DIW Wochenbericht 44 / 2019, S. 805-812
Ludovica Gambaro, Guido Neidhöfer, C. Katharina Spieß
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„Kindertageseinrichtungen sollten noch weiter ausgebaut werden, um die damit verbundenen Chancen für die Integration von Familien mit Fluchthintergrund zu nutzen. Denkbar wäre auch, Kitas zu Zentren für Familien weiterzuentwickeln. Diese könnten die Bedarfe von Kindern, Eltern und der Familie als Ganzes adressieren.“ C. Katharina Spieß, Studienautorin
Der Besuch einer Kindertageseinrichtung ist nicht nur für Kinder aus nach Deutschland geflüchteten Familien relevant, sondern auch für deren Eltern, insbesondere für Mütter: Sie integrieren sich eher in die deutsche Gesellschaft, wenn ihr Kind eine Kita besucht. Ihre Sprachkenntnisse sind besser, die Arbeitsmarktorientierung höher und sie vermissen ihr Herkunftsland weniger. Wie dieser Bericht auf Basis von Daten der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von nach Deutschland geflüchteten Personen zeigt, steigt der Gesamtindex für die Integration geflüchteter Eltern mit Kita-Kindern um 24 Prozent im Vergleich zu Eltern, deren Kinder nicht in eine Kita gehen. Der Effekt ist umso größer, je länger die Kinder in einer Kita betreut werden. Vor dem Hintergrund, dass anteilig weniger Kinder von Eltern mit Fluchthintergrund eine Kita besuchen als Kinder ohne Fluchthintergrund, sollten diese Erkenntnisse genutzt werden: Ratsam wäre, nach Deutschland geflüchtete Familien frühzeitig über die mit einem Kita-Besuch verbundenen Chancen zu informieren und ausreichend viele Kita-Plätze bereitzustellen.
Die Integration der nach Deutschland Geflüchteten ist eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen. Dies gilt insbesondere für jene Geflüchteten, die (zunächst) nicht in ihr Heimatland zurückkehren können oder wollen. Der „Nationale Aktionsplan Integration“ der Bundesregierung enthält für verschiedene Phasen der Integration unterschiedliche Maßnahmen, die auf eine effektive Integration abzielen. Dabei unterscheiden sich die Maßnahmen auch nach der Zielgruppe der Geflüchteten. Für Geflüchtete mit noch jungen Kindern wird insbesondere die frühe Förderung der Kinder adressiert: „Die frühe Förderung von Kindern leistet einen wichtigen Beitrag zur Chancengleichheit. […] Gute Angebote der Kindertagesbetreuung sind dafür wichtig. Gerade neuzugewanderte Kinder profitieren davon.“Vgl. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Nationaler Aktionsplan Integration (online verfügbar; abgerufen am 22. Oktober 2019. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt).
Empirische Forschungsarbeiten belegen die Bedeutung des Besuchs einer qualitativ guten Kindertagesbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund, insbesondere wenn es um Kinder geht, die zu Hause nicht Deutsch sprechen. Die sehr frühe Förderung der deutschen Sprache in Kitas ist damit ein Ansatzpunkt zur Integration der Kinder.Vgl. zum Beispiel Birgit Becker (2006): Der Einfluss des Kindergartens als Kontext zum Erwerb der deutschen Sprache bei Migrantenkindern. Zeitschrift für Soziologie, 35(6), 449–464; Birgit Becker (2010): Wer profitiert mehr vom Kindergarten? Die Wirkung der Kindergartenbesuchsdauer und Ausstattungsqualität auf die Entwicklung des deutschen Wortschatzes bei deutschen und türkischen Kindern. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 62(1), 139–163. Darüber hinaus können Kindertageseinrichtungen Kindern mit Migrationshintergrund frühzeitig Kontakt mit dem deutschen Bildungssystem, den Werten und kulturellen Vorstellungen ermöglichen. Für Kinder mit Migrationshintergrund ist das belegt – speziell für Kinder mit Fluchthintergrund liegen entsprechende systematische Forschungsbefunde auf Basis größerer und repräsentativer Mikrodaten bisher aber noch nicht vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Kita-Besuch für sie aus ähnlichen Gründen sehr bedeutend ist.So empfiehlt beispielsweise auch der Aktionsrat Bildung den frühen Kita-Besuch von Flüchtlingskindern, vgl. Aktionsrat Bildung (2016): Integration durch Bildung. Migranten und Flüchtlinge in Deutschland, 138.
