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Wirtschaftspolitische Maßnahmen gegen die Corona-Krise in Europa wirken vor allem im Zusammenspiel

DIW Wochenbericht 23 / 2020, S. 387-397

Kerstin Bernoth, Marius Clemens, Geraldine Dany-Knedlik, Stefan Gebauer

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  • Studie untersucht, ob in Corona-Krise Ankündigung geld- und finanzpolitischer sowie makroprudenzieller Maßnahmen in der EU die Finanzmärkte kurzfristig stabilisiert
  • Geld- und finanzpolitische Ankündigungen haben im Durchschnitt Staatsanleiherenditen nicht senken und Aktienkurse nicht erhöhen können
  • Modellberechnungen zeigen aber stabilisierende Wirkung bei Aussetzung der Defizitregeln sowie bei Lockerung der Bankenregulierung
  • Stabilisierende Effekte auf Aktien- und Anleihemärkte zeigen sich besonders dann, wenn zeitgleich Maßnahmen aus unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Bereichen angekündigt werden
  • Maßnahmenpakete sollten groß und europäisch koordiniert sein, dauerhafter Stabilisierungsfonds und Einlagensicherung könnten Risiken abfedern

„Die Ergebnisse unserer Berechnungen zeigen deutlich, dass vor allem die Aussetzung der EU-Fiskalregeln und die Lockerung der Bankenregulierung die Märkte stabilisieren, und zwar insbesondere dann, wenn sie zeitgleich angekündigt werden.“ Geraldine Dany-Knedlik

Im Zuge der Corona-Ausbreitung haben sowohl die Europäische Zentralbank als auch die nationalen Regierungen im Euroraum zahlreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen oder angekündigt, um die drastischen wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns abzufedern. In einer Panelstudie werden deren unmittelbaren Wirkungen auf Staatsanleihe- und Aktienmärkte geschätzt. Die Ergebnisse zeigen, dass von den geldpolitischen Ankündigungen der EZB kurzfristig kaum stabilisierende Wirkung auf die Finanzmärkte ausging. Mit Ausnahme der Ankündigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Deutschland haben die finanzpolitischen Hilfspakete der nationalen Regierungen und der EU die Staatsanleiherenditen nicht gesenkt. Dagegen haben die Aussetzung der Fiskalregeln und die gelockerte Bankenregulierung vor allen an den Märkten für Staatsanleihen beruhigend gewirkt. In Verbindung mit insbesondere EU-weiten finanzpolitischen Maßnahmen konnten sie auch die Aktienmärkte stabilisieren. Insgesamt zeigt sich, dass Einzelmaßnahmen nicht ausreichend effektiv sind, im Zusammenspiel aber durchaus wirken können. Ein gemeinsamer Krisenmechanismus wie der jüngst von der EU-Kommission angekündigte Wiederaufbaufonds könnte sehr effizient sein.

Die wirtschaftliche Aktivität im Euroraum ist durch die zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen stark zurückgegangen. Im ersten Quartal 2020 sank das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum um 3,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, dabei variierte der Rückgang zum Teil stark zwischen den Ländern (-5,8 Prozent in Frankreich und -2,2 Prozent in Deutschland).infoVgl. die Pressemitteilung von Eurostat: GDP and employment flash estimates for the first quarter of 2020, vom 15.05.2020 (online verfügbar, abgerufen am 19.05.2020. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Diese Zahlen umfassen noch nicht das volle Ausmaß der Krise, auch weil der wirtschaftliche Lockdown im ersten Quartal nur wenige Wochen betraf. Allerdings deuten sie darauf hin, dass die globale Konjunktur derzeit noch stärker einbricht als während der globalen Finanzkrise 2008/09.infoDIW Konjunkturbarometer Mai (2020): Drastischer Einbruch im zweiten Quartal (online verfügbar). Von Mitte Februar bis Mitte März sind die Leitindizes an der Börse zeitweise um mehr als 40 Prozent gefallen und die Renditen von Staatsanleihen teilweise beträchtlich gestiegen – vor allem in den von der Pandemie besonders stark betroffenen Ländern Italien und Spanien.

Um zu vermeiden, dass der derzeitige Konjunktureinbruch zu dauerhaften realwirtschaftlichen Schäden wie Unternehmensinsolvenzen und massiven Arbeitsplatzverlusten führt, wurden im Euroraum expansive geldpolitische und finanzpolitische Schritte sowie makroprudenzielle MaßnahmeninfoDie makroprudenzielle Regulierung umfasst verschiedene Instrumente, die systemische Risiken im Finanzsystem eindämmen sollen. Zu diesen Maßnahmen gehören etwa systemische Kapitalanforderungen an Finanzintermediäre sowie Instrumente zur Bekämpfung systemischer Risiken bei Kreditnehmern und auf dem Immobilienmarkt. Vgl. etwa Claudio Borio (2009): Implementing the Macroprudential Approach to Financial Regulation and Supervision. Financial Stability Review Nr. 13, 31–41. ergriffen. Diese Stabilisierungsmaßnahmen und Garantien umfassen mehrere Billionen Euro und übersteigen damit alle vergleichbaren Hilfspakete der Nachkriegsgeschichte.

Ob sich diese Schritte positiv auf die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen ausgewirkt haben, kann aufgrund der derzeitigen Datenlage noch nicht abschließend quantifiziert werden. Allerdings kann untersucht werden, wie deren Ankündigungen kurzfristig auf Renditen von Staatsanleihen und Aktienpreise gewirkt haben. Sinken die Renditen von Staatsanleihen, senkt dies die Kreditmarktzinsen und belebt die Kreditvergabe und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Auch dürfte die Reaktion der Aktienkurse durch wirtschaftspolitische Impulse Aufschluss darüber geben, ob die Maßnahmen die wirtschaftlichen Aussichten von Unternehmen maßgeblich verbessert haben.

Geldpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise: EZB forciert Wertpapierkäufe

Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte im Verlauf des März mit vier wichtigen geldpolitischen Beschlüssen auf die Pandemie, mit denen sie die Realwirtschaft und damit letztendlich das Preisniveau stabilisieren möchte (Tabelle 1). Am 12. März kündigte die EZB die Ausweitung des bestehenden Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme, APP) in einem moderaten Umfang an. Zudem wurde die gezielte Liquiditätsbereitstellung über bereits laufende Programme ausgedehnt oder weiter vergünstigt. Sechs Tage später hat sie diese noch sehr zurückhaltenden Maßnahmen verschärft und ein Pandemie-Notfallankaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP) angekündigt. Dieses soll das Volumen der derzeit von der EZB gehaltenen Vermögenswerte bis Ende des Jahres um rund 30 Prozent erhöhen. Eine Woche später hat sie zudem die selbst gesetzte Anteilsobergrenze für gehaltene Staatsanleihen gekippt.infoDie EZB hatte sich in der Vergangenheit verpflichtet, nicht mehr als ein Drittel der Staatsanleihen eines Landes zu halten, um sich vom Verdacht der Staatsfinanzierung frei zu machen. Am 30. April verkündete der EZB-Rat, die Laufzeit des PEPP nicht nur bis Ende des Jahres, sondern bis zur Überwindung der Krise zu verlängern. Zudem plant die Zentralbank, die dritte Serie langfristiger und gezielter Refinanzierungsgeschäfte attraktiver zu gestalten und vorübergehend eine Serie von Pandemie-Notfallrefinanzierungsgeschäften (Pandemic Emergency Longer-Term Refinancing Operations, PELTROs) zu günstigen Zinskonditionen aufzulegen.

Tabelle 1: Ankündigung wichtiger nationaler und europaweiter wirtschaftspolitischer Maßnahmen

Volumen der Maßnahmen und Bürgschaften in Milliarden Euro

Datum Land Politik Ankündigung Beschreibung Effekt Bürgschaften
10.03 IT FP Hilfspaket, Schutzschild Steuerstundung, Kurzarbeit, Gesundheitsausgaben und Zuschüsse 25 250
12.03 ES FP Hilfspaket Gesundheitsausgaben 4
EZB MaPru Maßnahmenpaket I Lockerungen der Kapitalvorgaben unter Pillar 2 Guidance, der Kapitalerhaltungspuffer und der kurzfristigen Liquiditätsdeckungsanforderung, Vorziehen der für 2021 geplanten Anpassungen von Vorgaben 120/18002
EZB MP Erweiterung des bestehenden Ankaufsprogramms für Vermögenswerte um 120 Milliarden Euro und weitere Liquiditätsbereitstellung durch Ausbau der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte
13.03 EU FP Absichtserklärung Gesundheitsausgaben
DE FP Hilfspaket, Schutzschild Steuerstundung, Kurzarbeit, Gesundheitsausgaben und Garantien 601 550
17.03 FR FP Hilfspaket, Schutzschild Garantien und Zuschüsse 45
ES FP Hilfspaket Steuerstundung, Kurzarbeit, Gesundheitsausgaben und Garantien 30 130
18.03 DE MaPru Anpassung Kapitalvorgaben Senkung des antizyklischen Kapitalpuffers von 0,25 auf 0 Prozent zum 1. April.
FR MaPru Anpassung Kapitalvorgaben Rücknahme der für den 2. April geplanten Erhöhung des antizyklischen Kapitalpuffers, Senkung auf 0 Prozent.
EZB MP Ankündigung des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) in Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro
20.03 EU FP Regelwerk Aussetzung der Fiskalregeln
IT MaPru Maßnahmenpaket Ausweitung der Lockerungen der Kapitalvorgaben unter Pillar 2 Guidance auf nicht-signifikante Banken, temporäre Maßnahmen, etwa vorübergehend vereinfachte Berichtsvorgaben.
EZB MaPru Maßnahmenpaket II Flexibilisierung im Umgang mit ausfallgefährdeten Krediten (non-performing loans), Vermeidung prozyklischer Effekte bei Wertberichtigungen auf Lohnportfolio
22.03 FR FP Schutzschild Garantien 300
23.03 DE FP Stabilisierungs- und Solidaritätsfonds Kredite, Beteiligungen, Bürgschaften, Zuschüsse 260 400
25.03 EZB MP Abschaffung des Ankauflimits, das das Halten von Anleihen auf ein Drittel aller Anleihen pro Land beschränkte
27.03 IT MaPru Anpassung Kapitalvorgaben Beibehaltung des antizyklischen Kapitalpuffers von 0 Prozent
EZB MaPru Maßnahmenpaket III Empfehlung zum Verzicht auf Dividendenzahlung für 2019 und 2020, mindestens bis 1. Oktober 2020, Empfehlung zum Verzicht auf Aktienrückkäufe 303
31.03 ES FP Hilfspaket Weitere Hilfsmaßnahmen
ES MaPru Anpassung Kapitalvorgaben Beibehaltung des antizyklischen Kapitalpuffers von 0 Prozent
03.04 EU FP Hilfspaket, Schutzschild Kurzarbeit, Gesundheitsausgaben, Garantien und Zuschüsse 100 440
06.04 IT FP Schutzschild Garantien 400
08.04 IT FP Schutzschild Garantien 400
09.04 EU MaPru Hilfspaket, Schutzschild Einigung auf das am 3.4. vorgeschlagene Drei-Säulen-Modell
11.04 IT MaPru Maßnahmenpaket Empfehlungen der Aufsichtsbehörde an Banken, etwa zum Verbraucherschutz, Geldwäsche und der Vermeidung von Finanzkriminalität
15.04 FR FP Ausweitung Hilfspaket Steuerstundungen, Kurzarbeitergeld und Zuschüsse 110
16.04 EZB MaPru Maßnahmenpaket IV Senkung der Kapitalvorgaben für Marktrisiken
23.04 EU FP Hilfspaket und Stabilisierungsfonds Kurzarbeit, Gesundheitsausgaben und Zuschüsse
30.04 EZB MP Verlängerung der Laufzeit des Pandemie-Kaufprogramm PEPP, attraktivere Konditionen der dritten Serie langfristiger und gezielter Refinanzierungsgeschäfte, Einführung von Pandemie-Refinanzierungsgeschäften (PELTROs)

FP = Finanzpolitische Maßnahmen, MP = Geldpolitische Maßnahmen, MaPru = Makroprudenzielle Maßnahmen

1 Schätzungen auf Basis des AK Steuerschätzung Mai 2020 sowie eigene Schätzungen auf Grundlage der BA-Zahlen April 2020.

2 120 Milliarden Euro zusätzliche Verlustabfederung via Eigenkapital, ohne dass aufsichtliche Maßnahmen ergriffen werden. Dies kann auch genutzt werden, um bis zu 1,8 Billionen Euro an Krediten zu finanzieren (Schätzungen EZB).

