von flexibleren Ausgabenregeln abgelöst werden.
Auch zehn Jahre nach der Finanz- und Wirtschaftskrise liegen die öffentlichen und privaten Investitionen im Euroraum noch unter dem Niveau von vor der Finanzkrise.Ferdinand Fichtner, Marcel Fratzscher und Martin Gornig (2014): Eine Investitionsagenda für Europa. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar, abgerufen am 24.07.2019. Dies gilt für alle Online-Quellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben); Marcel Fratzscher, Martin Gornig und Alexander Schiersch (2016): Investitionsschwäche der Unternehmen schafft Handlungsbedarf. DIW Wochenbericht Nr. 15, 276–280 (online verfügbar). Investitionen fehlen sowohl für die Erweiterung und Modernisierung des Kapitalstocks, als auch als Treiber der Konjunktur. Somit besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft im Euroraum und auch in Deutschland mittelfristig auf einem niedrigen Wachstumspfad bleibt.Siehe hierzu auch Stefan Bach et al. (2013): Investitionen für mehr Wachstum – Eine Zukunftsagenda für Deutschland. DIW Wochenbericht Nr. 26 (online verfügbar).
Für die Investitionszurückhaltung gibt es unterschiedliche Erklärungen: Direkt nach der Finanzkrise war es der fehlende Kreditzugang vieler Unternehmen. Mit dem Einsetzen der folgenden Eurokrise wurde das Vertrauen in die Gemeinschaftswährung und die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Wirtschaftsraums tief erschüttert. Es folgten geopolitische Krisen, zum Beispiel in der Ukraine und in Syrien, und zuletzt erhebliche handelspolitische Unsicherheiten, die vom ungeklärten Brexit bis hin zu den erratischen Entscheidungen der US-Regierung reichen. Diese Einflüsse erklären wahrscheinlich einen großen Teil der Investitionszurückhaltung der privaten Unternehmen in den vergangenen Jahren.
Zu Lasten der öffentlichen Investitionstätigkeit ging vor allem, dass viele Staaten nach der Krise große Anstrengungen unternommen haben, die Verschuldung der öffentlichen Hand zu reduzieren. Dabei wäre die Finanzierung zusätzlicher Ausgaben angesichts der Nullzinspolitik historisch günstig gewesen.
Der vorliegende Bericht geht der Frage nach, ob und inwieweit die öffentlichen Investitionen im Euroraum und insbesondere in Deutschland die private Investitionstätigkeit beeinflusst haben. Dabei wird für den EuroraumIn der gesamten Untersuchung werden nur diejenigen Euroraum-Länder berücksichtigt, die den Euro bis zum Jahr 2004 eingeführt haben: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. untersucht, wie sich öffentliche und private Investitionen gegenseitig bedingen. Für Deutschland werden zusätzlich die unterschiedlichen Investitionsarten differenzierter betrachtet: Haben beispielsweise öffentliche Bauinvestitionen die gewerbliche Bautätigkeit angeregt?
Ob öffentliche Investitionen private anregen (Crowding-in) oder verdrängen (Crowding-out), wird seit geraumer Zeit intensiv diskutiert.Marianne Baxter und Robert G. King (1993): Fiscal policy in general equilibrium. The American Economic Review, 315–334. Unklar ist, welcher dieser beiden Effekte überwiegt. Für einen Crowding-in-Effekt wird argumentiert, dass öffentliche Investitionen die Investitionsbedingungen für die Privatwirtschaft verbessern und deren Investitionstätigkeit stimulieren können. Eine staatlich finanzierte Ausweitung des Straßenverkehrsnetzes beispielsweise kann den Transport und Handel von Gütern vereinfachen und beschleunigen, was zu Effizienzgewinnen in den Produktionsprozessen und somit zu steigenden Gewinnerwartungen privater Firmen führen kann. Diese sind bereit, mehr zu investieren, wenn das Grenzprodukt beziehungsweise die marginale Produktivität des privaten Kapitals steigen.
