DIW Wochenbericht 26 / 2020, S. 467-476
Hermann Buslei, Johannes Geyer, Anna Hammerschmid, Mia Teschner
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„Besonders in großen Städten lebende Menschen mit unterdurchschnittlichen Gehältern müssen länger in die Rentenversicherung einzahlen, um später mehr rauszubekommen als eine Rente auf Grundsicherungsniveau. Wenn die Politik nicht sicherstellt, dass langjährige BeitragszahlerInnen eine Rente deutlich über dem Existenzminimum erhalten, könnte die Rentenversicherung ein Legitimationsproblem bekommen.“ Johannes Geyer
Die gesetzliche Rente ist für die meisten Menschen im Rentenalter die wichtigste Einkommensquelle. In der sozialpolitischen Diskussion wird häufig das Verhältnis dieser vorleistungsabhängigen Pflichtversicherungsleistung und der vorleistungsunabhängigen, steuerfinanzierten Grundsicherung, die das Existenzminimum absichert, thematisiert. Wie dieser Wochenbericht zeigt, musste eine durchschnittlich verdienende Person Stand 2018 gut 27 Jahre und damit deutlich länger in die Rentenversicherung einzahlen als noch Anfang des Jahrtausends, um später eine Rente aus eigenen Anwartschaften in Höhe der Grundsicherung zu erhalten. Die Simulationsberechnungen legen nahe, dass diese Mindestbeitragszeit bis 2045 insgesamt weiter zunehmen könnte. Grund dafür ist das voraussichtlich sinkende Rentenniveau ab Mitte der 2020er Jahre. Die tatsächliche künftige Entwicklung der Mindestbeitragszeiten hängt stark von den Wohnkosten ab, die für das Niveau der Grundsicherung eine große Rolle spielen. Gerade in Ballungsräumen mit hohen Wohnkosten und starken Wohnkostensteigerungen könnte die gesetzliche Rentenversicherung vor allem unter GeringverdienerInnen in zunehmende Legitimationsschwierigkeiten geraten.
In den 1990er Jahren begann in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) ein einschneidender Reformprozess. Angesichts steigender Beitragssätze und einer relativ hohen Arbeitslosigkeit zielten diverse Reformschritte auf eine Stabilisierung des Beitragssatzes zur GRV und auf die Dämpfung des künftigen Anstiegs. Zu diesem Zweck wurde das Leistungsniveau der GRV gesenkt und die Rentenanpassungsregel um Mechanismen ergänzt, die zu einer weiteren Absenkung des Rentenniveaus führen dürften.
Die aktuelle Debatte um die zukünftige Entwicklung der GRV ist durch eine Kontroverse über das langfristig anzustrebende Sicherungsniveau der GRV geprägt.Der vorliegende Bericht basiert auf einem Gutachten, das im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) erstellt wurde. Nach aktuellem Rechtsstand darf das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent fallen; für die Zeit nach 2025 wird allerdings mit einem dann spürbaren Sinken des Rentenniveaus gerechnet.Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2019): Rentenversicherungsbericht 2019. Bericht der Bundesregierung über die gesetzliche Rentenversicherung, insbesondere über die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben, der Nachhaltigkeitsrücklage sowie des jeweils erforderlichen Beitragssatzes in den künftigen 15 Kalenderjahren gemäß § 154 Abs. 1 und 3 SGB VI (online verfügbar; abgerufen am 16. Juni 2020. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). In der Diskussion wird betont, dass die Niveauabsenkung einen zentralen Beitrag zur langfristigen Stabilität der Rentenfinanzen liefert und zukünftige Generationen vor zu stark steigenden Beiträgen schützt.Vgl. zum Beispiel Susanna Kochskämper und Jochen Pimpertz (2017): Die gesetzliche Alterssicherung auf dem Prüfstand: Orientierungen für die aktuelle Reformdiskussion. IW-Analysen Nr. 115 (online verfügbar). Kritikerinnen und Kritiker wenden dagegen ein, dass die beitragsbezogene Rente ihre Legitimation verlieren könnte, wenn der Abstand zwischen der beitragsäquivalenten Rente und der vorleistungsunabhängigen, bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung kleiner wird.Vgl. beispielsweise Florian Blank (2017): Das Rentenniveau in der Diskussion. Policy Brief WSI. Nr. 13 (online verfügbar).