Allerdings ermöglicht ein Kita-Besuch nicht nur Kindern den Austausch mit anderen ähnlich alten Kindern. Auch die Eltern dieser Kinder kommen über den Kita-Besuch mit anderen Eltern und Kindern und damit auch der deutschen Gesellschaft in Kontakt. Zum einen direkt, weil sie sich mit anderen Eltern in der Kita und bei Anlässen wie Kita-Festen austauschen, oder weil sie sich beim Bringen und Abholen ihrer Kinder mit den Fachkräften der Kindertageseinrichtungen unterhalten. Zum anderen auch indirekt, indem die Eltern über Gespräche mit ihren Kindern zu Hause mit entsprechenden Vorstellungen und Werten der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert werden, die Kinder aus der Kita „mitbringen“. Außerdem kann der Kita-Besuch geflüchteten Eltern ermöglichen, an Integrationskursen oder Deutschkursen teilzunehmen, da ihre Kinder währenddessen betreut werden. Der Besuch einer Kindertageseinrichtung fördert potentiell also in vielerlei Hinsicht auch die Integration der nach Deutschland geflüchteten Eltern von Kita-Kindern.Vgl. dazu auch die Ausführungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (online verfügbar). Bisher existierten nach Wissen der Autorinnen und des Autors des vorliegenden Wochenberichts kaum Studien, die solche potentiellen Effekte systematisch auf Basis repräsentativer Mikrostudien untersuchen – auch nicht für Kinder mit Migrationshintergrund.Für eine der wenigen Ausnahmen vgl. Nina Drange und Kjetil Telle (2015): Promoting integration of immigrants: Effects of free child care on child enrollment and parental employment. Labour Economics, 34, 26–38, die auf der Basis norwegischer Daten untersucht haben, ob der Besuch einer Kindertageseinrichtung von Kindern mit Migrationshintergrund die Erwerbstätigkeit oder Bildung der Eltern beeinflusst. Im Ergebnis zeigten sich keine entsprechenden statistisch signifikanten Effekte. Insofern trägt dieser Beitrag auch dazu bei, die bisher geringe empirische Evidenz zu den Auswirkungen des Besuchs einer Kindertageseinrichtung auf die Integration von Kita-Eltern auszubauen.Dieser Beitrag basiert auf Ludovica Gambaro, Guido Neidhöfer und C. Katharina Spiess (2019): The effect of early childhood care services on the social integration of refugee families. DIW Discussion Paper 1828 (online verfügbar). Die Forscherinnen und der Forscher danken der Jacobs Foundation und dem College for Interdisciplinary Educational Research (CIDER), die diese Forschungsarbeiten in Teilen mitfinanziert haben.
Von den Personen, die in den vergangenen Jahren per Saldo neu als Schutzsuchende nach Deutschland kamen, waren im Jahr 2016 14 Prozent und im Jahr 2017 27 Prozent im nicht schulpflichtigen Alter unter sieben Jahren. In absoluten Zahlen waren dies 75 785 beziehungsweise 22 475 Kinder (Abbildung 1). Inwiefern ein Kita-Besuch dieser Kinder mit Fluchthintergrund tatsächlich zu einer besseren Integration der Eltern geführt hat, zeigen die Analysen dieses Berichts.
Die vorliegenden Analysen basieren auf den beiden ersten Wellen der IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten, die in den Jahren 2016 und 2017 erhoben wurden (Kasten). Diese Daten ermöglichen Aussagen über Personen, die in den Jahren 2013 bis 2016 nach Deutschland geflüchtet sind. Auf dieser Datengrundlage kann die Integration der Befragten an folgenden Merkmalen festgemacht werden: an der Zahl der deutschen Bekannten, an der Einschätzung, ob die Befragten die Gesellschaft anderer vermissen, sich in der deutschen Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, sich sozial isoliert fühlen oder andere Personen aus dem Heimatland vermissen.Diese Einstellungen werden auf einer 5er-Likert-Skala erfasst, die die Werte von (1) „sehr oft“ bis (5) „nie“ umfasst. Darüber hinaus werden die Geflüchteten gefragt, ob sie an einem Deutsch-, Orientierungs- oder Integrationskurs teilgenommen haben, ob sie erwerbstätig sind oder wie hoch sie die Wahrscheinlichkeit einschätzen, künftig in Deutschland eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Außerdem ist es möglich, die Integration an Kenntnissen der deutschen Sprache festzumachen. Dafür wurden sowohl die Interviewerinnen und Interviewer gebeten, die Deutschkenntnisse der Befragten zu bewerten, als auch die Befragten selbst. Sie sollten ihre Deutschkenntnisse in den Bereichen Sprechen, Lesen und Schreiben einschätzen.Diese Einschätzung erfolgt auf einer 5er-Likert-Skala von (0) „sehr schlecht“ bis (4) „sehr gut“.
Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten basiert auf einer Zufallsstichprobe, die aus dem Ausländerzentralregister gezogen wurde. In der ersten Stichprobe enthalten sind Personen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 31. Januar 2016 nach Deutschland geflüchtet sind und einen formellen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt haben.Vgl. Martin Kroh et al. (2018): Sampling, Nonresponse, and Integrated Weighting of the 2016 IAB-BAMF-SOEP Survey of Refugees (M3/M4) – Revised Version. SOEP Survey Paper 477 (online verfügbar); und Jannes Jacobsen et al. (2019): Supplementary of the IAB-BAMF-SOEP Survey of Refugees in Germany (M5). SOEP Survey Papers 605, Series C (online verfügbar). Eine zweite Zufallsstichprobe besteht zum einen aus Zuzügen im gleichen Zeitraum, die 2016 aber noch nicht im Ausländerzentralregister registriert waren, und zum anderen aus Neuzuzügen zwischen Februar und Dezember 2016.Vgl. Simon Kühne, Jannes Jacobsen und Martin Kroh (2019): Sampling in Times of High Immigration: The Survey Process of the IAB-BAMF-SOEP Survey of Refugees. Survey Methods: Insights from the Field (online verfügbar). Diese Daten wurden in das Sozio-oekonomische Panel (SOEP)Vgl. Jürgen Schupp et al. (2018): Socio-economic Panel (SOEP), data from 1984-2016 (online verfügbar). integriert.
In der ersten Erhebungswelle wurden die Daten auf Basis persönlicher mündlicher Interviews von Juni bis Dezember 2016 erhoben. Für die zweite Welle erfolgten die Interviews im Jahr 2017. Dabei wurden die Personen der ersten Welle erneut befragt und eine weitere Stichprobe mit 2 252 Personen erstmals. Der Fragebogen wurde in insgesamt sechs Sprachen übersetzt (Arabisch, Kurmanji, Farsi/Dari, Urdu, Pashtu und Englisch).
In die vorliegenden Analysen gehen geflüchtete Personen ein, die an dem persönlichen Interview teilgenommen haben (3 842 Befragte in Welle 1 und 2 017 Befragte in Welle 2). Die finale Stichprobe für die Analysen, die diesem Bericht zugrunde liegen, umfasst demnach 5 859 Personen. Die Analysen zum Zusammenhang des Kita-Besuchs der Kinder mit der Integration der Eltern beziehen sich auf Eltern, deren Schutzstatus anerkannt ist oder die den Status „Duldung“ haben. Damit verringert sich die Stichprobe geringfügig, die Ergebnisse des multivariaten Zusammenhangs und auch der Wirkungsanalysen bleiben davon aber unberührt.
Auf Basis dieser Daten wird ein Gesamtindex für die soziale Integration gebildet, der mehrere Merkmale zur Kenntnis der deutschen Sprache, zur Arbeitsmarktorientierung und der subjektiven Einschätzung der Situation als Geflüchtete beziehungsweise Geflüchteter umfasst. Der Index ist das Ergebnis einer Hauptkomponentenanalyse. Er umfasst Werte von 0 bis 11,7 bei einem Mittelwert für die Gesamtstichprobe von 4,3 (Abbildung).
Um die kausale Wirkung eines Kita-Besuchs auf die soziale Integration von Eltern zu schätzen, wird eine InstrumentvariablenschätzungVgl. Joshua D. Angrist und Alan B. Krueger (2001): Instrumental Variables and the Search for Identification: From Supply and Demand to Natural Experiments. Journal of Economic Perspectives, 15 (4), 69–85. vorgenommen. In diesem Kontext wird ein faktorbasierter Ansatz zur Generierung der InstrumentvariableBei dieser Methode wird die gemeinsame Variation verschiedener Variablen extrahiert und die erste Komponente der resultierenden Linearkombination als Instrument verwendet. Vgl. Jushan Bai und Serena Ng (2010): Instrumental variable estimation in a data rich environment. Econometric Theory, 26(6), 1577–1606. verwendet, wobei sich das Instrument aus den Betreuungsquoten für Kinder unter sechs Jahren sowie den Personalschlüsseln in Kindertageseinrichtungen zusammensetzt. Diese Informationen werden von der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik auf Kreisebene zur Verfügung gestellt. Die Instrumentvariable wird auf Basis des Kreises, in dem eine geflüchtete Familie zum Zeitpunkt der Befragung lebt, dem Analysesample zugespielt. Die Güte des Instruments, beispielsweise was die sogenannte F-Statistik angeht, ist als sehr gut einzuschätzen.Für eine detailliertere Darstellung vgl. Gambaro, Neidhöfer und Spiess (2019), a.a.O.
