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Langsam wandeln sich die Führungsetagen deutscher Großunternehmen: Editorial

DIW Wochenbericht 4 / 2020, S. 35-37

Anja Kirsch, Katharina Wrohlich

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  • Frauenanteile in Vorständen großer Unternehmen in Deutschland sind 2019 etwas stärker gestiegen als in den Jahren zuvor
  • Anders als in den meisten Vorjahren nahm vielerorts der Anteil der Vorständinnen schneller zu als der Anteil der Aufsichtsrätinnen
  • Entwicklung aber nach wie vor auf niedrigem Niveau: Die 200 umsatzstärksten Unternehmen haben beim Frauenanteil im Vorstand gerade erstmals die Zehn-Prozent-Marke geknackt
  • Hinweise darauf, dass gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte auch mehr Frauen in Vorständen nach sich zieht, verdichten sich
  • Für nachhaltig mehr Frauen in Spitzengremien großer Unternehmen sind unter anderem neue Formen der Arbeitsorganisation nötig

„Für mehr Frauen in Spitzengremien großer Unternehmen müssen nicht nur Geschlechterstereotype abgebaut werden. Auch in der Arbeitsorganisation muss es Veränderungen geben. Die Erwartungen an Personen in hohen Führungspositionen sind meist noch immer an der Lebensrealität von Männern ausgerichtet. Ist es wirklich notwendig, dass diese Stellen mit einer so enormen Arbeitsbelastung einhergehen?“ Katharina Wrohlich

Mit dieser Personalie wurde in Deutschland Geschichte geschrieben: Im Oktober 2019 hat der Softwarekonzern SAP verkündet, dass Jennifer Morgan gemeinsam mit Christian Klein den Vorstandsvorsitz des Unternehmens übernehmen wird. Erstmals wurde damit eine Frau zur Vorstandsvorsitzenden eines DAX-30-Konzerns berufen. Diese Entwicklung wurde in den Medien als Zeichen für Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen und Männern im Bereich hoher Führungspositionen in der Privatwirtschaft gewertet. Und tatsächlich: Das neueste Managerinnen-Barometer des DIW Berlin zeigt, dass es nicht bei einzelnen Schlaglichtern bleibt, sondern die Dynamik im vergangenen Jahr zugenommen hat. Die Frauenanteile in den Vorständen großer Unternehmen in Deutschland sind im vergangenen Jahr etwas stärker gestiegen als in den Jahren zuvor. Die 200 umsatzstärksten Unternehmen knackten erstmals die Zehn-Prozent-Marke. Dies zeigt aber auch deutlich, dass die positiven Veränderungen von einem sehr niedrigen Niveau ausgehen. Geschlechterparität in den Vorständen der größten Unternehmen in Deutschland ist nach wie vor in weiter Ferne.

Deutlich höher als in den Vorständen liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten – nicht zuletzt dank der 2016 eingeführten Geschlechterquote für börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen. Die Untersuchungen des DIW Berlin zeigen, dass die Quote wirkt: Unternehmen, die an die Quote im Aufsichtsrat gebunden sind, haben höhere Frauenanteile im Aufsichtsrat als von der Größe her vergleichbare Unternehmen, für die die Quote nicht gilt.

Aber wirkt die Quote für Aufsichtsräte indirekt auch auf Vorstände? Der zweite Bericht des DIW Managerinnen-Barometers 2020 zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil im Aufsichtsrat eines Unternehmens und dem Frauenanteil in dessen Vorstand einige Jahre später gibt. Ob diese Korrelation tatsächlich als kausaler Zusammenhang interpretiert werden kann und ob die Geschlechterquote für Aufsichtsräte auch nachhaltig den Frauenanteil in den Vorständen erhöht, ist nach derzeitigem Forschungsstand noch offen. Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung anhand von Interviews mit insgesamt 60 Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten zeigen, dass Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich viele Möglichkeiten haben, die Besetzung von Vorständen zu beeinflussen und damit auf mehr Frauen in den Chefetagen hinzuwirken. Es ist jedoch anzunehmen, dass der zunehmende öffentliche und politische Druck der vergangenen Jahre ebenfalls zu der positiven Entwicklung in den Vorständen beigetragen hat. In Zukunft könnten außerdem eine größere Bereitschaft, traditionelle Zuschreibungen von Geschlechterrollen zu hinterfragen, und eine Kultur der Offenheit gegenüber neuen Arbeitsmodellen für Führungskräfte – Stichwort Doppelspitzen mit jeweils reduziertem Arbeitspensum – helfen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig zu erhöhen.

Katharina Wrohlich

Leiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics



JEL-Classification: D22;J16;J59;J78;L21;L32;M14;M51
Keywords: corporate boards, board composition, boards of directors, board diversity, Europe, women directors, gender equality, gender quota, Germany, management, private companies, public companies, supervisory boards, executive boards, CEOs, women
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-4-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/214215

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