DIW Wochenbericht 32 / 2019, S. 547-555
Konstantin A. Kholodilin, Claus Michelsen
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„Bei Maßnahmen gegen Immobilienpreisblasen muss man sehr vorsichtig sein, denn es besteht immer die Gefahr, dass sie auch zum Platzen einer solchen Preisblase mit verheerenden Folgen führen können. Unsere Analysen sind dazu bestimmt, den Kontrollbehörden zu helfen, den richtigen Zeitpunkt für ihren Eingriff zu bestimmen.“ Konstantin Kholodilin
Die Preise für Immobilien sind in vielen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und es wächst die Sorge, dass sich erneut spekulative Preisblasen bilden. Für politische Entscheidungsträger kann es dabei schwer sein, den richtigen Zeitpunkt für regulierende Eingriffe in den Markt zu erkennen. In diesem Bericht wird gezeigt, wie moderne Methoden des maschinellen Lernens genutzt werden können, um spekulative Preisübertreibungen frühzeitig vorherzusagen. So zeigen die Prognosemodelle, dass die Risiken in vielen OECD-Ländern wieder sehr hoch sind. In Deutschland ist eine explosive Preisentwicklung festzustellen, die sich von den Erträgen von Immobilien entkoppelt hat. Allerdings weist das Prognosemodell darauf hin, dass sich das Risiko in den kommenden Monaten auf hohem Niveau etwas reduzieren wird. Leider ist das Instrumentarium prophylaktischer Maßnahmen in Deutschland noch nicht ausreichend. So fehlt es beispielsweise an Eingriffsmöglichkeiten, die auf die Verschuldungsobergrenzen von Haushalten abstellen. Auch ist unklar, ab wann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Markt eingreifen kann.
Steigende Immobilienpreise und eine anhaltende Niedrigzinsphase in den meisten entwickelten Volkswirtschaften lassen die Warnungen vor neuen Immobilienpreisblasen lauter werden. Gut zehn Jahre nach der großen Finanzkrise scheint es in vielen Ländern wieder zu Preisentwicklungen (Abbildung 1) zu kommen, die sich nicht mehr vollständig durch die für Immobilien wertbestimmenden Faktoren erklären lassen. Bei diesen Faktoren handelt es sich beispielsweise um die Einkommens- und Bevölkerungsentwicklungen oder langfristige Zinsniveaus. Zu einer Gefahr werden diese Preissteigerungen dann, wenn die Dynamik der Preisentwicklung überwiegend aus der Erwartung resultiert, dass in Zukunft ein Käufer einen höheren Preis für die Immobilien zu zahlen bereit ist – unabhängig davon, wie sich die wertbestimmenden Faktoren verändern. In diesen Fällen ist die Preisentwicklung auf reine Spekulation zurückzuführen – ein Prozess, der die große Immobilienmarktkrise in den USA im Jahr 2008 ausgelöst hat und in dessen Folge die Weltwirtschaft in eine tiefe Rezession gezogen wurde.
Es lag insbesondere an der umfassenden Kreditfinanzierung, dass das Platzen der Immobilienpreisblase damals zu so starken Verwerfungen geführt hat.Moritz Schularick und Alan M. Taylor (2012): Credit booms gone bust: Monetary policy, leverage cycles, and financial crises, 1870-2008. American Economic Review 102(2), 1029–61. Frederic S. Mishkin (2011): Over the cliff: From the subprime to the global financial crisis. Journal of Economic Perspectives 25(1), 49–70. Der Boom auf dem Immobilienmarkt wurde dabei durch eine äußerst lockere Kreditvergabe befeuert. Die sich mehrenden Kreditausfälle belasteten die Bankbilanzen und führten letztlich zu einem Zusammenbruch des InterbankenmarktesRajkamal Iyer et al. (2013): Interbank liquidity crunch and the firm credit crunch: Evidence from the 2007–2009 crisis. The Review of Financial Studies 27(1), 347–372., zu fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen und zu einer extremen Verunsicherung der Wirtschaftsakteure. Der resultierende Einbruch der weltweiten Industrieproduktion konnte nur allmählich wieder aufgeholt werden. In einigen Ländern wirkt die Krise bis heute nach.