Auf Basis dieser Einzelmerkmale wird ein Gesamtindex gebildet, der die Integration der Geflüchteten breiter erfasst (Kasten). Grundsätzlich zeigt sich, dass – gemessen an diesem Gesamtindex – männliche Geflüchtete besser integriert sind als Frauen.
Kinder Geflüchteter besuchen – wie bereits frühere Analysen des DIW Berlin gezeigt habenFür Geflüchtete, die in früheren Jahren dieses Jahrhunderts nach Deutschland kamen, vgl. C. Katharina Spieß, Franz Westermaier und Jan Marcus (2016): Kinder und Jugendliche mit Fluchthintergrund nutzen freiwillige Bildungsangebote seltener – mit Ausnahme der Schul-AGs. DIW Wochenbericht Nr. 35, 765–773 (online verfügbar). Für eine Auswertung der 2016er Daten der IAB- BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten vgl. Ludovica Gambaro, Elisabeth Liebau, Frauke Peter und Felix Weinhardt (2017): Viele Kinder von Geflüchteten besuchen eine Kita oder Grundschule: Nachholbedarf bei den unter Dreijährigen und der Sprachförderung von Schulkindern. DIW Wochenbericht Nr. 19; 379–386 (online verfügbar). Diese Auswertungen basieren nur auf der ersten Welle der IAB-BAMF-SOEP-Stichprobe, während die hier dargestellten Ergebnisse die Befragung aus dem Jahr 2017 miteinbeziehen. – zu einem nennenswerten Anteil erst im dritten Lebensjahr eine Kita. Dann sind es immerhin fast sechs von zehn Kindern, die in einer Kita betreut werden (Abbildung 2). Unter den zweijährigen Kindern Geflüchteter beträgt die Nutzungsquote hingegen lediglich 24 Prozent. Im Vergleich zu allen zweijährigen Kindern in Deutschland zeigen sich deutliche Unterschiede: In Westdeutschland waren es 2017 49 Prozent und in Ostdeutschland sogar 79 Prozent der Zweijährigen, die eine Kita besuchten. Während die Nutzungsquoten der Vier- und Fünfjährigen im Mittel weit über 90 beziehungsweise 95 Prozent lagen, gab es unter den Kindern Geflüchteter mit 72 Prozent anteilig deutlich weniger Kita-Kinder.Für die Nutzungsquoten aller Kinder im Jahr 2017 vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2018): Bildung in Deutschland 2018. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Wirkungen und Erträgen von Bildung (online verfügbar). Die Gründe dafür mögen sehr unterschiedlich sein. Sie können unter anderem auch mit den rechtlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen: Grundsätzlich gilt auch für Flüchtlingskinder der Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kita ab dem vollendeten ersten Lebensjahr – sofern von einem „gewöhnlichen Aufenthalt“ in Deutschland ausgegangen werden kann.Vgl. dazu ausführlicher Thomas Meysen, Janna Beckmann und Nerea González Méndez de Vigo (2016): Flüchtlingskinder und ihre Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege. Rechtsexpertise im Auftrag des Deutschen Jugendinstituts; Benjamin Baisch et al. (2017): Flüchtlingskinder in Kindertagesbetreuung. Ergebnisse der DJI-Kita-Befragung „Flüchtlingskinder“ zu Rahmenbedingungen und Praxis im Frühjahr 2016; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, a.a.O. Regional wird diese Regelung allerdings durchaus unterschiedlich ausgelegt.Vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte (2017): Welchen Zugang haben geflüchtete Kinder zu Kitas? (online verfügbar). Unabhängig davon ist nicht davon auszugehen, dass die Nachfrage beziehungsweise der Bedarf der geflüchteten Familien nach einem Kita-Platz dem anderer Familien in Deutschland entspricht. Fest steht, dass immerhin über die Hälfte aller dreijährigen Kinder mit Fluchthintergrund und fast drei Viertel aller vier- und fünfjährigen Kinder von Geflüchteten eine Kita besuchen. Damit haben auch deren Eltern in der einen oder anderen Form mit einer Kindertageseinrichtung und den dort beschäftigten Personen, den anderen Kita-Eltern und anderen Kindern Kontakt.Auch Kinder mit Migrationshintergrund sind in Kitas unterrepräsentiert – insbesondere, wenn beide Eltern einen Migrationshintergrund haben, vgl. zum Beispiel Jonas Jessen, C. Katharina Spieß, Sophia Schmitz