3 Von geplanter Dividendenauszahlung in Höhe von 35 Milliarden Euro wurden etwa 30 Milliarden einbehalten (Stand 26.4., Schätzung EZB).

Finanzpolitische Maßnahmen: EU und einzelne Länder schnüren umfangreiche Pakete

Auch die Regierungen der EU-Staaten haben angesichts der Ereignisse schnell und zum Teil mit massiven Hilfspaketen reagiert, um die Realwirtschaft zu stabilisieren. Im Folgenden werden aufgrund der zahlreichen Ankündigungen von Maßnahmen nur große Pakete oder einschneidende Gesetzesänderungen berücksichtigt, die die Erwartungen der Marktteilnehmer beeinflusst haben dürften (Tabelle 1).

Italien, das von der Covid-19-Pandemie als erstes EU-Land stark betroffen war, hat bereits am 11. März das erste große Hilfspaket angekündigt, das unter anderem Soforthilfemaßnahmen und Bürgschaften umfasste. Deutschland folgte am 13. März mit der Ankündigung des „Schutzschilds“, der eine Ausweitung des Kurzarbeitergelds, steuerliche Liquiditätshilfen, eine Erhöhung des Garantierahmens für Verbindlichkeiten um 450 Milliarden Euro sowie die Möglichkeit der Kreditaufnahme in unbegrenzter Höhe („Kredit-Bazooka“) für Unternehmen jeder Größe vorsieht. Spanien und Frankreich verabschiedeten am 17. März jeweils ähnliche Hilfspakete mit hohen Garantiesummen von 200 beziehungsweise 300 Milliarden Euro. Deutschland verstärkte am 23. März im Zuge des Lockdowns nochmals seine Stabilisierungsbemühungen und kündigte einen Wirtschaftsstabilisierungsfonds für Unternehmen in Höhe von 660 Milliarden Euro an. Der Umfang der angekündigten deutschen finanzpolitischen Hilfsmaßnahmen überschritt damit die Billionengrenze.infoHier ist jedoch zu berücksichtigen, dass nur rund ein Viertel der Gesamtsumme unmittelbar die Staatsschuldenquote erhöht. Darüber hinaus könnten Beteiligungen an Unternehmen – ähnlich wie bei Bankenbeteiligungen – nach der Corona- Krise mit Gewinn wiederverkauft werden. Bürgschaften werden nur dann haushaltswirksam, wenn tatsächlich Insolvenzen entstehen.

Die EU-Kommission reagierte zwar ähnlich früh, indem sie am 13. März eine Absichtserklärung abgab, auch auf europäischer Ebene gemeinsam gegen die Krise vorzugehen. Allerdings dauerte es bis zum 9. April, bis ein konkreter Entwurf (Drei-Säulen-Modell) vorgestellt wurde, der unter anderem Kredite und Bürgschaften in Höhe von 540 Milliarden Euro umfasste infoAm 03. April wurden bereits erste Entwürfe des Drei-Säulen-Modells vorgestellt. Siehe Tagesschau: Drei-Säulen-Modell als Kompromiss? (online verfügbar). Darüber hinaus haben die EU, aber auch einzelne Länder ihre Fiskalregeln ausgesetzt. Schließlich legte die EU-Kommission am 27. Mai einen Vorschlag über die Einführung eines mit 750 Milliarden Euro ausgestatteten Wiederaufbaufonds vor, der an den bestehenden EU-Haushalt geknüpft werden soll.

Makroprudenzielle Maßnahmen: Bankenregulierung wird gelockert

Neben der Geld- und der Finanzpolitik hat auch die Bankenregulierung im Euroraum auf den Ausbruch von Covid-19 reagiert.infoMakroprudenzielle Maßnahmen des der EZB angegliederten einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) gelten unmittelbar für die Staaten des Euroraums. Allerdings haben sich weitere EU-Staaten außerhalb der Währungsunion verpflichtet, entsprechende Regularien teilweise zu übernehmen. Sie kündigte expansive makroprudenzielle Maßnahmen und temporäre Lockerungen von regulatorischen Standards für Finanzinstitute an, um den Banken mehr Spielraum bei der Kreditversorgung der Realwirtschaft zu gewähren und Liquiditätsengpässe im Finanzsystem zu vermeiden (Tabelle 1). Das am 12. März verkündete erste Maßnahmenpaket sah Lockerungen von Kapital- und Liquiditätsstandards für die von ihr direkt beaufsichtigten Banken vor.infoBanken wurde es gestattet, die weichen Kapitalanforderungen (Pillar 2 Guidance) der Säule-2-Vorgaben zu unterschreiten. Neben den Säule-1-Mindestkapitalanforderungen und den harten Säule-2-Kapitalanforderungen (Pillar 2 Requirements) umfassen die weichen Anforderungen vor allem nicht rechtlich bindende bankspezifische Vorgaben, die die Solvenz von Banken in Stresssituationen gewährleisten sollen. Hierfür werden regelmäßig durchgeführte Stresstests zugrunde gelegt. Darüber hinaus dürfen Spielräume beim Kapitalerhaltungspuffer („capital conservation buffer“) und bei der kurzfristigen Liquiditätsdeckungsanforderung („liquidity coverage ratio“) voll ausgeschöpft werden.infoDer Kapitalerhaltungspuffer soll die allgemeine Verlustabfederung der Banken verbessern und beträgt bis zu 2,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva. Die kurzfristige Liquiditätsdeckungsanforderung definiert die Mindesthöhe hochliquider Aktiva, die Banken halten müssen, um im Falle eines Stressszenarios ihren Verpflichtungen über einen Zeitraum von 30 Tagen nachkommen zu können. Zudem legte die EZB den nationalen Aufsichtsbehörden nahe, die Puffer für antizyklische Risiken mit Blick auf die jeweiligen nationalen Bedingungen angemessen zu senken. Die erst für Januar 2021 geplante Lockerung der Qualitätsvorgaben für harte Säule-2-Kapitalvorgaben wurde vorgezogen.

