DIW Wochenbericht 39 / 2019, S. 725-731
Caterina Forti Grazzini, Chi Hyun Kim
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„In einigen Ländern, zum Beispiel in den USA, spielt die Frage, ob und wie man am Aktienmarkt investierte, eine maßgebliche Rolle für die finanzielle Situation im Alter. Gerade für Frauen, die während ihres Erwerbslebens im Durchschnitt weniger Einkommen als Männer haben, ist das wichtig. Umso problematischer ist es, dass eine Straffung der Geldpolitik Frauen den Einstieg in den Aktienmarkt mehr erschwert als Männern, wie wir hier zeigen.“ Chi Hyun Kim, Studienautorin
Die extrem lockere Geldpolitik der letzten Jahre hat Befürchtungen aufkommen lassen, dass Haushalte mit bestimmten demografischen und finanziellen Merkmalen übermäßig stark vom Niedrigzinsumfeld profitieren. Die Geldpolitik erscheint in diesem Zusammenhang als ein möglicher Faktor, der die Vermögensungleichheit zwischen den Geschlechtern verstärkt, da Frauen erwiesenermaßen risikoscheuer, weniger kompetent in Finanzfragen und auch weniger stark am Finanzmarkt aktiv sind als Männer. Die vorliegende Studie nimmt das Investitionsverhalten von US-Haushalten am Aktienmarkt in den Blick und untersucht, ob die Geldpolitik die Anlageentscheidungen von Frauen und Männern unterschiedlich beeinflusst. Die Geldpolitik wirkt sich bei Frauen auf den Einstieg in den Aktienmarkt aus, nicht aber bei Männern; bei Männern und Frauen, die bereits in Aktien investieren, sind dagegen keine genderspezifischen Unterschiede zu beobachten. Eine Erhöhung der Teilnahme von Frauen am Aktienmarkt kann daher ein Mittel sein, um mögliche genderspezifische Verteilungseffekte der Geldpolitik zu verhindern. So könnten Produkte, die sich explizit an Anlegerinnen richten, dazu beitragen, die Partizipation von Frauen am Aktienmarkt zu erhöhen.
Im Anschluss an die globale Finanzkrise von 2008 haben mögliche Umverteilungseffekte geldpolitischer Maßnahmen Eingang in die politische Diskussion gefunden. Öffentlichkeit und Politik treibt die Sorge um, dass das Niedrigzinsumfeld nur einer kleinen Gruppe von Haushalten mit bestimmten Merkmalen zugutekommt und somit zur Verschärfung der Vermögensungleichheit in der Gesellschaft beiträgt.Unter anderem sprach der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, dieses Thema während seines Besuchs am DIW Berlin im Jahr 2016 an. Mario Draghi (2016): Stability, Equity and Monetary Policy, Rede am 25. Oktober 2016 (online verfügbar, abgerufen am 29. August 2019). In einigen Studien wurde bereits detailliert untersucht, wie Unterschiede in den finanziellen und demografischen Haushaltsmerkmalen, zum Beispiel Vermögenszusammensetzung oder Alter, zu unbeabsichtigten Verteilungsfolgen der Geldpolitik in der Bevölkerung führen können.Ausführlicher hierzu Adam Klaus und Panagiota Tzamourani (2016): Distributional Consequences of Asset Price Inflation in the Euro Area. European Economic Review 89, 172–192; Miguel Ampudia et al. (2018): Monetary Policy and Household Inequality. European Central Bank Working Paper Series 2170 (online verfügbar, abgerufen am 29. August 2019). Dennoch wird in der aktuellen geldpolitischen Debatte ein zentrales Merkmal vernachlässigt: das Geschlecht.
