DIW Wochenbericht 48 / 2019, S. 869-878
Mathias Huebener, Astrid Pape, C. Katharina Spieß
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„Auch die Gebührenbefreiungen im Rahmen des ‚Gute-KiTa-Gesetzes‘ dürften nur sehr kleine Effekte auf das Erwerbsverhalten der Mütter haben – wenn überhaupt. Ob sich etwa Eltern mit einem Migrationshintergrund oder niedrigerem Bildungsabschluss früher oder häufiger für eine Kita entscheiden werden, bleibt offen.“ Mathias Huebener
Die Mehrheit der Bundesländer hat sich dafür entschieden, im Rahmen des „Gute-KiTa-Gesetzes“ Eltern in größerem Umfang als bisher bei den Gebühren für Kindertageseinrichtungen zu entlasten. Darüber, wie sich die Abschaffung von Kita-Gebühren auf den Betreuungsumfang von Kindern und das Erwerbsverhalten der Eltern auswirkt, liegen bisher allerdings kaum empirisch belastbare Befunde vor. Dieser Bericht untersucht daher, ob frühere Kita-Gebührenabschaffungen der Jahre 2006 bis 2011 dazu geführt haben, dass mehr Mütter erwerbstätig sind oder ihre Arbeitszeit ausweiten. Die Berechnungen, die unter anderem auf Daten des Mikrozensus basieren, ergeben weder für Mütter noch für Väter eine höhere Erwerbstätigenquote infolge einer Gebührenbefreiung des letzten Kita-Jahres. Allerdings ist das Erwerbsvolumen der Mütter kurzfristig um gut 0,8 Stunden pro Woche oder knapp vier Prozent gestiegen. Zum Ende der Grundschulzeit sind die Unterschiede zu Eltern, deren Kinder nicht kostenfrei eine Kita besuchen konnten, jedoch nicht mehr nachweisbar. Wenn es also darum geht, unter Kosten-Nutzen-Abwägungen ein geeignetes Instrument zu finden, um mehr Müttern eine Erwerbstätigkeit oder Ausweitung ihrer Arbeitszeit zu ermöglichen, sind generelle Gebührenbefreiungen auch aufgrund hoher Mitnahmeeffekte als ineffizient zu bewerten.
Inzwischen haben alle Bundesländer ihre Vertragsverhandlungen mit dem Bund zum „Gute-KiTa-Gesetz“ abgeschlossen. Ziel des im Januar diesen Jahres in Kraft getretenen Gesetzes ist es, nachhaltig und dauerhaft die Qualität der frühen Bildung, Erziehung und Betreuung in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege weiterzuentwickeln und die Teilhabe in der Kindertagesbetreuung zu verbessern. Damit soll unter anderem auch ein Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf geleistet werden. Der Bund wird bis 2022 insgesamt 5,5 Milliarden Euro dafür investieren und die Länder werden zusätzliche Mittel im Rahmen des Finanzausgleichs erhalten. Das Gesetz sieht vor, dass die Länder entsprechend ihren Entwicklungsbedarfen Maßnahmen aus zehn unterschiedlichen Handlungsfeldern identifizieren, die sie mit den zusätzlichen Haushaltsmitteln umsetzen. Hinzu kommen Maßnahmen zur Entlastung von Eltern bei den Gebühren.Siehe dazu § 2 Satz 2 KiQuTG (KiTa-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz). Förderfähig sind Maßnahmen, die über die in § 90 Absatz 3 und 4 SGB VIII in der ab dem 1. August 2019 geltenden Fassung geregelten Maßnahmen hinausgehen. Durch das „Gute-KiTa-Gesetz“ wurde § 90 Absatz 3 und 4 des SGB VIII so geändert, dass nun eine bundesweite Pflicht zur Staffelung der Elternbeiträge besteht und eine Pflicht zur Beitragsbefreiung von Kindern aus Familien mit geringem Einkommen, die Wohngeld und/oder Kinderzuschlag erhalten. Tatsächlich hat sich die Mehrheit der Bundesländer entschieden, fast ein Drittel der ihnen zusätzlich zur Verfügung gestellten Mittel für (weitere) Kita-Gebührenentlastungen zu verwendenVgl. beispielsweise Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2019): Die Umsetzung des Gute-KiTa-Gesetzes beginnt. Meldung vom 22. November 2019 (online verfügbar; abgerufen am 19. November 2019. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt)., um damit Ziele des „Gute-KiTa-Gesetzes“ zu erreichen.
Bisher liegen für Deutschland allerdings nur wenige empirisch repräsentative Studien darüber vor, wie Kita-Gebührenbefreiungen wirken.Für eine der wenigen Studien zu diesem Thema vgl. Anna Busse und Christina Gathmann (2018): Free Daycare and Its Effect on Children and Their Families. IZA Discussion Paper Nr. 11 269. Die beiden Autorinnen analysieren die Effekte von beitragsfreien Kita-Jahren auf die Entwicklung von Kindern und die Erwerbstätigenquote von Müttern. In Hinblick auf letztere können sie keine signifikanten Effekte finden. Auch Müller et al. (2013) simulieren die Erwerbseffekte der Abschaffung von Kita-Gebühren, vgl. Kai-Uwe Müller et al. (2013): Evaluationsmodul: Förderung und Wohlergehen von Kindern. DIW Politikberatung kompakt Nr. 73 (online verfügbar). Vor diesem Hintergrund geht dieser Bericht der Frage nach, wie sich solche Gebührenbefreiungen für das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung eines Kindes in der Vergangenheit auf die Erwerbstätigkeit und das Erwerbsvolumen von Eltern ausgewirkt haben. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf der kurzfristigen, unmittelbaren Wirkung im letzten Kita-Jahr vor der Einschulung, sondern auch auf den mittelfristigen Effekten, die dann geschätzt werden, wenn die Kinder bereits in die Grundschule gehen. Konkret werden die Reformen der Jahre 2006 bis 2011 betrachtet.Dieser Wochenbericht basiert auf Mathias Huebener, Astrid Pape und C. Katharina Spiess (2019): Parental Labour Supply Responses to the Abolition of Day Care Fees. IZA Discussion Paper Nr. 12 780 (online verfügbar).