Beim Crowding-Out-Effekt führt hingegen der Anstieg der öffentlichen Investitionen kurzfristig zu höheren Kapitalnutzungskosten, weil der Staat größere Mengen finanzieller Mittel nachfragt. Die steigenden Zinsen verteuern aber auch die Kreditaufnahme für Unternehmen, wodurch Investitionen unrentabler und somit vorerst aufgeschoben werden. Gerade in Zeiten des Abschwungs oder der Rezession kann sich der Verdrängungseffekt verstärken, wenn ein Anstieg der Staatsschuld die länderspezifischen Risikoaufschläge erhöht.
Neben der Finanzierung öffentlicher Investitionen über den Schuldenweg kann auch eine Finanzierung über Steuereinnahmen privatwirtschaftlich schädlich sein. Zusätzliche staatliche Investitionen lassen eine höhere Steuerlast für die Unternehmen in der Zukunft erwarten, was ebenfalls private Investitionen blockieren kann. Allerdings wird dieser Kanal in Zeiten der Niedrigzinsen abgeschwächt, denn die Finanzierungskosten bleiben sowohl für die öffentliche Hand als auch für Firmen auf einem sehr niedrigen Niveau.
Aber nicht nur die Wirkung staatlicher Investitionen auf die private Investitionsnachfrage ist unklar – auch die Richtung der Kausalität ist nicht eindeutig: Ausbleibende private Investitionen können nicht nur Folge, sondern auch Ursache für öffentliche Investitionen sein. Umgekehrt führen private Investitionen zu einer Stimulierung des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts, was ein größeres Steueraufkommen und damit eine größere Verfügbarkeit von Ressourcen für staatliche Aktivitäten zu Folge hat.
Die empirische Literatur ist nicht eindeutig, ob der Crowding-in- oder der Crowding-out-Effekt überwiegt. Viele Studien sehen für verschiedene Länder einen positiven Effekt der öffentlichen Investitionstätigkeit auf die privaten Aktivitäten.Vgl. David A. Aschauer (1989): Is public expenditure productive? Journal of Monetary Economics, 23(2), 177–200; Isabel Argimon, José M. Gonzalez-Paramo und José M. Roldan (1997): Evidence of public spending crowding-out from a panel of OECD countries. Applied Economics, 29(8), 1001–1010; Abdul Abiad, Davide Furceri und Petia Topalova (2016): The macroeconomic effects of public investment: Evidence from advanced economies. Journal of Macroeconomics, 50, 224–240; António Afonso und Miguel St. Aubyn (2019): Economic growth, public, and private investment returns in 17 OECD economies. Portuguese Economic Journal, 18(1), 47–65; Colin Hunt (2012): The interaction of public and private capital: a study of 20 OECD members. Applied Economics, 44, 739–764; Stefan Mittnik und Thorsten Neumann (2001):Dynamic effects of public investment: Vector autoregressive evidence from six industrialized countries.Empirical Economics, 26(2), 429–446. Einige Studien sprechen auch für einen Crowding-out,Graham M. Voss (2002): Public and private investment in the United States and Canada. Economic Modelling, 19(4), 641–664; Jérome Creel, Paul Hubert und Francesco Saraceno (2015): Une analyse empirique du lien entre investissement public et privé. Revue de l'OFCE, (8), 331–356 António Afonso und Miguel St. Aubyn (2019), a.a.O. für Deutschland wurden jedoch keine statistisch signifikanten Zusammenhänge gefunden.Tobias Kitlinski (2015): The robustness of the effects of public investment in infrastructure on private output: Evidence for Germany. Ruhr Economic Paper, 560. Dabei unterscheiden sich die vorliegenden Arbeiten hinsichtlich ihrer verwendeten Methoden (SVAR-, Panel-SVAR- oder SVECM-Modelle) und der zugrundeliegenden Daten.