Warum sollte Gender für die Reaktion von Anlegern auf geldpolitische Maßnahmen eine Rolle spielen? Die Geldpolitik beeinflusst nicht nur den Wert der Anlagen und damit den Wert des Haushaltsvermögens, sondern kann sich auch auf die Investitionsentscheidungen der Haushalte auswirken. Wie frühere Studien gezeigt haben, agieren Frauen auf den Finanzmärkten anders als Männer. So wurde zum Beispiel nachgewiesen, dass Frauen eine höhere Risikoaversion aufweisen, ihr Aktienportfolio weniger häufig umschichten und über weniger Kompetenz in Finanzfragen verfügen als Männer.Siehe Annika E. Sunden und Brian J. Surette (1998): Gender Differences in the Allocation of Assets in Retirement Savings Plans. American Economic Review 88(2), 207–21; Brad M. Barber und Terrance Odean (2001): Boys Will Be Boys: Gender, Overconfidence, and Common Stock Investment. The Quarterly Journal of Economics 116(1), 261–292; Annamaria Lusardi und Olivia S. Mitchell (2008): Planning and Financial Literacy: How Do Women Fare? American Economic Review 98(2), 413–417. Dies führt zu einer niedrigeren Teilnahmequote von Frauen am Aktienmarkt. Engagieren sie sich dennoch an der Börse, investieren Frauen meist weniger Geld als Männer. Diese Verhaltensmerkmale können mit der Geldpolitik interagieren, weil geldpolitische Entscheidungen die Kursentwicklung beeinflussen und die Kurse wiederum das Risiko an den Finanzmärkten bestimmen (Kasten 1). Falls Frauen und Männer also unterschiedlich auf eine Veränderung in den Aktienkursen reagieren, könnte es sein, dass die Geldpolitik nicht genderneutral ist.
Die Geldpolitik bestimmt das Risiko von Finanzmarktgeschäften. Eine geldpolitische Straffung führt zu Kurssenkungen und somit zu einem höheren finanziellen Risiko; umgekehrt gilt das Gleiche. Dem sogenannten Risk-Taking Channel zufolge sollten Anlegerinnen und Anleger ihr Finanzportfolio nach einem geldpolitischen Schock anpassen. Wird der Leitzins unerwartet angehoben, verkaufen Anlegerinnen und Anleger risikobehaftete Vermögenswerte wie zum Beispiel Aktien und wechseln zu weniger riskanten Produkten, um das Risikoprofil ihres Finanzportfolios anzupassen.
Es ist bekannt, dass Frauen eine höhere Risikoaversion haben als Männer. Die Forschung zeigt, dass sich diese Eigenschaft in einer niedrigeren Teilnahme von Frauen am Finanzmarkt und in einem geringeren Anteil risikobehafteter Aktiva in ihren Finanzportfolios niederschlägt. Die Literatur zeigt außerdem, dass Frauen häufiger einer gewissen Handelsträgheit unterliegen, also weniger stark mit Wertpapieren handeln als Männer und somit eventuell Chancen zur Erzielung höherer Kapitalgewinne verpassen.Ausführlicher bei Barber und Odean (2001), a.a.O.
Ob die Geldpolitik sich unterschiedlich auf die Anlageentscheidungen von Frauen und Männern auswirkt, ist unklar. Sollte dies der Fall sein, ist die Richtung nicht eindeutig.
Einerseits könnte angesichts des stilisierten Fakts, dass Frauen geringere Risiken eingehen als Männer, eine mögliche Auswirkung darin bestehen, dass
Andererseits kann die Handelsträgheit von Frauen auch gegenteilige Folgen haben. Wenn Frauen nämlich ihre Finanzportfolios nur sehr sporadisch anpassen, könnte es sein, dass Änderungen in der Geldpolitik sich überhaupt nicht auf ihr Anlageverhalten auswirken. Folglich gibt es zwei Möglichkeiten:
Dieser Wochenbericht untersucht die genderspezifischen Effekte der Geldpolitik auf das Anlageverhalten von US-Haushalten an der Börse. Dabei konzentriert sich die Studie auf zwei große Entscheidungsfelder. Zunächst wird der Effekt der Geldpolitik auf den Status der Teilnahme am Aktienmarkt analysiert (Teilnahme, Einstieg oder Ausstieg). In einem zweiten Schritt wird untersucht, wie die Geldpolitik die aktiven Investitionsentscheidungen von Frauen und Männern (Nettokauf oder -verkauf) beeinflusst, die bereits am Aktienmarkt aktiv sind.
Grundlage der Untersuchung sind Daten der Panel Study of Income Dynamics (PSID), einer US-Haushaltsbefragung, mit der Daten zu demografischen und wirtschaftlichen Merkmalen erhoben werden. Insbesondere bietet die PSID-Studie sehr detaillierte Daten zum Finanzvermögen der Haushalte (Kasten 2). Auf Grundlage dieser Daten werden vier Variablen zur Analyse des Investitionsverhaltens am Aktienmarkt gebildet.