Auf der Basis arbeitsmarkt- und familienökonomischer Überlegungen und aufgrund internationaler Studien, die sich empirisch damit befassen, wie Veränderungen in „Kita-Preisen“ wirken, lassen sich die Effekte einer Kita-Gebührenbefreiung auf das Arbeitsmarktverhalten von Eltern vorab nicht eindeutig vorhersagen. Für Mütter, die nicht erwerbstätig sind und deren Kinder bisher nicht in einer Kindertageseinrichtung betreut werden, ist zu erwarten, dass sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit (wieder) auf dem Arbeitsmarkt aktiv werden. Die Entscheidung für eine Erwerbstätigkeit wäre dann relativ betrachtet nämlich mit weniger Kosten verbunden. Eltern, die bereits erwerbstätig sind, könnten durch Gebührenbefreiungen zum einen ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, da ihnen fortan mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Sofern Kinder bereits eine Kindertageseinrichtung besuchen, wäre es auch möglich, dass sich die Erwerbstätigkeit der Eltern nicht verändert und die eingesparten Gebühren anderweitig verwendet werden. Es könnte aber auch sein, dass der tägliche Betreuungsumfang der Kinder in der Kita ausgedehnt wird, da diese relativ gesehen nun preiswerter ist. Mit einer Verlängerung des Betreuungsumfangs könnte ein höheres Erwerbsvolumen von Müttern einhergehen, ohne dass letztlich mehr Mütter erwerbstätig sind.Für eine ausführliche Diskussion möglicher Effekte und auch die Ergebnisse anderer internationaler Studien vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O.
Bereits diese wenigen Beispiele legen nahe, dass die Wirkungen von Gebührenbefreiungen sehr stark davon abhängen, inwiefern Kinder eine Kita besuchen, ob Mütter bereits erwerbstätig sind und auch davon, wie hoch bisherige Gebühren waren, deren Wegfall dann entsprechend das Haushaltseinkommen erhöht. Insofern ist es von Bedeutung, sich sowohl mit der Kita-Nutzung und dem Betreuungsumfang als auch mit der Erwerbstätigkeit und dem Erwerbsvolumen von Eltern zu befassen. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf Müttern, da andere Studien bereits gezeigt haben, dass sich das Erwerbsverhalten von Vätern durch Kita-Reformen wie dem Ausbau der Betreuungsplätze nicht signifikant verändert.
Konkret werden in diesem Bericht die Wirkungen der ersten Kita-Gebührenbefreiungen in Deutschland untersucht: Rheinland-Pfalz war im Jahr 2006 eines der ersten Bundesländer, das die Beiträge für das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung abgeschafft hat.Für eine detailliertere Übersicht entsprechender Reformen vgl. zum Beispiel Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (2016): Regelungen zur Beteiligung der Eltern an den Kosten der Kindertagesbetreuung; Bertelsmann Stiftung (2017): Ländermonitor frühkindlicher Bildungssysteme; Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (2013): Länderübersicht Kita: Finanzierungsregelungen; sowie Sophia Schmitz, C. Katharina Spieß und Juliane Stahl (2017): Kindertageseinrichtungen: Ausgaben der Familien sind von 1996 bis 2015 mitunter deutlich gestiegen. DIW Wochenbericht Nr. 41, 889–903 (online verfügbar). Es folgten weitere Länder wie Berlin, Niedersachsen, Hessen, Hamburg und im Jahr 2011 Nordrhein-Westfalen. Außerdem hatten auch das Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein entsprechende Gebührenbefreiungen eingeführt, diese allerdings in späteren Jahren wieder rückgängig gemacht. Die Gebührenbefreiungen sind nicht immer auf eine ganztägige Betreuung bezogen. Sie decken beispielsweise in Hamburg und Hessen einen Betreuungsumfang von maximal fünf Stunden pro Tag ab. Einige der Bundesländer haben nach der Einführung der Gebührenbefreiung des letzten Kita-Jahres in darauffolgenden Jahren weitere Kita-Jahre von den Gebühren ausgenommen – etwa Rheinland-Pfalz, wo der Kita-Besuch seit 2010 ab dem ersten Geburtstag kostenfrei ist.
Da neben kurzfristigen auch mittelfristige Wirkungen entsprechender Reformen untersucht werden, konzentriert sich dieser Bericht auf Gebührenbefreiungen des letzten Kita-Jahres, die bis 2011 stattgefunden haben. Diese Einschränkung hängt ferner auch mit der Verfügbarkeit entsprechender Individualdaten zusammen, die für detaillierte Wirkungsanalysen notwendig sind. Die Analysen beziehen sich damit auf die sechs genannten Bundesländer mit Gebührenbefreiungen im letzten Kita-Jahr sowie die sieben Bundesländer, in denen im Zeitraum von 2005 bis 2013 keine analogen Reformen stattgefunden haben.
