DIW Wochenbericht 4 / 2020, S. 50-55
Anja Kirsch, Katharina Wrohlich
get_appDownload (PDF 196 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.82 MB)
Die verbindliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte wirkt: Insbesondere in den an sie gebundenen Unternehmen ist der Frauenanteil im Kontrollgremium in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Doch wie sieht es mit der erhofften Strahlkraft der Quote auf die Vorstände aus? Dieser Bericht untersucht als zweiter Teil des aktuellen DIW Managerinnen-Barometers, ob ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Frauenanteils in Aufsichtsräten und der Entwicklung des Frauenanteils in Vorständen besteht. Das Kernergebnis: Eine entsprechende Beziehung ist erkennbar und die Hinweise, dass die Geschlechterquote für Aufsichtsräte die Präsenz von Frauen in Vorständen positiv beeinflusst, verdichten sich. Ein kausaler Zusammenhang ist aber noch nicht nachweisbar. Die Antworten aus Interviews mit insgesamt 60 Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten belegen, dass Aufsichtsratsmitglieder vielfältige Möglichkeiten haben, die Besetzung von Vorstandsposten zu beeinflussen und damit auf mehr Frauen in den Chefetagen hinzuwirken. Vielerorts werden diese Möglichkeiten aber (noch) nicht vollends ausgeschöpft. Weiterer politischer und gesellschaftlicher Druck und neue Formen der Arbeitsorganisation könnten helfen, den Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig zu erhöhen.
Seit Mai 2015 ist das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen (FüPoG) in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen, die börsennotiert sind und der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, zu einer Geschlechterquote im Aufsichtsrat von 30 Prozent. Diese Regelung trifft gegenwärtig auf insgesamt 105 Unternehmen in Deutschland zu.Nach Angaben von FidAR ist die Oldenburgische Landesbank nicht mehr börsennotiert, während die Deutsche Börse AG und die INDUS Holding AG erstmals einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat gewählt haben. Vgl. FidAR (2019): Women-on-Board-Index 185 (online verfügbar; abgerufen am 9. Januar 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die betroffenen Unternehmen müssen die Quote seit dem 1. Januar 2016 sukzessive für die seitdem neu zu besetzenden Aufsichtsratsposten einhalten. Bei Nichterfüllung ist die quotenwidrige Wahl nichtig. Die eigentlich für das unterrepräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze bleiben dann rechtlich unbesetzt („leerer Stuhl“).Ein „leerer Stuhl“ kam im Januar 2018 im Aufsichtsrat der Villeroy & Boch AG zustande, als die Arbeitnehmer nur eine Frau gewählt hatten. Im April 2018 hat das Amtsgericht Saarbrücken eine zweite Arbeitnehmervertreterin bestellt. Vgl. Villeroy & Boch AG (2018): Neue Mitglieder im Aufsichtsrat der Villeroy & Boch AG. Pressemitteilung vom 26. März 2018 (online verfügbar); sowie Villeroy & Boch AG (2019): Geschäftsbericht 2018, 10 (online verfügbar).
Unternehmen, die entweder börsennotiert oder paritätisch mitbestimmt sind, müssen sich eigenständig Zielgrößen für den Frauenanteil in ihrem Aufsichtsrat setzen. Diese Regelung trifft auf derzeit 1 643 Unternehmen zu.Vgl. Deutscher Bundestag (2017): Bericht der Bundesregierung über den Frauen- und Männeranteil an Führungsebenen und in Gremien der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes. Drucksache Nr. 18/13333, 24 (online verfügbar). Diese Zahl wurde basierend auf Erklärungen der Unternehmen aus dem Jahr 2015 ermittelt. Obwohl das FüPoG eine verbindliche Geschlechterquote nur für Aufsichtsräte börsennotierter und gleichzeitig paritätisch mitbestimmter Unternehmen festschreibt, ist das Ziel des Gesetzes, den Anteil von Frauen in Führungspositionen insgesamt – also über den Aufsichtsrat hinaus – zu erhöhen, um damit die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Erwerbsleben zu gewährleisten.Vgl. Deutscher Bundestag (2017), a.a.O., 11.