In der Panel Study of Income Dynamics (PSID) bezieht sich der Begriff „Haushaltsvorstand“ (household head) bei einem heterosexuellen verheirateten Paar auf den Ehemann oder bei alleinstehenden Personen auf einen weiblichen oder männlichen Erwachsenen. Bei verheirateten Paaren ist somit der Vorstand immer eine männliche Person, unabhängig davon, ob diese Person tatsächlich die Entscheidungen in Sachen Familienfinanzen trifft oder nicht. In einigen Fällen kann der Vorstand eines verheirateten Paares auch eine Frau sein, wenn beispielsweise der Ehemann die Befragung verweigert oder im Gefängnis sitzt. Die Bestimmung des Geschlechts der Person, die in der Familie für die Finanzen verantwortlich ist, ist folglich nicht einfach.
Um die Anlageentscheidungen von Frauen und Männer getrennt untersuchen zu können, wird in der vorliegenden Studie wie folgt verfahren. Da es nicht möglich ist, verheiratete Paare zu identifizieren, in denen die Frau die Finanzverantwortung trägt, werden für die Analyse des Anlageverhaltens von Frauen ausschließlich Haushalte mit ledigem weiblichem Vorstand verwendet. Für die Männer werden sowohl verheiratete als auch ledige Haushalte herangezogen, in denen der Vorstand männlich ist.Nur Haushalte mit alleinstehendem männlichem Vorstand heranzuziehen, ist aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht möglich. Dies ist zwar nicht die optimale Methode, um das rein männliche Investitionsverhalten zu ermitteln, aber immerhin können auf diese Weise die weiblichen Anlageentscheidungen isoliert betrachtet werden. Der Fokus auf ledige Frauen ist außerdem insofern sinnvoll, als dass diese Population am meisten von Armut im Alter bedroht und betroffen ist, und deshalb umso mehr auf Altersvorsorge (zum Beispiel über den Aktienmarkt) angewiesen ist.
Dass für die Analyse Haushaltsdaten aus den USA verwendet werden, hat mehrere Gründe. Erstens ist der Anteil der Haushalte, die überhaupt am Aktienmarkt aktiv sind, in den USA verglichen mit anderen Industrienationen sehr hoch. Die Teilnahmequote am heimischen Aktienmarkt beträgt 26 Prozent und ist damit knapp dreimal höher als in Deutschland, wo nur 8,9 Prozent der Haushalte an der Börse investieren.Die Daten stammen aus Mariassunta Giannetti und Yrjö Koskinen (2010): Investor Protection, Equity Returns, and Financial Globalization. Journal of Financial and Quantitative Analysis 45(1), 135–168. Zweitens wirken sich Aktienanlagen für US-Haushalte erheblich auf das Einkommen nach der Pensionierung aus, da die staatliche Alterssicherung in den USA weniger stark ausgeprägt ist als beispielsweise in Europa und die Alterseinkünfte somit maßgeblich von privaten Ersparnissen abhängen. Dass Frauen weniger dazu neigen, Geld in Aktien anzulegen, kann daher zu großen Unterschieden beim Aufbau von Finanzvermögen für die Zeit nach der Erwerbstätigkeit und somit zu einer erheblichen Einkommenskluft im Alter führen.
Bei den Haushalten wird zwischen zwei Gruppen unterschieden. Zur Untersuchung des Verhaltens von Frauen werden Haushalte mit alleinstehender Hauptverdienerin herangezogen; für die Männer werden Haushalte mit männlichem Hauptverdiener verwendet, wobei der Familienstand sowohl ledig als auch verheiratet sein kann (Kasten 3). Im Folgenden bezieht sich der Begriff „Frauen“ also auf Haushalte mit ledigem weiblichem Vorstand und „Männer“ auf Haushalte mit ledigem und verheiratetem männlichem Vorstand.