Die einzelnen Länder haben die Gebührenbefreiungen unterschiedlich begründet. Teilweise lautete das Ziel, mehr Kindern den Besuch einer Kindertageseinrichtung zu ermöglichen. Auch wurde das Argument angeführt, dass Bildung generell kostenfrei sein sollte und damit auch der Besuch einer Kita als erste Stufe des Bildungssystems. Zu bemerken ist allerdings, dass zum Zeitpunkt der Einführung von Gebührenbefreiungen gerade im letzten Jahr vor der Einschulung ohnehin bereits nahezu alle Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchten. Im bundesweiten Durchschnitt waren es im Jahr 2006 92 Prozent aller fünf- bis sechsjährigen KinderVgl. Deutsches Jugendinstitut (2008): Zahlenspiegel 2007– Kindertagesbetreuung im Spiegel der Statistik. und im Jahr 2013 bereits 98 ProzentVgl. Bertelsmann Stiftung (2018): Ländermonitor: Bildungsbeteiligung in KiTas (online verfügbar). aller fünfjährigen Kinder. Außerdem muss zur Bewertung dieser Ziele auch festgehalten werden, dass der Besuch einer Kindertageseinrichtung bereits zu diesem Zeitpunkt in hohem Maße öffentlich gefördert wurde: So deckten die Elternbeiträge im Jahr 2006 lediglich 14 Prozent der jährlichen Gesamtausgaben für die Kindertagesbetreuung. 86 Prozent der Ausgaben wurden also ohnehin schon von der öffentlichen Hand und in geringem Umfang von den freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe getragen.Vgl. Deutsches Jugendinstitut (2008), a.a.O. Dies spiegelt sich auch in der durchschnittlichen Höhe der Elternbeiträge wieder: Im internationalen Vergleich waren und sind diese in Deutschland sehr gering.Vgl. OECD (2019): OECD Family Database (online verfügbar). Im Mittel lagen die monatlichen Kita-Ausgaben für Kinder im Alter von drei Jahren und älter im Jahr 2005 bei 90 EuroAlle Beträge in Euro sind in Preisen des Jahres 2010 angegeben. im Monat – zehn Jahre später waren sie mit 97 Euro im Monat nur etwas höher.Vgl. Schmitz, Spieß und Stahl (2017), a.a.O.
Betrachtet man die Häufigkeitsverteilung der monatlichen Kita-Ausgaben in den sechs Bundesländern mit Gebührenbefreiungen, ergibt sich für die Zeit vor der Reform mit 13 Prozent nur ein geringer Anteil an Eltern, die für das letzte Kita-Jahr keine Gebühren zahlen (Abbildung 1). Nach den Reformen hatte nahezu die Hälfte aller Eltern keine Ausgaben mehr für den Kita-Besuch des Kindes zu tragen. Auch der Anteil der Eltern mit sehr geringen Kita-Ausgaben stieg deutlich.Diese Durchschnittswerte basieren auf dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP). Im SOEP werden Haushalte nach den monatlichen Ausgaben für einen Kita-Besuch ihres Kindes gefragt. Darin enthalten sein können auch Zusatzzahlungen, beispielsweise für das Mittagessen in der Kita. Die relative Belastung mit Kita-Gebühren (für ein Kind im letzten Kita-Jahr) ist nach den Reformen von 3,5 auf 1,1 Prozent des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens gesunken. Berücksichtigt man auch generelle Veränderungen bei den Kita-Gebühren, die in den sieben Bundesländern ohne entsprechende Reformen zu beobachten sind, zeigt sich, dass Eltern für das letzte Kita-Jahr dank der Gebührenbefreiung monatlich 64 Euro weniger für den Kita-Besuch ihrer Kinder zahlen.Vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O.
Die Analysen dieses Berichts zu Veränderungen in der Erwerbstätigkeit basieren auf den Daten des Mikrozensus der Jahre 2005 bis 2013. Die Analysen beziehen sich auf Haushalte mit Kindern im Alter von bis zu zehn Jahren. Damit ist es möglich, Erwerbseffekte bis zum Ende der Grundschulzeit zu beobachten.In einigen Bundesländern umfasst die Grundschulzeit sechs Jahre. Der Vergleichbarkeit wegen beschränken sich die Analysen jedoch in allen Bundesländern auf Haushalte mit Kindern im Alter von bis zu zehn Jahren. Da der Mikrozensus in den analysierten Jahren jedoch keine Informationen über die tatsächliche Kita-Nutzung enthält, werden die Analysen durch entsprechende Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) und der Kinder- und Jugendhilfestatistik ergänzt (Kasten).
Die Analysen der elterlichen Erwerbstätigkeit basieren auf Daten des Mikrozensus der Jahre 2005 bis 2013, einer repräsentativen Querschnittsbefragung von einem Prozent aller Haushalte in Deutschland.Eine Substichprobe von etwa 25 Prozent aller Haushalte wird über einen Zeitraum von vier Jahren befragt. Diese Paneldimension wird in die Analysen nicht explizit einbezogen, aber für die Berechnung von Standardfehlern berücksichtigt. Der sogenannte Scientific Use File des Mikrozensus umfasst 70 Prozent der Stichprobe. Die Querschnittsdaten ermöglichen es, Veränderungen im Durchschnitt der Stichprobe zu betrachten. Allerdings können keine Veränderungen über die Zeit auf Ebene aller befragten Individuen betrachtet werden.Für die dargestellten Analysen wird die Annahme getroffen, dass Kinder in dem Bundesland die Kita besucht haben, in dem sie bis zum Alter von zehn Jahren leben. Die Mobilität über die Bundesländergrenzen hinweg ist in dieser Altersgruppe relativ gering und liegt bei weniger als sieben Prozent. Vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O. Der große Vorteil des Mikrozensus ist, dass eine sehr große Stichprobe analysiert werden kann, die es zusätzlich ermöglicht, detailliert die Effekte für einzelne sozioökonomische Gruppen zu untersuchen. In die Analysen werden Haushalte in sechs Bundesländern mit Gebührenbefreiungen im Betrachtungszeitraum einbezogen sowie Haushalte in sieben Bundesländern, in denen es keine derartige Gebührenreform gab. Das Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein haben Kita-Gebührenbefreiungen im Betrachtungszeitraum wieder abgeschafft. Daher werden diese Bundesländer in der Hauptanalyse nicht betrachtet.Weitere Analysen zeigen, dass die Schlussfolgerungen dieser Studie davon unberührt bleiben, siehe Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O. Aus den Analysen zum Erwerbsvolumen werden Personen ausgeschlossen, die angeben, nicht Teil der Erwerbsbevölkerung zu sein, also beispielsweise Personen mit Transferbezug (Arbeitslosengeld I und II), da diese teilweise ohnehin von Kita-Gebühren befreit sind. Insgesamt basieren die Analysen auf Mikrozensus-Daten zu 328 299 Müttern und 254 732 Vätern.
