DIW Wochenbericht 33 / 2019, S. 563-572
Caroline Stiel, Astrid Cullmann, Claudia Kemfert, Alexander S. Kritikos, Julie Niehues, Julia Rechlitz
get_appDownload (PDF 0.57 MB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.18 MB)
„Energiewende und Klimaschutz erfordern neue Technologien und Geschäftsmodelle. Dies betrifft nicht nur innovative technische Anlagen, sondern auch digitale Lösungen für die Koordinierung einer zunehmend dezentralen Energieversorgung.“ Caroline Stiel
Energiewende, Klimaschutz und Digitalisierung führen zu einem hohen Innovationsdruck für Unternehmen der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft. Insbesondere der weitreichende Umbau der Energiewirtschaft erfordert neue Technologien, innovative Geschäftsmodelle und digitale Lösungen. Der vorliegende Bericht untersucht die Innovationsdynamik der Branche über die letzten Jahre. Die Befunde zeigen, dass Unternehmen der deutschen Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft in den vergangenen Jahren nur wenig in eigene Forschung und Entwicklung investiert haben. Hingegen investierten die Unternehmen verstärkt in innovative Technologien, die in anderen Sektoren, etwa dem Maschinenbau, entwickelt wurden. Dies betrifft vor allem die Bereiche Klimaschutz und Digitalisierung. Um die künftigen Herausforderungen zur Erfüllung der Klimaschutzziele effektiv zu meistern, sollten die politischen Rahmenbedingungen so ausgestaltet werden, dass innovative Technologien verstärkt erforscht werden und zum Einsatz kommen können.
Die deutsche Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft, darunter insbesondere die Energiewirtschaft, befindet sich in einem substanziellen Umbruch. Mit dem Fortschreiten der Energiewende und der Umsetzung der Klimaschutzziele wird der Anteil erneuerbarer Energien weiter ansteigen und die Bedeutung von Atom- und Kohlekraft sukzessive abnehmen. Hierdurch zeichnen sich erhebliche strukturelle Veränderungen auf den Märkten ab. Neben neuen Technologien zur Stromerzeugung nimmt die Bedeutung innovativer Dienstleistungen zu, die Angebot und Nachfrage zeitlich flexibel zusammenbringen. Ebenso erfordert eine zunehmend dezentrale Energieversorgung, etwa durch Photovoltaik-Anlagen oder Nahwärmenetze, eine intelligente Koordination. In diesem Zusammenhang wird es auch in allen Bereichen der Energiewirtschaft wichtiger, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Dies betrifft neben kundenspezifischen Angeboten und Produkten aus dem Smart-Home-Bereich die intelligente Steuerung vernetzter Anlagen sowie eine optimierte Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden, etwa um den Verbrauch über digitale Stromzähler zu erfassen und abzurechnen.