Die PSID-Studie enthält Informationen zur Anlagekategorie „non-IRA stock“.IRA steht für “Individual Retirement Account” (individuelles Alterskonto). Diese umfasst jeglichen Aktienbesitz an Publikumsgesellschaften, offenen Investmentfonds oder Investmentgesellschaften, nicht jedoch Anteile an Betriebsrenten oder individuellen Alterskonten. Unter Verwendung dieser Anlagekategorie wurden vier Variablen für die Analyse gebildet:
Für die Analyse werden zwei unterschiedliche ökonometrische Rahmen verwendet. Mit einem Probitmodell (siehe Gleichung 1) mit fixen Zeiteffekten (erfasst durch δt) wird der genderspezifische Effekt der Geldpolitik auf Aktienmarktteilnahme, -einstieg und -ausstieg (die Variablen auf der linken Seite: y*i,t) untersucht. Für das aktive Engagement am Aktienmarkt (ASi,t) wird ein Panel-Regressionsmodell (siehe Gleichung 2) mit fixen Individualeffekten (δi) und fixen Zeiteffekten (δt) geschätzt.
y*i,t = δt + αXi,t−1 + β1MPi,t + β2(MPi,t × Womeni) + β3(MPi,t × Wi,t−1) + β4(MPi,t×Wi,t−1×Womeni) + β5(Wi,t−1×Womeni) + β6Wi,t−1 + β7Womeni + ui,t
yi,t = I [ y*i,t > 0 ]
ASi,t = δi + δt + αXi,t−1 + β1MPi,t + β2MPi,t × Womeni + β3(MPi,t × Wi,t−1) + β4(MPi,t × Wi,t−1×Womeni) + β5(Wi,t−1 × Womeni) + β6Wi,t−1 + β7Womeni + ϵi,t
Die Variable Xi,t−1 umfasst eine Vielzahl von Kontrollvariablen, die für die Analyse verwendet werden. Dabei handelt es sich um demografische und finanzielle Merkmale, die aus der Vorperiode stammen. Die finanziellen Variablen sind: Nettovermögen und Familiengesamteinkommen, Änderung des Nettovermögens und des Familiengesamteinkommens, Gesamterbschaft sowie Dummy-Variablen, die die Belastung mit Hypotheken erfassen. Zu den verwendeten demografischen Variablen zählen Anzahl der Kinder und Familienangehörigen, Alter des Haushaltsvorstands, Familienstand, erreichter Hochschulabschluss, Wohneigentum sowie ein Indikator, der anzeigt, ob der Haushaltsvorstand in der Finanzbranche arbeitet.
Geldpolitische Schocks werden mithilfe einer adaptierten Version des „High Frequency Identification“-Ansatzes von Nakamura und Steinsson identifiziert.Für eine detaillierte Darstellung siehe Emi Nakamura und Jón Steinsson (2018): High-Frequency Identification of Monetary Non-Neutrality: The Information Effect. The Quarterly Journal of Economics 133(3), 1283–1330. Diese Methode erfasst die erste Hauptkomponente der überraschten Reaktionen eines breiten Spektrums an Zinsterminkontrakten innerhalb eines engen Zeitfensters vor und nach den Sitzungen des Federal Open Market Committee. Dies ermöglicht die Bildung einer haushaltsspezifischen Kennzahl zur Messung des geldpolitischen Schocks: MPi,t.
Die Kennzahl zur Messung des geldpolitischen Schocks wird zusätzlich mit zwei weiteren Variablen interagiert, mit der die Haushaltsheterogenität erfasst wird, die bezüglich der Anfälligkeit für geldpolitische Maßnahmen relevant ist. Zunächst wird die unterschiedliche Anfälligkeit der Haushalte in Abhängigkeit von ihrem Finanzvermögen (Wi,t−1). betrachtet. Es wird angenommen, dass die Anfälligkeit für geldpolitische Entscheidungen mit zunehmendem Finanzvermögen steigt.
In zweiten Schritt wird geprüft, ob genderspezifische Effekte der Geldpolitik zu beobachten sind. Zu diesem Zweck wird die Kennzahl zur Messung des geldpolitischen Schocks mit der Dummy-Variablen Womeni interagiert, die für Haushalte mit ledigem weiblichem Vorstand den Wert Eins und für Haushalte mit ledigem und verheiratetem männlichem Vorstand den Wert Null annimmt. Daraus ergibt sich eine dreifache Interaktion der drei Variablen MPi,t, Wi,t−1, und Womeni.