Die privaten und öffentlichen realen Nettoinvestitionen im Euroraum haben immer noch nicht wieder ihr Vorkrisenniveau erreicht (Abbildung 1).Nettoinvestitionen werden gemäß AMECO-Datenbank als Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen definiert. Dementsprechend enthält der Kapitalstock in Bruttoabgrenzung auch die Abschreibungen. Eine wesentliche Ursache hierfür dürften auch die meist hohe Staatsverschuldung und die damit einhergehenden Kreditrestriktionen sein. Deutschland bildet eine Ausnahme, hier liegen öffentliche und private Nettoinvestitionen wieder leicht oberhalb ihres Vorkrisenwertes. In Deutschland geht die vergleichsweise hohe öffentliche Investitionstätigkeit auf verstärkte Investitionen derjenigen Kommunen zurück, die im Zuge der allgemeinen wirtschaftlichen Erholung von steigenden Steuereinnahmen profitierten. Allerdings gilt dies nur für einen Teil der Städte und Gemeinden, denn in vielen Regionen beschränken die Schuldenlast und die hohen Sozialausgaben die Investitionsspielräume.Vgl. Marcel Fratzscher, Alexander Kriwoluzky und Claus Michelsen (2019): Gut investierte Schulden sind eine Entlastung in der Zukunft. Wirtschaftsdienst Nr. 05, 313–317 (online verfügbar); Martin Gornig und Claus Michelsen (2017): Kommunale Investitionsschwäche: Engpässe bei Planungs- und Baukapazitäten bremsen Städte und Gemeinden aus. DIW Wochenbericht Nr. 11, 211–219 (online verfügbar); Expertenkommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie (2015): Stärkung von Investitionen in Deutschland. Abschlussbericht (online verfügbar).
Die Entwicklung der Kapitalintensität im gesamten Euroraum, gemessen am Kapitalstock pro Erwerbstätigem, zeigt, dass seit dem Jahr 2013 weniger Kapital eingesetzt wird (Abbildung 2). Dies lässt sich in erster Linie auf eine schwächere Dynamik der privatwirtschaftlichen Kapitalintensität zurückführen. Die staatliche Kapitalintensität geht schon seit längerem zurück, wenn auch seit 2013 nochmals verstärkt. Angesichts zukünftiger Herausforderungen des demografischen Wandels und der Digitalisierung wäre eigentlich zu erwarten, dass die Kapitalintensität stärker steigt. Denn künftige strukturell bedingte Arbeitsmarktengpässe würden durch einen intensiveren Einsatz von Kapital, beispielsweise in Industrieroboter, zumindest teilweise kompensiert werden können. Eine stagnierende Kapitalintensität lässt sich in Deutschland schon seit dem Jahr 2006 beobachten.
Die deskriptive Analyse zeigt zum einen den Bedarf an zusätzlichen Investitionen im Euroraum und insbesondere in Deutschland. Zum anderen deuten die weitgehend gleichläufigen Entwicklungen von privaten und öffentlichen Investitionen in den meisten Ländern darauf hin, dass eine höhere öffentliche Investitionstätigkeit mit einer höheren privaten einhergeht.
Auf Grundlage eines SVEC-Panelmodells für den Euroraum werden die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen öffentlicher Investitionen auf die privaten Investitionen untersucht (Kasten). Dazu werden empirisch die langfristige Beziehung (Kointegration) und kurzfristigere Anpassungen zwischen dem öffentlichen und privaten Kapitalstock gesondert modelliert.Basierend auf dem Ansatz Christian Dreger und Hans-Eggert Reimers (2014): On the relationship between public and private investment in the euro area, wird ein strukturelles vektorautoregressives Panelmodell mit Fehlerkorrekturterm geschätzt. Ein Panelmodell eignet sich, weil die Zeitreihen für die öffentlichen Investitionen für alle Euroraum-Länder über den Zeitraum zwischen 1991 und 2018 nur in jährlicher Frequenz vorliegen. Durch die Berücksichtigung mehrerer Länder wird eine höhere Anzahl von Beobachtungen generiert, für die das Modell robuste Ergebnisse liefert. Zudem werden auch weitere makroökonomische Einflussfaktoren berücksichtigt, wie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, der Realzins und der Schuldenstand des Staates.Es wird angenommen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, der Realzins und die privaten Investitionen keinen direkten Einfluss auf die öffentlichen Investitionen haben. Des Weiteren wird angenommen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage den Realzins indirekt beeinflusst und die privaten Investitionen keinen direkten Einfluss auf alle anderen Größen haben. Infolge der Annahmen erhält das Modell eine ökonomische Struktur, so dass der Schock auf die öffentlichen Investitionen eindeutig identifiziert werden kann. Der geschätzte Gesamteffekt kann als durchschnittlicher Effekt der öffentlichen Investitionen auf die privaten im Euroraum über den kurz- bis mittelfristigen ZeitraumDer kurzfristige Zeitraum umfasst die ersten zwei Jahre, nachdem der Schock auftritt, in der mittleren Frist werden fünf Jahre berücksichtigt. interpretiert werden.