Digitalisierung und Energiewende wirken sich nicht nur auf die Energiewirtschaft aus, sondern auch auf die mit ihr verbundene Ver- und Entsorgung im Bereich Wasser und die Entsorgung von Abfall.Im Englischen werden Unternehmen der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft als utilities zusammengefasst. Diese Produktionsprozesse sind teilweise durch einen hohen Energieverbrauch gekennzeichnet, beispielsweise in der Trinkwasserversorgung. Daher investieren die Unternehmen verstärkt in die Strom- und Wärmegewinnung, um den Eigenbedarf zu decken, aber auch um Wärme für das Verbundnetz bereitzustellen.Zum Beispiel deckten die Berliner Wasserbetriebe im Jahr 2017 knapp ein Viertel ihres Energieverbrauchs durch Eigenerzeugung, siehe BWB (2018): Nachhaltigkeitsbericht (online verfügbar, abgerufen am 11. Juli 2019. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die Stadtwerke Aachen stellen durch Wärmetauscher Wärme aus Abwasser zur Beheizung von Wohngebäuden bereit, siehe Jan Brinkmann und Christoph Sappa (2017): Abschlussbericht zum Vorhaben Realisierung einer Abwasserwärmenutzungsanlage im Wiesental Aachen. BMUB-Umweltinnovationsprogramm (UIP). (online verfügbar)
Diese einschneidenden Transformationsprozesse können umso besser gelingen, je mehr neue Ideen zur effizienten Bereitstellung, Nutzung, Verteilung, Speicherung und Vermarktung von Energie entwickelt und durch Investitionen in innovative Technologien und Produkte umgesetzt werden.Siehe dazu auch Jürgen Bazejczak et al. (2013): Energiewende erfordert hohe Investitionen. DIW Wochenbericht Nr. 26, 19–30 (online verfügbar) Einzelne Beispiele zeigen, dass sich die Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft auf verschiedene Weisen an Forschung und Entwicklung beteiligt.Beispielsweise das von EnBW gegründete Innovationszentrum (EnBW InnovationsCampus), der Aufbau eigener Start-ups als Tochterfirmen (EWE), die Unterstützung erfolgsversprechender Start-ups (E.ON SAccelerator: agile) oder die Beteiligung zahlreicher Versorger am Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energieversorgung“ (SINTEG) der Bundesregierung, wie z.B. Stadtwerke München am Forschungsprojekt „C/sells“ zur intelligenten Wärmeversorgung (www.sinteg.de). Unklar ist jedoch, ob es sich dabei um einen breiten Trend oder einzelne Pilotprojekte handelt.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Bericht das Innovationsverhalten von Unternehmen in der deutschen Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft. Hierzu zeichnet er anhand detaillierter deskriptiver Statistiken die Entwicklung der letzten Jahre nach. Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, inwieweit die Unternehmen selbst Forschung und Entwicklung betreiben oder in innovative Anlagen und immaterielle Güter investieren, die in anderen Wirtschaftszweigen entwickelt wurden.
Um einen umfassenden Einblick in den Forschungs- und Entwicklungsaufwand sowie Investitionen in innovative Güter zu erhalten, wurden drei Datenquellen ausgewertet: Die Erhebung zur Forschung und Entwicklung der deutschen Wirtschaft des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft (FuE-Erhebung), Firmendaten des Statistischen Bundesamtes sowie die Daten des IAB-Betriebspanels, welches vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) bereitgestellt wird (Kasten). Je nach Quelle sind diese Daten für verschiedene Zeitspannen innerhalb der Jahre 2007 bis 2017 verfügbar.
Dieser Bericht verwendet drei Datenquellen zur Innovations- und Investitionstätigkeit deutscher Energie-, Wasser- und Entsorgungsunternehmen. Zur Energiewirtschaft zählen hierbei die Erzeugung, Bereitstellung, Übertragung und Verteilung von Strom, Gas und Wärme sowie der Handel mit diesen Gütern. Die Wasserwirtschaft umfasst die Wasserversorgung und zur Entsorgungswirtschaft zählen die Abwasserentsorgung sowie die Entsorgung und Verwertung von Abfällen. Innerhalb dieser Branchen liegen Daten für alle Typen von Unternehmen vor. Dies sind große Versorger der Privatwirtschaft, etwa E.ON oder Veolia; regulierte Unternehmen, etwa die Betreiber von Strom- oder Gasnetzen; integrierte kommunale Unternehmen, etwa lokale Stadtwerke; und kleinere private Unternehmen, wie zum Beispiel Stromlieferanten und Stromhändler.
Alle Datenquellen beruhen auf anonymisierten Unternehmensdaten. Somit können im Bericht keine Rückschlüsse auf die Identität und den Einfluss bestimmter Unternehmen auf die aggregierten Innovations- und Investitionskennzahlen gezogen werden. Aus Datenschutzgründen sind auch Kennzahlen für einzelne Jahre unter Umständen nicht verfügbar. Die Unterteilung der Unternehmen nach Sektoren (z.B. Stromerzeugung oder Wasserversorgung) erfolgt über den angegebenen Wirtschaftszweig ihrer Haupttätigkeit.