Panel 1 der Tabelle zeigt einige demografische Merkmale der US-Bevölkerung insgesamt. Die Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind deutlich zu erkennen: Eine Frau besitzt im Durchschnitt nur 60 Prozent des Nettovermögens eines Mannes und erzielt ein erheblich geringeres Arbeitseinkommen (rund 55 Prozent weniger). In Panel 2 hingegen, das nur die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Aktienmarkt berücksichtigt, werden diese Unterschiede kleiner. Das durchschnittliche Nettovermögen von Frauen übersteigt sogar das der Männer.
Finanzvariablen in US-Dollar
Frauen | Männer | |
---|---|---|
Panel 1: Alle Haushalte | ||
Aktienbesitz | 57185,88 | 85676,19 |
Anteil Aktien am Gesamtfinanzportfolio | 9 Prozent | 16 Prozent |
Gesamtfinanzportfolio | 39394,62 | 107683,83 |
Nettovermögen | 218638,44 | 370282,18 |
Einkommen | 45517,46 | 100820,76 |
Hochschulabschluss | 46 Prozent | 47 Prozent |
Panel 2: TeilnehmerInnen am Aktienmarkt | ||
Aktienbesitz | 140748,77 | 267101,33 |
Anteil Aktien am Gesamtfinanzportfolio | 57 Prozent | 60 Prozent |
Gesamtfinanzportfolio | 204620,30 | 358144,16 |
Nettovermögen | 1074876,91 | 849229,62 |
Einkommen | 67735,86 | 148274,50 |
Hochschulabschluss | 76 Prozent | 69 Prozent |
Quelle: PSID, eigene Berechnungen.
Von den Frauen, die in Aktien investieren, haben 76 Prozent einen Hochschulabschluss, also deutlich mehr als in der weiblichen US-Bevölkerung insgesamt (46 Prozent). Gleiches gilt für die Männer, allerdings fällt der Unterschied zwischen dem Anteil der Hochschulabsolventen in der männlichen Gesamtbevölkerung (47 Prozent) und ihrem Anteil unter den Teilnehmern am Aktienmarkt (69 Prozent) geringer aus. Dies lässt vermuten, dass US-Kapitalanlegerinnen und -anleger allgemein höher gebildet sind als der amerikanische Durchschnitt.
Im ersten Schritt wurde der allgemeine Effekt der Geldpolitik auf den Status der Teilnahme am Aktienmarkt untersucht. Dabei lag der Fokus auf „geldpolitische Schocks“, also Anpassungen der US-Notenbank (Federal Reserve), die von den Marktteilnehmerinnen und -teilnehmern nicht erwartet werden. Ein Beispiel für einen solchen Schock ist die Entscheidung der Notenbank vom September 2013, nichts zu unternehmen, während auf den Finanzmärkten fest damit gerechnet wurde, dass sie damit beginnen würde, den Ankauf von Staatsanleihen (Large Scale Asset Purchases) zurückzufahren. Diese Entscheidung überraschte den Markt und hatte erhebliche Kursschwankungen zur Folge.Konkret erfolgt die Schätzung geldpolitischer Schocks durch die Erfassung der Finanzmarktreaktionen unmittelbar nach den Sitzungen des Federal Open Market Committee (FOMC). Wird die geldpolitische Entscheidung wie im obigen Beispiel von den Finanzmärkten nicht erwartet, kommt es direkt im Anschluss an die Verkündung zu Kursschwankungen, die zu dem geldpolitischen Schock beitragen. Für ein einfaches Verständnis geldpolitischer Schocks werden in der vorliegenden Studie jene Schocks untersucht, die die Renditen aus einjährigen US-Staatsanleihen um 100 Basispunkte erhöhen.