Der künftige Abstand zwischen Rente und Grundsicherung hängt nicht nur von den Rentenanpassungen ab, sondern auch von der Entwicklung der Leistungen der Grundsicherung.Außerdem muss berücksichtigt werden, dass Rentnerinnen und Rentner einen steigenden Anteil ihrer Renten durch den Übergang zur nachgelagerten Besteuerung versteuern und Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung zahlen müssen. Auch diese Größen verändern sich im Zeitverlauf und haben einen Einfluss auf den effektiven Abstand zwischen Rente und Grundsicherungsniveau. Der Bruttobedarf der Grundsicherung setzt sich aus dem Regelbedarf, dem Wohnbedarf (Kosten der Unterkunft) und Mehrbedarfszuschlägen zusammen.Für bestimmte Personengruppen gibt es Mehrbedarfszuschläge, zum Beispiel für schwerbehinderte Personen, die zugleich in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, oder Mehrbedarf für dezentrale Warmwasserversorgung. Diese Größen haben sich in der Vergangenheit unterschiedlich entwickelt. Insgesamt stiegen die laufenden monatlichen Bruttobedarfe in der Grundsicherung wegen Alters zwischen den Jahren 2003 und 2018 um 37 Prozent. Der durchschnittlich anerkannte Wohnbedarf nahm um 52 Prozent zu, während die sonstigen Bedarfe nur um 27 Prozent gestiegen sind.Vgl. Bruno Kaltenborn (2019): Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung: ein statistisches Kompendium. Forschungsbericht für das Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA) der Deutschen Rentenversicherung Bund. DRV-Schriften 118, 127f. (online verfügbar). Im Jahr 2018 ist der Bruttobedarf im Vergleich zum Jahr 2017 leicht gesunken, andernfalls fiele der Anstieg beim Vergleich von 2003 und 2018 noch etwas stärker aus. Der Grund dafür liegt in einer Änderung der Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen beim Bruttobedarf. Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung von freiwilligen Mitgliedern der gesetzlichen oder Mitgliedern der privaten Krankenversicherung wurden bis 2017 dem Bruttobedarf zugerechnet. Seit 2018 mindern sie zunächst das Einkommen und werden nur dem Bedarf zugerechnet, wenn sie das Einkommen übersteigen. Das verfügbare Einkommen der Personen ändert sich durch diese geänderte Berechnungsweise nicht. Vgl. Johannes Steffen (2018): Bruttobedarf in der Grundsicherung nach SGB XII – Gesetzliche Neuregelung senkt Durchschnittsbetrag (online verfügbar). Im selben Zeitraum wurden die Altersrenten um rund 23 Prozent (Westdeutschland) beziehungsweise 34 Prozent (Ostdeutschland) erhöht. Berücksichtigt man zudem, dass bei Rentenbezug Beiträge zur Kranken- und zur Pflegeversicherung geleistet werden müssen und die Beitragssätze in der Vergangenheit gestiegen sind, fällt der Anstieg mit 19 Prozent (Westdeutschland) beziehungsweise 29 Prozent (Ostdeutschland) noch geringer aus.Kaltenborn (2019), a.a.O., 57ff. Gegen diese Berechnung könnte man einwenden, dass bei der Grundsicherung der durchschnittliche Bruttobedarf zugrunde gelegt wird, bei der Rente aber nur die Anpassung des aktuellen Rentenwerts. Die Entwicklung der Rentenzahlbeträge wird natürlich auch durch Strukturveränderungen, beispielsweise einer über die Kohorten zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit, beeinflusst. Vergleicht man den Unterschied der Rentenzahlbeträge für neu zugehende Altersrenten zwischen den Jahren 2003 und 2018, erhält man deswegen auch höhere Steigerungsraten für Frauen. Insgesamt stiegen die Rentenzahlbeträge um knapp 32 Prozent, bei Männern fiel der Anstieg mit knapp 16 Prozent aber deutlich geringer aus als bei Frauen mit gut 60 Prozent. Eigene Berechnungen auf Basis des Statistikportals der Deutschen Rentenversicherung Bund (online verfügbar).
Auch künftig wird die Entwicklung der Kosten der Unterkunft ein wesentlicher Faktor dafür sein, in welchem Zusammenhang das sinkende Rentenniveau und die durchschnittliche Grundsicherung stehen. Das wurde bereits in einer Simulationsstudie mit einer repräsentativen Abbildung der künftigen Bevölkerung in Deutschland gezeigt.Vgl. Hermann Buslei et al. (2019a): Das Rentenniveau spielt eine wesentliche Rolle für das Armutsrisiko im Alter. DIW Wochenbericht Nr. 21+22 (online verfügbar). Im vorliegenden Wochenbericht wird dieser Punkt aufgegriffen und untersucht, wie viele Jahre eine durchschnittlich verdienende Person mindestens erwerbstätig sein und in die Rentenversicherung einzahlen müsste, um das (durchschnittliche) Grundsicherungsniveau mit einer Rente aus eigenen Anwartschaften zu erreichen. Diese MindestbeitragszeitenEine ausführliche Definition der Mindestbeitragszeiten findet sich in Kasten 1 dieses Berichts. für einen Rentenbezug in Höhe des Existenzminimums werden in diesem Bericht für eine durchschnittlich verdienende Person für die Vergangenheit ab dem Jahr 2000 und für die Zukunft bis zum Jahr 2045 auf Basis vorausberechneter Größen bestimmt.Die Analyse geht dabei nur auf das Verhältnis der Rente zur Grundsicherung im Alter ein. Andere Sozialleistungen, etwa das Wohngeld, sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Die Wohngeldreform 2020 mit der Erhöhung der Leistungen sowie einer zukünftigen Dynamisierung wird sich vermutlich negativ auf die Grundsicherungsquote auswirken. Dieser Maßstab wird bereits seit längerem zur Beurteilung des Leistungsniveaus in der gesetzlichen Rentenversicherung verwendet.Vgl. für ein Beispiel Winfried Schmähl (2011): Politikberatung und Alterssicherung: Rentenniveau, Altersarmut und das Rentenversicherungssystem. Vierteljahrhefte zur Wirtschaftsforschung, DIW Berlin, 80. Jahrgang, 1, 159–174.