Den Daten des Stifterverbandes zufolge hat sich die Zahl der forschenden Unternehmen im Bereich Energie, Wasser und Entsorgung seit 2007 fast vervierfacht und ist auf 207 Unternehmen im Jahr 2015 angestiegen (Abbildung 1). Dennoch ist der Anteil der forschenden Unternehmen in diesem Sektor mit ungefähr drei Prozent äußerst gering.Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2015 knapp 6500 Unternehmen in der Branche. Das deutet darauf hin, dass nur drei Prozent aller Ver- und Entsorgungsunternehmen selbst Forschung und Entwicklung betreiben – im verarbeitenden Gewerbe waren es im Jahr 2015 über 30 Prozent. Vgl. Julian Baumann und Alexander S. Kritikos (2016): The link between R&D, innovation and productivity: Are micro firms different? Research Policy, 45 (6), 1263–1274. Auffällig ist dabei die starke Zunahme forschender Kleinst- und Kleinunternehmen, die vermutlich zu einem guten Teil erfolgreiche Start-ups oder Ausgründungen aus bestehenden Unternehmen umfassen.Insbesondere in der Energiewirtschaft hat sich die Unternehmensstruktur in den letzten zehn Jahren stark verändert. Aktivitäten sind oft nicht mehr zentral in einem Unternehmen gebündelt und Geschäftsfelder wurden vermehrt in einzelne Teilgesellschaften ausgelagert. Vgl. Astrid Cullmann et al. (2016): Trend zur (Re-)Kommunalisierung in der Energieversorgung: Ein Mythos? DIW Wochenbericht Nr. 20, 441–447 (online verfügbar). Deren Zahl wuchs von 29 auf 117, sodass im Jahr 2015 mehr als die Hälfte der forschenden Unternehmen weniger als 50 Beschäftigte hatte.Die Energiewirtschaft ist jedoch überdurchschnittlich von Großunternehmen geprägt. Im Jahr 2015 waren 27 Prozent aller Energieunternehmen Großunternehmen. Im Vergleich dazu betrug ihr Anteil im verarbeitenden Gewerbe drei Prozent und in der Wasser- und Entsorgungswirtschaft vier Prozent. Vgl. Destatis (2018): Statistisches Jahrbuch 2018. Wiesbaden (online verfügbar).
Fast drei Viertel aller Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E) wurden im Jahr 2014 von Energieunternehmen getätigt, auch wenn diese nur 21 Prozent aller forschenden Unternehmen ausmachen. Die Mehrzahl der forschenden Unternehmen sind Entsorgungsunternehmen. Jedoch entfielen auf sie nur 16 Prozent aller Aufwendungen (Abbildung 2).
Während die Zahl forschender Unternehmen gestiegen ist, hat die Gesamtzahl der Beschäftigten, welche in der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft im Bereich Forschung und Entwicklung tätig waren, zwischen 2009 und 2015 stagniert, mit zwischenzeitlichen Schwankungen (Abbildung 3). Im Ergebnis ist die durchschnittliche Anzahl der F&E-Beschäftigten pro Unternehmen um mehr als 60 Prozent gesunken. Dies legt nahe, dass die gestiegene Unternehmenszahl unter anderem auf Ausgründungen aus bestehenden Unternehmen zurückzuführen ist.
Trotz der steigenden Zahl forschender Unternehmen in der deutschen Energie, Wasser- und Entsorgungswirtschaft sind die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in diesen Wirtschaftszweigen rückläufig. Seit 2009 sind sie um rund ein Drittel gesunken und beliefen sich im Jahr 2015 auf einen preisbereinigten Wert von 190 Millionen Euro (Abbildung 4). Dieser Rückgang betrifft die inner- wie außerbetriebliche ForschungInnerbetriebliche Forschung und Entwicklung umfasst die von Unternehmen selbst durchgeführten Aktivitäten, während sich außerbetriebliche Forschung und Entwicklung auf Aufträge bezieht, die von den Unternehmen an externe Partner vergeben werden. und steht im Gegensatz zur Gesamtwirtschaft. Dort stiegen die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen zwischen 2008 und 2015 kontinuierlich um insgesamt 21 Prozent an, hauptsächlich getrieben durch das verarbeitende Gewerbe. Somit liegt für Energie-, Wasser- und Entsorgungsunternehmen trotz der Herausforderungen durch die Energiewende und Digitalisierung ein Rückgang von innovativen Aktivitäten vor – gegen den gesamtwirtschaftlichen Trend.