Die Entscheidung, am Aktienmarkt teilzunehmen, steht tatsächlich in einer Beziehung zu der unerwarteten Änderung der Geldpolitik: Eine Straffung der Geldpolitik hat bei Männern keine Auswirkungen auf die Wahrscheinlichkeit, in Aktien zu investieren. Die Teilnahmequote der Frauen hingegen sinkt in diesem Fall um 13,43 Prozent – ein Hinweis, dass Frauen von geldpolitischen Veränderungen stärker beeinflusst werden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung lag auf Haushalten, die einen Ein- oder Ausstieg aus dem Aktienmarkt vollzogen haben. Ziel war es, herauszufinden, ob hinter den Änderungen am Teilnahmestatus eher Änderungen bei der Einstiegs- oder bei der Ausstiegsentscheidung standen. Nur bei der Einstiegsentscheidung sind genderspezifische Unterschiede festzustellen: Die Wahrscheinlichkeit, im Falle einer Straffung der Geldpolitik in den Aktienmarkt einzusteigen, ist bei Frauen um 13,7 Prozent geringer als bei Männern, während die Wahrscheinlichkeit eines Ausstiegs bei beiden Geschlechtern gleich hoch ist.
Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass die Veränderung im Status der Teilnahme am Aktienmarkt infolge eines geldpolitischen Schocks geschlechtsabhängig ist. Im nächsten Schritt wird der Effekt der Geldpolitik auf das aktive Investitionsverhalten von denen, die bereits Aktien besitzen, untersucht. Denn neben den Veränderungen im Teilnahmestatus können Änderungen der Geldpolitik auch aktive Anlegerinnen und Anleger zum Kauf oder Verkauf von Aktien veranlassen. Ein Anstieg der Zinsen geht mit einem Rückgang des Aktienkurses (und somit einem höheren Risiko) einher, was Anlegerinnen und Anleger veranlassen kann, einen Teil ihrer risikobehafteten Anlagen zu veräußern und in sicherere Optionen umzuschichten. Ein solches Verhalten wird als „Risk-Taking Channel“ der Geldpolitik bezeichnet.Siehe Kent Daniel, Lorenzo Garlappi und Kairong Xiao (2018): Monetary Policy and Reaching for Income. NBER Working Paper 25344 (online verfügbar, abgerufen am 21. August 2019). Die Studie zeigt, wie AnlegerInnen in stärker risikobehaftete Assets investieren, wenn die Zinsen sinken.
Die Analyse bestätigt, dass Haushalte nach einer Leitzinsanhebung einen Teil ihrer Aktieninvestitionen zurückziehen. Eine Straffung der Geldpolitik, die die Renditen aus einjährigen Staatsanleihen um 100 Basispunkte erhöht, führt zu Netto-Verkäufen von 708,32 US-Dollar. Signifikante genderspezifische Effekte sind hierbei nicht zu beobachten.
Zusammenfassend lassen sich zwei Hauptbefunde der Analyse festhalten. Einerseits sind genderspezifische Reaktionen auf geldpolitische Maßnahmen nur dann zu beobachten, wenn es um die Entscheidung geht, in den Aktienmarkt einzusteigen. Haben Frauen und Männer erst einmal Aktien erworben, sind andererseits keine strukturellen Unterschiede hinsichtlich ihrer Entscheidung, aus dem Aktienmarkt auszusteigen, oder bei der Anpassung von Anlageportfolios festzustellen.
Diese Befunde haben nach Kontrolle für eine Vielzahl demografischer und finanzieller Haushaltsmerkmale, die das Investitionsverhalten beeinflussen sollten, Bestand (Kasten 3). Dennoch lässt sich damit nicht vollständig erklären, warum es bei geldpolitischen Schocks zu genderspezifischen Reaktionen bezüglich der Einstiegsentscheidung kommt.
Die Tatsache, dass genderspezifische Effekte nur bei der Entscheidung zum Einstieg in den Aktienmarkt zu beobachten sind, nicht jedoch bei den tatsächlichen Anlageentscheidungen der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer, lässt vermuten, dass es einige nicht beobachtbare Merkmale gibt, die für die Erklärung des Effekts der Geldpolitik auf die Investitionsentscheidungen entscheidend sind. Zwei relevante Merkmale, die die genderspezifischen Effekte auf die Einstiegsentscheidung eventuell erklären, sind die im Vergleich zu Männern höhere Risikoaversion der Frauen und ihre geringere Kompetenz in Finanzfragen. Die strukturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich dieser beiden Dimensionen und ihr Einfluss auf die Entscheidung, am Aktienmarkt zu investieren, sind in der Literatur umfangreich dokumentiert.Siehe Barber und Odean (2001), a.a.O.; Lusardi und Mitchell (2008), a.a.O.; Antonia Grohmann und Annekathrin Schoofs (2018): Financial Literacy and Intra-Household Decision Making: Evidence from Rwanda. DIW Discussion Paper 1720 (online verfügbar, abgerufen am 29. August 2019).
