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Zeitpunkt für mehr Investitionen ist günstig: Interview

DIW Wochenbericht 50 / 2019, S. 951

Claus Michelsen, Erich Wittenberg

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Herr Michelsen, in den vergangenen Monaten wurde viel über eine drohende Rezession in Deutschland diskutiert. Müssen wir uns diesbezüglich Sorgen machen? Wir erwarten nicht, dass Deutschland in eine tiefe Rezession abgleitet. Im Sommer wurde darüber gesprochen, ob man zwei Quartale in Folge negative Wachstumsraten beobachten würde, was man als eine technische Rezession bezeichnet. Das ist jedoch eine sehr enge Abgrenzung des Rezessionsbegriffs. Wir beobachten eine Schwäche im verarbeitenden Gewerbe. Dort gab es über eineinhalb Jahre hinweg rückläufige Produktionsleistungen, auch zuletzt gab es nochmal ein deutliches Minus. Wir gehen aber davon aus, dass wir diese Schwächephase in den kommenden Monaten überwinden werden. Vorlaufende Indikatoren zeigen uns, dass sich die Stimmung verbessert hat. Die Aktienmärkte sind wieder aufwärts gerichtet und auch die Auftragslage im verarbeitenden Gewerbe hat sich stabilisiert.

Was sind die wesentlichen Stützen der deutschen Konjunktur? Im Augenblick läuft der Konsum besonders gut. Die Haushalte wurden deutlich entlastet und es gab höhere Sozialtransfers. Das führt zu höheren Konsumausgaben, weil die Einkommen, die den Haushalten zur Verfügung stehen, kräftig gestiegen sind. Die Bauwirtschaft erlebt nach wie vor eine Sonderkonjunktur, die dadurch bedingt ist, dass die Zinsen sehr günstig sind und die Nachfrage nach Wohnraum weiterhin hoch ist.

Die internationalen Handelskonflikte bestehen nach wie vor und über den Brexit herrscht noch immer keine Klarheit. Ist diese wirtschaftliche Unruhe bereits eingepreist? Ja, viele dieser wirtschaftlichen Unsicherheitsfaktoren wurden bereits eingepreist. Die Unternehmen disponieren insgesamt zurückhaltender, was die Anschaffung von neuen Anlagen betrifft. Das heißt, wir erleben momentan ein deutlich schwächeres durchschnittliches Investitionsniveau und das macht sich hierzulande bemerkbar. Aktuell sehen wir aber nicht, dass sich die Unsicherheit nochmals deutlich erhöht. Gerade beim Brexit liegen die Optionen relativ klar auf dem Tisch – da kann man erwarten, dass in den kommenden Monaten Lösungen gefunden werden. Auch die Konflikte zwischen China und den USA haben sich in den letzten Monaten eher entspannt. Jetzt kam jedoch ein neues Feld hinzu: Plötzlich wurde die Europäische Union ins Fadenkreuz der US-Handelspolitik genommen und das lässt sich schwerer abschätzen. Gleichwohl, auch hier besteht die Hoffnung, dass man diesen Konflikt nicht eskalieren lässt.

Wie ist es um die Investitionen in Deutschland bestellt, auch vor dem Hintergrund, dass jetzt wieder über die sogenannte schwarze Null diskutiert wird? Hier reden wir vor allen Dingen über die öffentlichen Investitionen, die in den vergangenen Jahren deutlich gelitten haben. Gerade im Bereich der Kommunen wurde viel zu wenig Geld in die Hand genommen, um die Infrastruktur instand zu halten. Jetzt gab es einen Kurswechsel. Der Bundeshaushalt sieht einen kräftigen Aufwuchs auch bei den investiven Mitteln vor. Dieser endet aber im Jahr 2021, und ab da werden die Mittel sozusagen konstant gehalten. Das hat damit zu tun, dass man einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen und diese schwarze Null am Ende auch im Haushalt abgebildet sehen möchte. Das ist in dieser Situation keine kluge Wirtschaftspolitik, denn wir erleben momentan ein äußerst günstiges Zinsumfeld, in dem sich der Staat sehr gut finanzieren kann. Gleichzeitig haben wir einen sehr hohen Modernisierungsbedarf in der Volkswirtschaft. In dieser Situation wäre es haushaltspolitisch und betriebswirtschaftlich günstig, wenn man sich verschulden würde, um in die Infrastruktur des Landes zu investieren.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Claus Michelsen
Zeitpunkt für mehr Investitionen ist günstig - Interview mit Claus Michelsen

Themen: Konjunktur

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