Aufwendungen für Forschung und Entwicklung und das hierfür eingesetzte Personal tragen nur dann Früchte, wenn sie zu Innovationen führen. Eine wichtige Kennzahl zur Bewertung des Innovationsoutputs sind Produktinnovationen, die im IAB-Betriebspanel erhoben werden (Kasten). Als Produktinnovationen werden die Verbesserung vorhandener Produkte oder Dienstleistungen sowie die Einführung neuer Produkte betrachtet. In der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft können dies beispielsweise neue Tarifangebote und innovative Anlagen für Endkundinnen und Endkunden sein (z.B. Ökostromtarife, Mieterstrommodelle oder der Betrieb von Wärmepumpen). Weitere Beispiele umfassen Energieeffizienzberatung, Produkte im Bereich der Elektromobilität oder Dienstleistungen für Unternehmen im Bereich Direktvermarktung, Energiebeschaffung und technischer Betriebsführung.
Die Daten zeigen, dass der Anteil der Energieversorgungsbetriebe, welche neue Produkte entwickelt und eingeführt haben, zwischen 2007 und 2009 zunächst angestiegen, danach aber bis 2016 rückläufig war (Abbildung 5). Der Anstieg bis 2009 könnte mit dem zunehmenden Wettbewerb um Endkundinnen und Endkunden auf den Strom- und Gasmärkten zusammenhängen, auf den viele Versorger mit einer höheren Tarifvielfalt und mit maßgeschneiderten Produkten für Großkunden reagiert haben.Siehe Caroline Stiel, Astrid Cullmann und Maria Nieswand (2018): Do Private Utilities Outperform Local Government-Owned Utilities? Evidence from German Retail Electricity. German Economic Review 19(4), 401–425 (online verfügbar). Durch die Einführung des regulierten Netzzugangs unter der Aufsicht der Bundesnetzagentur wurde die Belieferung von Kundinnen und Kunden außerhalb des eigenen Netzgebiets ab 2005 stark vereinfacht. Dies belebte den Wettbewerb auf diesen Märkten und führte zu einer höheren Produktvielfalt.Bundesnetzagentur (2014): Monitoringbericht 2014. Bonn (online verfügbar). Der Rückgang der Produktinnovationen in den letzten Jahren hingegen könnte auf einen Sättigungseffekt hindeuten, wonach sich das Tarifangebot innerhalb der Unternehmen stabilisiert hat. Seit 2016 zeichnet sich jedoch eine erneute Trendumkehr ab.
In der Wasser- und Entsorgungswirtschaft fiel der Anteil der Betriebe, die Produktinnovationen eingeführt hatten, von 2007 bis 2015 beinahe kontinuierlich ab, stieg zuletzt aber wieder etwas an.