und Sevrin Waights (2018): Kita-Besuch hängt trotz ausgeweitetem Rechtsanspruch noch immer vom Familienhintergrund ab. DIW Wochenbericht Nr. 38, 825–835 (online verfügbar); sowie Frauke Peter und C. Katharina Spieß (2015): Kinder mit Migrationshintergrund in Kindertageseinrichtungen und Horten: Unterschiede zwischen den Gruppen nicht vernachlässigen! DIW Wochenbericht Nr. 1+2, 12–21 (online verfügbar); und Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen (2016): Migration und Familie. Kindheit mit Zuwanderungshintergrund. Springer VS. Auch in diesem Kontext sind die Gründe einer geringeren Kita-Nutzung bisher kaum untersucht. Für eine aktuelle Studie vgl. Jonas Jessen, Sophia Schmitz und Sevrin Waights (2019): Understanding Day Care Enrolment Gaps. DIW Discussion Paper 1808 (online verfügbar).
Geflüchtete Eltern mit Kita-Kindern unterscheiden sich mit Blick auf die zuvor beschriebenen Merkmale zur Messung der elterlichen Integration deutlich von Eltern, deren Kinder keine Kita besuchen (Abbildung 3). Die Sprachkenntnisse dieser Eltern werden von ihnen selbst, aber auch von den Interviewerinnen und Interviewern höher eingeschätzt. Geflüchtete mit Kita-Kindern haben zudem eher an Deutsch- und Integrationskursen teilgenommen. Darüber hinaus weisen sie eine höhere Erwerbsquote auf und schätzen die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Erwerbstätigkeit in Deutschland viel höher ein. Der Anteil derjenigen, die sich sozial isoliert fühlen, ist bei den Eltern mit Kita-Kindern geringer. Haben Geflüchtete mindestens ein Kind, das eine Kita besucht, profitieren sie hinsichtlich der Zahl ihrer deutschen Bekannten. Der Gesamtindex „Integration“ bestätigt, dass Eltern mit Kita-Kindern deutlich besser integriert sind als nach Deutschland geflüchtete Eltern, von denen kein Kind eine Kita besucht (Abbildung 4).
Dabei zeigen sich einige Unterschiede für geflüchtete Mütter und Väter. Väter mit Kita-Kindern schätzen ihre Deutschkenntnisse beim Sprechen und Schreiben besser ein, während bei den Müttern auch die Einschätzung der Interviewerinnen und Interviewer deutlich besser ist, wenn eine Mutter ein Kita-Kind hat. Die selbst eingeschätzte Wahrscheinlichkeit einer künftigen Erwerbstätigkeit ist für Kita-Mütter deutlich höher – bei Vätern unterscheidet sich diese nicht signifikant nach dem Kita-Besuch der Kinder.
Dass geflüchtete Eltern und insbesondere Mütter besser in die Gesellschaft in Deutschland integriert sind, wenn ihr Kind eine Kita besucht, könnte allerdings auch auf andere Faktoren zurückgehen. Diese müssen nicht unbedingt etwas mit einem Kita-Besuch an sich zu tun haben. So ist es möglich, dass sich höher gebildete Geflüchtete besser integrieren, da sie eventuell schneller die Sprache erlernen oder auch eher eine Erwerbsarbeit finden und dies auch die Gruppe von Eltern ist, deren Kinder eher eine Kita besuchen. Die bessere Integration der Kita-Eltern würde dann in diesem Beispiel aber auch auf deren Bildung zurückgehen, und nicht ausschließlich auf den Kita-Besuch ihrer Kinder. Um entsprechende Zusammenhänge herauszurechnen, werden zunächst multivariate Analysen durchgeführt, die beobachtbare Merkmale berücksichtigen können: Dies sind unter anderem persönliche Merkmale der Eltern wie deren Alter, Schulbildung, Gesundheitszustand, Sprachkenntnisse vor ihrer Flucht nach Deutschland, Aufenthaltsdauer in Deutschland, Persönlichkeitsmerkmale und Merkmale des Haushalts, beispielsweise die Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder und deren Alter. Damit auch spezifische Merkmale des Landkreises beziehungsweise der kreisfreien Stadt, in dem eine geflüchtete Familie lebt, Berücksichtigung finden, werden sogenannte „Fix-Effekt-Modelle“ auf Kreisebene geschätzt. Damit lassen sich zum Beispiel auch Unterschiede in der Integrations- und Kita-Politik auf Kreisebene berücksichtigen. Untersucht wird schließlich der Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und dem Gesamtindex „Integration“.