In einer zweiten Runde von Maßnahmen stellte die EZB den Banken am 20. März unter anderem mehr aufsichtsrechtliche Flexibilität im Umgang mit ausfallgefährdeten Krediten in Aussicht, insbesondere wenn diese Kredite durch staatliche Fördermaßnahmen gestützt werden. Im Rahmen einer dritten Maßnahmenrunde eine Woche später empfahl die EZB den Banken, auf Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe zu verzichten. Schließlich reagierte die Notenbank im Rahmen eines vierten Maßnahmenbündels am 16. April auf die im Rahmen der Corona-Krise gestiegene Volatilität an den Finanzmärkten und senkte die Kapitalvorgaben für Marktrisiken.

Den auf europäischer Ebene ergriffenen Maßnahmen folgten nationale Schritte. So kündigte etwa die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 18. März an, den antizyklischen Kapitalpuffer für deutsche Banken zu senken. In Frankreich entschied sich die Finanzmarktaufsicht ebenfalls für eine Senkung, nachdem sie ursprünglich sogar geplant hatte, den antizyklischen Puffer am 2. April auf 0,5 Prozent zu erhöhen. In Italien (20. März) und Spanien (31. März) beschlossen die Aufsichtsbehörden, den jeweiligen Puffer bei 0 Prozent zu belassen.

Wirtschaftspolitische Ankündigungen in der EU stabilisieren Finanzmärkte häufig nicht

Fraglich ist, ob die in der Covid-19-Krise ergriffenen expansiven Maßnahmen der Geld- und Finanzpolitik sowie die makroprudenziellen Lockerungen die beabsichtigten Effekte auf die Staatsanleihe- und Aktienmärkte hatten und ob diese signifikant waren.infoDa auch gleichzeitige wirtschaftspolitische Ankündigungen von Drittstaaten Effekte auf europäische Staatsanleiherenditen und Aktienkurse haben können, wurde eine Robustheitsanalyse durchgeführt, welche zusätzlich auch finanz- und geldpolitische Ankündigungen in den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich berücksichtigt. In dieser Modellvariante ändern sich die qualitativen Ergebnisse nicht, außer dass die Reaktionen der Staatsanleihen nach geldpolitischen Entscheidungen alle insignifikant sind. Um die kurzfristige Wirkung der Ankündigungen abzuschätzen, werden in einem Panelmodell die täglichen Veränderungsraten von deutschen, französischen, italienischen und spanischen Staatsanleiherenditen und Aktienindizes im Zeitraum Ende Februar bis Mitte Mai 2020 gemessen. Die durchschnittliche Wirkung der Maßnahmen aus den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Bereichen wird anhand von Dummy-Variablen identifiziert (Kasten).

Bei einer Ereignisstudie wird die Änderung von Finanzmarktpreisen über ein relativ enges Zeitintervall nach der Veröffentlichung von wirtschaftspolitischen Beschlüssen untersucht. Unter der Annahme, dass die Märkte effizient sind und kein anderes Ereignis in das Zeitintervall fällt, werden die Auswirkungen dieser Beschlüsse sofort eingepreist. Im Folgenden wird ein Ein-Tages-Fenster um einen Beschluss zum Zeitpunkt t herum verwendet. Zudem wird angenommen, dass Wertpapiere zwischen Zeitpunkt t und t+1 auf ein Ereignis reagieren. So kann die Wirksamkeit einzelner wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf Anleihe- und Aktienmärkte abgeschätzt werden. Für die Ereignisstudie werden zum einen die Tagesveränderungen der Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen (gemäß Maastricht-Kriterien, Eurostat) und die prozentualen Tagesveränderungen der jeweiligen FTSE-Aktienindizes (Macrobond) von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien bei wirtschaftspolitischen Ereignissen an Werktagen betrachtet.infoFällt eine Ankündigung auf einen Tag am Wochenende oder fand die Ankündigung nach Handelsschluss statt, werden die Veränderungen der Renditen und Indizes vom folgenden Werktag betrachtet. Die Ereignistage entsprechen den wirtschaftspolitischen Ankündigungen aus Tabelle 1. Zudem wird ein Konfidenzband errechnet, das den Bereich markiert, in dem die Renditen im Krisenzeitraum zwischen dem 21. Februar und dem 11. Mai mit 68-prozentiger Wahrscheinlichkeit schwankten, um die normalen Schwankungen zu erfassen.

Um die durchschnittlichen Effekte von Maßnahmenankündigungen der Geldpolitik, der EU-weiten und nationalen Finanzpolitik sowie Änderungen makroprudenzieller Regulierung auf Anleihe- und Aktienmärkte zu quantifizieren, werden Länder-Panel-Modelle geschätzt. Für die Schätzungen werden die Tagesveränderungen der Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen (gemäß Maastricht-Kriterien, Eurostat) und prozentuale Tagesveränderungen von FTSE-Aktienindizes (Macrobond) für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien verwendet. Diese werden durch Ereignis-Dummy-Variablen erklärt. Diese Variablen nehmen den Wert eins am Tag einer Maßnahmenankündigung aus dem jeweiligen wirtschaftspolitischen Bereich an und betragen den Wert null an allen anderen Tagen. Um die Wirkung der Maßnahmen der unterschiedlichen Politikmaßnahmen zu identifizieren, dürfen die Ankündigungstage der Bereiche nicht vollkommen identisch sein. Insgesamt werden neun Dummy-Variablen erstellt, um Anleiherenditen und Aktienmarktveränderungen anhand von drei verschiedenen Modellspezifikationen zu erklären, wobei das Basismodell folgende Form annimmt:

yi,t = β1Gepot + β2Fipot + β3Makroprut + εi,t

Dabei ist yi,t die (prozentuale) Tagesveränderung von Anleiherenditen oder Aktienmarktindizes von Land i zum Zeitpunkt t. Die Variablen Gepot , Fipot und Makroprut entsprechen den Dummy-Variablen für geld-, finanzpolitische und makroprudenzielle Ankündigungen zum Zeitpunkt t. εi,t stellt unabhängige, normalverteilte Fehler mit endlicher Varianz und einem Mittelwert von Null von Land i zum Zeitpunkt t dar. Da die statistische Insignifikanz von festen Ländereffekten aber auch von zufälligen Effekten anhand von F- und Xi-Quadrat-Teststatistiken nicht ausgeschlossen werden kann, enthalten die Panel-Modelle keine der beiden Effekte. Die Modelle werden mit der Methode der kleinsten Quadrate und anhand von täglichen Daten vom 21. Februar bis zum 11. Mai 2020 geschätzt.