Trotz der schwerwiegenden Konsequenzen der Krise sind die Bankenregulierung und Wohnungsmarktbeobachtung aufgrund fehlender Daten in vielen Ländern nach wie vor unvollständig. Zudem lassen sich spekulative Blasen häufig erst nach ihrem Platzen mit Sicherheit datieren. Dies alles erschwert eine frühzeitige Erkennung von Fehlentwicklungen und ein rechtzeitiges Gegensteuern. Der vorliegende Beitrag stellt ein Prognosemodell für die Früherkennung von Immobilienpreisblasen für insgesamt 20 OECD-Länder vor (Kasten 1). Es werden unterschiedliche Prognosemethoden hinsichtlich ihrer Prognosegüte verglichen. Ein einfaches Wahrscheinlichkeitsmodell (logistische Panelregression) wird dabei modernen Verfahren des maschinellen Lernens gegenübergestellt. Diese Methoden werden als Entscheidungsbaum (Decision Tree), Zufallswald (Random Forest) und Stützvektormaschine (Support Vector Machine) bezeichnet (Kasten 2).
Den empirischen Tests auf spekulative Übertreibungen von Immobilienpreisen liegt die Annahme zu Grunde, dass diese – unter der Voraussetzung vollständig informierter und rationaler MarktteilnehmerInnen – ausschließlich durch den Gegenwartswert der zukünftigen Mieteinnahmen bestimmt sind. Das bedeutet, dass in der langen Frist die Hauspreise an die Mietentwicklung gekoppelt sind. Da sich annahmegemäß alle bereits bekannten Informationen sofort in der Bewertung niederschlagen, sollte das Verhältnis von Preisen und Mieten einem Zufallsweg (Random Walk) folgen, es weicht also nur unsystematisch von dem fundamental gerechtfertigten Wert ab. Sind die Preise kein perfektes Abbild der Erträge, ist die Preisdynamik in dieser Denkweise nur durch Spekulation zu erklären. Diese führt dazu, dass die Preisentwicklung – zusätzlich zur erwarteten Entwicklung der realen Nachfrage – durch die reine Erwartung zukünftig steigender Immobilienpreise mitbestimmt ist. Wenn solche Einschätzungen zum Konsens der MarktteilnehmerInnen werden, entwickelt sich eine Spekulationsblase, in der sich die Preise immer stärker von der Nachfrage entkoppeln.
Der sogenannte Phillips-Shi-Yu-Test (PSY) ist entwickelt worden, um ungewöhnlich starke Preisanstiege zu identifizierenVgl. Peter C. B. Phillips, Shuping Shi und Jun Yu (2011): Explosive behavior in the 1990s NASDAQ: when did exuberance escalate asset values? International Economic Review 52(1), 201–226.. Diese Methode, die auf Grundlage vierteljährlicher Datenreihen der Kaufpreis-Miet-Verhältnisse angewendet wird, erlaubt es, Wendepunkte von Hauspreiszyklen zu bestimmen. Der PSY-Test basiert auf einem Modell einer rollierenden Regression.
Die Nullhypothese des Tests ist, dass das Kaufpreis-Miet-Verhältnis einem Zufallsweg folgt. Auf Grundlage dieser Regression wird ein augmentierter Dickey-Fuller-Test (ADF) für eine Sequenz der vorwärts expandierenden Stichproben berechnet.
Ein großer Vorteil des PSY-Tests ist, dass er die Identifizierung mehrerer Blasen im Zeitverlauf ermöglicht. Demgegenüber fokussieren andere TestsVgl. beispielsweise Homm und Breitung (2012): a.a.O.; sowie Phillips, Shi und Yu (2011): a.a.O. auf einzelne spekulative Blasen. Im Ansatz des vorliegenden Berichts wird die Analyse für die einzelnen Länder separat durchgeführt. Als Schwellenwert wird für den p-Wert wird ein Wert von 10 Prozent verwendet.Ein p-Wert von exakt 10 Prozent würde anzeigen, dass die Nullhypothese mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent abgelehnt wird, obwohl sie richtig ist.