In diesem Bericht wird daher untersucht, wie sich das Geschlechterverhältnis in Vorständen großer Unternehmen entwickelt hat und inwieweit die verpflichtende Geschlechterquote von 30 Prozent für Aufsichtsräte mit dieser Entwicklung in Verbindung steht.
Das FüPoG sieht vor, dass der Aufsichtsrat eine Zielgröße für die Repräsentation von Frauen im Vorstand festlegt.Vgl. § 111(5) AktG. Liegt der Frauenanteil im Vorstand bei Festlegung der Zielgröße unter 30 Prozent, so darf die Zielgröße diesen Status Quo nicht unterschreiten. Die ersten Ziele mussten bis September 2015 gesetzt und spätestens bis 30. Juni 2017 erreicht werden. Alle folgenden Fristen dürfen nicht länger als fünf Jahre sein. Die im Jahr 2017 gesetzten Ziele müssen also spätestens bis 30. Juni 2022 erreicht werden.
Da die Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand im Lagebericht des Geschäftsberichts veröffentlicht werden müssen, ist allmählich bekannt geworden, welche Ziele sich die Unternehmen im Jahr 2017 neu gesetzt haben. Es hat sich herausgestellt, dass die meisten Aufsichtsräte die niedrigste Zielgröße, die ihnen erlaubt war, gewählt haben – nämlich den Frauenanteil, den sie bereits erreicht hatten. So ermittelte die AllBright Stiftung, dass von den 160 Unternehmen, die in den verschiedenen DAX-Gruppen gelistet sind, nur 37 ein Ziel formuliert hatten, das über ihren Status Quo hinausging.Vgl. AllBright Stiftung (2018): Die Macht der Monokultur: Erst wenigen Börsenunternehmen gelingt Vielfalt in der Führung (online verfügbar). Die Mehrzahl der Unternehmen nannte bereits erreichte „Ziele“ – für diese ist also kein Veränderungswillen hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Vorständen zu erkennen.
Die jährlichen Erhebungen des DIW Managerinnen-Barometers zeigen außerdem, dass sich der langjährige Trend, nach dem der jährliche Anstieg des Frauenanteils in Vorständen wesentlich geringer ausfällt als in den Aufsichtsräten, nach Einführung des FüPoG fortsetzte. Beispielsweise stieg der Frauenanteil in den Vorständen der 200 umsatzstärksten Unternehmen von 2016 bis 2018 um 0,8 Prozentpunkte, während der Frauenanteil in den Aufsichtsräten um 4,3 Prozentpunkte kletterte. In den 160 DAX-Unternehmen lief es ähnlich: Dort stieg der Anteil der Vorständinnen von 2016 bis 2018 um 1,5 Prozentpunkte, der der Aufsichtsrätinnen jedoch um 4,4 Prozentpunkte.Vgl. dazu in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts Abbildung 1 sowie Tabellen 1 und 2 in Katharina Wrohlich und Anja Kirsch (2020): Frauenanteile in Spitzengremien großer Unternehmen steigen – abgesehen von Aufsichtsräten im Finanzsektor. DIW Wochenbericht Nr. 4, 38–49 (online verfügbar).
Die Vermutung liegt daher nahe, dass das Gesetz zwar Veränderungen hin zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Aufsichtsräten angestoßen hat, bei der Besetzung von Vorstandspositionen aber weiterhin althergebrachte Strukturen und Praktiken vorherrschen. Die Geschlechterparität in Vorständen ist nach wie vor in weiter Ferne.
Da Anzeichen eines Veränderungswillens fehlen und sich der Frauenanteil in Vorständen nur schleppend erhöht, droht der Gesetzgeber seit 2017 mit einer Verschärfung des Gesetzes. Eine verpflichtende Geschlechterquote für Vorstände wird immer wieder diskutiert.Siehe beispielsweise Sabine Menkens (2017): Schwesig droht mit Ausweitung der Frauenquote. Die Welt vom 9. März (online verfügbar); sowie Frankfurter Allgemeine Zeitung (2017): Kommt eine Frauenquote für Vorstände? Bericht vom 17. August 2017, 16. Im November 2019 wurde bekannt, dass das Bundesjustizministerium und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einen gemeinsamen Gesetzentwurf dazu erarbeiten. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) haben eine mögliche verbindliche Quote für Vorstände nun wieder auf die Agenda gehoben.Siehe beispielsweise Helena Ott (2019): Ministerinnen wollen mehr. Süddeutsche Zeitung vom 25. November 2019 (online verfügbar). Aus der CDU sind sowohl Zustimmung als auch Widerspruch zu hören.Siehe beispielsweise Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019): CDU-Wirtschaftsrat gegen Vorstandsquote. Bericht vom 26. November 2019, 1; sowie Frankfurter Allgemeine Zeitung (2019): Unterstützung aus CDU für Frauenquote. Bericht vom 27. November 2019, 4.