Insgesamt werden zum Basismodell zwei unterschiedliche Modellvarianten geschätzt, die eine differenziertere Betrachtung der einzelnen Maßnahmen, aber auch deren Zusammenspiel ermöglichen. Im Basismodell wird zwischen geldpolitischen Maßnahmen der EZB sowie finanzpolitischen und makroprudenziellen Maßnahmen unterschieden. In der ersten Variante werden zusätzlich die finanzpolitischen Maßnahmen differenziert nach rein finanziellen Maßnahmen und Aussetzung der Fiskalregeln. In der zweiten Variante wird zusätzlich zwischen nationalen und europäischen Maßnahmen der Finanzpolitik, aber auch der makroprudenziellen Regulierung unterschieden.

Die Schätzergebnisse der Modelle zeigen, dass die von der EZB verkündeten geldpolitischen Maßnahmen im Durchschnitt kurzfristig nicht die gewünschte expansive Wirkung auf Anleihe- und Aktienmärkten hatten. So führten geldpolitische Ankündigungen nicht wie beabsichtigt zu sinkenden Renditen und steigenden Aktienindizes. In allen drei Modelspezifikationen zeigten die Renditen auf Staatsanleihen am Ereignistag keine signifikante Reaktion nach einer geldpolitischen Ankündigung, und die Aktienindizes fielen sogar signifikant um zwei Prozentpunkte (Tabelle 2).infoEs ist zu beachten, dass die Schätzung nicht den Umfang der jeweiligen angekündigten Maßnahmen berücksichtigt. Die Werte der Koeffizienten stellen somit die durchschnittliche Wirkung einer Ankündigung dar.

Tabelle 2: Auswirkungen wirtschaftspolitischer Ankündigungen auf Renditen zehnjähriger Staatsanleihen und auf Aktienmarktindizes

Ereignis1 Durchschnittliche Veränderung der Renditen in Prozentpunkten (Koeffizient) Durchschnittliche Veränderung der Aktienindizes in Prozentpunkten (Koeffizient)
Basismodell
geldpolitische Ankündigungen 0,01 −2,58**
nationale und EU-weite finanzpolitische Ankündigungen 0,03** 1,20*
nationale und europaweite makroprudenzielle Ankündigungen −0,03** −3,37**
Variante 1
geldpolitische Ankündigungen −0,01* −2,06**
nationale und EU-weite finanzpolitische Ankündigungen –0,05* 1,23**
Ankündigungen2 –0,20* 1,84*
nationale und europaweite makroprudenzielle Ankündigungen 0,01* −3,29**
Variante 2
geldpolitische Ankündigungen −0,01 −2,18**
EU-weite finanzpolitische Ankündigungen 0,02 1,60**
nationale finanzpolitische Ankündigungen 0,11 –0,41*
Ankündigung zu Fiskalregeln2 −0,22* 2,31**
europaweite makroprudenzielle Ankündigungen −0,06** −3,35**
nationale makroprudenzielle Ankündigungen −0,01* 0,45*

* Signifikanz auf 80-Prozent-Niveau

** Signifikanz auf 90-Prozent-Niveau

1 Wert der Ereignisvariable gleich 1 am Ereignistag, ansonsten 0.

2 20. März: Aussetzung der EU-Fiskalregeln, 23. März: Deutschland setzt die schwarze Null aus

Grün: stabilisierende Wirkung; rot= destabilisierende Wirkung; ohne Farbe= nicht signifikant

Lesebeispiel: Geldpolitische Ankündigungen hatten im Schnitt keinen stabilisierenden Effekt: Sie haben die Aktienkurse durchschnittlich um mehr als zwei Prozentpunkte sinken lassen und die Renditen nur minimal ins Plus getrieben.

Quelle: Eigene Berechnungen.

Um zu beurteilen, von welcher geldpolitischen Ankündigung die größte Signalwirkung ausging, wird im Folgenden die kurzfristige Reaktion der Staatsanleiherenditen auf die einzelnen EZB-Entscheidungen in ausgewählten Ländern betrachtet. Wie auch in der Panelanalyse zeigten die länderspezifischen Anleiherenditen kaum signifikante Reaktionen auf geldpolitische Ankündigungen. Am stärksten bewegten sich die Renditen nach der ersten Ankündigung am 12. März, insbesondere für Italien und Frankreich (Abbildung 1). Allerdings fielen die Anleiherenditen in diesen Ländern nicht wie beabsichtigt, sondern stiegen und zwar signifikant zwischen fünfzehn und 23 Basispunkten. Auch die Ankündigung des PEPP am 18. März erzielte, außer für französische Staatsanleihen, keine signifikante Senkung der Renditen. Mit der dritten Ankündigung vom 25. März, die Limitierung für den Kauf von Vermögenswerten aufzuheben, sind wiederum deutsche Staatsanleiherenditen gestiegen, statt wie beabsichtigt zu fallen. Nur vom vierten Beschluss am 30. April, die Laufzeit des PEPP bis zur Überwindung der Krise zu verlängern, ist eine gewünschte zinssenkende Wirkung ausgegangen, allerdings signifikant nur für italienische und spanische Anleihen.

