DIW Wochenbericht 49 / 2019, S. 922
get_appDownload (PDF 178 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.95 MB)
Die griechische Wirtschaft erlebt nach zehn Jahren Niedergang und Stagnation seit dem Regierungswechsel im Juli 2019 erste Anzeichen einer Erholung. Dennoch ist das Vorkrisenniveau noch lange nicht erreicht. Angesichts des Potentials in Griechenland ist das bitter. Das Land verfügt über eine große Zahl an Topleuten in Wissenschaft und Wirtschaft, viele aber in der Diaspora. Ein wichtiger Grund, warum diese das Land verlassen haben, ist nach wie vor das investitionsfeindliche Geschäftsklima, das die griechische Bürokratie auf zentraler wie lokaler Ebene entfaltet. Griechenland hat seit 2008 massive fiskalische Anpassungen vollzogen, aber die Strukturprobleme links liegen gelassen.
Die Regierung Mitsotakis hat nun versprochen, Reformen zur Verbesserung des Geschäftsklimas durchzuführen. Damit das gelingt, reicht es aber nicht, ein umfassendes Programm ins Werk zu setzen. Mitsotakis muss auch für mehr Unterstützung bei der Umsetzung der Reformen sorgen.
Frühere Versuche griechischer Regierungen, diese Strukturprobleme anzugehen, sind an der Klientelwirtschaft der Parteien gescheitert. Deren Netzwerke erstrecken sich von Athen bis zu den entferntesten Inseln. Dabei wäre gerade das Engagement der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für ein gutes Geschäftsklima gefordert, um ein besseres Umfeld für bestehende und für neue, innovative Unternehmen zu schaffen. Nur fehlt den Kommunen in Griechenland bislang jeglicher Anreiz, sich dafür einzusetzen. Denn sie profitieren in keinster Weise von Unternehmensansiedlungen. Stattdessen gehen die Steuereinnahmen unternehmerischer Aktivitäten vollständig in die Kasse des Finanzministeriums. Die kommunalen Budgets hängen immer noch viel zu sehr von Zuweisungen der Zentralregierung ab. Statt sich um die Wirtschaft und die Unternehmen vor Ort zu kümmern, kämpfen die Bürgermeister in Athen um Zuschüsse.
Griechenland kommt nicht daran vorbei, die Kommunalpolitik mit einzubinden, wenn das Land die institutionellen Rahmenbedingungen verbessern will. Die Kommunen müssen dafür Anspruch auf einen erheblichen Teil der lokalen Steuereinnahmen aus wirtschaftlicher Aktivität und damit mehr Unabhängigkeit von Athen erhalten. Dies würde Anreize zur Ausgestaltung eines attraktiven lokalen Umfelds für die Ansiedlung von Unternehmen schaffen.
Damit es zu diesem Schritt kommt, muss die Zentralregierung in Athen folgende Reformen vornehmen: Erstens erhalten die griechischen Gemeinden volle Planungs- und Verwaltungshoheit für die lokale Wirtschaft und die lokale Raumplanung, etwa zur Erschießung von Gewerbegebieten. Dafür bekommen diese zweitens den vollständigen Ertrag einer Gewerbesteuer und einen fixen Prozentsatz am lokalen Einkommensteueraufkommen. Und drittens erfolgen sämtliche Ausgleichszahlungen zwischen Zentralstaat und Gemeinden entsprechend einer fixen mathematischen Formel, die einen transparenten Transfer von Beihilfen und Zuschüssen sicherstellt.
In dem Moment, in dem das Gemeindebudget vom Steueraufkommen lokaler Unternehmer profitiert, werden die Kommunen einen stärkeren Anreiz haben, eine gute lokale Infrastruktur vor Ort aufzubauen. Neben direkten Effekten dieses Wandels, also der Neuansiedlung von Unternehmen, wird es wichtige indirekte Effekte geben. So werden die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister ein höheres Interesse am Abbau der Überregulierung bei Vorschriften und Gesetzen entwickeln, die Unternehmer derzeit von Investitionen in Griechenland abhalten. Sie werden zu Anwälten besserer Regulierung auf nationaler Ebene, statt in Sorge um ihr Klientel Reformen zu blockieren.
Griechenland hat sein größtes Reformprojekt noch vor sich. Zu dessen Umsetzung müssen die lokalen Akteure mit eingebunden werden und sich die Regierenden in Athen vom allumfassenden Staatsdirigismus verabschieden. Wird das Land für Investoren attraktiver, wird auch der permanente Exodus der Topleute, der Fachkräfte und ganzer Unternehmen beendet. Es sind dann auch Wachstumsraten der Wirtschaft möglich, die manchen heute unrealistisch erscheinen.
Dieser Gastbeitrag ist am 25. November 2019 in etwas längerer Fassung in der Süddeutschen Zeitung erschienen.
Themen: Konjunktur, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2019-49-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/213339