Vor der eigentlichen Schätzung des Zusammenhangs zwischen öffentlichen und privaten Investitionen werden zunächst Unit-Root-Tests und anschließend Kointegrationstests durchgeführt, um die optimale Methode zu ermitteln. Im Falle von Kointegration wird ein SVEC-Panelmodell (Structural Vector Error Correction Model) geschätzt, ansonsten ein SVAR-Modell (Structural Vector Autoregressive Model). Anhand von Impuls-Antwort-Funktionen auf Basis eines „Cholesky-Ordering“ kann der isolierte Effekt eines öffentlichen Investitionsschocks auf die private Investitionsnachfrage abgebildet werden.
Die Beziehung zwischen öffentlichen und privaten Investitionen wird für ein Panel der Euroraum-Länder anhand von Jahresdaten für den Zeitraum von 1991 bis 2017 geschätzt.Der Ansatz folgt Christian Dreger und Hans-Eggert Reimers (2016): Does public investment stimulate private investment? Evidence for the euro area. Datenbasis für die realen öffentlichen und privaten Investitionen, das reale BIP, den Realzins ist die AMECO-Datenbank der Europäischen Kommission. Zur Bildung der Kapitalstöcke im öffentlichen und privaten Sektor werden die jeweiligen Bruttoinvestitionen abzüglich der Abschreibungen kumuliert. Allerdings ist nur der Gesamtnettokapitalbestand, nicht aber der jeweilige Kapitalanfangsbestand im staatlichen und nichtstaatlichen Sektor im Jahr 1990 verfügbar. Daher wird unterstellt, dass der Anteil des staatlichen Kapitals dem Verhältnis von kumulierten staatlichen Nettoinvestitionen und kumulierten Gesamt-Nettoinvestitionen entspricht, wobei die achtziger Jahre als Referenzzeitraum dienen.
Die Beziehung zwischen öffentlichen und privaten Investitionen wird für Deutschland anhand von Quartalsdaten des Zeitraums vom 1. Quartal 1991 bis zum 4. Quartal 2018 untersucht. Grundlage sind die Zeitreihen privater und öffentlicher Investitionen auf verschiedenen Anlageebenen des Statistischen Bundesamts. Sie wurden saisonbereinigt und in reale Werte (Preise von 2010) umgerechnet, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Um die Robustheit der Ergebnisse zu erhöhen, werden Standarddeterminanten des Investitionsverhaltens einbezogen, die zahlreichen empirischen Arbeiten zugrunde liegen.Siehe u.a. Christian Dreger und Hans-Eggert Reimers (2014), a.a.O., 408; António Afonso und Miguel St. Aubyn (2019): Economic growth, public, and private investment returns in 17 OECD economies. Portuguese Economic Journal, 18(1), 47–65; Jérome Creel, Paul Hubert und Francesco Saraceno (2015): Une analyse empirique du lien entre investissement public et privé. Revue de l'OFCE, (8), 331–356. Den Absatzperspektiven und den Finanzierungskosten der Unternehmen kann man sich über das reale Bruttoinlandsprodukt und die Realzinssätze annähern. Das BIP ist ebenfalls der Datenbank des Statistischen Bundesamtes entnommen, während der Realzins als Differenz zwischen dem langfristigen (kurzfristigen) Nominalzinssatz und der Inflation der Datenbasis der Deutschen Bundesbank entnommen wurde. Zur Berücksichtigung der Nullzinsphase im Euroraum seit etwa 2013 wird außerdem eine Schattenzinsrate in die Analyse mitaufgenommen.Siehe Jing Cynthia Wu and Fan Dora Xia (2017): Time-Varying Lower Bound of Interest Rates in Europe. Chicago Booth Research Paper No. 17-06.