Die Vorhersage spekulativer Blasen ist ein Problem der Klassifizierung. Die Aufgabe besteht darin, anhand einer Reihe von Indikatoren so gut wie möglich zwischen Blasen- und Nichtblasen-Situationen zu unterscheiden. Es gibt eine Vielzahl von Methoden, um diese Klassifizierung durchzuführen. Die vier gängigsten Methoden werden in dem vorliegenden Beitrag hinsichtlich ihrer Prognosegüte verglichen.
Logistisches Panelregressionsmodell: Dieses klassische Wahrscheinlichkeitsmodell wird häufig zur Erklärung und Prognose spekulativer Blasen genutzt. Im Gegensatz zu den Methoden maschinellen Lernens muss der Zusammenhang zwischen den erklärenden Variablen und der Blasenwahrscheinlichkeit vom Forscher vor der Schätzung des Modells bestimmt werden und wird folglich als bekannt angenommen.
Entscheidungsbaum: Diese Methode wählt für jede erklärende Variable einen Schwellenwert aus, der den Übergang von einer Wahrscheinlichkeitsgruppe zu einer anderen auslöst. Grafisch sieht es wie ein Baum aus, bei dem nach jeder Entscheidung zwei Zweige entstehen, die sich weiter ästen (Abbildung). Eine populäre Methode für die Konstruktion der Entscheidungsbäume ist CART (Classification and Regression Trees)Leo Breiman et al. (1984): Classification and regression trees. Wadsworth & Brooks/Cole. Advanced Books & Software.. Entscheidungsbäume haben das Problem der sogenannten Überspezifikation, so dass die Prognosegüte des Modells für die Trainingsperiode deutlich höher als die für die Testperiode ist, die nicht zur Modellschätzung genutzt wurde.
Zufallswald: Diese Methode ist eng mit Entscheidungsbäumen verbunden, reduziert jedoch das Problem der Überspezifikation drastisch.Leo Breiman (2001): Random forests, Machine Learning 45(1), 5–32. Hierbei wird die Stichprobe in mehrere unabhängige Unterstichproben geteilt und dann für jede von ihnen ein Entscheidungsbaum berechnet. Die Zufallswald-Prognose ist eine Kombination der Prognosen aller dieser Bäume.
Stützvektormaschine: Wie bei allen hier diskutierten Methoden werden die Beobachtungen in Blasen und Nichtblasen klassifiziert.Corinna Cortes und Vladimir Vapnik (1995): Support-vector networks, Machine Learning 20(3), 273–297. Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass auch bei kleinen Stichproben relativ robuste Prognosen möglich sind. Dabei werden Fehlklassifizierungen durch einen Kostenparameter bestraft und die Komplexität des Modells so beschränkt.
Die genutzten Daten (Tabelle 1) liegen für 20 Länder (Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Südkorea und Vereinigte Staaten) vor. Die Anzahl der Beobachtungen unterscheiden sich von Land zu Land zwischen 66 Beobachtungen für Japan (drittes Quartal 2002 bis viertes Quartal 2018) bis 170 für Kanada (drittes Quartal 1976 bis viertes Quartal 2018).