Auch mit Blick auf die Aktienmärkte bestätigt sich, dass nicht alle geldpolitischen Beschlüsse kurzfristig gleichermaßen gewirkt haben (Abbildung 2). So fielen die Aktienindizes in allen betrachteten Ländern am Ereignistag signifikant um beachtliche zehn bis 15 Prozent. Auch nach der Ankündigung des PEPP am 18. März gingen die Aktienkurse zwar in allen Ländern zurück, jedoch war dieser Rückgang nur signifikant für Frankreich und Deutschland. Stabilisierend wirkte dagegen der dritte geldpolitische Beschluss vom 25. März, die Limitierung für den Kauf von Vermögenswerten aufzuheben: Die Aktienindizes stiegen um durchschnittlich vier Prozentpunkte.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die expansiven geldpolitischen Maßnahmen der EZB auf die Finanzmärkte zusammengenommen kurzfristig kaum stabilisierend gewirkt haben. Im Gegenteil, der starke Rückgang der Aktienkurse auf die ersten beiden geldpolitischen Beschlüsse deutet auf eine negative Signalwirkung für die Marktteilnehmer hin. Die Finanzmärkte waren offenbar enttäuscht über den geringen geldpolitischen Impuls der ersten EZB-Entscheidung vom 12. März. Eine weitere denkbare Erklärung ist, dass sich aufgrund des bereits sehr niedrigen Zinsniveaus die Anleger nicht mehr veranlasst sahen, ihre Vermögensportfolios aufgrund weiterer Wertpapierkäufe der EZB neu auszurichten. Des Weiteren dürften von der Ankündigung der sehr umfangreichen EZB-Maßnahmen abermals Signale ausgegangen sein, dass die Folgen der Pandemie schlimmer werden als befürchtet.infoVgl. Leonardo Melosi (2017): Signalling effects of monetary policy. The Review of Economic Studies 84(2), 853–884. https://doi.org/10.1093/restud/rd11.50.

Finanzpolitik: Aussetzung der Defizitregeln lässt Renditen sinken

Auch die Schätzergebnisse für die finanzpolitischen Maßnahmen legen nahe, dass eine stabilisierende Wirkung auf die Anleihe- und Aktienmärkte weitestgehend nicht erzielt wurde.infoVgl. auch Stephanie Ettmeier, Chi Hyun Kim und Alexander Kriwoluzky (2020): Finanzmärkte erwarten langanhaltende wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie in Europa. DIW Wochenbericht Nr. 20, 347–354 (online verfügbar). Die Renditen der Staatsanleihen stiegen nach der Ankündigung aller finanzpolitischen Maßnahmen im Durchschnitt leicht, aber signifikant (Tabelle 2 Basismodell). Wird hingegen die Aussetzung der Fiskalregeln herausgerechnet, zeichnet sich ein Muster ab: Während nach der Ankündigung der Hilfspakete das langfristige Zinsniveau stieg, wirkte die Aussetzung der Regeln stark senkend und damit stabilisierend (Tabelle 2 Variante 1). Der Vergleich der Wirkung finanzpolitischer Ankündigungen auf nationaler und EU-Ebene zeigt, dass die Renditen insbesondere durch die Ankündigungen auf nationaler Ebene nach oben getrieben wurden. Die Maßnahmen auf EU-Ebene wirkten zwar ebenfalls positiv, aber nicht signifikant (Tabelle 2 Variante 2).

Die Modellergebnisse legen nahe, dass die expansiven finanzpolitischen Maßnahmen positiv auf die Aktienmärkte wirkten. So stiegen die Aktienindizes von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien nach einer Ankündigung finanzpolitischer Maßnahmen signifikant jeweils zwischen 1,2 und 1,4 Prozentpunkten. Auch die Ankündigungen zur Aussetzung der Fiskalregeln ließen die Aktienmarktindizes um rund zwei Prozentpunkte steigen. Des Weiteren zeigen die Ergebnisse, dass wohl vor allem EU-weite finanzpolitische Ankündigungen die Aktienmärkte positiv beeinflussten.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die nationalen und EU-weiten finanziellen Hilfspakete die Aktienmärkte stabilisiert haben, nicht aber die Staatsanleihemärkten. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass zu dem Zeitpunkt unklar war, ob sich die Länder höher verschulden müssen, als die Schuldenregeln erlauben. Die EU-Fiskalregeln lassen zwar bei schweren Krisen eine erhebliche Neuverschuldung zur KonjunkturstabilisierunginfoDas wären beispielsweise für Deutschland aktuell rund 62 Milliarden Euro auf Bundesebene. zu, diese allein hätte jedoch höchstwahrscheinlich in der Covid-19-Krise nicht ausgereicht.

Deutscher Wirtschaftsstabilisierungsfonds führt zu niedrigeren Renditen

Ein detaillierteres Bild liefert die Einzel-Ereignisanalyse (Abbildung 1 und 2). Die ersten nationalen und EU-weiten Ankündigungen gingen tendenziell mit steigenden Renditen zwischen 15 und 30 Basispunkten einher. Dies deutet daraufhin, dass die Marktteilnehmer diese Maßnahmen als nicht umfassend genug bewertet haben.

Mit der Aufhebung der Anteilsobergrenze der EZB sowie der Aussetzung der Defizitregeln in Kombination mit makroprudenziellen Lockerungen wurden angebots- und nachfrageseitige Unsicherheiten auf dem Anleihemarkt abgeschwächt. Anleiherenditen aller Länder mit Ausnahme Deutschlands sanken am Tag der Ankündigung der EU-weiten Aussetzung der Defizitregeln am 20. März zwischen 15 (Frankreich) und 100 (Italien) Basispunkten. In Deutschland wurde aufgrund der zwei Tage zuvor bekräftigten „schwarzen Null“ weiter davon ausgegangen, dass diese nicht aufgegeben wird.infoVgl. Deutsche Welle (2020): Kabinett beschließt Rahmen für Haushalt ohne Corona-Krise, vom 18. März (online verfügbar). Dies geschah erst am 23. März, an dem nicht nur weitere massive Maßnahmen, sondern auch der Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Milliarden Euro und damit die Aussetzung der Schuldenbremse angekündigt wurden. Die Renditen deutscher Staatsanleihen fielen in Folge um 15 Basispunkte.