Das neueste DIW Managerinnen-Barometer zeigt, dass nach der schleppenden Entwicklung der Vorjahre 2019 mehr Frauen in Vorstände berufen wurden.Vgl. Wrohlich und Kirsch (2020), a.a.O. Anders als im langjährigen Trend war der Anstieg in den Vorständen sogar leicht höher als in den Aufsichtsräten, insbesondere bei Banken und Versicherungen. Abgesehen davon, dass sich die Anstiege in den Vorständen im Vergleich zu Aufsichtsräten nach wie vor auf deutlich geringerem Niveau vollziehen, bleibt abzuwarten, ob tatsächlich von einer Trendumkehr gesprochen werden kann oder das vergangene Jahr eher ein Ausreißer war.
Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob es einen gleichstellungspolitischen „Trickle-Down-Effekt“ gibt, ob also der Abbau von Ungleichheit zwischen Frauen und Männern im Aufsichtsrat eines Unternehmens zu den Vorständen „durchsickert“ und dort – wenn auch verzögert – zu egalitäreren Verhältnissen beiträgt.
Empirische Untersuchungen aus anderen Ländern kommen diesbezüglich zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einige Forschungsarbeiten belegen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil im höchsten FührungsgremiumIm internationalen Vergleich wird zwischen einem monistischen und einem dualistischen Modell der Unternehmensführung unterschieden. Das monistische System mit seinem Board of Directors gibt es zum Beispiel in Großbritannien und den USA. Das dualistische System mit der Trennung von Geschäftsführung (durch den Vorstand) und Kontrolle (durch den Aufsichtsrat) gibt es neben Deutschland in Österreich und den Niederlanden. In Frankreich kommen beide Systeme vor. Vgl. Gerum, Elmar (2004): Corporate Governance, internationaler Vergleich. In: Georg Schreyögg und Axel v. Werder (Hrsg.): Handwörterbuch Unternehmensführung und Organisation, 4. Auflage., 171–178. eines Unternehmens und dem Frauenanteil auf nachgelagerten Führungsebenen gibt.Studien mit amerikanischen und australischen Daten haben einen Zusammenhang belegt, vgl. David A. Matsa und Amalia R. Miller (2011): Chipping away at the glass ceiling: Gender spillovers in corporate leadership. American Economic Review 101(3), 635–639; Alison Cook und Christy Glass (2015): Diversity begets diversity? The effects of board composition on the appointment and success of women CEOs. Social Science Research 53, 137–147; Sheryl Skaggs, Kevin Stainback und Phyllis Duncan (2012): Shaking things up or business as usual? The influence of female corporate executives and board of directors on women's managerial representation. Social Science Research 41(4), 936–948; und Jill A. Gould, Carol T. Kulik,und Shruti R. Sardeshmukh, (2018): Trickledown effect: The impact of female board members on executive gender diversity. Human Resource Management 57(4), 931–945. Andere Studien können einen solchen Zusammenhang nicht zeigen.Studien mit norwegischen und italienischen Daten konnten nicht eindeutig belegen, dass die Zunahme des Frauenanteils im Spitzengremium eines Unternehmens mit einer Zunahme des Frauenanteils in den obersten Führungspositionen in diesem Unternehmen einhergehen. Vgl. Marianne Bertrand et al. (2018): Breaking the Glass Ceiling? The Effect of Board Quotas on Female Labour Market Outcomes in Norway. Review of Economic Studies 86(1), 191–239; sowie Agata Maida und Andrea Weber (2019): Female leadership and gender gap within firms: Evidence from an Italian board reform. IZA Discussion Paper No. 12099.