Forschung zu Technologien der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft findet nicht zwangsläufig in der Branche selbst statt. Insgesamt forschten im Jahr 2013 in Deutschland etwa 160 Unternehmen zu Technologien der Energieversorgung, etwa 60 Unternehmen zur Wasserversorgung und -entsorgung sowie über 90 Unternehmen zur Abfallbehandlung und Recyling. In der Energie- und Wasserversorgung entfallen dabei gut 40 Prozent dieser Unternehmen auf das verarbeitende Gewerbe und nur rund 30 Prozent auf die Energie- bzw. Wasserwirtschaft selbst (Tabelle 1). Die sonstigen Wirtschaftszweige umfassen vor allem die freien Berufe. Ihr vergleichsweise hoher F&E-Anteil ist vermutlich durch Arbeiten von Ingenieurbüros, Startups sowie privaten Forschungseinrichtungen zu erklären. Lediglich in der Abfallentsorgung findet der Großteil der Forschung in den Unternehmen der Abfallwirtschaft selbst statt. Forschungsaktivitäten in der Energie- und Wasserwirtschaft finden daher eher in anderen Wirtschaftszweigen statt, vor allem im verarbeitenden Gewerbe wie dem Maschinenbau, der Elektro- und chemischen Industrie.Siehe auch Andreas Kladroba (2018): Energieversorgung als Innovationsbranche vor dem Hintergrund der Energiewende: Ein Fragezeichen. Zeitschrift für Energiewirtschaft 42, 273–278.
In Prozent
Wirtschaftszweig der forschenden Unternehmen | |||||
---|---|---|---|---|---|
Forschungsbereich | Energieversorgung | Wasserversorgung und Entsorgungswirtschaft | Verarbeitendes Gewerbe | Sonstige Wirtschaftszweige | Gesamt |
Energieversorgung | 32 | 1 | 40 | 27 | 100 |
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung | 1 | 28 | 43 | 28 | 100 |
Abfallbehandlung und Recycling | 0 | 59 | 27 | 14 | 100 |
Anmerkungen: Anteile in Prozent gemessen an der Anzahl der forschenden Unternehmen zum Thema. Durchschnitte basierend auf Daten von 2009–2013.
Lesehilfe: 32 Prozent der Unternehmen, die zum Thema Energieversorgung forschen, stammen aus der Energieversorgung.
Quelle: SV Wissenschaftsstatistik GmbH, FuE-Erhebung, 2007–2015, eigene Berechnungen.
Dieser Befund wirft die Frage auf, ob die Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft zunehmend in fremdentwickelte Technologien in Form von Sachgütern und immateriellen Gütern investiert anstatt eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten durchzuführen. Innovationen würden dann mittels des Erwerbs innovativer technischer Anlagen und Software realisiert.Vgl. Katrin Ostertag et al. (2018); FuI-Indikatoren zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz: Forschung, Entwicklung, Innovationen und Marktergebnisse. Studie zum deutschen Innovationssystem für die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (online verfügbar). Beispielsweise entwickeln Unternehmen der Energiewirtschaft üblicherweise nicht selbst Windturbinen oder Software für Smart-Metering-Angebote, sondern kaufen diese von Drittanbietern aus dem verarbeitenden Gewerbe oder der IT-Branche ein. Daher werden im Folgenden exemplarisch die Investitionsausgaben der Energie-, Wasser- und Entsorgungsunternehmen für zwei Bereiche näher untersucht, die einer hohen Innovationsrate unterliegen:Vgl. Ilja Rudyk et al. (2015): Climate change mitigation technologies in Europe – evidence from patent and economic data. Bericht des United Nations Environment Programme (UNEO) und des Europäischen Patentamts (EPO) (online verfügbar). Sachgüter für den Klimaschutz und immaterielle Güter, wie etwa Software.Vgl. hierzu die Analyse der Umsätze aus dem Verkauf von Klimaschutzgütern und -leistungen im verarbeitenden Gewerbe in Jürgen Blazeczak, et al. (2018): Energiewende für die Modernisierung des Industriestandorts Deutschlands nutzen. Wirtschaftsdienst 98(8), 565–573 (online verfügbar) und die Analyse der wirtschaftlichen Bedeutung von Klimaschutzgütern in Umweltbundesamt (Hrsg.) (2019): Wirtschaftliche Chancen durch Klimaschutz. Kurzbericht. Climate Change 15/2019. Dessau-Roßlau (online verfügbar).