Die multivariaten Analysen zeigen, dass die Integration von Müttern und Vätern wie zu erwarten mit vielen anderen Merkmalen zusammenhängt, etwa ihren Englischkenntnissen, ihrer Aufenthaltsdauer, ihrer Schulbildung und der Anzahl der Kinder im Haushalt (Tabelle). Sie bestätigen aber auch klar die Relevanz des Kita-Besuchs eines Kindes für die Integration der Eltern: Insbesondere Mütter mit mindestens einem Kita-Kind sind sehr viel besser integriert als die Referenzgruppe von Müttern, die kein Kind in einer Kita haben. Wenn man alle diese unterschiedlichen Merkmale berücksichtigt, liegt der Integrationsindex für beide Elternteile zusammen um insgesamt 24 Prozent höher und für Mütter sogar um 42 Prozent.
Multivariate Analysen
Alle Eltern | Nur Väter | Nur Mütter | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Kind in Kindertageseinrichtung | 0,82*** | (0,155) | 0,48** | (0,186) | 1,14*** | (0,256) |
Weiblich | −1,38*** | (0,107) | ||||
Alter | −0,03*** | (0,011) | −0,03* | (0,017) | −0,02 | (0,018) |
Neugeborenes Kind im Haushalt | −0,12 | (0,191) | −0,04 | (0,188) | −0,23 | (0,369) |
Kind in Schulalter im Haushalt | 0,33** | (0,138) | 0,21 | (0,214) | 0,39** | (0,195) |
Anzahl der Kinder im Alter bis zu zwei Jahren im Haushalt | −0,31*** | (0,111) | −0,3* | (0,154) | −0,23 | (0,179) |
Anzahl der Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren im Haushalt | −0,55*** | (0,086) | −0,48*** | (0,110) | −0,61*** | (0,144) |
Selbstwertgefühl | 0,04 | (0,071) | 0,08 | (0,106) | 0,00 | (0,086) |
Resilienz | 0,05 | (0,079) | 0,2** | (0,086) | 0,01 | (0,143) |
Gute Englischkenntnisse | 1,53*** | (0,222) | 1,18*** | (0,274) | 1,92*** | (0,365) |
Guter Gesundheitszustand | 0,49*** | (0,169) | 0,59** | (0,259) | 0,83*** | (0,284) |
Keine Deutschkenntnisse vor der Migration | −0,04 | (0,313) | 0,22 | (0,377) | −0,32 | (0,582) |
Jahre in Deutschland | 0,35*** | (0,099) | 0,3** | (0,144) | 0,33* | (0,172) |
Kein Schulabschluss | −0,88*** | (0,116) | −1,04*** | (0,175) | −0,89*** | (0,195) |
Syrische Abstammung | −0,16 | (0,145) | 0,06 | (0,197) | −0,37* | (0,214) |
Gemeinschaftsunterkunft | −0,28 | (0,175) | −0,62*** | (0,205) | 0,13 | (0,297) |
Fixe Effekte auf Kreisebene | Ja | Ja | Ja | |||
Anzahl der Beobachtungen | 1178 | 602 | 576 | |||
Durchschnittlicher Wert des Gesamtindexes für soziale Integration in der Stichprobe | 3,83 | 4,46 | 3,27 |
Anmerkung: *, **, *** beschreibt die Signifikanz auf dem Zehn-, Fünf- und Ein-Prozent-Niveau. Standardfehler sind in Klammern angegeben.
Lesebeispiel: Neben dem Kita-Besuch des eigenen Kindes wirken sich beispielsweise auch gute Englischkenntnisse und ein guter Gesundheitszustand positiv auf die Integration von nach Deutschland geflüchteten Eltern aus.