Auf der Grundlage dieses Modells lässt sich im gesamten Euroraum für den Zeitraum zwischen 1991 und 2018 ein Crowding-in-Effekt nachweisen: So erhöht ein Anstieg der jährlichen öffentlichen Investitionen um ein Prozent die privaten Investitionen in der mittleren Frist um 0,2 Prozent.Hierbei handelt es sich um Mittelwerte. Berücksichtigt man die Schätzunsicherheit, ergeben sich Werte zwischen 0,12 (unteres 95-Prozent-Konfidenzintervall) und 0,27 Prozent (oberes 95-Prozent-Konfidenzintervall). Im Durchschnitt über alle Länder machen die öffentlichen Investitionen knapp ein Fünftel der privaten Investitionen aus, so dass ein Anstieg der öffentlichen Investitionen um eine Milliarde mit einem Anstieg der privaten Investitionen um 1,1 Milliarden Euro nach fünf Jahren einhergeht.Der Multiplikatoreffekt des Bruttoinlandsprodukts wird hierbei nicht betrachtet. Er dürfte etwas höher liegen, da die Effekte auf die Konsumnachfrage nicht berücksichtigt werden. Schätzungen mit einer ähnlichen Methode von Alan J. Auerbach und Yuriy Gorodnichenko (2012): Measuring the Output Responses to Fiscal Policy. American Economic Journal: Economic Policy, 4(2),1–27, zeigen, dass der mittelfristige Multiplikatoreffekt von öffentlichen Investitionen in den USA bei 2,4 liegt. Tom Krebs und Martin Scheffel (2017): Lohnende Investitionen. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 18(3), 245–262, zeigen in einem für Deutschland kalibrierten dynamischen Gleichgewichtsmodell, dass der Fünfjahres-Effekt eines permanenten Anstiegs öffentlicher Investitionen um jährlich 20 Milliarden zu einem Anstieg der Investitionsquote zwischen 0,03 und 0,06 Prozentpunkte zur Folge hat. Legt man das reale Bruttoinlandsprodukt des Jahres 2017 zugrunde, würden die privaten Investitionen damit je nach Szenario um 19 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen.
Schätzungen zeigen zudem, dass Investitionen in ModernisierungsbedarfeAktuelle Studien haben für Deutschland einen erheblichen Modernisierungsbedarf in den Bereichen Wohnen, Energie und Klima, Wissen (Bildung und FuE) sowie Verkehrsinfrastruktur ausgemacht. Siehe Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland (2015): a.a.O.; Tom Krebs und Martin Scheffel (2016): Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen und fiskalischen Effekte ausgewählter Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen in Deutschland. Studie im Auftrag des BMWi; DENA(2018): Integrierte Energiewende. Impulse für die Gestaltung des Energiesystems bis 2050; Martin Gornig und Claus Michelsen (2017), a.a.O., wie beispielsweise in Bildung, Wohnungsbau und den Umweltschutz, einen noch größeren Effekt auf die privaten Investitionen haben (Abbildung 3).