Für die Analysen zu den Effekten der Gebührenbefreiung auf die tatsächlichen Betreuungsausgaben und die Kita-Nutzung von Haushalten wurden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)Vgl. Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 239 (2): 345–360. der Befragungswellen 2005 bis 2013 sowie Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik der Jahre 2006 bis 2013 auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte herangezogen, da diese Informationen im Mikrozensus nicht enthalten sind.
Um den kausalen Effekt der Gebührenbefreiung des letzten Kita-Jahres vor der Einschulung auf die unterschiedlichen Ergebnisvariablen (Kita-Nutzung, tägliche Betreuungszeit, Erwerbstätigkeit und Erwerbsvolumen) zu schätzen, wird in der vorliegenden Studie ein Differenz-von-Differenzen-Modell verwendet, das im weiteren Verlauf durch einen Ereignisanalyseansatz ergänzt wird.Für Details zur Differenz-von-Differenzen-Methode vgl. beispielsweise Andrew Goodman-Bacon (2019): Difference-in-Differences with Variation in Treatment Timing. Für Ereignisanalyseverfahren vgl. zum Beispiel Henrik Kleven et al. (2019): Children and gender inequality: Evidence from Denmark. American Economic Journal: Applied Economics, 11 (4), 181–209; sowie Sarah Abraham und Liyang Sun (2018): Estimating Dynamic Treatment Effects in Event Studies With Heterogeneous Treatment Effects. Working Paper (online verfügbar). Beim Differenz-von-Differenzen-Modell werden zunächst die Veränderungen in den Ergebnisvariablen vor und nach der Gebührenbefreiung im jeweiligen Bundesland verglichen. Dieser Unterschied wird dann Veränderungen über den gleichen Zeitraum in anderen Bundesländern gegenübergestellt. Diese Methode ermöglicht es, regionale Unterschiede und allgemeine Veränderungen über die Zeit von den Wirkungen der Gebührenbefreiung zu trennen: Dies ist notwendig, da Faktoren wie regionale Unterschiede in der Verfügbarkeit von Kindertageseinrichtungen oder der Ausbau des Kita-Angebots über die Zeit ebenfalls das Erwerbsverhalten und die Kita-Entscheidung von Eltern beeinflussen, aber nicht unmittelbar mit der Gebührenbefreiung zusammenhängen.Umfangreiche Plausibilitätsprüfungen der zugrunde liegenden gemeinsamen Trendannahme werden in Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O. durchgeführt. Sie stützen die kausale Interpretation der geschätzten Effekte.
Der Ereignisanalyseansatz weist Effekte separat für Eltern von Kindern vor dem letzten Kita-Jahr, im letzten Kita-Jahr und in der Grundschule (bis zum Alter von zehn Jahren) aus. Damit kann vor dem Eintritt in das letzte Kita-Jahr die Vergleichbarkeit der Eltern, die von Gebührenbefreiungen betroffen sind oder nicht, plausibilisiert werden. Außerdem können für Eltern älterer Kinder Erkenntnisse gewonnen werden, ob etwaige Erwerbseffekte der Gebührenbefreiung auch dann fortbestehen, wenn die Kinder in die Grundschule kommen.
Die Effekte werden anhand von linearen Regressionsmodellen geschätzt. Neben regions-, jahres- und geburtskohortenspezifischenDabei handelt es sich um die Geburtskohorten der Kinder. Effekten werden altersspezifische Effekte mit sogenannten Dummy-Variablen berücksichtigt. Auf individueller Ebene werden zusätzlich folgende Kontrollvariablen berücksichtigt: Schulbildung des Elternteils, Migrationshintergrund des Elternteils, Alter der Eltern, Partner im Haushalt und Geschlecht des Kindes. Auf Bundeslandebene berücksichtigen die Modelle die Erwerbstätigenquote von Frauen, die Kita-Betreuungsquote im U3-Bereich, die Versorgungsquote mit ganztägigen Grundschulangeboten sowie die Anzahl gebührenfreier Kita-Jahre in den Bundesländern, die die Gebührenfreiheit im Betrachtungszeitraum auf jüngere Kinder ausgedehnt haben (dies betrifft drei Bundesländer). Außerdem wird eine Dummy-Variable in das Modell aufgenommen, die das erste Jahr der Kita-Gebührenbefreiung „markiert“, da in diesem Jahr datenbasiert nicht zwischen der letzten gebührenzahlenden Kohorte und der ersten gebührenbefreiten Kohorte unterscheiden werden kann.Für Details vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O.
Die ergänzenden Analysen der aggregierten Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie des SOEP basieren auf einfachen Differenz-von-Differenzen-Schätzungen, die in linearen Regressionsmodellen eine Indikatorvariable für die Gebührenbefreiung im letzten Kita-Jahr sowie jahres- und bundeslandspezifische fixe Effekte berücksichtigen.
Die Berechnung der Standardfehler in allen Modellen berücksichtigt eine Clusterstruktur des Fehlerterms auf Bundeslands-Jahres-Ebene.Für Details zum empirischen Vorgehen und für umfangreiche Robustheitsprüfungen vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O.