Quellen: IAB-BAMF-SOEP-Befragung Geflüchteter in Deutschland.
Der Zusammenhang zwischen dem Kita-Besuch der Kinder und der eigenen Integration ist bei Müttern also deutlich stärker als bei Vätern. Bei Müttern mit mindestens einem Kita-Kind ist der Zusammenhang zwischen dem Gesamtintegrationsindex und dem Kita-Besuch der Kinder sogar höher als der Zusammenhang mit der Schulbildung.
Die beschriebenen Zusammenhänge berücksichtigen beobachtbare und in den Daten erfasste Merkmale. Allerdings können sie streng genommen nicht als Wirkungszusammenhang interpretiert werden: Möglicherweise gibt es weitere – und zwar nicht beobachtbare – Merkmale, die den Zusammenhang zwischen dem Kita-Besuch der Kinder und der Integration ihrer Eltern erklären. Hinzu kommt, dass der Wirkungszusammenhang auch ein anderer sein könnte: Vielleicht suchen insbesondere jene Familien mit Fluchthintergrund einen Kita-Platz für ihr Kind, die besonders gut integriert sind oder sich integrieren möchten. Der Wirkungszusammenhang ginge dann nicht in die zunächst vermutete Richtung, sondern wäre genau entgegengesetzt zu interpretieren: Insbesondere gut integrierte Mütter oder solche, die sich besonders integrieren wollen, suchen für ihr Kind einen Kita-Platz. Methodisch wird dieses potentielle Problem als Phänomen der umgekehrten Wirkungsrichtung bezeichnet. Um dem Rechnung zu tragen, werden weitere Modelle geschätzt, die als „Instrumentvariablenansätze“ (Kasten) bezeichnet werden. Intuitiv verwendet diese Schätzstrategie einen quasiexperimentellen Rahmen, um den kausalen Effekt zu ermitteln: Geflüchtete Familien werden zufällig auf die Kreise verteilt, in denen sich jedoch die Kinderbetreuungsmöglichkeiten deutlich voneinander unterscheiden. Daher kann es beispielweise vorkommen, dass geflüchtete Mütter mit ähnlicher Motivation die deutsche Sprache erlernen und auf dem Arbeitsmarkt aktiv werden, aufgrund ihres Wohnorts aber sehr unterschiedliche Chancen haben, einen Platz in einer Kindertageseinrichtung zu bekommen.
Die Ergebnisse dieser Modelle mit Instrumentvariablen zeigen, dass der Zusammenhang zwischen einem Kita-Besuch und der Integration der Eltern für Mütter sogar noch stärker und nach wie vor auch im statistischen Sinne signifikant ist.Vgl. Gambaro, Neidhöfer und Spiess (2019), a.a.O. Für Väter verliert der Zusammenhang allerdings an statistischer Signifikanz. Für Mütter ist also tatsächlich davon auszugehen, dass der Besuch einer Kindertageseinrichtung ihrer Kinder zu einer besseren Integration führt und nicht andersherum. Eine entsprechend differenziertere Betrachtung der Einzelmerkmale des Integrationsindexes weist darauf hin, dass bei geflüchteten Müttern der Kita-Besuch insbesondere die deutschen Sprachkenntnisse verbessert, ihre Arbeitsmarktorientierung erhöht und auch dazu führt, dass Mütter ihr Herkunftsland weniger vermissen.
Weitere Schätzungen, die den Panelcharakter der Daten ausnutzen, zeigen, dass die Effektgröße auch davon abhängt, wie lange die Kinder eine Kita besucht haben. Da es sich mehrheitlich um erst kürzlich nach Deutschland geflüchtete Kinder handelt, ist es nicht erstaunlich, dass sie im Mittel erst auf ein bis zwei Kita-Jahre kommen. Insbesondere bei Müttern gelingt die Integration im Vergleich zu Müttern ohne Kita-Kinder noch besser, wenn die Kinder zwei Jahre eine Kita besucht haben.