Die künftig zu erwartende Entwicklung der Mindestbeitragszeit wird hierbei aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet. Bei der ersten Analyse handelt sich um eine Vorausberechnung der Mindestbeitragszeiten, die unter anderem von einer an die Vergangenheit angelehnten Entwicklung der durchschnittlichen Kosten der Unterkunft ausgeht.In den Jahren 2003 bis 2018 sind die Kosten der Unterkunft durchschnittlich um rund 3,15 Prozent pro Jahr gestiegen, vgl. Statistisches Bundesamt (2020a): Empfänger und Empfängerinnen von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Deutschland am 31.12., hier: außerhalb von Einrichtungen – 65 Jahre und älter. Vom Statistischen Bundesamt auf Anfrage bereitgestellte Daten vom 07. April 2020. Diese Analyse basiert auf drei Schritten (Kasten 1): Mit Hilfe des Modells PenProSiehe hierzu Buslei et al. (2019a), a.a.O. wird geschätzt, wie sich die Rente nach heutigem Rechtsstand in Zukunft entwickeln wird. Dabei wird auf eine Modellierung möglicher Folgen der Corona-Krise verzichtet (Kasten 2). Der zweite Schritt berechnet den durchschnittlichen Bruttobedarf der Grundsicherung, der sich aus dem Regelsatz und den Unterkunftskosten zusammensetzt, voraus. Das Verhältnis dieser Größen ergibt im dritten Schritt die Mindestbeitragszeiten bis zum Jahr 2045.
Die individuelle Rentenhöhe ergibt sich aus der Rentenformel, in der die im Erwerbsverlauf angesammelten Entgeltpunkte mit dem aktuellen Rentenwert bewertet werden. Die Bruttorente (BR) einer Person i im Jahr t errechnet sich konkret als Produkt der Anzahl der Entgeltpunkte (EP), des aktuellen Rentenwerts (ARW), des Zugangsfaktors (ZF) und des Rentenartfaktors (RAF):
Die Entgeltpunkte, die eine Person in einem Jahr während des Erwerbsverlaufs erzielt, bestimmen sich aus dem eigenen beitragspflichtigen Einkommen im Verhältnis zum Durchschnittsentgelt aller beitragspflichtigen Personen des jeweiligen Jahres. Eine durchschnittlich verdienende Person sammelt im Jahr somit genau einen Entgeltpunkt. Für über- beziehungsweise unterdurchschnittlich verdienende Personen ergibt sich dementsprechend mehr beziehungsweise weniger als ein erzielter Entgeltpunkt im Jahr. Der ARW gibt den nominalen Wert eines solchen Entgeltpunktes in Euro beim Rentenbezug an und kann sich über die Zeit verändern. Der ZF und der RAF können die sich ergebende Bruttorente im Allgemeinen erhöhen oder mindern. Geht eine Person bereits vor oder erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente, werden über den ZF die sich daraus ergebenden Abschläge (ZF kleiner als eins) oder Zuschläge (ZF größer als eins) berücksichtigt. Die Berechnungen in diesem Bericht gehen von einer Person aus, die zur Regelaltersgrenze in Rente geht. Aus diesem Grund wird der ZF auf eins gesetzt. Der RAF variiert je nach Rentenart und beträgt im Fall der hier betrachteten Regelaltersrente ebenfalls eins. Somit vereinfacht sich die Berechnung der Bruttorente einer stets durchschnittlich verdienenden Person zu dem Produkt aus dem ARW und der Anzahl der Beitragsjahre. Erzielt diese Person insgesamt genau 45 Beitragsjahre, ist ihre Bruttorente als die sogenannte Standardrente definiert. Der ARW wird jedes Jahr im Juli angepasst. Im Juni 2018, also in dem Jahr, das den aktuellen Rand dieser Analyse darstellt, lag der ARW bei 31,03 Euro und die Standardrente demnach bei 1396,35 Euro.
Für die Vorausberechnung des ARW bis zum Jahr 2045 wurde das Modell PenPro verwendet.Die Ergebnisse aus PenPro wurden auch in Buslei et al. (2019a), a.a.O., verwendet. Eine detailliertere Beschreibung des Modells und der getroffenen Annahmen ist dort in Kasten 1 sowie in den an dieser Stelle genannten Referenzen zu finden. Auf dieser Basis wird der Nettowert des ARW () abzüglich der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (GKV und SPV) bestimmt:Theoretisch könnte man auch noch die Einkommensteuer berücksichtigen. Es wird jedoch davon abgesehen, da auf Einkommen in Höhe des Grundsicherungsbedarfs im Regelfall keine Einkommensteuer zu leisten ist.