Für die Wirkungsanalysen werden ökonometrische Methoden verwendet, die es ermöglichen, den Effekt der Gebührenbefreiung im letzten Kita-Jahr auf das Erwerbsverhalten von Eltern zu schätzen. Der geschätzte Effekt ist um andere, parallel stattfindende Veränderungen und damit auch um andere Reformen bereinigt. So ist es beispielsweise zentral, die Veränderungen im Erwerbsverhalten nicht mit Effekten des bundesweiten Kita-Ausbaus insbesondere für Kinder unter drei Jahren oder mit dem Ausbau ganztätiger Angebote für ältere Kita-Kinder zu vermischen. Das ist insbesondere deshalb relevant, da zahlreiche andere Studien belegen, dass diese Reformen die Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kindern im Kita-Alter signifikant erhöht haben.Vgl. beispielsweise Müller et al. (2013), a.a.O.; sowie Kai-Uwe Müller und Katharina Wrohlich (2018): Does Subsidized Care for Toddlers Increase Maternal Labor Supply? Evidence from a Large-Scale Expansion of Early Childcare. Labour Economics (im Erscheinen).
Um potentielle Veränderungen im Erwerbsverhalten der Mütter zu verstehen, werden zunächst die Effekte der Reformen auf die Nutzung von Kindertageseinrichtungen untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Gebührenbefreiungen die Kita-Nutzungsquoten nicht verändert haben (Tabelle 1). Dies hängt auch damit zusammen, dass im letzten Kita-Jahr vor der Einschulung ohnehin bereits fast alle Kinder in eine Kita gehen. Allerdings lassen sich Veränderungen beim täglichen Betreuungsumfang feststellen: Analysen auf Basis der Kinder- und Jugendhilfestatistik legen nahe, das sechsjährige Kinder wöchentlich 0,7 Stunden (das entspricht einem Anstieg um zwei Prozent) länger eine Kita besuchen, insbesondere weil sie häufiger ganztags statt halbtags betreut werden. So ist der Anteil der Sechsjährigen in einer Ganztagsbetreuung infolge der Gebührenbefreiung um rund sieben Prozent gestiegen. Eine höhere Nutzung der Ganztagsbetreuung zeigt sich auch auf Basis individueller Befragungsdaten des SOEP.Unterschiede zwischen den ermittelten Effekten in der Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) können auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein, beispielsweise auf leicht unterschiedliche Betrachtungszeiträume und/oder leicht unterschiedliche Populationen (einmal Sechsjährige, einmal Kinder im letzten Kita-Jahr). Außerdem ist die SOEP-Stichprobe kleiner und die statistische Schätzung damit etwas ungenauer. Statistisch gesehen sind beide Ergebnisse gleich und beide deuten auf eine höhere Inanspruchnahme der Ganztagsbetreuung hin.
Lineare Regressionsmodelle
Kita-Nutzungsquote | Nur Kinder mit Kita-Nutzung: | ||
---|---|---|---|
Betreuungsumfang in Stunden pro Woche |
Mehr als 35 Stunden pro Woche2 bzw. ganztägige Kita-Nutzung3 | ||
Panel A: Kinder- und Jugendhilfestatistik, sechsjährige Kinder | |||
Effekt der Gebührenbefreiung1 | 0,009 | 0,723*** | 0,032** |
Mittelwert | 48,0 Prozent | 33,93 | 44,0 Prozent |
Panel B: Sozio-oekonomisches Panel, Kinder im letzten Kita-Jahr | |||
Effekt der Gebührenbefreiung1 | 0,014 | – | 0,059* |
Mittelwert | 95,5 Prozent | 34,3 Prozent |
Anmerkung: Die Methodik der Schätzungen wird ausführlicher im Kasten dieses Berichts dargestellt. Der Anteil der sechsjährigen Kinder (Panel A), die eine Kita besuchen, errechnet sich aus der Anzahl der Kinder in Kitas geteilt durch die Gesamtanzahl der Kinder (die Nutzungsquote ist mit 48 Prozent relativ gering, da etwa die Hälfte der sechsjährigen Kinder bereits die Grundschule besucht). Offizielle Statistiken beziehen sich üblicherweise auf den Anteil unter sechs Jahre alter Kinder in Kitas, der bei etwa 96 Prozent liegt. Berechnungen auf Basis der Kinder- und Jugendhilfestatistik basieren auf Daten zu rund 5,3 Millionen Kindern. Berechnungen auf Basis des Sozio-ökonomischen Panels umfassen fast 3 300 Personen-Beobachtungen. Die Standardfehler sind geclustert (Bundesland × Jahr). *, ** und *** geben die Signifikanz auf dem Zehn-, Fünf- und Ein-Prozent-Niveau an.
1 Bei Untersuchungsgrößen, die in Prozent angegeben sind (zum Beispiel die Kita-Nutzungsquote), werden die Effekte in Prozentpunkten ausgedrückt. Dafür muss der Wert mit 100 multipliziert beziehungsweise das Komma um zwei Stellen nach rechts verschoben werden. Beispiel: Ein Effekt von 0,009 entspricht 0,9 Prozentpunkten.
2 Angaben in der Kinder- und Jugendhilfestatistik.
3 Angaben im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP).
Lesebeispiel: Durch die Gebührenbefreiung für das letzte Kita-Jahr vor der Einschulung werden die Kinder im Durchschnitt gut 0,7 Stunden pro Woche länger in einer Kindertageseinrichtung betreut.
Quellen: Eigene Berechnungen auf Basis der Kinder- und Jugendhilfestatistik (2006 bis 2013, Panel A) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEPv33, 2005, 2009, 2013, Panel B).