Klimaschutzinvestitionen umfassen – so die Firmendaten des Statistischen Bundesamtes – Investitionen in Sachanlagen und Maßnahmen, die Emissionen von Treibhausgasen verringern, erneuerbare Energien nutzen oder Energie einsparen. Zwischen 2007 und 2014 ist das Volumen der Klimaschutzinvestitionen in der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft deutlich angestiegen (Abbildung 6). So haben sich die Investitionen im betrachteten Zeitraum mehr als verzehnfacht und betrugen im Jahr 2014 preisbereinigt über 1,6 Milliarden Euro. Die höchsten Zuwachsraten waren bis 2011 zu verzeichnen, danach schwächte sich die Investitionsdynamik etwas ab. Im Vergleich dazu stiegen die Klimaschutzinvestitionen im verarbeitenden Gewerbe von 300 Millionen Euro im Jahr 2006 nur auf knapp 800 Millionen Euro im Jahr 2014. Diese umfassten vorrangig Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.Vgl. Destatis (2016): Investitionen für den Umweltschutz im produzierenden Gewerbe. Fachserie 19 Reihe 3.1.
Der Großteil der Investitionen der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft wird vom Stromsektor getragen (90 Prozent) und hiervon wiederum 43 Prozent von den Stromerzeugern. In den anderen Bereichen sind die Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen absolut gesehen geringer, nehmen dort aber einen relativ hohen Anteil an den Gesamtinvestitionen ein. So machten sie im Jahr 2014 im Wassersektor 22 Prozent, bei der Abfallentsorgung 34 Prozent und im Wärmesektor 59 Prozent der Gesamtinvestitionen aus. Der Anteil der Klimaschutzinvestitionen ist so zwischen 2008 und 2014 in fast allen Bereichen gestiegen (Tabelle 2).
In Prozent
2008 | 2014 | |
---|---|---|
Abfallentsorgung | 28 | 34 |
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung | 22 | 22 |
Energieversorgung | 30 | 37 |
Wärmeversorgung | 60 | 59 |
Gasversorgung | 15 | 25 |
Stromversorgung | 24 | 32 |
Stromerzeugung | 26 | 44 |
Stromübertragung und -verteilung | 22 | 21 |
Stromhandel und -vertrieb | 19 | 22 |
Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Kostenstrukturerhebung bei Unternehmen der Energieversorgung, Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen 2008–2014, Erhebung der Investitionen für den Umweltschutz, 2008–2014, eigene Berechnungen.
Mit knapp 1,4 Milliarden Euro floss im Jahr 2014 der Großteil der Klimaschutzinvestitionen der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft in Anlagen und Maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien (Abbildung 7). Dies entspricht etwa 85 Prozent des Gesamtvolumens. Dort waren auch die höchsten Zuwächse zu verzeichnen. Ein geringerer Teil wurde zur Steigerung der Energieeffizienz (knapp 160 Millionen Euro) sowie für Technologien zur Vermeidung von Emissionen aufgewendet (etwas mehr als 90 Millionen Euro). Während die Investitionen in Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz seit 2007 jährlich schwankten, gingen die Investitionen zur Emissionsreduzierung stark zurück.
Der kontinuierliche Zuwachs von Investitionen in erneuerbare Energien wird hauptsächlich von den Stromerzeugern und -netzbetreibern getragen (Abbildung 8). Die in den Daten verzeichneten Ausgaben der Netzbetreiber könnten unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass Netzbetreiber beispielsweise den Netzanschluss von Wind- oder Solarparks als entsprechende Investitionen angeben (Kasten).
Auch in der Wasserversorgung und in der Abfallentsorgung lassen sich in den vergangenen Jahren starke Wachstumsphasen beobachten. So haben sich die Investitionen der Wasserunternehmen zwischen 2007 und 2011 jährlich verdoppelt und in der Abfallentsorgung zwischen 2009 und 2013 verdreifacht (Abbildung 8). Hintergrund dürfte die verstärkte Nutzung von biogenen Abfällen und Klärschlamm zur Strom- und Wärmegewinnung sein sowie die steigende Nutzung erneuerbarer Energiequellen für die energieintensive Wasseraufbereitung – beispielsweise über großflächige Solaranlagen.