Für die Zeit ab dem Jahr 2020 wird angenommen, dass die Beitragssätze zur GKV und SPV konstant bleiben. Dabei wird das am 1. Januar 2019 in Kraft getretene GKV-Versichertenentlastungsgesetz, das eine paritätische Aufteilung des krankenkassenindividuellen Zusatzbeitrages vorsieht, berücksichtigt. Den Beitrag zur Pflegeversicherung tragen die RentnerInnen allein. Die Bruttorente nach Abzug der Sozialabgaben ergibt den Rentenzahlbetrag.
Das verwendete Grundsicherungsniveau setzt sich zusammen aus dem Regelsatz und den durchschnittlich anerkannten Kosten der Unterkunft. Mehrbedarfe werden nicht berücksichtigt. Die Kenngröße wird berechnet als Summe des Eckregelsatzes für Personen in Ein-Personen-Haushalten (gemäß § 42 SGB XII) und der durchschnittlichen Kosten der Unterkunft der Grundsicherung im Alter.Details zu Quellen und Berechnungsgrundlagen stellen die AutorInnen dieses Berichts auf Anfrage gerne zur Verfügung. Insgesamt zeigt sich ein sehr ähnlicher Verlauf wie bei Kaltenborn (2019), a.a.O.
Ab dem Jahr 2021 wird der Regelsatz der Grundsicherung orientiert an der Entwicklung der Löhne (30 Prozent) und der Preisinflation (70 Prozent) fortgeschrieben.Der Regelsatz wird seit 2011 alle fünf Jahre anhand von Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt (§ 28 SGB XII). In den Jahren, die zwischen einer neuen Erhebung der EVS liegen, wird der Regelsatz anhand eines Mischindex aus Preis- und Nettolohnentwicklung (nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, VGR) fortgeschrieben. Dafür wird ein spezieller Preisindex der regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen vom Statistischen Bundesamt genutzt. Zur Vereinfachung wird für die Fortschreibung der Nettolöhne dieselbe Rate wie bei den Bruttolöhnen verwendet. Die relevante Preisentwicklung wird anhand des Verbraucherpreisindex approximiert. Für die Preisinflation wird die durchschnittliche Veränderung des Verbraucherpreisindex in den Jahren 2000 bis 2019 unterstellt, die sich auf ungefähr 1,5 Prozent beläuft.Vgl. Statistisches Bundesamt (2020c): Verbraucherpreisindizes für Deutschland – Lange Reihen ab 1948 (online verfügbar). Das nominale Lohnwachstum liegt per Annahme bei ungefähr drei Prozent. Die Kosten der Unterkunft werden für den ersten Teil der Analyse ab dem Jahr 2019 mit der durchschnittlichen Wachstumsrate seit Einführung der Grundsicherung fortgeschrieben.Zwischen 2003 und 2018 sind die Kosten der Unterkunft durchschnittlich um rund 3,15 Prozent pro Jahr gestiegen, vgl. Statistisches Bundesamt (2020a), a.a.O.
Die MBZ gibt an, wie lange eine durchschnittlich verdienende Person in die Rentenversicherung einzahlen müsste, um im betrachteten Kalenderjahr eine Rente aus eigenen Ansprüchen in Höhe des Bruttobedarfs der Grundsicherung zu erhalten. Die MBZ ergibt sich also direkt aus dem Quotienten aus Bruttobedarf und :
.
Die Formel zeigt auch, dass Personen, die unterdurchschnittlich verdienen, eine entsprechend höhere MBZ benötigen und überdurchschnittlich verdienende eine kürzere.
Der Entwurf zum Grundrentengesetz sieht die Einführung einer neuen Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Januar 2021 vor: die Grundrente.Vgl. Bundesregierung (2020), a.a.O. Sie ist ein Aufschlag auf die erworbenen Rentenanwartschaften bei langer Versicherungsdauer und unterdurchschnittlichem Verdienst. Voraussetzung ist eine Wartezeit von mindestens 33 Jahren. Als Wartezeiten (Grundrentenzeiten) werden insbesondere Pflichtbeitragszeiten aus Erwerbstätigkeit, Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten (Kinder und Pflege) anerkannt. Wird die Wartezeit erfüllt, erhalten Personen, die – vereinfacht gesagt – im Durchschnitt ihres Erwerbslebens zwischen 0,3 und 0,8 Entgeltpunkte erreicht haben, einen Aufschlag auf ihre Rente. Unabhängig von diesen Aufschlägen werden zweitens Freibeträge bei Leistungen der sozialen Sicherung (unter anderem bei der Grundsicherung im Alter und beim Wohngeld) eingeräumt. Der Freibetrag sieht vor, dass Einkommen aus der gesetzlichen Rente in Höhe von 100 Euro monatlich zuzüglich 30 Prozent des diesen Betrag übersteigenden Einkommens bis zu einer maximalen Höhe der halben Regelbedarfsstufe I (2020: 216 Euro) nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden.