Im Folgenden werden die Erwerbstätigenquoten der Eltern im Altersverlauf ihrer Kinder betrachtet. Zunächst wird ein Vergleich gezogen zwischen Müttern, deren Kinder aufgrund von Reformen für das letzte Kita-Jahr von den Gebühren befreit wurdenDie Gebührenbefreiungen betreffen bestimmte Geburtskohorten von Kindern, die anhand des Geburtsjahres zugewiesen werden. Damit können auch Eltern von Kindern vor dem letzten Kita-Jahr betrachtet werden, die von den Gebühren befreit sein werden, sowie Eltern von älteren Kindern, die von Gebühren befreit waren., und Müttern, bei deren Kindern das nicht der Fall war. Bevor die Kinder ins letzte Kita-Jahr kommen, ähneln sich die Erwerbstätigenquoten zwischen beiden Gruppen sehr – und auch mit Eintreten der Kinder in das letzte Kita-Jahr lassen sich keine großen Veränderungen infolge der Kita-Gebührenbefreiung feststellen (Abbildung 2).
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man das Erwerbsvolumen der Mütter betrachtet: Mütter, für deren Kind im letzten Kita-Jahr keine Gebühren mehr anfallen, arbeiten mehr Stunden pro Woche, ihr Erwerbsvolumen ist also höher. Mit dem Übergang in die Grundschule bleibt dieser Unterschied zunächst bestehen, verschwindet allerdings mittelfristig, da auch das Erwerbsvolumen der anderen Mütter (wieder) zunimmt, je älter die Kinder werden.
Bei Vätern zeigen sich sowohl mit Blick auf die Erwerbstätigenquote als auch das Erwerbsvolumen gar keine Effekte eines gebührenfreien letzten Kita-Jahres des Kindes (Abbildung 3). Väter mit noch sehr jungen Kindern sind in geringerem Umfang erwerbstätig als Väter mit älteren Kindern – diese Beobachtung gilt allerdings unabhängig von den Gebühren im letzten Kita-Jahr.
Anhand ökonometrischer Modelle können zahlreiche weitere Faktoren wie der generelle Kita-Ausbau berücksichtigt werden, um den Effekt der Kita-Gebührenbefreiung auf die Erwerbstätigkeit und das Erwerbsvolumen der Eltern zu isolieren. Somit lässt sich herausfinden, inwieweit die beobachteten Entwicklungen kausal auf die Gebührenbefreiungen zurückzuführen sind. Insgesamt ergibt sich ein ganz ähnliches Bild: Der Anteil von Müttern in der Erwerbsbevölkerung verändert sich nicht, wenn das letzte Kita-Jahr des Kindes beitragsfrei ist. Lediglich beim Erwerbsvolumen zeigen sich signifikante Effekte. Insgesamt erhöht sich die Arbeitsstundenzahl um knapp drei Prozent, das entspricht 0,34 Stunden pro Woche (Tabelle 2). Insgesamt sind 7,2 Prozent mehr Frauen in Vollzeit erwerbstätig – ein Anstieg der entsprechenden Quote um einen Prozentpunkt. Die relativen Veränderungen bei den Erwerbsstunden und der Vollzeittätigkeit decken sich mit den Veränderungen, die auf die veränderte Kita-Nutzung infolge der Gebührenbefreiung zurückgehen. Konzentrieren sich die Analysen auf Mütter in der Erwerbsbevölkerung, also erwerbstätige Mütter und solche mit einer Erwerbsabsicht, steigt die wöchentliche Arbeitsstundenzahl um etwa vier Prozent, also um 0,8 Stunden pro Woche. Die Vollzeiterwerbstätigkeit steigt in diesem Fall um elf Prozent beziehungsweise 2,5 Prozentpunkte. Für diese Gruppe erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit, dass Mütter mehr als zehn Stunden pro Woche erwerbstätig sind, leicht.
Lineare Regressionsmodelle
Alle Mütter | Mütter in der Erwerbsbevölkerung2 | |||
---|---|---|---|---|
Mittelwert | Effekt der Gebührenbefreiung | Mittelwert | Effekt der Gebührenbefreiung | |
Erwerbstätigkeit der Mutter1 | ||||
Mütter in der Erwerbsbevölkerung | 67,0 Prozent | 0,004 | -- | |
Erwerbstätig | 60,0 Prozent | 0,001 | 96,0 Prozent | 0,005 |
Erwerbsvolumen der Mutter | ||||
Stunden pro Woche | 13,50 | 0,342* | 21,78 | 0,807*** |
Vollzeit erwerbstätig (Mehr als 30 Stunden pro Woche)1 | 14,0 Prozent | 0,010** | 22,0 Prozent | 0,025*** |
Mehr als 10 Stunden pro Woche1 | 53,0 Prozent | 0,004 | 85,0 Prozent | 0,011** |
Zahl der Beobachtungen | 328299 | 192792 |
Anmerkung: Die Erwerbstätigkeit wird zu dem Zeitpunkt betrachtet, zu dem das Kind im letzten Kita-Jahr ist. Die Methodik der Schätzungen wird ausführlicher im Kasten dieses Berichts dargestellt. Die Standardfehler sind geclustert (Bundesland × Jahr). *, ** und *** geben die Signifikanz auf dem Zehn-, Fünf- und Ein-Prozent-Niveau an.
1 Bei Untersuchungsgrößen, die in Prozent angegeben sind (zum Beispiel die Kita-Nutzungsquote), werden die Effekte in Prozentpunkten ausgedrückt. Dafür muss der Wert mit 100 multipliziert beziehungsweise das Komma um zwei Stellen nach rechts verschoben werden. Beispiel: Ein Effekt von 0,004 entspricht 0,4 Prozentpunkten.
2 Mütter in der Erwerbsbevölkerung umfassen alle erwerbstätigen Mütter und solche mit einer Erwerbsabsicht, aber nicht Empfängerinnen von ALG I und II.