Die Analyse der Investitionen zur Steigerung der Energieeffizienz ergibt ein ähnliches Bild (Tabelle 3). Auch hier investieren Stromerzeuger absolut die höchsten Beträge, etwa über Investitionen in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Die anderen Wirtschaftszweige bauten ihre Investitionen jedoch gleichfalls aus und weisen zum Teil hohe Zuwachsraten auf. So wenden Abwasserentsorger zunehmend innovative Verfahren zur Wärmerückgewinnung aus Abwasser und Klärschlamm an und investierten im Jahr 2014 preisbereinigt 19 Millionen Euro in die Steigerung der Energieeffizienz.
In Millionen Euro (Preise von 2010)
2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2014 | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Abfallentsorgung | 3 | 5 | 19 | 5 | 6 | 10 | 11 | 34 |
Wasserversorgung und Abwasserentsorgung | 12 | 15 | 19 | 22 | 18 | 29 | 19 | 22 |
Wärmeversorgung | 12 | 15 | 12 | 42 | 16 | 22 | 23 | 37 |
Gasversorgung | 1 | 1 | 2 | 6 | 6 | 16 | 12 | 59 |
Stromerzeugung | 245 | 184 | 249 | 81 | 261 | 209 | 59 | 25 |
Stromübertragung und -verteilung | 23 | 3 | 12 | 11 | 5 | 4 | 11 | 21 |
Stromhandel und -vertrieb | 10 | 8 | 28 | 13 | 14 | 15 | 22 | 22 |
Quelle: FDZ der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, Erhebung der Investitionen für den Umweltschutz, 2008–2014, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundes, Preisindex Bruttoanlageinvestitionen 2008–2014, eigene Berechnungen.
Die Umsetzung der Energiewende und der Klimaschutzziele erfordert nicht nur innovative Technologien in Form von Maschinen und technischen Anlagen, sondern verstärkt auch den Einsatz intelligenter Systeme zur Steuerung und Koordinierung dieser Anlagen. Darüber hinaus werden intelligente Systeme zunehmend genutzt, um Endkundinnen und Endkunden eine bessere Übersicht über den Energieverbrauch zu liefern und ihnen zu ermöglichen, ihren Verbrauch in Bezug auf Energiekosten und Wohnqualität zu optimieren (Smart Home). Investitionen in immaterielle Güter wie der Erwerb von Software, Lizenzen und Patenten stellen daher einen weiteren Indikator für die Nutzung innovativer Technologien dar.
Insgesamt haben sich die Ausgaben der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft für immaterielle Güter zwischen 2009 und 2017 deutlich erhöht (Abbildung 9). Dies betrifft insbesondere den Bereich Software. So stiegen in der Stromversorgung die Ausgaben für Software und Lizenzen seit 2009 um mehr als zwei Drittel und betrugen über 310 Millionen Euro im Jahr 2017 (Tabelle 4). Dies ist nicht zuletzt auf die zunehmend komplexe Steuerung des Netzbetriebs im Rahmen der Energiewende und diversifizierte Vermarktungs- und Beschaffungsstrategien im Energiehandel zurückzuführen.
In Millionen Euro (Preise von 2010)
2009 | 2017 | |
---|---|---|
Stromversorgung | 185 | 313 |
Gasversorgung | 62 | 30 |
Wärmeversorgung | 6 | 9 |
Wasserversorgung | 31 | 30 |
Abwasserentsorgung | 20 | 26 |
Abfallentsorgung | 13 | 31 |
Quelle: Destatis (2011, 2019): Produzierendes Gewerbe. Beschäftigung, Umsatz, Investitionen und Kostenstruktur der Unternehmen in der Energieversorgung, Wasserversorgung, Abwasserund Abfallentsorgung, Beseitigung von Umweltverschmutzungen. Fachserie 4 Reihe 6.1., Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundes, Preisindex Geistiges Eigentum 2009–2017, eigene Berechnungen.