Dass die Integration von nach Deutschland geflüchteten Familien gelingt, ist sehr bedeutend – aus individueller und gesellschaftlicher Sicht, aber auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. Kindertageseinrichtungen sind dabei zentral: Zum einen kann ein Kita-Besuch für die Integration von Kindern Geflüchteter sehr wichtig sein. Zum anderen erleichtern Kindertageseinrichtungen auch den Eltern die Integration, insbesondere Müttern. Das haben die empirischen Befunde in diesem Bericht erstmalig auf Basis eines repräsentativen Datensatzes belegt. Mütter mit Kindern in einer Kindertageseinrichtung sind gemessen an einem Gesamtindex für die soziale Integration Geflüchteter besser integriert als Mütter mit Fluchthintergrund, deren Kinder nicht in eine Kita gehen. Ihr Index ist um 42 Prozent höher, bei Betrachtung beider Elternteile gemeinsam um 24 Prozent. Das spiegelt sich insbesondere in besseren Deutschkenntnissen und einer höheren Erwerbsneigung wider. Die Effekte sind umso größer, je länger die Kinder aus nach Deutschland geflüchteten Familien in einer Kita waren.
Allerdings gehen Kinder mit Fluchthintergrund im Vergleich zu anderen Kindern seltener in eine Kita. Ein früher Zugang zu Kitas setzt zum einen die Bereitschaft der Eltern voraus, entsprechende Angebote zu nutzen. Darüber hinaus müssen genügend Kita-Plätze vorhanden sein. Wenn Kindertageseinrichtungen (weiterhin) ein zentrales Instrument zur Integration von Kindern aus nach Deutschland geflüchteten Familien und ihrer Eltern sein sollen, muss hier entsprechend angesetzt werden. Kinder Geflüchteter sollten möglichst frühzeitig einen Platz in einer qualitativ guten Kindertagesbetreuung bekommen können. Entsprechende Modellprojekte gibt es bereits – allerdings gehen sie bisher insbesondere auf Familien mit Migrationshintergrund ein. Ein Beispiel ist das Modellprojekt „Bildungs-Brücken – Elternqualifizierung für bessere Bildungschancen in Migrantenfamilien“.Weitere Beispiele wurden bereits im Nationalen Aktionsplan Integration der Bundesregierung 2011 genannt (online verfügbar). Die spezifischen Bedürfnisse von Familien mit Fluchthintergrund gilt es in entsprechenden Projekten zusätzlich zu adressieren. Pädagogische Fachkräfte müssen fort- und weitergebildet werden, auch für eine spezifische Elternarbeit, die beispielsweise sprachliche und kulturelle Barrieren zu überbrücken hilft.Für Barrieren in der Elternarbeit bei Kindern mit Fluchthintergrund vgl. beispielsweise Baisch et al. (2017), a.a.O.
Darüber hinaus könnten Kindertageseinrichtungen noch weiter ausgebaut werden, um die Chancen des niedrigschwelligen Zugangs für Eltern mit Fluchthintergrund zu nutzen. Denkbar wäre auch, Kindertageseinrichtungen zu Zentren für Familien weiterzuentwickeln. Diese könnten die Bedarfe von Kindern, Eltern und der Familie als Ganzes adressieren. Dabei geht es nicht nur darum, die Angebote der Elternarbeit zu verbessern, um möglichst frühzeitig „die Bildungs- und Erziehungsressourcen von Eltern zu mobilisieren“.Vgl. auch Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (2014): Kitas als Brückenbauer: Interkulturelle Elternbildung in der Einwanderungsgesellschaft (online verfügbar). Die von diesem Sachverständigenrat geforderte interkulturelle Elternbildung kann auch zu einer besseren Integration von Kindern und deren Eltern beitragen. Vielmehr ist eine ganzheitliche Familienpolitik gefragt, nicht nur eine Kinderpolitik. Auch hier gibt es bereits Modellprojekte, die weiterentwickelt werden können, um die Integration von geflüchteten Eltern und insbesondere Müttern zu verbessern.Vgl. hierzu Sophia Schmitz und C. Katharina Spieß (2019): Familien im Zentrum. Unterschiedliche Perspektiven auf neue Ansatzpunkte der Kinder-, Eltern- und Familienförderung. Heinz und Heide Dürr Stiftung (online verfügbar). Neben den für die frühe Bildung und Betreuung zuständigen Kommunen und Ländern ist an dieser Stelle auch der Bund gefragt, der entsprechende Projekte anstoßen und fördern sollte. Allerdings darf es nicht bei Modellprojekten bleiben – nötig sind nachhaltige und flächendeckende Angebote. So könnten Kindertageseinrichtungen eine doppelte Integrationsrendite „erwirtschaften“ – zum einen mit Blick auf die Kinder, zum anderen mit Blick auf die Eltern.
JEL-Classification: J13
Keywords: day care attendance, integration, refugee children
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-44-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/206666