Da das hier verwendete SVEC-Modell zwar Rückschlüsse für den Euroraum zulässt, jedoch nicht für jedes einzelne Land, wird für die Betrachtung Deutschlands zusätzlich ein SVAR-Modell geschätzt, das sowohl spezifische Investitionskategorien berücksichtigt, als auch detailliertere Quartalsdaten verwendet (Kasten). Damit lässt sich ein signifikanter mittelfristiger Crowding-in-Effekt von öffentlichen Investitionen 2017 nachweisen. Ein Anstieg der öffentlichen Investitionen um ein Prozent geht in Deutschland mit einem Anstieg der privaten Investitionen um 0,27 Prozent in den ersten fünf Jahren einher.Die Werte liegen zwischen 0,24 (unteres 95-Prozent-Konfidenzintervall) und 0,4 Prozent (oberes 95-Prozent-Konfidenzintervall). In Deutschland ist die Relation der öffentlichen im Vergleich zu den privaten Investitionen eins zu sieben über den Betrachtungszeitraum. Ein Anstieg der öffentlichen Investitionen um eine Milliarde würde folglich mit einem Anstieg der privaten Investitionen nach fünf Jahren um knapp zwei Milliarden Euro einhergehen.Nach zehn Jahren würde jede zusätzlich investierte öffentliche Milliarde die privaten Investitionen um drei Milliarden Euro erhöhen, allerdings ist aufgrund der Prognoseunsicherheit der Effekt in der langen Frist statistisch nur noch schwach signifikant. Eine Unterteilung in einzelne Investitionstypen zeigt, dass in Deutschland private Investitionen stark durch öffentliche Bau- und Infrastrukturinvestitionen stimuliert werden (Abbildung 4). Es finden sich keine signifikanten Hinweise darauf, dass die öffentlichen Investitionen in Deutschland private Investitionen verdrängen.
Die vorliegende empirische Analyse zeigt für die Euroländer im Durchschnitt eine positive Wirkung öffentlicher Investitionen auf die private Investitionstätigkeit. Öffentliche Investitionen können also Anreize für zusätzliche private Investitionen setzen und damit das Wachstum erhöhen. Die empirischen Auswertungen haben gezeigt, dass im Euroraum gerade Aktivitäten im Bereich Bildung, Wohnen und Umweltschutz und in Deutschland insbesondere Investitionen in Bau und Infrastruktur solche Crowding-in-Effekte zeitigen.
In Deutschland sind die staatlichen Investitionen im Durchschnitt der letzten fünf Jahren etwas stärker gestiegen als im Euroraum. Die empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass dadurch auch die privaten Investitionen angeregt wurden. Dennoch ist das Niveau der öffentlichen und privaten Investitionstätigkeit schwach, so stagniert beispielsweise der Kapitaleinsatz je Beschäftigtem weiterhin. Um Deutschland zukunftsfähig zu halten und grundlegend zu modernisieren, ist die öffentliche Hand gefordert, verstärkt in Bau und Infrastruktur zu investieren.
Auch wenn mit der Verabschiedung des Finanzplans hier ein erster Schritt unternommen wurdeDieser sieht investive Mittel in Höhe von gut 159 Milliarden Euro bis 2023 vor., so hat sich in den letzten Jahren auch gezeigt, dass trotz verfügbarer Mittel ein Nachholbedarf entstehen kann. Unzureichende Kapazitäten, fehlende Kompetenzen in den Bau- und Planungsämtern und der hohe Auslastungsgrad im Bausektor werden häufig insbesondere auf Länder- und Kommunalebene angeführt. Hier ist es wichtig, geeignete Instrumente zum Einsatz zu bringen, um Planungsengpässe zu beseitigen und insbesondere die Kommunen noch intensiver dabei zu unterstützen, Bundesmittel einfach und unbürokratisch abrufen zu können. Die deutsche Schuldenbremse ist dabei aber ein zu starres Korsett, um auf die anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen zu reagieren. Zugunsten einer stärkeren öffentlichen Investitionstätigkeit, die auch private Aktivitäten anregt, sollten flexiblere Ausgabenregeln gewählt werden. Eine Voraussetzung für eine verstärkte öffentliche Investitionstätigkeit wäre, dass die Staatsausgaben jedes Jahr um maximal die nominale Potentialwachstumsrate steigen können.Vgl. Marcel Fratzscher, Alexander Kriwoluzky und Claus Michelsen (2019): Neue Fiskalregeln für Europa. DIW Wochenbericht Nr. 18, 310–311 (online verfügbar)
Themen: Öffentliche Finanzen, Konjunktur, Europa
JEL-Classification: E22;E62;H54
Keywords: Investment, Crowding-In, Public Finance
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-31-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/201825