Auch wenn die Aussetzung von Defizitregeln per se für steigende Risikoprämien und Renditen sprechen würdeinfoVgl. Stephanie Schmitt-Grohe und Martin Uribe (2003): Closing small open economy models. Journal of International Economics, vol. 61(1), 163–185; Kerstin Bernoth und Burcu Erdogan (2012): Sovereign bond yield spreads: A time-varying coefficient approach. Journal of International Money and Finance, vol. 31(3), 639–656., erscheint in dieser speziellen Situation auch ein anderer Erklärungsansatz plausibel. Zum einen könnten die Erfahrungen aus der Finanzkrise gelehrt haben, dass eine zu strikte Austeritätspolitik angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Verluste auch mittelfristig schwere soziale Folgen für betroffene EU-Staaten haben könnte.infoSo können restriktive Maßnahmen zur Reduzierung des Schuldenstands auch eine gefährliche Abwärtsspirale lostreten, denn durch die Senkung des Bruttoinlandsprodukts wird auch die Möglichkeit, zukünftig Schulden zu tilgen, verringert. Vgl. Olivier J. Blanchard und Jeromin Zettelmeyer (2017): Will Rising Interest Rates Lead to Fiscal Crises? Policy Briefs 27, Peterson Institute for International Economics (online verfügbar); Paul Krugman (2011): Can Europe Be Saved. New York Times vom 12. Januar (online verfügbar, abgerufen am 13. Mai 2020). Zum anderen hat insbesondere Deutschland mit der Ankündigung, die Schuldenbremse auszusetzen und alles zu tun („Kredit-Bazooka“), um inländische Unternehmen und Haushalte zu unterstützen, seiner Handlungsbereitschaft offenbar den notwendigen Nachdruck verliehen und gleichzeitig auf europäischer Ebene signalisiert, mehr gemeinsame Absicherung zu schaffen.

Bei den Maßnahmen der EU-Kommission zeigt sich, dass keine der Ankündigungen einen signifikanten Effekt auf die Staatsanleiherenditen hatte. Dies könnte daran liegen, dass es aufgrund von Unstimmigkeiten und der vielen Verhandlungsrunden zu lange gedauert hat, ein abgestimmtes Paket zu präsentieren. So waren die meisten nationalen Pakete schon gut zwei Wochen vor den EU-Ankündigungen beschlossen worden. Zudem ist deren gesamte Garantiesumme ungefähr dreimal so hoch wie die der EU-Pakete.

Lockerung der Bankenregulierung stabilisiert Staatsanleihemärkte

Die Ankündigungen makroprudenzieller Maßnahmen hatten im Durchschnitt den gewünschten stabilisierenden Effekt, wie die Modellergebnisse zeigen. Renditen zehnjähriger Staatsanleihen der betrachteten Ländergruppe gingen zwar nur leicht, aber signifikant zurück. Dieser Effekt scheint vor allem von den europaweit getroffenen makroprudenziellen Entscheidungen auszugehen. Grundsätzlich eröffnen weniger strikte Regulierungsvorgaben den Banken mehr Spielräume, um ihre Aktiva auszuweiten. Erhöhen die Banken daraufhin die Kreditvergabe und fallen die Kreditkosten, belebt dies die gesamtwirtschaftliche NachfrageinfoSo geht eine Ausweitung der Kreditvergabe üblicherweise mit einem Rückgang der Ersparnisbildung und einem Anstieg der Konsumausgaben von Unternehmen und Haushalten einher. Vgl. etwa Philip Turner (2016): Macroprudential policies, the long-term interest rate and the exchange rate. BIS Working Papers No. 588 (online verfügbar)., was den öffentlichen Finanzen über Mehreinnahmen und Minderausgaben zugutekommt.infoVgl. Ricardo Reis (2020): The Fiscal Footprint of Macroprudential Policy (im Erscheinen). Dass die Renditen von Staatsanleihen nach der Verkündung regulatorischer Lockerungen zurückgingen, deutet also daraufhin, dass Märkte diese als tatsächliche Entlastung für das Bankensystem bewerteten. Denkbar ist auch, dass die Banken die gewährten Spielräume nutzten, um etwa in Staatsanleihen zu investieren, wodurch die Renditen sänken.infoDa vor allem Staatsanleihen mit einem Risikogewicht von Null in die Bewertung der Aktiva eingehen, könnten Banken in Krisenzeiten vermehrt den Anreiz haben, in als wenig riskant eingestufte Anleihen zu investieren. Oftmals werden hierfür Staatsanleihen des Heimatlands in Erwägung gezogen, vgl. Dorothea Schäfer (2020): Staatsanleihen: Home Bias europäischer Banken nach wie vor hoch – Pflicht zur Kapitalhinterlegung könnte Problem noch verschärfen. DIW Wochenbericht Nr. 15/16 , 283–294 (online verfügbar).

Auf die Aktienmärkte wirkten die Veränderungen der Bankenregulierung hingegen signifikant negativ, die Kurse sanken durchschnittlich um rund 3,3 Prozentpunkte. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass die makroprudenziellen Lockerungen die Banken verstärkt in als risikolos geltende Anleiheinvestitionen getrieben haben oder die enorm gestiegene Volatilität an den Aktienmärkten Banken und andere Anleger vom Aktienkauf abgehalten hat. Die Unsicherheit unter den Anlegern könnte auch aufgrund der Ankündigung am 27. März gestiegen sein, als die EZB die Banken zum Verzicht auf Dividendenzahlungen aufgefordert hat.

Es fällt auf, dass makroprudenzielle Ankündigungen wohl nur dann positiv auf die Aktienmärkte wirkten, wenn sie mit finanzpolitischen Maßnahmen kombiniert wurden (Abbildung 2). So war in Spanien die zeitgleiche Ankündigung makroprudenzieller und finanzpolitischer Lockerungen am 31. März mit einem Anstieg der Kurse verbunden. Die Ankündigungen in Italien zur Lockerung der Bankenanforderungen am 20. März erfolgten zeitgleich mit der Bekanntgabe makroprudenzieller und finanzpolitischer Maßnahmen auf EU-Ebene und ließen in Italien die Aktienkurse steigen. Die Anleiherenditen reagierten ebenfalls wie erhofft, wenn auf europäischer Ebene sowohl finanzpolitisch als auch makroprudenziell agiert wurde. So fielen die Renditen besonders stark am 20. März, als das dritte Maßnahmenpaket der EZB sowie weitere Schritte nationaler Regulierungsbehörden und ein Aussetzen der Fiskalregeln auf EU-Ebene angekündigt wurden.

