DIW Wochenbericht 10 / 2020, S. 160
Kai-Uwe Müller
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Viele kennen den Equal Pay Day, der Jahr für Jahr im März auf die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern hinweist. Am 29. Februar gab es einen weniger bekannten Aktionstag, der jedoch nicht weniger wichtig ist: den Equal Care Day. „Care“ steht für Sorgearbeit, sprich Kinder betreuen, bedürftige Erwachsene pflegen und tägliche Haushaltstätigkeiten wie Kochen, Putzen, Waschen oder Einkaufen erledigen. Diese Arbeit wird entweder von professionellen Dienstleistern erbracht oder – zu einem erheblichen Teil – unentgeltlich in den privaten Haushalten. Und das, darauf weist der Equal Care Day schließlich hin, zu einem deutlich größeren Anteil von Frauen als von Männern. Unbezahlte Care-Arbeit ist in Deutschland also ungleich verteilt: Laut Sozio-oekonomischem Panel (SOEP), einer repräsentativen Haushaltsbefragung, leisten Frauen derzeit gut 60 Prozent der privaten Sorgearbeit in Deutschland. In Paarhaushalten liegt der Anteil, den Frauen von dieser Arbeit erledigen, sogar bei etwa zwei Dritteln.
Belastungen durch Sorgearbeit beschränken die Möglichkeiten, eigene berufliche Ambitionen zu verfolgen. Zeit, die in unbezahlte Haushaltstätigkeiten investiert werden muss, ist ein Grund dafür, dass Frauen seltener erwerbstätig sind oder im Vergleich zu Männern öfter in Teilzeit arbeiten. Das wirkt sich auf die Berufserfahrung, den weiteren Karriereweg und schließlich auf das Gehalt und die Altersvorsorge aus – womit wir wieder bei der Verdienstlücke, dem Gender Pay Gap, wären.
Aber bleiben wir bei der Sorgearbeit: Der deutschen Volkswirtschaft entgehen wertvolle Ressourcen, wenn Frauen einen Großteil ihrer Zeit für Hausarbeit und Kinderbetreuung aufwenden. Angesichts eines demografisch bedingt rückläufigen Arbeitskräfteangebots kann dies nicht länger ignoriert werden. Dabei geht es nicht darum, ideologische Debatten darüber zu führen, wer im Haushalt kocht oder wäscht und inwieweit Menschen die Betreuung ihrer Kinder, Partner oder Eltern aus der Hand geben sollten. Sondern es geht darum, handfeste ökonomische Effizienzreserven zu mobilisieren und Verteilungsungerechtigkeiten zu beseitigen.
Die Belastung der Haushalte mit privater Sorgearbeit kann sinnvoll reduziert werden. Beispielsweise der Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung hat dies in den vergangenen Jahren gezeigt. Der Zeitaufwand für Frauen bei der Kinderbetreuung ist gesunken, die Erwerbsbeteiligung von Müttern nachweislich gestiegen. Aktuelle Politikansätze, das Angebot, die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege zu verbessern, sind ebenso wichtig. Hingegen haben Reformen bei Mini- und Midi-Jobs den Markt haushaltsnaher Dienstleistungen jenseits der Schattenwirtschaft kaum belebt. Regulär sind solche Dienstleistungen in Deutschland nach wie vor unterentwickelt, teilweise sozial unerwünscht und vom finanziellen Spielraum der nachfragenden Haushalte abhängig.
Die ungleiche Verteilung der Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen aufzubrechen, ist kein hoffnungsloses Unterfangen. Das Elterngeld zeigt, dass Traditionen änderbar sind: Finanzielle Anreize bewegen Männer dazu, Elternzeit zu nehmen und sich auch im Anschluss an diese nachhaltig an der Betreuung ihrer Kinder zu beteiligen. Das Argument, Kleinkinder seien zu jeder Sekunde auf ihre Mutter angewiesen und könnten nur von dieser betreut werden, gilt schließlich als überholt. Auch klassische Hausarbeiten wie Putzen und Einkaufen lassen sich nicht nur mit Frauenhänden erledigen.
Der Kulturwandel hin zu gleichen Rechten und Pflichten schreitet voran, könnte aber schneller gehen. Die Politik kann diesen Prozess stärker unterstützen, als sie es derzeit tut. Dabei ist unter anderem an Reformen im Steuersystem, etwa beim Ehegattensplitting, zu denken. Oder an mehr Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilität, beispielsweise durch Home-Office-Möglichkeiten. Solche Ansätze, für die auch Unternehmen offen sein sollten, würden es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen, Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit besser unter einen Hut zu bekommen. Es wäre ein Schritt auf dem Weg zu mehr individueller Chancengleichheit.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 3. März 2020 in der Frankfurter Rundschau erschienen.
Themen: Ungleichheit, Gesundheit, Gender
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-10-6
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/219349