Auch in anderen Bereichen wie der Abwasser- und Abfallentsorgung haben sich die Aufwendungen für immaterielle Güter stark erhöht, wenn auch auf deutlich niedrigerem Niveau. Dies weist ebenfalls auf eine zunehmend vernetzte Steuerung von Produktionsprozessen hin. Einzige Ausnahme: Die Gasversorgung verzeichnet einen Rückgang an Investitionen in Software, Lizenzen, und Patente.
Der Umfang der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in der Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Auch forscht nur eine Minderheit der Unternehmen in diesem Sektor aktiv. Gleichzeitig sind die Investitionen dieser Unternehmen in innovative Technologien für den Klimaschutz und zur Umsetzung der Energiewende zwischen 2006 und 2014 stark angestiegen. Im Jahr 2014 wendete die Energie-, Wasser- und Entsorgungswirtschaft fast zehnmal so viel auf für Investitionen in den Klimaschutz und Software zur intelligenten Steuerung der Produktionsprozesse wie für eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.
Diese Befunde weisen darauf hin, dass innovative Verfahren zur Ver- und Entsorgung hauptsächlich in anderen Wirtschaftsbereichen entwickelt werden. Die Ver- und Entsorgungsunternehmen setzen die innovativen Verfahren jedoch ein, um auf die Anforderungen durch die Energiewende und Klimaschutzziele zu reagieren. Dies erstreckt sich nicht nur auf die Stromversorgung, sondern lässt sich auch in der Entsorgungswirtschaft und der Wasserversorgung beobachten.
Darüber hinaus findet die Forschung der Energie-, Wasser- und Entsorgungsunternehmen zunehmend in Klein- und Kleinstunternehmen statt. Dies legt die Vermutung nahe, dass etablierte Unternehmen für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten Tochterunternehmen ausgründen oder auf der Suche nach Wissenstransfer und neuen Geschäftsmodellen in eigenständige Startups investieren.
Die weitere Umsetzung der Energiewende und deutlichere Anstrengungen im Klimaschutz erfordern auch in Zukunft neue Produkte und Prozesse. Hierzu zählt zum Beispiel die wachsende Rolle dezentraler Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien, die durch intelligente Mess-, Abrechnungs- und Handelssysteme befördert wird, etwa durch Blockchain-Technologien. Auch das Zusammenwachsen der derzeit größtenteils getrennten Sektoren Strom, Gas und Wärme sowie Mobilität erfordert innovative Produkte und Prozesse in den Bereichen Technologie, Kommunikation und Steuerung. Hierzu sollten die Anstrengungen für Forschung und Entwicklung erheblich erhöht werden. Dies erfordert eine aktive Rolle der Politik. So sollten Ausgaben für Forschung in diesem Bereich, wie dies im Jahre 2018 verabschiedeten siebten Energieforschungsprogramm ansatzweise vorgesehen ist, erheblich erhöht werden. Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung angestrebten Erhöhung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung von drei auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2025 spricht vieles dafür, einen maßgeblichen Anteil hiervon auf die Forschung zur Verbesserung der Energiebereitstellung, -nutzung, -verteilung und -speicherung zu verwenden.Für eine umfassende Beschreibung weiterer Bedarfe für Forschung und Entwicklung zur Sicherstellung der Energiewende, siehe Peter Viebahn et al. (2018): Technologien für die Energiewende. Politikbericht, an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi). Wuppertal, Karlsruhe, Saarbrücken (online verfügbar).
Gleichzeitig müssen entsprechend die Rahmenbedingungen und Anreize für den verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien und die Etablierung innovativer, dezentraler und intelligenter Geschäftsmodelle verbessert werden. Dies kann beispielsweise über die Förderung von Mieterstromkonzepten, der Einpreisung negativer Umweltauswirkungen konventioneller Anlagen, oder die Förderung innovativer Start-ups im Bereich Digitalisierung und Klimaschutz geschehen.
JEL-Classification: O31;L94;Q54
Keywords: Innovation, utilities, climate protection, digitalization
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-33-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/203173