Es gibt zahlreiche Versuche, Frühwarnsysteme für Immobilienpreisblasen zu etablieren. Bei der in der Literatur gängigsten Methode wird die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer entsprechenden Preisblase als binäres Ereignis in Abhängigkeit von beobachteten Einflussfaktoren mit einem Wahrscheinlichkeitsmodell (zum Beispiel einer logistischen Panelregression) geschätzt und anschließend prognostiziert.Vgl. beispielsweise Luca Agnello und Ludger Schuknecht (2011): Booms and busts in housing markets: Determinants and implications. Journal of Housing Economics 20(3), 171–190. Dieter Gerdesmeier, Hans-Eggert Reimers und Barbara Roffia (2011): Early warning indicators for asset price booms. Review of Economics and Finance 3, 1–20. Òscar Jordà Moritz Schularick und Alan M. Taylor (2015): Leveraged bubbles. Journal of Monetary Economics 76, 1–20; André K. Anundsen et al. (2016): Bubbles and crises: The role of house prices and credit. Journal of Applied Econometrics 31(7), 1291–1311. Aber auch andere Methoden wurden herangezogen, unter anderem ein Signalansatz, der Warnungen ab bestimmten Schwellenwerten aussendet – beispielsweise wenn das Verhältnis von Immobilienkrediten zur gesamtwirtschaftlichen Leistung einen bestimmten Wert überschreitet.Vgl. beispielsweise Lucia Alessi und Carsten Detken (2011): Quasi real time early warning indicators for costly asset price boom/bust cycles: A role for global liquidity. European Journal of Political Economy 27(3), 520–533. Anwendung finden auch Zeitreihenmodelle, die langfristige Gleichgewichtsbeziehungen einzelner Größen modellieren und die Abweichungen als Signale für Fehlentwicklungen interpretieren.Vgl. Michael D. Bordo und Olivier Jeanne (2002): Boom-busts in asset prices, economic instability, and monetary policy. NBER working paper Nr. 8966 (online verfügbar). Charles Goodhart und Boris Hofmann (2008). House prices, money, credit, and the macroeconomy. Oxford Review of Economic Policy 24(1), 180–205.
Alle Ansätze haben einen Beitrag zur Verbesserung der Erklärung von Immobilienpreisblasen geleistet. Allerdings hat sich bislang kein Konsens über ein Prognosemodell herausgebildet. Eine große Gemeinsamkeit der genannten Ansätze sind die verwendeten erklärenden Variablen in den Modellen. So herrscht Einigkeit darüber, dass sowohl Finanzmarktindikatoren, wie das Volumen der Kreditvergabe, die Geldmenge oder Zinsen einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Immobilienpreisblase haben. Aber auch die Verschuldung der öffentlichen Hand, das Wirtschaftswachstum oder Verhältnisse der Verschuldung relativ zur Wirtschaftsleistung haben sich etabliert (Tabelle 1).
Variable | Definition | Quelle | Periode |
---|---|---|---|
P2R | Preis-Miet-Verhältnis | OECD | 1970q1–2019q1 |
TLoan | Gesamte Kredite für nicht-finanziellen privaten Sektor; nominal; lokale Währung | BIS | 1940q2–2018q3 |
LTIR | langfristiger Zinssatz, Prozent pro Jahr | OECD | 1953q2–2019q1 |
STIR | kurzfristiger Zinssatz, Prozent pro Jahr | OECD | 1956q1–2019q1 |
CPI | Veränderungsrate des Verbraucherpreisindex | OECD | 1914q2–2019q1 |
GDP_growth | Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts | OECD | 1948q1–2019q1 |
Share_price | Veränderungsrate des Aktienindex | OECD | 1950q1–2019q1 |
Loan2GDP | Gesamtkredit-zum-BIP-Verhältnis | eigene Berechnungen | 1953q2–2019q1 |
Anmerkungen: OECD = Organization for Economic Cooperation and Development; BIS = Bank for International Settlements; Zeitreihen in Quartalen (1970q1 bezeichnet zum Beispiel das erste Quartal im Jahr 1970).
Quelle: OECD- und BIS-Daten.
Die in jüngerer Zeit deutlich gestiegenen Rechenkapazitäten erlauben es, komplexere Verfahren für die Prognosemodellwahl zu verwenden und die Möglichkeiten des maschinellen Lernens auch für die Vorhersage von Preisblasen zu nutzen. Tatsächlich zeigt sich, dass diese Ansätze einen deutlichen Zugewinn an Präzision bei der Voraussage von Immobilienpreisblasen ermöglichen (Tabelle 2).
Wahrscheinlichkeit einer korrekten Blasenprognose in Prozent
Modell | Verzögerung in Quartalen zwischen genutzten Informationen und dem Prognosezeitpunkt | |||
---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | |
Logistische Panelregression | 11,5 | 5,5 | 9,4 | 8,0 |
Entscheidungsbaum | 33,4 | 31,8 | 26,5 | 23,0 |
Random Forest | 60,7 | 55,9 | 55,1 | 53,7 |
Support Vector Machine | 23,4 | 22,8 | 26,9 | 23,0 |
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von OECD- und BIS-Daten.