Die Mindestbeitragszeiten in der Rentenversicherung, die erforderlich sind, um die Bedürftigkeitsschwelle zu erreichen, können aufgrund der Freibetragsregelung sogar steigen. Dies lässt sich anhand eines Beispiels einer Person mit 29 Jahren Durchschnittsverdienst verdeutlichen. Diese Person hat unter den gegebenen Umständen weder Anspruch auf Grundrente, noch auf den Freibetrag. Anspruch auf Grundsicherung besteht aufgrund der Höhe des Renteneinkommens ebenfalls nicht. Würde diese Person allerdings noch vier Jahre weiterarbeiten, hätte sie die Wartezeit für die Grundrente erfüllt. Sie hätte zwar weiterhin ein zu hohes durchschnittliches Einkommen, also keinen Anspruch auf Grundrente. Aufgrund der erfüllten Wartezeit hätte sie nun aber Anspruch auf den Freibetrag. In diesem Beispiel bestünde dann – allein durch den Freibetrag – ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung. Dazu passend schätzt die Bundesregierung im Gesetzentwurf, dass das neue Grundrentengesetz nicht zu einer Abnahme von Grundsicherungsempfängerinnen und -empfängern führen wird, sondern deren Anzahl durch den Freibetrag um rund 90000 Personen (16 Prozent) steigen dürfte.
Dieser Wochenbericht verzichtet darauf, die Effekte der coronabedingten Wirtschaftskrise auf die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) zu modellieren. Diese Effekte lassen sich aktuell noch nicht umfassend abschätzen, da bisher unklar ist, wie tief die Rezession ausfallen wird. Die Wirtschaftskrise hat unmittelbare, komplexe Folgen für die Anpassungen der Renten in den kommenden Jahren. Für die GRV bedeutet die Krise einen unmittelbaren Rückgang der Beitragseinnahmen. Allerdings gehen in die Rentenanpassungsformel auch verzögerte Größen ein, so dass sich einige Folgen erst mit einem oder zwei Jahren Verzögerung zeigen werden. Dieses Jahr steigen die Renten aufgrund der vergangenen Lohnentwicklung noch einmal relativ stark, im kommenden Jahr werden die Renten dann voraussichtlich gar nicht zunehmen. Für die folgenden Jahre wird es unter anderem stark darauf ankommen, wie sich Löhne und Gehälter und die versicherungspflichtige Beschäftigung entwickeln werden. Die Deutsche Rentenversicherung erwartet aktuell, dass ihre Rücklage von gut 40 Milliarden Euro in diesem Jahr um rund zehn Prozent sinken wird. Die Auswirkungen der Krise bleiben zunächst begrenzt, da auch bei Bezug von Kurzarbeitergeld und Arbeitslosengeld Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt werden. Erste, pessimistische Abschätzungen der langfristigen Folgen wurden bereits veröffentlicht.Vgl. Axel Börsch-Supan und Johannes Rausch (2020): Corona und Rente. MEA Discussion Papers 11-2020 (online verfügbar). Als wahrscheinlich erachtet wird ein Szenario, in dem die Entwicklung des aktuellen Rentenwerts und des Rentenniveaus mittelfristig wieder nahe an dem für diesen Bericht unterstellten Entwicklungspfad liegt. Allerdings ist die Unsicherheit hinsichtlich des erwarteten Wirtschaftseinbruchs erheblich und es existieren keine historischen Vorbilder, die helfen könnten, die Folgen abzuschätzen.
Weil die Wohnbedarfe von Region zu Region mitunter erheblich variierenVgl. Kaltenborn (2019), a.a.O., Abbildungen 58–62., greift eine Analyse, die sich ausschließlich am Durchschnitt der vergangenen Entwicklung orientiert, zu kurz. Aus diesem Grund werden in einer zweiten Analyse die Kosten der Unterkunft als Zielgröße in den Vordergrund gerückt. Unter Verwendung der Vorausberechnungen zu Rente und Regelsatz der Grundsicherung ermittelt diese Analyse, wie sich die Unterkunftskosten in Zukunft entwickeln müssten, um die Mindestbeitragszeiten auf dem Niveau des Jahres 2018 konstant zu halten.Aufgrund der Verfügbarkeit der Daten zu den durchschnittlichen Kosten der Unterkunft bis ins Jahr 2018 wird selbiges in dieser Analyse als aktueller Rand betrachtet.
Eine durchschnittlich verdienende Person musste – Stand 2018 – etwa 27,4 Jahre in die Rentenversicherung einzahlen, um eine Rente aus eigenen Anwartschaften in Höhe des Bruttobedarfs der Grundsicherung zu erzielen. Diese Mindestbeitragszeit ist in den zurückliegenden Jahren damit deutlich gestiegen, im Jahr 2000 lag sie noch bei rund 23 Jahren (Abbildung 1).Ähnliche Berechnungen der Mindestbeitragszeit finden sich auch bei Blank (2017), a.a.O., oder differenziert nach Jahr und Entgeltposition bei Johannes Steffen (2020): Löhne, Renten und Existenzminimum (online verfügbar). Das entspricht einem Anstieg von etwa 18 Prozent.
Ihren bisherigen Höchstwert erreichte die Mindestbeitragszeit mit über 28 Jahren im Jahr 2014. Danach ist sie wieder leicht gesunken. Hier kommt zum Ausdruck, dass der aktuelle Rentenwert in den vergangenen Jahren aufgrund der deutlichen Zunahme von Beschäftigung und Löhnen stärker gestiegen ist als das Grundsicherungsniveau.