Für Deutschland ist zunächst zu klären, über welche Mechanismen die Vertretung von Frauen im Aufsichtsrat eine Auswirkung auf die Vertretung von Frauen im Vorstand haben könnte. Denn Aufsichtsräte sind ja nicht nur für die Unternehmenskontrolle zuständig, sondern auch mit der personellen Besetzung des Vorstands und der Gestaltung der Verträge der Vorstandsmitglieder befasst. Der Aufsichtsrat bestellt die Mitglieder des Vorstands für eine Amtszeit von höchstens fünf Jahren.Vgl. § 84(1) AktG. Wenn im Aufsichtsrat Ausschüsse eingerichtet sind, wird die Bestellung vom Personalausschuss oder vom Präsidialausschuss des Aufsichtsrats vorbereitet.
Das dominante Karrieremuster von Topmanagern ist – trotz leichten Rückgangs in den letzten Jahren – die sogenannte Hauskarriere.Vgl. Saskia Freye (2013): Neue Managerkarrieren im deutschen Kapitalismus? Ein akteursorientierter Beitrag zur Analyse institutionellen Wandels. Leviathan 41(1), 57–93; und Michael Hartmann (2015): Topmanager 2015. Die transnationale Klasse – Mythos oder Realität revisited. Soziale Welt 66(1), 37–53. Vorstandsmitglieder werden also häufig „hausintern“ aus den darunterliegenden Hierarchieebenen des Unternehmens rekrutiert. Wenn ein Vorstandsmitglied von außerhalb des Unternehmens rekrutiert werden soll, kann der Aufsichtsrat Personalberater beauftragen, geeignete KandidatInnen zu suchen.
Auf welche Weise Aufsichtsrätinnen zu mehr Geschlechterparität in Vorständen beitragen könnten, war Gegenstand einer qualitativen Untersuchung im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Freien Universität Berlin.Die Forschungsarbeiten, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, wurden gemäß der Finanzhilfevereinbarung Nr. 303571 im Zuge des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Union (RP7/2007-2013) sowie durch das Margherita-von-Brentano-Zentrum der Freien Universität Berlin gefördert. Mit 30 Frauen und 30 Männern, die Aufsichtsratsmandate in verschiedenen börsennotierten deutschen Unternehmen bekleiden, wurden Interviews geführt. Es handelte sich sowohl um AnteilseignervertreterInnen als auch um ArbeitnehmervertreterInnen.
In den Interviews wurden offene Erzählaufforderungen (beispielsweise „Wie würden Sie Ihre Rolle als Mitglied dieses Aufsichtsrates beschreiben?“) mit präzisierenden Fragen (zum Beispiel „Können Sie mir erzählen, wie der Aufsichtsrat eine Vorstandsposition neu besetzt hat?“) kombiniert. Dadurch konnten das subjektive Wissen und die subjektiven Erfahrungen der Befragten erhoben werden.Vgl. Uwe Flick (2000): Episodic Interviewing. In: Martin W. Bauer und George Gaskell (Hrsg.): Qualitative Researching with Text, Image and Sound, 76–92. Die Interviews wurden transkribiert und mit Hilfe von NVivo-Software zur qualitativen Datenanalyse thematisch analysiert. Dabei wurden Datenfragmente identifiziert, in denen die Befragten ihre eigenen Handlungen im Aufsichtsratskontext oder die anderer Aufsichtsratsmitglieder in Bezug auf die Teilhabe von Frauen an Führungspositionen im Allgemeinen und speziell an Vorständen im Unternehmen beschrieben. Diese Datenfragmente wurden auf Themen und Muster hin näher untersucht. Ein solches Forschungsdesign ist nicht dazu geeignet, die zahlenmäßige Verbreitung eines Phänomens zu erfassen, also beispielsweise festzustellen, wie viele Aufsichtsrätinnen sich für die Erhöhung des Frauenanteils in Vorständen einsetzen oder wie häufig sie das tun. Stattdessen kann diese qualitative Vorgehensweise Aufschluss über das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten von Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräten geben.