Insbesondere im Vergleich zu logistischen Panelregressionsmodellen verbessert sich die Prognosegüte für unterschiedlich lange Prognosehorizonte bei Verwendung von Entscheidungsbaum-, Zufallswald- und Stützvektormaschinen-Modellen (Kasten 2). Jedes der genannten Modelle wird unter Verwendung der selben erklärenden Variablen (Tabelle 1) für eine sogenannte Trainingsperiode geschätzt und dann in einer Testperiode dahingehend geprüft, ob die Prognose einer Preisblase richtig oder falsch war. Preisblasen werden auf Grundlage der Immobilienpreise datiert – verhalten sich die Preisreihen „explosiv“, wird spekulatives Anlegerverhalten unterstellt (Kasten 1).Konstantin A. Kholodilin und Claus Michelsen (2018): Anzeichen für neue Immobilienpreisblase in einigen OECD-Ländern: Gefahr in Deutschland geringer. DIW-Wochenbericht Nr. 30/31, 657–667 (online verfügbar).
Die erste Trainingsperiode endet im vierten Quartal des Jahres 2013. Auf Basis der Schätzergebnisse wird dann eine Prognose für die Wahrscheinlichkeit einer Preisblase für das erste Quartal 2014 gemacht. Die Trainingsperiode wird anschließend auf das erste Quartal des Jahres 2014 ausgeweitet und auf dieser Basis die Vorhersage für das zweite Quartal 2014 vorgenommen. Die gesamte Testperiode umfasst demnach das erste Quartal 2014 bis zum vierten Quartal 2018, also insgesamt 20 Quartale.
Die Prognosegüte (Kasten 3) aller vier Methoden wird für vier verschiedene Zeithorizonte gezeigt (Tabelle 2). Als Vergleichsmaßstab dient das traditionelle logistische Panelregressionsmodell. Im Vergleich hierzu liefern alle anderen Modelle deutlich bessere Prognosen. Die besten Vorhersagen für alle Horizonte liefert die Zufallswald-Methode. Seine Vorhersagequalität ist für den Prognosehorizont von einem Quartal am höchsten und geht dann mit der Länge des Prognosehorizonts zurück. So liegt die Vorhersagegenauigkeit im ersten Quartal bei 61 Prozent Trefferwahrscheinlichkeit nach dem Cramer-Maß (Kasten 3). Aber sogar mit einem Prognosehorizont von vier Quartalen werden die Blasen- und Nichtblasenperioden in mehr als der Hälfte der Fälle richtig prognostiziert (Abbildung 2). Eine weitere Verbesserung der Prognosen könnte durch die Einbeziehung besserer Frühindikatoren gelingen – allerdings setzt die zeitnahe Verfügbarkeit von Daten hier deutliche Grenzen.
Das übliche Prognosegütemaß misst die reine Übereinstimmung der Prognosen und der Blasengeschichte. Insgesamt gibt es allerdings deutlich weniger Perioden mit spekulativen Blasen als ohne, so dass Modelle, welche die Wahrscheinlichkeit einer spekulativen Blase systematisch unterschätzen, trotzdem eine sehr gute Prognosegüte gemäß des Standardmaßes aufweisen.
Deshalb wird hier das Cramer-Maß der PrognosegüteJan S. Cramer (1999): Predictive performance of the binary logit model in unbalanced samples. Journal of the Royal Statistical Society: Series D (The Statistician) 48(1), 85–94. als Indikator verwendet:
wobei die Blasegeschichte als binäre Variable anzeigt, die Vorhersage der Wahrscheinlichkeit der spekulativen Blasen und und die Anzahl der Beobachtungen in Nichtblasen- und Blasenperioden sind. Das Cramersche berücksichtigt explizit, dass manche Ereignisse – beispielsweise spekulative Blasen – weniger oft eintreffen und ist somit für diese Studie ein besseres Maß zur Prognoseevaluierung.