Unter der Annahme, dass die Kosten der Unterkunft mit der empirischen, durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (der Jahre 2003 bis 2018) in Höhe von 3,15 Prozent steigen wird, sinkt die Mindestbeitragszeit zunächst bis zum Jahr 2025 um knapp ein Jahr (Abbildung 2).Vgl. zur Fortschreibung des Regelsatzes Kasten 1 dieses Berichts. Damit setzt sich die bereits für die jüngeren Jahre vor 2018 dargestellte Entwicklung fort (Abbildung 1). Neben der positiven Lohnentwicklung ist dafür gegen Ende des Zeitraums auch die Haltelinie, derzufolge das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinken darf, verantwortlich. Ohne die Haltelinie würde die Rentenanpassung stärker hinter die Lohnentwicklung zurückfallen. Da das Verhältnis von Rentenzahlbetrag und Löhnen nach Abzug der Sozialversicherungsabgaben aufgrund der Haltelinie nicht sinken darf, wachsen die Renten näherungsweise mit den Löhnen. Dieses Wachstum fällt stärker aus als der angenommene Anstieg des durchschnittlichen Grundsicherungsbedarfs.
Nach dem Jahr 2025 steigt die Mindestbeitragszeit unter den getroffenen Annahmen bis ins Jahr 2038 von rund 26,5 Jahren wieder auf etwa 28 Jahre an und erreicht damit fast den Höchstwert aus dem Jahr 2014. Die Zunahme des Rentenwerts bleibt in diesen Jahren hinter der angenommenen Wachstumsrate des Grundsicherungsbedarfs zurück. Mit dem Auslaufen der Haltelinie wird offengelegt, dass sich die Finanzierungsbasis der Rentenversicherung aufgrund der demografischen Entwicklung spätestens ab Mitte der 2020er Jahre schwächer entwickelt – obwohl angenommen wird, dass Löhne und Erwerbsbeteiligung weiterhin steigen werden. Die zahlenmäßig starken Babyboomer-Jahrgänge treten zunehmend in die Rente ein, sodass einerseits die Zahl der BeitragszahlerInnen relativ stark zurückgeht und andererseits die Zahl der RentnerInnen stark zunimmt. Beides führt unter der geltenden Rentenanpassungsregel zu einer verminderten Erhöhung des aktuellen Rentenwerts.Hierfür sind gleich zwei Komponenten der Rentenanpassungsformel verantwortlich: der Beitragssatzfaktor und der Nachhaltigkeitsfaktor. Der erste Faktor hat direkt zur Folge, dass jede Erhöhung des Beitragssatzes im Vergleich zum Vorjahr im Folgejahr die Rentenanpassung mindert. Beim Nachhaltigkeitsfaktor vermindert – vereinfacht gesprochen – das schlechter werdende Verhältnis von („Äquivalenz“-) RentnerInnen zu („Äquivalenz“-) BeitragszahlerInnen die Anpassung des aktuellen Rentenwerts.
Im Zeitraum der Jahre 2038 bis 2045 sinkt die Mindestbeitragszeit dann unter den getroffenen Annahmen wieder leicht um etwa fünf Monate. Das liegt an den etwas stärkeren Rentenanpassungen Ende der 2030er und in den 2040er Jahren: Nachdem der Anteil der geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge an den Rentnerinnen und Rentnern abnimmt, fallen die Rentenanpassungen wieder höher aus.
Die vorausberechnete Entwicklung der Mindestbeitragszeiten kann auch durch die Betrachtung der Wachstumsraten der Einzelkomponenten verdeutlicht werden (Abbildung 3). Nimmt man ein gleichmäßiges Wachstum des Regelsatzes und der Unterkunftskosten an, ergibt sich auch für den gesamten Grundsicherungsbetrag ein gleichmäßiges Wachstum von etwa 2,5 Prozent. Vergleicht man die Wachstumsrate der Grundsicherung mit der vorausberechneten Entwicklung der Standardrente (45 Entgeltpunkte, netto, vor Steuern), ergibt sich das Bild für die Entwicklung der Mindestbeitragszeit zur Rentenversicherung, um auf das Grundsicherungsniveau zu kommen: Während der Rentenwert (netto, vor Steuern) bis etwa 2025 aufgrund der Bevölkerungs-, Beschäftigungs- und Lohnentwicklung sowie am Ende des Zeitraums auch durch die Haltelinie bei 48 Prozent schneller wächst als die Grundsicherung im Alter (was mit einer sinkenden Mindestbeitragszeit zur Rentenversicherung einhergeht), entwickelt sich nach 2025 bis etwa 2038 der Grundsicherungsbetrag dynamischer (was mit einer steigenden Mindestbeitragszeit einhergeht). Ab etwa 2038 ist das Wachstum des verfügbaren Rentenwerts wieder etwas stärker, sodass die Mindestbeitragszeit leicht sinkt.