Sowohl Frauen als auch Männer erzählten von Situationen, in denen sie selbst oder andere Aufsichtsratsmitglieder sich für eine Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen eingesetzt hatten. In manchen Aufsichtsräten gab es nach Ansicht der Befragten keine Person oder Gruppe von Personen, die das Thema Gleichstellung vorantrieb – entweder, so empfanden sie, herrschte Einigkeit, dass Gleichstellung ein wichtiges Thema sei, oder das Thema wurde als nachrangig empfunden und wenig diskutiert. In anderen Aufsichtsräten identifizierten die Befragten Individuen, die sich für gleichstellungspolitische Themen einsetzen. Dazu zählten sich zwar einige Männer, dennoch überwogen in den Erzählungen beider Geschlechter Berichte über den Einsatz von Aufsichtsrätinnen für Gleichstellung. Viele Aufsichtsrätinnen waren darauf bedacht, den Aufsichtsrat für das Thema Gleichstellung zu sensibilisieren, Debatten anzustoßen, Gleichstellungsthemen auf die Tagesordnung zu setzen und voranzutreiben.
Die Befragten nutzten vornehmlich das Berichtswesen: Als Aufsichtsrat konnten sie vom Vorstand eine Aufstellung der Personalstruktur und der Bezahlung nach Geschlecht aufgeschlüsselt verlangen. Sie konnten sich außerdem erläutern lassen, welche Maßnahmen der Vorstand ergreift, um Frauen innerhalb des Unternehmens für Führungspositionen zu qualifizieren sowie um Frauen vom externen Arbeitsmarkt für Führungspositionen zu rekrutieren. Diese Berichte haben sie in den Aufsichtsratssitzungen kritisch hinterfragt, konkretere Programme und Ziele verlangt und Verbesserungsvorschläge gemacht. ArbeitnehmervertreterInnen versuchten ihren Angaben in den Interviews zufolge außerdem, gleichstellungspolitische Themen, die der Betriebsrat bewegte, im Aufsichtsrat zu unterstützen.
Mehrere Befragte erzählten von den Aufsichtsratssitzungen, in denen die Zielgrößen für den Vorstand festgelegt wurden. Sie berichteten teilweise von konfliktreichen Diskussionen. In manchen Aufsichtsräten hatten sich Frauen der Anteilseignerseite und der Arbeitnehmerseite zu diesem Thema vorbesprochen und – mit unterschiedlichem Erfolg – bei der Sitzung für ein Ziel, das über den Status Quo hinausgeht, plädiert. Für die Zielgrößen für Frauen in Führungspositionen unterhalb der Vorstandsebene ist der Vorstand zuständig. Doch auch dort kann der Aufsichtsrat durch die Gestaltung der Vorstandsvergütung Einfluss nehmen. Ein Aufsichtsratsvorsitzender erzählte, dass der Aufsichtsrat einen Teil der Bonuszahlung an den Arbeitsdirektor von der Erreichung von Zielen bezüglich der Erhöhung des Frauenanteils in den ersten und zweiten Führungsebenen abhängig gemacht hatte.
Einige Befragte konnten darüber berichten, wie Vorstandsposten besetzt werden. Wenn sie mit der Besetzung betraut waren, zum Beispiel als Mitglied des Personalausschusses, konnten sie Personalberater beauftragen, nach Frauen für diese Position zu suchen oder eine gleiche Anzahl von Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl zu präsentieren. Insbesondere Aufsichtsrätinnen waren wenig geneigt, das Argument, es gäbe keine qualifizierten Frauen für Vorstandspositionen, gelten zu lassen. Bei hausinternen Besetzungen wurden tradierte Anforderungen an VorstandskandidatenInnen, die Frauen seltener erfüllten als Männer, infrage gestellt. Dazu zählt unter anderem, ob aussichtsreiche KandidatenInnen wirklich ein Werk geleitet oder für das Unternehmen im Ausland gearbeitet haben müssen.
Aber auch wenn sie nicht direkt an der Personalauswahl beteiligt waren, gab es für Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte die Möglichkeit, Zuständige im Rahmen einer Effizienzprüfung daran zu erinnern, verstärkt auf die Auswahl von Frauen für Vorstandspositionen zu achten. Eine Aufsichtsrätin hatte sich geweigert, für einen vorgeschlagenen männlichen Kandidaten für eine Vorstandsposition zu stimmen. Eine zweite Aufsichtsrätin berichtete, dass sich zwei interne Kandidatinnen gemeinsam auf eine Vorstandsposition beworben hatten. Zusammen mit anderen Frauen in ihrem Aufsichtsrat hatte sie vergeblich dafür plädiert, dass das Unternehmen Jobsharing bei der Vorstandsposition ausprobiert.