Lesebeispiel: Wenn das letzte Kita-Jahr des Kindes gebührenfrei ist, arbeiten Mütter, die bereits vor der Gebührenbefreiung erwerbstätig waren, gut 0,8 Stunden mehr pro Woche.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Mikrozensus (2005 bis 2013).
Auch multivariate Analysen bestätigen, dass der Kita-Reform effekt auf das Erwerbsvolumen nur für Mütter mit Kindern im letzten Kita-Jahr beziehungsweise für Mütter mit SchulanfängerInnen messbar ist (ohne Tabelle). Werden Mütter mit älteren Grundschulkindern betrachtet, lassen sich keine statistisch signifikanten Effekte der Gebührenbefreiung auf die Erwerbstätigkeit mehr erkennen.Für detaillierte Ereignisanalysebetrachtungen siehe Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O.
Bei den Effekten der Kita-Gebührenbefreiung auf das Erwerbsvolumen der Mütter zeigen sich zum Teil starke Unterschiede nach deren sozioökonomischen Merkmalen. Beispielsweise sind die Effekte stärker, wenn die Mutter Abitur hat (Tabelle 3). Differenziert nach dem Haushaltseinkommen zeigen sich Erwerbseffekte für Mütter zwar über die gesamte Einkommensverteilung, relativ betrachtet sind sie bei den geringeren Einkommen aber am größten. Auch weiten Mütter ihren Erwerbsumfang deutlich stärker aus, wenn der Partner nicht erwerbstätig ist.
Lineare Regressionsmodelle
Effekt auf das Arbeitsvolumen in Stunden pro Woche | Effekt auf Wahrscheinlichkeit, eine Vollzeiterwerbstätigkeit auszuüben1 | |
---|---|---|
Schulbildung der Mutter | ||
Mit Abitur | 0,907*** | 0,026*** |
Ohne Abitur | 0,357 | 0,017 |
Haushaltseinkommen (monatlich) | ||
Einkommen kleiner als 60 Prozent des Median | 1,584*** | 0,063*** |
Einkommen 60 bis 100 Prozent des Median | 0,674** | 0,018** |
Einkommen 100 bis 150 Prozent des Median | 0,717** | 0,015 |
Einkommen größer als 150 Prozent des Median | 0,900*** | 0,032*** |
Erwerbstätigkeit des Partners | ||
Nicht erwerbstätig | 1,534*** | 0,054*** |
Erwerbstätig | 0,600*** | 0,017** |
Haushaltsform | ||
Alleinerziehend | 1,606*** | 0,053*** |
Partner im Haushalt | 0,682*** | 0,020** |
Alter der Kinder im Haushalt | ||
Keine Kinder unter 3 Jahren | 0,960*** | 0,030*** |
Kinder unter 3 Jahren vorhanden | –0,071 | –0,009 |
Gemeindegrößenklasse | ||
bis zu 60 000 EinwohnerInnen | 0,073 | 0,006 |
mehr als 60 000 EinwohnerInnen | 1,157*** | 0,033*** |
Versorgung mit ganztägigen Grundschulangeboten (Bundeslandebene) | ||
Versorgungsquote unter Median | 0,652*** | 0,007 |
Versorgungsquote am Median oder höher | 1,030*** | 0,015** |
Anmerkung: Die Methodik der Schätzungen wird ausführlicher im Kasten dieses Berichts dargestellt. Die Effektunterschiede nach der Erwerbstätigkeit des Partners, der Haushaltsform, dem Alter der Kinder im Haushalt und der Gemeindegrößenklassen sind statistisch signifikant. Die Standardfehler sind geclustert (Bundesland × Jahr). *, ** und *** geben die Signifikanz auf dem Zehn-, Fünf- und Ein-Prozent-Niveau an.
1 Um die Effekte in Prozentpunkten auszudrücken, muss der Wert mit 100 multipliziert beziehungsweise das Komma um zwei Stellen nach rechts verschoben werden. Beispiel: Ein Effekt von 0,026 entspricht 2,6 Prozentpunkten.
Lesebeispiel: Wenn das letzte Kita-Jahr des Kindes gebührenfrei ist, arbeiten alleinerziehende Mütter rund 1,6 Stunden pro Woche mehr. Bei Müttern mit einem Partner im Haushalt steigt der wöchentliche Erwerbsumfang um 0,7 Stunden.
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Mikrozensus (2005 bis 2013).
Differenzierte Betrachtungen der Familienkonstellation zeigen, dass die Effekte im Erwerbsvolumen bei alleinerziehenden Müttern größer sind: Wird das letzte Kita-Jahr ihres Kindes gebührenfrei, weiten sie ihre Arbeitszeit deutlich stärker aus als Mütter, bei denen der Partner im Haushalt lebt. Dies spiegelt sich auch in der Unterscheidung wieder, ob ein Kind im Alter von unter drei Jahren im Haushalt lebt: Insbesondere dann, wenn das nicht der Fall ist, dehnen Mütter ihr Erwerbsvolumen aus. Große Unterschiede gibt es auch, wenn zwischen ländlichen und städtischen Regionen, also Gemeinden mit weniger und mehr als 60 000 Einwohner Innen, unterschieden wird: Insbesondere in städtischen Regionen steigt das Arbeitsvolumen der Mütter durch die Einführung der Gebührenbefreiung: Mütter erhöhen ihre Arbeitszeit dann um 1,2 Stunden pro Woche.