Dass bei Aktienmarktteilnehmerinnen und -teilnehmern keine genderspezifischen Effekte festzustellen sind, impliziert, dass Frauen und Männer über ein ähnlich hohes Maß an Risikoaversion und Finanzkompetenz verfügen, sobald sie am Aktienmarkt tätig sind. Darüber hinaus zeigen die Daten, dass andere demografische und finanzielle Merkmale von männlichen und weiblichen Aktienmarktteilnehmerinnen und -teilnehmern konvergieren. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Kluft zwischen Frauen und Männern in Bezug auf Risikoaversion und Finanzkompetenz sich schließt.
Auf die Frage nach den genderspezifischen Verteilungseffekten der Geldpolitik gibt es keine einfache Antwort. Einerseits ist der Einfluss der Geldpolitik auf die Entscheidung, in den Aktienmarkt einzusteigen, bei Frauen stärker als bei Männern. Andererseits sind bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Aktienmarkt keine genderspezifischen Effekte auf das Anlageverhalten festzustellen: Offensichtlich haben weibliche und männliche Marktteilnehmer dasselbe Verständnis davon, wie sich geldpolitische Schocks, und mithin finanzielles Risiko, auf ihr Finanzportfolio auswirken, und sie reagieren auf ähnliche Weise darauf. Eine mögliche Erklärung für diese unterschiedlichen Befunde könnte die im Vergleich zu Männern höhere Risikoaversion der Frauen sowie ihre niedrigere Kompetenz in Finanzfragen sein.
Der genderspezifische Effekt der Geldpolitik auf die Einstiegsentscheidung kann für Frauen langfristige Konsequenzen nach sich ziehen. Verglichen mit anderen Vermögenswerten bieten Aktien auf lange Sicht höhere durchschnittliche Renditen und ermöglichen es Frauen, Vermögen für die Zeit nach der Erwerbstätigkeit aufzubauen. Besonders in Ländern mit schwach ausgeprägter staatlicher Alterssicherung wie den USA kann eine Nicht-Teilnahme an den Finanzmärkten Altersarmut mit sich bringen oder verstärken. Eine Erhöhung der Partizipation von Frauen am Aktienmarkt ist daher für ihr langfristiges finanzielles Wohl von hoher Bedeutung.
Darüber hinaus können die Ergebnisse der Studie die Zentralbanken dabei unterstützen, die Effekte ihrer geldpolitischen Interventionen zu bewerten und deren ökonomische und soziale Konsequenzen richtig einzuschätzen. Im Kontext der aktuellen geldpolitischen Diskussion lassen die Ergebnisse vermuten, dass (aus dieser spezifischen Genderperspektive) die extrem lockere Geldpolitik mit anhaltend niedrigen Zinsen auf lange Sicht den Frauen zugutekommen wird, denn das Niedrigrisiko-Umfeld erleichtert ihnen die Teilnahme am Aktienmarkt, die für den langfristigen Vermögensaufbau unverzichtbar ist.
Dennoch wäre es besser, die genderspezifischen Effekte der Geldpolitik zu beseitigen. Dies ließe sich durch eine Erhöhung und Stabilisierung der Teilnahme von Frauen am Aktienmarkt erreichen. Ein besseres Angebot finanzieller Bildung und genderspezifischer Finanzprodukte könnte zum Erreichen dieser Ziele beitragen.
Schließlich sollten in Haushaltsbefragungen noch weitere Merkmale erhoben werden (wie etwa Risikoaversion und Kompetenz in Finanzfragen), denn diese Merkmale sind für ein Verständnis der unterschiedlichen Reaktionen von Haushalten auf ökomische Phänomene von entscheidender Bedeutung.
Themen: Verbraucher, Gender, Geldpolitik, Finanzmärkte, Bildung
JEL-Classification: E58;G11;J16
Keywords: Gender inequality, Heterogeneous effects of monetary policy, Stock market investment behavior
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-39-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/204886