Aufsichtsrätinnen erzählten, dass sie sich in informellen Situationen wie Sitzungspausen, Firmenfeiern und bei anderen gesellschaftlichen Anlässen sowie bei Betriebsbesichtigungen für Frauen in Führungspositionen einsetzen. In Gesprächen mit Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern erklärten sie, warum sie die Geschlechterquote für sinnvoll erachten und sprachen über weitere gleichstellungspolitische Themen wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie versuchen eigenen Angaben zufolge selbst vorzuleben, dass Frauen in Führungspositionen zur Normalität gehören.
Auch außerhalb des Aufsichtsratskontextes hatten sich einige Aufsichtsrätinnen für Frauen in Führungspositionen engagiert. Manche hatten die Einführung der gesetzlichen Quote im Vorfeld öffentlich unterstützt. Andere hielten Vorträge vor angehenden Aufsichtsrätinnen. Wieder andere engagierten sich an Hochschulen, als Mentorin für junge Frauen in Führungspositionen, oder sie gaben Presseinterviews zu ihrem Werdegang.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser qualitativen Untersuchung mannigfaltige Handlungsmöglichkeiten auf, wie Aufsichtsratsmitglieder auf mehr Frauen in Vorständen hinwirken können. In manchen Aufsichtsräten werden sie (teilweise) ergriffen, in vielen jedoch nicht.
Im DIW Managerinnen-Barometer 2017Vgl. Elke Holst und Katharina Wrohlich (2017): Spitzengremien großer Unternehmen: Geschlechterquote zeigt erste Wirkung in Aufsichtsräten – Vorstände bleiben Männerdomänen. DIW Wochenbericht Nr. 1+2, 3–16 (online verfügbar). wurde erstmals untersucht, ob ein höherer Anteil von Frauen in Aufsichtsräten mittelfristig dazu führt, dass der Frauenanteil in Vorständen steigt. Eine lineare Regression des Frauenanteils im Aufsichtsrat in den Jahren 2013, 2014 und 2015 auf die Veränderung des Frauenanteils im Vorstand von 2015 zu 2016 ergab einen kleinen positiven und statistisch signifikanten Zusammenhang. Auch wenn dieser Zusammenhang nicht eindeutig als kausale Wirkung des Frauenanteils im Aufsichtsrat auf den Frauenanteil im Vorstand interpretiert werden kann, ist er ein Anhaltspunkt dafür, dass die beiden Größen über einen mittelfristigen Zeitraum korrelieren.
Die aktuellen Auswertungen zeigen erneut diese Beziehung zwischen dem Frauenanteil im Vorstand eines Unternehmens und dem Frauenanteil im Aufsichtsrat zu einem früheren Zeitpunkt (Abbildung 1). Für die Berechnungen wurden die Frauenanteile in den Aufsichtsräten und in den Vorständen der Top-200-Unternehmen der Jahre 2014 bis 2019 herangezogen. Der Frauenanteil im Vorstand eines Unternehmens im Jahr 2019 steht demnach positiv und statistisch signifikant mit dem durchschnittlichen Anteil der Aufsichtsrätinnen der Jahre 2014 bis 2018 in Verbindung. Anders ausgedrückt: Je höher der Frauenanteil im Aufsichtsrat, desto höher später der Frauenanteil im Vorstand.
Es muss allerdings betont werden, dass diese Korrelation nicht notwendigerweise als kausaler Effekt einer zusätzlichen Frau im Aufsichtsrat zu interpretieren ist. Ursächlich könnten beispielsweise unternehmensspezifische Faktoren wie die Unternehmensgröße, Branche und Unternehmenskultur sein. Vermutlich beeinflussen zudem allgemeine Zeittrends wie der zunehmende politische und öffentliche Druck sowohl den Frauenanteil im Aufsichtsrat als auch im Vorstand. Deswegen lässt sich aus dieser Analyse auch nicht unmittelbar ableiten, dass eine Geschlechterquote für den Aufsichtsrat indirekte, positive Auswirkungen auf den Frauenanteil in Vorständen hat.