Schließlich wird betrachtet, ob sich die Effekte der Kita-Gebührenbefreiung auf das Erwerbsvolumen nach der regionalen Versorgung mit ganztägigen Grundschulangeboten unterscheiden. Denn nur wenn mittelfristig auch beim Übergang in die Grundschule eine Nachmittagsbetreuung des Kindes gesichert ist, können Mütter ihr Erwerbsvolumen dauerhaft erhöhen.Aufgrund von Datenrestriktionen werden auf Ebene der Bundesländer die Versorgungsquoten mit ganztägigen Schulangeboten (einschließlich Horte) und Effekte separat für Mütter in Bundesländern mit einer Versorgung unter dem Median sowie für Mütter in Bundesländern am oder über dem Median geschätzt. Es zeigt sich, dass die Effekte tatsächlich in Bundesländern mit überdurchschnittlich vielen Ganztags- angeboten im Grundschulbereich stärker ausgeprägt sind.
Dies verdeutlicht, dass von Kita-Gebührenbefreiungen – zumindest was die Effekte auf die Erwerbstätigkeit der Mütter betrifft – keineswegs alle Familienhaushalte profitieren. Primär sind es höher gebildete Mütter, Mütter in städtischen Regionen, Mütter ohne Kinder unter drei Jahren oder alleinerziehende Mütter, die ihr Erwerbsvolumen aufgrund der Gebührenbefreiungen am deutlichsten erhöht haben.
Mit dem „Gute-KiTa-Gesetz“ schreitet die Abschaffung von Kita-Gebühren voran. Wird der Erfolg dieser Maßnahme daran gemessen, ob mehr Mütter erwerbstätig sind oder ihre Arbeitszeit ausweiten, lässt sich festhalten: Die Reformen der Vergangenheit waren teilweise effektiv, aber unter Nutzen-Kosten-Abwägungen nicht effizient. Sie haben die Erwerbstätigenquote von Müttern, deren Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung beitragsfrei zur Kita gehen konnten, nicht erhöht, dafür aber das Arbeitsvolumen. Vor dem Hintergrund, dass eine höhere Wochenarbeitszeit kurzfristig die finanzielle Lage von Familien verbessert und langfristig zum Beispiel auch die Alterseinkommen von Müttern erhöhen kann, ist dieser Befund positiv zu bewerten. Allerdings zeigt sich, dass die Effekte eher kurzlebig sind und nur für drei bis vier Jahre fortbestehen.
Hinzu kommt, dass eine Gebührenabschaffung für alle Familien mit Kita-Kindern größere Mitnahmeeffekte mit sich bringt: Auch Familien, in denen die Mütter ihre Arbeitszeit nicht ausgeweitet haben, profitieren von den Gebührenbefreiungen. Dabei handelt es sich zum einen um Mütter, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen – was im Betrachtungszeitraum von 2005 bis 2013 immerhin mehr als 30 Prozent waren. Zum anderen sind es bereits zuvor erwerbstätige Mütter, die ihre Wochenstundenzahl im Beruf aufgrund der Gebührenbefreiung nicht ändern.Eine Abschätzung dieser Population ist aufgrund des Querschnittscharakters der Daten nicht möglich. Die Unterschiede in den Effekten verdeutlichen, dass es nur bestimmte Gruppen von Müttern sind, die mit einem erhöhten Erwerbsvolumen auf Gebührenbefreiungen reagieren.
Auch wenn das kurzfristig höhere Erwerbsvolumen der Mütter keinesfalls zu vernachlässigen ist, decken die damit verbundenen zusätzlichen Steuereinnahmen der öffentlichen Haushalte bei weitem nicht die mit der Gebührenbefreiung verbunden Kosten – dies zeigen Überschlagsrechnungen der Autorinnen und des Autors dieses Beitrags.Vgl. Huebener, Pape und Spiess (2019), a.a.O. Hinzu kommen zusätzliche Ausgaben für die öffentliche Hand, die mit dem höheren Betreuungsvolumen infolge der Kita-Gebührenbefreiung einhergehen.
Wenn es also darum gehen soll, das Erwerbsvolumen von Müttern mit jungen Kindern zu erhöhen, wären gezieltere Maßnahmen effizienter. Dabei ist beispielsweise an eine zielgenauere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten zu denken, die (wieder) an eine Erwerbstätigkeit gebunden sein könnte. Frühere Studien des DIW Berlin zeigen, dass das Arbeitsangebot insbesondere von Müttern mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren durchaus auf entsprechende Veränderungen reagiert.Vgl. Müller et al. (2013), a.a.O.
Welche Schlüsse lassen sich also aus den bisherigen Erfahrungen mit Blick auf die Gebührensenkungen oder gar -befreiungen im Kontext des „Gute-KiTa-Gesetzes“ ziehen? Die Analysen deuten darauf hin, dass kaum oder gar keine Mütter erwerbstätig werden, wenn sie es bisher nicht waren. Zu erwarten wäre, dass bereits erwerbstätige Mütter ihre Arbeitszeit ausweiten.
Beachtet werden muss darüber hinaus, dass in allen Altersgruppen inzwischen deutlich mehr Kinder ganztägig betreut werden als es vor über zehn Jahren der Fall war.Vgl. Jonas Jessen, Sophia Schmitz, C. Katharina Spieß und Sevrin Waights (2018): Kita-Besuch hängt trotz ausgeweitetem Rechtsanspruch noch immer vom Familienhintergrund ab. DIW Wochenbericht Nr. 38, 825–835 (online verfügbar). Inwiefern eine Gebührenabschaffung damit überhaupt dazu führen wird, dass der Betreuungsumfang steigt und damit auch das Erwerbsvolumen der Mütter, bleibt offen. Ebenso fraglich ist, ob die geplanten Gebührenbefreiungen bei jüngeren Kindern dafür sorgen werden, dass diese früher eine Kita besuchen. Inwiefern Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten, beispielsweise aus solchen mit geringen Einkommen oder einem niedrigen Bildungsniveau der Eltern, künftig früher in eine Kita gehen, bleibt also abzuwarten.
Themen: Gender, Familie, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: I24;I28;J13;I22
Keywords: child care, early education, day care fees, female labour force participation, working hours
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-48-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/209629