Unter dem Strich steigt die Mindestbeitragszeit bis 2045 unter den getroffenen Annahmen im Vergleich zum Jahr 2018 auf bereits hohem Niveau leicht an. Betont werden muss, dass sämtliche Vorausberechnungen unter vereinfachenden Annahmen durchgeführt wurden. Es lässt sich aktuell nicht abschätzen, ob alle Annahmen für die Dynamik der Einflussgrößen bis Mitte der 2040er Jahre zutreffen werden. Diese generelle Unsicherheit wird durch die noch nicht abzusehenden Auswirkungen der Corona-Krise noch weiter verstärkt (Kasten 2). Trotz dieser Einschränkungen zeigt die vorliegende Analyse, dass die demografische Entwicklung in Verbindung mit der geltenden Rentenanpassungsregel und der Haltelinie deutlichen Einfluss darauf hat, wie sich die Mindestbeitragszeiten entwickeln.
Weil die Entwicklung der Wohnbedarfe unsicher ist und regional unterschiedlich ausfallen dürfte, greift eine Analyse, die sich ausschließlich am Durchschnitt der vergangenen Entwicklung der Unterkunftskosten orientiert, zu kurz. Aus diesem Grund wird ergänzend in einer theoretischen Betrachtung die Perspektive gewechselt und die Entwicklung der Unterkunftskosten als Zielgröße in den Vordergrund gerückt. Hierbei wird untersucht, wie sich die Kosten der Unterkunft entwickeln müssten, damit beim erwarteten Verlauf des Rentenwerts die Mindestbeitragszeit konstant bleibt. Die Ergebnisse liefern für jedes Jahr einen theoretischen Referenzwert für das Niveau der Wohnkosten, bei dem die Mindestbeitragszeit genau dem Wert des Jahres 2018 entspricht. Rechnerisch wird hier, ausgehend von der Mindestbeitragszeit im Jahr 2018, eine konstante Entwicklung bis ins Jahr 2045 unterstellt. Diese hypothetische Mindestbeitragszeit liegt konstant bei knapp 27,4 Jahren (Abbildung 2). Aufgrund der Variation in der zukünftigen Entwicklung der Löhne und des aktuellen Rentenwerts ergeben sich über die Zeit zunehmende Kosten der Unterkunft mit variierenden jährlichen Wachstumsraten.
Für dieses hypothetische Szenario müssen die Wachstumsraten des verfügbaren aktuellen Rentenwerts (netto, vor Steuern) und der Grundsicherung zu jedem Zeitpunkt identisch sein (Abbildung 4). Die verfügbare Standardrente steigt von 2018 bis 2045 kontinuierlich von etwa 1300 Euro auf etwa 2500 Euro. Unter der Bedingung identischer Wachstumsraten nimmt die Grundsicherung im Alter von etwa 800 Euro im Jahr 2018 auf etwa 1500 Euro im Jahr 2045 zu. Der Regelsatz entwickelt sich gemäß der Annahme mit einer Wachstumsrate von etwa zwei Prozent sehr gleichmäßig, was auf die unterstellte konstante Preisinflationsrate von etwa 1,5 Prozent und die nahezu konstante Lohnänderungsrate von etwa drei Prozent zurückzuführen ist. Demgegenüber müssen die Kosten der Unterkunft zum Ausgleich analog zur Entwicklung der Standardrente variieren.
Die Kosten der Unterkunft, die in jedem Jahr eine konstante Mindestbeitragszeit auf dem Niveau des Jahres 2018 gewährleisten, wachsen zunächst mit rund vier Prozent pro Jahr (Abbildung 4). Nach Auslaufen der Haltelinie für das Sicherungsniveau und den damit verbundenen Schwankungen müssten die Unterkunftskosten bis zum Beginn der 2030er Jahre für eine konstante Mindestbeitragszeit um etwa zwei Prozent jährlich zunehmen.Nach Auslaufen der Haltelinie von 20 Prozent für den Beitragssatz im Jahr 2025 steigt der Beitragssatz im Jahr 2026 deutlich an, was die Rentenanpassung im nächsten Jahr erheblich mindert. In den Folgejahren schwingt die Entwicklung ein. Bei Annahme einer günstigeren (ungünstigeren) Bevölkerungs- und Beschäftigungsentwicklung bis 2025 würden die Anpassungen schwächer (stärker) ausfallen. In jedem Fall führt aber das Hineinwachsen der Babyboomer-Jahrgänge in die Rente zu einem spürbaren Zurückbleiben der Renten hinter der Lohnentwicklung. Die Wirkung vermindert sich langsam, wenn zunehmend die schwächer besetzten Folgegenerationen in Rente gehen. Anschließend geht es wieder allmählich in Richtung von rund vier Prozent nach oben.
Dieser hypothetische Verlauf der Kosten der Unterkunft gibt zu jedem Zeitpunkt einen Schwellenwert für eine konstante Mindestbeitragszeit an. Sofern sich also in Zukunft die tatsächlichen Unterkunftskosten unterhalb (oberhalb) des errechneten Niveaus befinden, würden sich geringere (höhere) Mindestbeitragszeiten zur Rentenversicherung zum Erreichen des Grundsicherungsniveaus als im Jahr 2018 ergeben.