Zu dieser Frage gibt jedoch eine weitere deskriptive Analyse Hinweise. Wie bereits in vorangegangenen Studien festgehalten wurdeVgl. Elke Holst und Katharina Wrohlich (2019): Frauenanteile in Aufsichtsräten großer Unternehmen in Deutschland auf gutem Weg – Vorstände bleiben Männerdomänen. DIW Wochenbericht Nr. 3, 19–34 (online verfügbar)., hat sich der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der Top-200-Unternehmen, die der gesetzlichen Geschlechterquote unterliegen, stärker erhöht als bei den übrigen Top-200-Unternehmen (Abbildung 2).In der Analyse wurden nur Unternehmen berücksichtigt, die in jedem der Jahre 2013 bis 2019 zu den Top-200-Unternehmen gezählt haben. Zwar hatten die Unternehmen, die seit Anfang 2016 der gesetzlichen Geschlechterquote unterliegen, auch schon zu Beginn des Beobachtungszeitraums im Jahr 2013 einen etwas höheren Frauenanteil im Aufsichtsrat als die Unternehmen, die dieser Quote nicht unterliegen (17 versus 14 Prozent). Allerdings ist in der Gruppe der Quotenunternehmen unter den 200 umsatzstärksten Unternehmen bereits seit 2014 ein deutlich stärkerer Anstieg des Frauenanteils im Aufsichtsrat zu beobachten als in der Gruppe der Unternehmen, die zwar ebenfalls zu den 200 umsatzstärksten Unternehmen zählen, aber nicht der Geschlechterquote unterliegen. Im Jahr 2019 betrug der Unterschied im Anteil der Aufsichtsrätinnen zwischen diesen beiden Unternehmensgruppen bereits elf Prozentpunkte (23 versus 34 Prozent). Dies kann als Beleg für die Wirksamkeit der Geschlechterquote interpretiert werden.Auch internationale Vergleiche zeigen starke Evidenz der Wirksamkeit von gesetzlich verbindlichen Quoten, insbesondere, wenn sie mit Sanktionen bei Nichteinhaltung verbunden sind, vgl. Paula Arndt und Katharina Wrohlich (2019): Geschlechterquoten im europäischen Vergleich: Harte Sanktionen bei Nichteinhaltung sind am wirkungsvollsten. DIW Wochenbericht Nr. 38, 691–698 (online verfügbar).
Vergleicht man diese beiden Unternehmensgruppen hinsichtlich des Frauenanteils im Vorstand, so zeigt sich ebenfalls, dass die der Geschlechterquote für Aufsichtsräte unterliegenden Unternehmen schon seit 2013 etwas höhere Werte aufweisen (fünf versus drei Prozent). Bis 2018 gab es jedoch keine Hinweise darauf, dass die Quotenunternehmen auch mehr Frauen für den Vorstand rekrutieren als die nicht der Quote unterliegenden Unternehmen. Im Jahr 2018 lag der durchschnittliche Frauenanteil in den Vorständen der Unternehmen mit Geschlechterquote für den Aufsichtsrat mit knapp acht Prozent sogar unter dem der Unternehmen ohne Quote (knapp zehn Prozent). Erst seit 2019 ist hier eine Veränderung zu erkennen: Der Frauenanteil im Vorstand ist im letzten Jahr in den Quotenunternehmen deutlich stärker gestiegen als in den übrigen Top-200-Unternehmen. Es bleibt abzuwarten, ob aus dieser Entwicklung ein längerfristiger Trend wird.
Ob der Unterschied im Anstieg des Frauenanteils in Vorständen in Unternehmen mit und ohne Quotenregelung für den Aufsichtsrat ein Effekt selbiger ist, lässt sich aus dieser deskriptiven Analyse nicht unmittelbar ablesen. Sie deutet aber auf einen solchen Zusammenhang hin. Um zu überprüfen, ob es tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Frauenanteil im Aufsichtsrat – und gegebenenfalls der Geschlechterquote – und dem Frauenanteil im Vorstand und auf unteren Führungsebenen eines Unternehmens gibt, ist weitere Forschung notwendig.
