DIW Wochenbericht 3 / 2020, S. 32
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In der Debatte über die großen Herausforderungen der Digitalisierung wird regelmäßig bemängelt, dass nur wenige deutsche Unternehmen in daten- und netzwerkbasierten Geschäftsbereichen erfolgreich sind. Dabei ist die immer noch unzureichende Infrastruktur für digitale Dienstleistungen, Anwendungen der Künstlichen Intelligenz und Cloud-Computing ein wichtiger Streitpunkt. Neben Forderungen nach mehr Subventionen gilt eine gestalterische Industriepolitik wie durch die neugegründete „Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen“ oder die „deutsche Hightech-Strategie“ als zentral, um den Anschluss bei der Digitalisierung nicht zu verlieren.
Aber Digitalisierung ist bereits allgegenwärtig und sollte daher auch in der Politik weitergedacht werden. Nahezu jeder Aspekt unseres Lebens wird digital vermessen, gespeichert und analysiert. Informationen über unsere Entscheidungen und Verhalten werden in Daten gefasst, die von Algorithmen ausgewertet werden, die uns helfen sollen, besser und bequemer durch das Leben zu navigieren. Gleichzeitig wachsen aber die Ängste, dass wir die Kontrolle über unsere Daten verlieren und andere profitieren.
Anders als in den Vorstellungen George Orwells vom totalitären Überwachungsstaat liegt die Kontrolle über viele Daten in den Händen großer Konzerne wie Google, Facebook und Amazon. Ihr Erfolg ist massiven Investitionen in die hellsten Köpfe mit dem Ziel der Datennutzung und Algorithmenentwicklung zu verdanken. Mit zunehmender Reichweite und direktem Zugriff auf ihre Plattformen können Unternehmen Algorithmen immer besser optimieren.
Die gesellschaftliche Herausforderung ist die Entwicklung einer Datennutzung, die effektiv, verantwortungsvoll und zum Vorteil der BürgerInnen ist. Diese Aufgabe sollte nicht vollständig und ungeregelt privaten und teils marktmächtigen Unternehmen überlassen werden. Eine moderne Wettbewerbspolitik und kluge Regulierung werden eine stärkere Rolle spielen müssen. Zum Beispiel könnten Dienstleistungen zum Nulltarif im Tausch gegen Datenbereitstellung – wie im Fall von Googles DeepMind und von Amazon für das britische Gesundheitssystem NHS – hinsichtlich zukünftiger Marktvorteile kritisch hinterfragt werden.
Zusätzlich muss die öffentliche Hand die Mittel bereitstellen, um institutionelle Grundlagen für Datensicherheit und für eine Datenverwendung zum Wohle der Allgemeinheit zu schaffen. Dafür bedarf es einer deutlichen Stärkung der Grundlagenforschung, des Wissenstransfers sowie der technologischen und personellen Kapazitäten in den Verwaltungen. In Amsterdam und Barcelona gab es bereits Pilotprojekte zur digitalen Bürgerbeteiligung im kommunalen Bereich – mit Fokus auf Datenbereitstellung unter Beibehaltung individueller Datensouveränität.
An der Schnittstelle zwischen Informatik und empirischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaften hat sich in den letzten Jahren eine vielversprechende Zusammenarbeit in der Nutzung von Methoden des maschinellen Lernens entwickelt. In eigenen Arbeiten haben wir herausgefunden, dass die Politik unter Einbezug von maschinellem Lernen Antibiotikaüberverschreiben stark verringern könnte. So böte auch der im Entwurf des Digitale-Versorgungs-Gesetzes vorgesehene Datenpool Potential für nachhaltige Verbesserungen der Versorgungsqualität im Gesundheitssektor, bei ausreichender Ausgestaltung von Nutzerschnittstellen, Datensicherheit und -schutz. Weitere Anwendungsgebiete sind in der Arbeitsmarkt-, Energie-, Verkehrs- und Steuerpolitik sowie in der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe zu finden. Das Testen technischer Lösungen ausschließlich durch fragmentierte, private Akteure kann zu (un)vorhersehbaren Konsequenzen führen, die wiederum die gesellschaftliche Akzeptanz innovativer, datenbasierter Lösungen gefährden.
Deutschland hat mit mehr Mut noch die Chance, bei der verantwortungsvollen und sicheren öffentlichen Datennutzung in Europa Akzente zu setzen. Dazu sind Investitionen in Kapazitäten der digitalen Verwaltung dringend notwendig, um die staatlichen Institutionen für eine stärker evidenzbasierte Politik und eine wirksamere Verwaltung fit zu machen.
Der Beitrag ist am 9. Januar 2020 auf Focus online in der Serie „Auf geht’s, Deutschland“ erschienen.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-3-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/213347