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Warum der Föderalismus in Deutschland kaum noch als solcher bezeichnet werden kann: Kommentar

DIW Wochenbericht 1/2 / 2020, S. 16

Karl Brenke

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Nie zuvor wurden im Rahmen des Finanzausgleichs so viele Gelder zwischen Bund, Ländern und Gemeinden umverteilt wie im Jahr 2018. Das geht jedenfalls aus den vorläufigen Zahlen hervor. Ab diesem Jahr wird eine Reform wirksam, nach der vermutlich alle Länder mehr Mittel zur Verfügung haben werden als bisher. Das Ausgleichssystem hat zu einer weitgehenden Nivellierung bei den Pro-Kopf-Einnahmen zwischen den Ländern geführt. Der Bund spielt eine immer größere Rolle als Finanzier von Aufgaben, die eigentlich die Länder zu erfüllen haben – sei es bei den Investitionen oder bei der frühkindlichen Erziehung. Wurden beispielsweise früher die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgaben wegen des Kuddelmuddels bei Zuständigkeit und Finanzierung noch kritisch gesehen, herrscht heute unkritisches Einverständnis. Da sich das Ausgleichssystem so entwickelt hat, dass die Eigenverantwortung der Länder weit zurückgedrängt wurde, stellt sich die Frage, ob man sie überhaupt noch braucht.

Der Föderalismus hat in Deutschland eine lange Tradition. Erst kam die Kleinstaaterei. Im folgenden Kaiserreich hatten die Länder noch eine weitgehend autonome Stellung inne; so wurde das Reich durch seine Gliedstaaten finanziert. Vor ziemlich genau 100 Jahren trat die Verfassung der Weimarer Republik in Kraft. Weil der Zentralstaat nicht zuletzt wegen des verlorenen Krieges viel Geld brauchte, kam es ab 1919 zu umfassenden Reformen. So wurde überhaupt erst eine zentralstaatliche Steuerverwaltung aufgebaut, und die Steuerkompetenz ging auf das Reich über. Den Ländern blieben nur wenige eigene Steuern; sie erhielten aber Mittel vom Zentralstaat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen die Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder von den alliierten Besatzungsmächten die Order, eine Verfassung auszuarbeiten. Wohl auch, weil sie ihre jeweiligen Besatzungsgebiete stärken wollten, protegierten die Alliierten die Länder. Die Franzosen dachten sogar an eine Rückkehr zur Kleinstaaterei. Um die deutsche Teilung nicht zu zementieren, wurde aber keine Verfassung, sondern lediglich ein Grundgesetz vorgelegt. Über eine Verfassung sollte das Volk bei der Wiedervereinigung entscheiden. Die Alliierten stimmten der Vorlage schließlich zu. Ein strittiger Punkt war die Finanzverwaltung; die Militärgouverneure fürchteten eine starke Zentralverwaltung. Es kam zu einem Kompromiss: zu einer Mischverwaltung zwischen Bund und Ländern, einem Finanzausgleich zwischen den Ländern und zu Bundeszuschüssen. Danach gab es immer wieder Finanzreformen. Kein anderer Bereich des Grundgesetzes wurde so oft geändert wie die Finanzbeziehungen der Gebietskörperschaften.

Aus ökonomischer Sicht ist Wettbewerb immer von Vorteil. Auf politischer Ebene stimuliert er optimale Problemlösungen für die Allgemeinheit. Innovationen werden angeregt. Eigenverantwortung hält die Akteure zu einem sorgsamen Umgang mit den verfügbaren Ressourcen an. Föderalismus kann mithin segensreich sein.

In Deutschland hat sich inzwischen aber ein System herausgebildet, das kaum noch als Föderalismus bezeichnet werden kann. Der Bund hat sich zunehmenden Einfluss verschafft. Im Gegenzug haben sich die Länder mehr und mehr in die Rolle von Transferempfängern begeben – durchaus einvernehmlich, denn es ist ja bequem so. Über allem schwebt die Vorstellung einer anzustrebenden Gleichheit. Wettbewerb und fürsorgliche Gleichverteilung sind aber sich ausschließende Ziele. Wer Gleichmacherei will, braucht keinen Föderalismus und somit keine Bundesländer – für die Verwaltung in den Regionen reichen Bundesbehörden aus. Man könnte sich die kostspieligen und von den Anreizen her ineffizienten Bürokratien der Länder sparen. Statt immer wieder über irgendwelche Formen von Finanzausgleich zu entscheiden, sollte über das Naheliegende nachgedacht werden: über die Daseinsberechtigung der Länder. Das wäre ein wichtiger Punkt für eine Debatte über eine künftige Verfassung der Bundesrepublik. Sie ist ohnehin längst überfällig – auch um die etwa mit Koalitionsvereinbarungen oder mit der Vielzahl nicht direkt gewählter Abgeordneter ziemlich ausgehöhlte Demokratie zu beleben.

Themen: Finanzmärkte

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