Die Geschlechterquote für Aufsichtsräte hat den Frauenanteil in Aufsichtsräten der betroffenen Unternehmen wirksam erhöht. Mittlerweile haben Quotenunternehmen im Durchschnitt knapp 35 Prozent Frauen im Aufsichtsrat.Vgl. Wrohlich und Kirsch (2020), a.a.O. Zu der Frage, ob davon auch positive Effekte auf Vorstände ausgehen, ist die empirische Evidenz aus anderen Ländern bislang gemischt. Die qualitative Untersuchung in diesem Bericht deutet darauf hin, dass sich Aufsichtsräte verstärkt mit der Gleichstellung der Geschlechter in Vorständen befassen. Die Möglichkeiten der Aufsichtsrätinnen und Aufsichtsräte, auf Geschlechterparität im Vorstand hinzuwirken, sind vielfältig. Die deskriptiven, quantitativen Auswertungen zeigen eine positive Korrelation zwischen der Präsenz von Frauen im Aufsichtsrat und der späteren Präsenz von Frauen im Vorstand eines Unternehmens. Zudem hatten Quotenunternehmen im vergangenen Jahr mehr Frauen im Vorstand als Unternehmen, die nicht an die Geschlechterquote für Aufsichtsräte gebunden sind. Es ist also möglich, dass es einen gleichstellungspolitischen „Trickle-Down-Effekt“ vom Aufsichtsrat in den Vorstand gibt. Gleichwohl lässt sich noch nicht eindeutig sagen, dass die Geschlechterquote im Aufsichtsrat direkt ursächlich ist für die Entwicklung des Frauenanteils in Vorständen.
Sehr wahrscheinlich hat die öffentliche Debatte über die „Zielgröße Null“ und die Androhung einer gesetzlichen Quote für Vorstände den Druck auf die Unternehmen erhöht, mehr Frauen in ihre Vorstände zu berufen.Vgl. Heiner Thorborg (2019): Null ist zu wenig. Gastkommentar im Handelsblatt vom 21. August 2019, 48. Beispielsweise hat Zalando SE nach Kritik an der Besetzung von gleich zwei neuen Vorstandspositionen mit Männern eine neue hausinterne Zielvorgabe veröffentlicht.Vgl. Georg Weishaupt (2019): Cristina Stenbeck: Zalando entdeckt die Frauen. Handelsblatt vom 16. Oktober 2019, 46. Bis Ende 2023 strebt das Unternehmen ein ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen auf den sechs obersten Führungsebenen an, dazu gehören auch der Aufsichtsrat und der Vorstand. Der Anteil von Männern und Frauen auf der jeweiligen Ebene soll zwischen 40 und 60 Prozent liegen. Über den Fortschritt möchte das Unternehmen im jährlichen Diversitätsbericht informieren.Vgl. Zalando (2019): Zalando setzt sich neue Ziele für mehr Diversität im Management. Pressemitteilung vom 15. Oktober 2019 (online verfügbar). Es bleibt abzuwarten, ob sich der positive Trend in den Vorständen in den nächsten Jahren fortsetzt und ob die Politik mit einer neuen gesetzlichen Regelung die beginnende Dynamik unterstützt.
Während das Argument, es gäbe nicht genügend qualifizierte Frauen, die Vorstandspositionen bekleiden können, langsam überholt und entkräftet klingt, sollten die Erwartungen an Personen in hohen Führungspositionen überdacht werden. Solange in Führungsebenen Stellen so zugeschnitten sind, dass sie mit einer enormen zeitlichen Belastung einhergehen, können sie nur von Personen bekleidet werden, die kaum außerberufliche Verpflichtungen haben. Das bedeutet entweder den Verzicht auf Familie oder das Leben in einem Ein-Verdiener-Haushaltsmodell, bei dem sich die meisten Paare für das traditionelle Muster (Mann als Hauptverdiener) entscheiden. Durch neue Formen der Arbeitsorganisation, die eine bessere Vereinbarkeit von Führungspositionen mit anderen Verpflichtungen ermöglichen, könnte der Anteil von Frauen in Führungspositionen nachhaltig erhöht werden.
Themen: Unternehmen, Gender, Finanzmärkte, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: D22;J16;J59;J78;L21;L32;M14;M51
Keywords: corporate boards, board composition, boards of directors, board diversity, Europe, women directors, gender equality, gender quota, Germany, management, private companies, public companies, supervisory boards, executive boards, CEOs, women
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-4-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/214217