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Die Irrungen und Wirrungen der deutschen Klimapolitik: keine Kohle für die Kohle: Kommentar

DIW Wochenbericht 22 / 2020, S. 384

Pao-Yu Oei

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Das Ziel ist ebenso wichtig wie groß. Bis zur Sommerpause soll das lang angekündigte Kohleausstiegsgesetz verabschiedet werden. Doch es regt sich Unmut: Der Gesetzesentwurf, der am 25. Mai in einer öffentlichen Anhörung vorgestellt wurde, berücksichtige die Ergebnisse der Kohlekommission kaum. Eine Mehrzahl der Kommissionsmitglieder kritisiert den jetzigen Entwurf als zu spät, zu langsam, zu teuer oder nicht ausgewogen. Diese Kommission, in die die Bundesregierung 2018 das Thema Kohle „wegdelegiert“ hatte, konnte immerhin noch einen Minimalkompromiss erarbeiten, dem 27 von 28 Personen zustimmten. Doch davon ist im Rahmen des langwierigen Gesetzgebungsprozesses nicht mehr viel übriggeblieben. Eine grundlegende Nachbesserung ist dringend erforderlich, zumal der Kohleausstieg von der Realität schon eingeholt wird.

Denn während die Mühlen des deutschen Gesetzgebungsprozesses langsam und verwässernd mahlen, schreitet die Energiewende unaufhaltsam voran. Eine Kombination aus gestiegenem CO2-Preis, niedrigen Gaspreisen und höherer Einspeisung erneuerbarer Energiequellen hat den Anteil von Kohlestrom in den letzten zwei Jahren bereits halbiert – von fast 40 auf knapp 20 Prozent – und das rein marktgetrieben ohne jegliche Entschädigungszahlungen. Hinzu kommt, dass die Corona-Pandemie zu einem zusätzlichen Einbruch der Stromnachfrage führt, wodurch die Auslastung der Kohlekraftwerke weiter sinkt. Ungeachtet dessen plant die Bundesregierung weiterhin, den Braunkohlekonzernen hohe Abwrackprämien zu zahlen und belohnt somit auch noch deren strategisches Verhalten.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat diesen Monat bekanntgegeben, dass Deutschland zur Einhaltung der Pariser Klimaziele nur noch ein maximales Kohlenstoffbudget von 6700 Millionen Tonnen CO2 verbleibt. Für die Kohleindustrie bedeutet dies ein Anteil von maximal 1400 Millionen Tonnen CO2. Dies entspricht einem Kohleausstieg Mitte der 2020er oder – bei entsprechend frühzeitiger Drosselung der Produktion – bis zum Jahr 2030. Am Beispiel der Braunkohleverstromung in Nordrhein-Westfalen zeigen wir in einer aktuellen Studie1, dass die daraus resultierenden förderbaren Mengen aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II noch maximal 280 Millionen Tonnen Braunkohle betragen. Bei Einhaltung dieser Fördermengen können sowohl der Hambacher Wald als auch alle Dörfer im Tagebaufeld Garzweiler erhalten werden. Damit würde eine entsprechende Gesetzesanpassung neben der klimapolitischen auch die sozialverträgliche Dimension des Kohleausstiegs ausreichend berücksichtigen.

Die Bundesregierung lässt bisher jedoch den Mut vermissen, dies entsprechend umzusetzen. Stattdessen verfängt sie sich in widersprüchlichen Signalen: So tritt Deutschland 2019 der „Powering Past Coal Alliance“ bei – verteidigt gleichzeitig aber die Inbetriebnahme des neuen Kohlekraftwerks Datteln IV. Auch betont Kanzlerin Merkel beim Petersburger Dialog das Bekenntnis Deutschlands zum „European Green Deal“ und der damit verbundenen Zielanhebung für 2030 und Klimaneutralität bis 2050 – während ihre eigene Partei fordert, dass dies aber keine Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft haben dürfe. Während Österreich oder Schweden dieses Jahr sogar früher als geplant aus der Kohle ausgestiegen sind, gerät Deutschland damit immer mehr ins internationale Hintertreffen. Selbst im Vereinigten Königreich – einst stolzer „King Coal“ – läuft das Energiesystem dieses Jahr bereits seit über 1000 Stunden komplett ohne Kohle.

Es bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht vergessen, dass die Klimakrise zwar durch Corona aus den Medien verschwunden ist, aber dennoch unaufhaltsam auf uns zukommt. Abwrackprämien für ohnehin veraltete unrentable Kohlemeiler werden uns nicht helfen – und sind rausgeworfenes Geld, das woanders fehlt. Stattdessen muss der Gesetzesentwurf, der bereits hämisch als „KohleEINstiegsgesetz“ bezeichnet wird, noch so angepasst werden, dass neben dem dringend benötigten Klimaschutz auch Planungssicherheit für alle Menschen in den betroffenen Regionen geschaffen wird.

  1. 1Pao-Yu Oei et al. (2020): Garzweiler II: Prüfung der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Tagebaus. DIW Politikberatung komapkt 150 (online verfügbar).

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