Fazit: Gemeinsamer europäischer Krisenmechanismus könnte bessere Erfolge bringen

Weder die geldpolitischen noch die finanzpolitischen Ankündigungen von Hilfspaketen konnten die Aktien- und Anleihemärkte in der EU maßgeblich stabilisieren. Dies dürfte bei der Geldpolitik auch daran liegen, dass der Spielraum für expansive Politik ohnehin nur noch sehr gering ist.infoVgl. Kerstin Bernoth, Geraldine Dany-Knedlik und Anna Gilbert (2020): Geldpolitische Maßnahmen der EZB und der Fed gegen die Corona-Krise wirken wenig. DIW aktuell Nr. 31 (online verfügbar). Bei den geldpolitischen Maßnahmen hatten kurzfristig lediglich die Ankündigung der EZB, das Ankauflimit für Staatsanleihen abzuschaffen, sowie der Beschluss, die Laufzeit des PEPP bei Bedarf zu verlängern, auf einige der betrachteten Länder den gewünschten Effekt. Dennoch lässt sich davon ausgehen, dass die ausreichende Bereitstellung von Liquidität für den Bankensektor in naher Zukunft dazu beitragen wird, die Zweitrundeneffekte der Krise – zum Beispiel eine Verknappung der Kreditvergabe an die Realwirtschaft sowie eine zunehmende Anzahl notleidender Kredite – zu bewältigen.Bei den finanzpolitischen Maßnahmen konnte die Aussetzung der Fiskalregeln die Staatsanleihe- sowie Aktienmärkte stabilisieren. Aber auch die Ankündigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Deutschland am 23. März beruhigte sowohl Renditen als auch Aktienkurse. Allerdings ging diese einher mit der Aussetzung der Fiskalregeln sowie europaweiten makroprudenziellen Lockerungen.

Schon für sich genommen wirkten die angekündigte Aussetzung der Fiskalregeln und europaweite makroprudenzielle Lockerungen im Durchschnitt stabilisierend; zusammengenommen war der Effekt noch größer. Beides könnte dafür sprechen, dass im Krisenfall viele Marktteilnehmer kurzfristig eine Lockerung der Regulierung zur Unterstützung der Realwirtschaft zielführender finden als einen regulierten Bankensektor oder eine Schuldenbremse, auch wenn die langfristigen Effekte solcher Lockerungen ungewiss sind.

Insbesondere zeitgleiche Ankündigungen von makroprudenziellen Lockerungen und finanzpolitischen Maßnahmen auf europäischer Ebene ließen Aktienkurse steigen und Renditen auf Staatsanleihen sinken. Somit zeigt sich zumindest kurzfristig, dass die nach der letzten großen Krise 2008/2009 implementierten makroprudenziellen Instrumente in Krisensituationen wie erhofft das Finanzsystem stabilisieren können.

Die europäischen Fiskalregeln und die Bankenunion als Mechanismen zur Schaffung von Risikoabsicherung haben sich damit bewährt. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang, die nächsten Schritte in der Bankenunion zu gehen und beispielsweise eine gemeinsame Einlagen(rück)versicherung zu implementieren.infoVgl. Marius Clemens, Stefan Gebauer und Tobias König (2020): The Macroeconomic Effects of a European Deposit (Re-) Insurance Scheme. DIW Discussion Paper 1873 (online verfügbar). Zudem wäre es angezeigt, die nationalen Fiskalregeln so zu verbessern, dass beispielsweise die Neuverschuldung zur Finanzierung wichtiger Zukunftsinvestitionen nicht limitiert wird.infoVgl. Marcel Fratzscher, Alexander Kriwoluzky und Claus Michelsen (2019): Gut investierte Schulden sind eine Entlastung in der Zukunft. Wirtschaftsdienst, Heft 5, 307–329 (online verfügbar); Sebastian Dullien et al. (2020): Weiter Denken: ein nachhaltiges Investitionsprogramm als tragende Säule einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierungspolitik. Politikberatung kompakt 151, 23 (online verfügbar).

Dass die Ankündigungen der EU-Kommission zum Hilfspaket (Drei-Säulen-Modell) vom April keinen signifikanten Effekt auf die Finanzmärkte hatten, erklärt sich wahrscheinlich durch die Verzögerungen. Als sich die EU endlich auf das Hilfspaket geeinigt hatte, waren die meisten nationalen Maßnahmen schon längst beschlossen. Um für zukünftige Krisen besser gewappnet zu sein und schneller reagieren zu können, sollte ein europäischer Mechanismus ins Auge gefasst werden, der in diesem Krisenfall vermutlich deutlich schneller gewirkt hätte.infoKerstin Bernoth und Philipp Engler (2013): A Transfer Mechanism as a Stabilization Tool in the EMU. DIW Economic Bulletin, vol. 3(1), 3–8 (online verfügbar); Ferdinand Fichtner und Peter Haan (2014): Europäische Arbeitslosenversicherung: Konjunkturstabilisierung ohne große Umverteilung der Haushaltseinkommen. DIW Wochenbericht Nr. 37, 843–854 (online verfügbar); Marius Clemens und Mathias Klein (2018): Ein Stabilisierungsfonds kann den Euroraum krisenfester machen. DIW Wochenbericht Nr. 23, 485–492 (online verfügbar); Guillaume Claveres und Marius Clemens (2017): Unemployment Insurance Union. 2017 Meeting Papers Nr. 1340, Society for Economic Dynamics (online verfügbar). Denkbar wäre ein dauerhaft installierter Stabilisierungsfonds oder ein entsprechendes Budget auf EU-Ebene, in das die Staaten jährlich einzahlen. Der Ende Mai von der EU-Kommission angekündigte Wiederaufbaufonds könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein, sollte aber möglichst dauerhaft angelegt sein.

Geraldine Dany-Knedlik

Co-Leitung Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie

Kerstin Bernoth

Vice Dean of Graduate Studies im Graduate Center



JEL-Classification: E5;E44;E50;E62;G14
Keywords: Covid-19, announcement effects, monetary policy, fiscal policy, macroprudential policy, euro area
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-23-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/222506

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