Das Zufallswald-Modell, dessen Prognosequalität sich gegenüber den Alternativen als Überlegen herausgestellt hat, kann mit den verfügbaren Werten der Frühindikatoren für eine Prognose der Blasenwahrscheinlichkeit für das laufende Jahr genutzt werden (Abbildung 3). Ein Wert nahe 100 bedeutet, dass eine Spekulationsblase sehr wahrscheinlich ist. Werte nahe null signalisieren demgegenüber eine sehr geringe Blasengefahr.
Die Wahrscheinlichkeit spekulativer Preisübertreibungen auf dem Immobilienmarkt ist in diesem Jahr in einigen OECD-Ländern sehr hoch. Zu diesen Ländern gehören die USA, die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Dänemark, aber auch Japan, Belgien und die Schweiz. Auch für Deutschland wird eine hohe Blasenwahrscheinlichkeit vorausgesagt – diese nimmt allerdings innerhalb des Prognosezeitraums etwas ab. Dies spiegelt die verlangsamte Immobilienpreisentwicklung vor allem in den großen Städten des Landes in jüngster Zeit wieder. Dort scheint der Immobilienzyklus ganz allmählich abzukühlen. Darüber hinaus bleibt zu bedenken, dass die Finanzierung von Immobilieninvestitionen in Deutschland relativ solide erscheint. Die Kreditvolumina zeigen keine auffälligen Trends und auch die Zinsbindung ist relativ lange.
Nur sehr geringe Gefahren spekulativer Preisübertreibungen werden für Australien, Neuseeland und Südkorea aber auch für Finnland, die Niederlande, Irland und Italien prognostiziert. Gerade für Italien – das in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckt – mag dieses Ergebnis nicht überraschend sein. Aber auch Länder wie Irland, deren Hauspreise seit der Finanzkrise wieder merklich gestiegen sind, müssen sich nach wie vor von deren negativen Auswirkungen erholen.
Die Preise für Immobilien sind in vielen Ländern in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Sorge vor neuen Fehlentwicklungen wächst und die Früherkennung spekulativer Preisübertreibungen bleibt deshalb eine Herausforderung. Denn für politische Entscheidungsträger, die über regulierende Eingriffe in den Markt entscheiden sollen, ist es äußerst schwer, den richtigen Zeitpunkt für ein Umsteuern zu erkennen. Der vorliegende Beitrag zeigt, dass moderne Methoden des maschinellen Lernens die Früherkennung von Fehlentwicklungen deutlich verbessern können.
Die Prognosemodelle zeigen, dass die Risiken spekulativer Übertreibungen in vielen Ländern wieder sehr hoch sind – allen voran in den Vereinigten Staaten, in denen sich die Immobilienpreise seit der Finanzkrise wieder rasant erholt haben. Aber auch für Deutschland stehen die Signale zumindest auf gelb: Hier kann eine explosive Preisentwicklung, die sich von den Erträgen von Immobilien entkoppelt hat, festgestellt werden. Allerdings weist das Prognosemodell darauf hin, dass sich das Risiko in den kommenden Monaten etwas reduzieren wird. Dies deckt sich mit Beobachtungen von Immobilienmarktanalysten, die eine schwächere Dynamik bei der Preisentwicklung beobachten. Ebenfalls erscheint die Entwicklung auf der Finanzierungsseite wenig problematisch: Die Zinsbindung ist lange und die Entwicklung des Kreditvolumens ist weitgehend unauffällig.
Für die Politik bedeutet dies aber keinesfalls, dass die Hände in den Schoß gelegt werden können. Im Gegenteil: Nach wie vor ist das Instrumentarium prophylaktischer Maßnahmen in Deutschland nicht ausreichend. So fehlt es beispielsweise an Eingriffsmöglichkeiten, die auf die Verschuldungsobergrenzen von Haushalten abstellen. Auch ist unklar, nach welchen Kriterien die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in den Markt eingreifen kann – es fehlt an Schwellenwerten, die definieren, ab wann ein Eingriff notwendig und geboten ist. Der vorliegende Beitrag stellt eine Möglichkeit vor, diese Schwellenwerte zu bestimmen.
Themen: Märkte, Immobilien und Wohnen
JEL-Classification: C25;C53;E32
Keywords: Early warning system, speculative housing price bubble, panel logit, decision tree, random forest, support vector machine
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-32-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/201829