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Power-to-X: so wenig wie nötig, nicht so viel wie möglich: Kommentar

DIW Wochenbericht 35 / 2019, S. 616

Wolf-Peter Schill

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„Power-to-X“: Wenn es um die Zukunft der Energiewende geht, fällt früher oder später dieser Begriff. Er beschreibt die Erzeugung chemischer Energieträger auf Basis von Strom aus erneuerbaren Energien. Dazu wird in Regel zunächst per Elektrolyse Wasserstoff erzeugt. Dieser kann entweder selbst als Energieträger genutzt werden oder, unter Zuhilfenahme einer nachhaltigen Kohlenstoffquelle, in synthetisches Erdgas oder synthetische Flüssigkraftstoffe umgewandelt werden.

Grundsätzlich können solche Energieträger eine wichtige Rolle im künftigen Energiesystem spielen. Sie bieten einerseits die Option, erneuerbaren Strom in heute nicht elektrifizierten Anwendungsbereichen – etwa im Verkehr, im Wärmesektor oder der Industrie – zu nutzen. Dadurch können fossile Kraft- und Heizstoffe ersetzt und entsprechende CO2-Emissionen eingespart werden. Andererseits erlaubt es Power-to-X, erneuerbare Energie in chemischer Form über längere Zeiträume zu speichern und gegebenfalls auch über größere Entfernungen zu transportieren. Dies wird bei weiter steigenden Anteilen fluktuierender erneuerbarer Energien immer wichtiger.

Trotzdem sollte bei Power-to-X die Devise gelten „so wenig wie nötig“, und nicht „so viel wie möglich“. Der Hauptgrund hierfür ist, dass es relativ hohe Verluste bei der Umwandlung elektrischer Energie in chemische Energieträger gibt. Diese Verluste sind relevant, denn günstiger erneuerbarer Strom dürfte nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit dauerhaft knapp bleiben. In Deutschland ist die Erzeugung energiewirtschaftlich relevanter Mengen synthetischer Kraft- und Heizstoffe in Anbetracht der hierfür zusätzlich erforderlichen Windkraft- und Photovoltaikanlagen kaum darstellbar. Deswegen wird die Option, solche Energieträger künftig aus anderen Weltregionen zu importieren, derzeit verstärkt diskutiert. Allerdings sind die kostengünstigen und praktisch realisierbaren Potenziale für erneuerbare Energien auch anderswo begrenzt. Zu bedenken ist dabei, dass in einer mit den Pariser Klimazielen kompatiblen Welt künftig praktisch alle Länder weltweit ohnehin bereits in sehr großem Umfang erneuerbare Energien nutzen müssen – die Stromerzeugung für Power-to-X kommt noch hinzu.

Aus Energieeffizienzgründen scheint es daher dringend geboten, wo immer möglich eine direkte Elektrifizierung der Verkehrs-, Wärme- und Industriesektoren anzustreben. Wo dies unrealistisch ist, kann Power-to-X ins Spiel kommen. Aus heutiger Sicht betrifft das insbesondere den Flug- und Schiffsverkehr sowie diverse Hochtemperaturprozesse in der Industrie. Dazu kommt die Langfrist-Stromspeicherung.

Die Förderung von Power-to-X-Technologien als Baustein der Energiewende ist wichtig. Dazu gehört weitere Forschung und Entwicklung, unter anderem zu nachhaltigen Kohlenstoffquellen. Derzeit wird jedoch von Branchenvertretern verstärkt auch eine Markteinführung gefordert. Bei derartigen Überlegungen kommt es aber darauf an, vom künftigen Energiesystem her zu denken, und nicht auf einen vollständigen Ersatz des heutigen Verbrauchs fossiler Energieträger abzuzielen. Es sollte von Anfang an vermieden werden, Power-to-X dort einzusetzen, wo andere Klimaschutzoptionen zur Verfügung stehen, die deutlich energieeffizienter sind. Dazu gehören z. B. batterieelektrische Antriebe in Teilen des Straßenverkehrs oder diverse Ansätze zur Steigerung der Energieeffizienz, vor allem im Wärmesektor. Darüber hinaus ist weitere energiesystemorientierte Forschung zu den optimalen Einsatzgebieten verschiedener Power-to-X-Technologien notwendig.

Wolf-Peter Schill

Leiter des Forschungsbereichs „Transformation der Energiewirtschaft“ in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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