Diese hypothetischen Ergebnisse der Unterkunftskosten für eine konstante Mindestbeitragszeit lassen sich mit der Vorausberechnung der Kosten der Unterkunft anhand ihres durchschnittlichen vergangenen Verlaufs vergleichen (Abbildung 5). Dabei zeigt sich, dass die Unterkunftskosten bis Anfang der 2030er Jahre gemäß Vorausberechnung günstig für die Mindestbeitragszeit verlaufen. Da das Niveau der Unterkunftskosten hier unter dem errechneten Schwellenwert liegt, sind die Mindestbeitragszeiten in diesem Zeitraum niedriger als im Jahr 2018. Im Anschluss kehrt sich der Zusammenhang jedoch um: Werden die Kosten der Unterkunft anhand ihrer bisherigen Entwicklung vorausberechnet, ergibt sich ab Beginn der 2030er Jahre ein Niveau der Unterkunftskosten, das über dem errechneten Schwellenwert für eine konstante Mindestbeitragszeit liegt. Demzufolge ist für diesen Zeitraum mit Mindestbeitragszeiten, die über dem Wert des Jahres 2018 liegen, zu rechnen.
Diese Gegenüberstellung verdeutlicht die Bedeutung der Entwicklung der Kosten der Unterkunft und der Wohnkosten allgemein für den zukünftigen Verlauf der Mindestbeitragszeit und somit für den Abstand zwischen der beitragsbezogenen Rente und der vorleistungsunabhängigen, bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung. Angesichts der erheblichen regionalen Unterschiede in WohnbedarfenVgl. Kaltenborn (2019), a.a.O., Abbildungen 58–62. und Wohnkosten ist daher zu erwarten, dass sich auch die Mindestbeitragszeit regional sehr unterschiedlich entwickeln wird.Liegen die Kosten der Unterkunft im Jahr 2018 zehn Prozent unter (über) dem Durchschnitt, vermindert (erhöht) sich die Mindestbeitragsdauer von 27,4 auf 26,1 Jahre (28,7 Jahre). Ist die Wachstumsrate der Kosten der Unterkunft zehn Prozent höher (niedriger) als im Basisfall (mit einer Wachstumsrate von 3,15 Prozent), ist die Mindestbeitragszeit im Jahr 2045 um 1,3 Jahre höher (1,2 Jahre niedriger) als im Basisfall mit 27,4 Jahren.
In der sozialpolitischen Debatte um die Zukunft der Rentenversicherung wird davor gewarnt, dass eine weitere Absenkung des Rentenniveaus zu einem Verschmelzen der beitragsbezogenen Rente und der vorleistungsunabhängigen, bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung führt. Die Vergangenheit zeigt, dass diese Sorge nicht unbegründet ist, denn in den Jahren 2000 bis 2018 ist die Mindestbeitragszeit in der Rentenversicherung bis zum Erreichen des Grundsicherungsniveaus um immerhin mehr als vier Jahre gestiegen. Auch die Zahl der EmpfängerInnen von Grundsicherung im Alter hat zwischen 2003 und 2019 von 257000 auf beinahe 560000 stark zugenommen.Vgl. Statistisches Bundesamt (2020b): Genesis-Datenbank (online verfügbar). Das Problem der Altersarmut stellt sich wesentlich größer dar, wenn man berücksichtigt, dass ein großer Teil der potentiellen GrundsicherungsempfängerInnen die Leistungen aufgrund von Aufwand, Scham, Unkenntnis und anderer Gründe nicht in Anspruch nimmt. Schätzungen dieser Nichtinanspruchnahme reichen von 50 bis knapp 70 Prozent der Berechtigten.Vgl. Irene Becker (2012): Finanzielle Mindestsicherung und Bedürftigkeit im Alter. Zeitschrift für Sozialreform 58, Nr. 2 (online verfügbar); und Hermann Buslei et al. (2019b): Starke Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung deutet auf hohe verdeckte Altersarmut. DIW Wochenbericht Nr. 49 (online verfügbar).
Für die Zukunft ergeben sich aufgrund von Lohnsteigerungen, der demografischen Entwicklung und der Halteline für das Sicherungsniveau in der Rentenversicherung zunächst fallende und anschließend steigende Mindestbeitragszeiten für das Erreichen einer Rente auf Grundsicherungsniveau. Die tatsächliche Entwicklung wird in den kommenden Jahren – neben der Rentenentwicklung – auch wesentlich von der Entwicklung der Kosten der Unterkunft abhängen.Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die Entwicklung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. In der vorliegenden Untersuchung werden die Beiträge auf dem heutigen Niveau eingefroren – das ist aber nicht unbedingt realistisch. Nicht erst seit der coronabedingten Wirtschaftskrise wird mit steigenden Beitragssätzen gerechnet. Hier liegt ein weiteres Einkommensrisiko für die ältere Bevölkerung. Vor dem Hintergrund großer regionaler UnterschiedeVgl. Kaltenborn (2019), a.a.O. in der Höhe der Unterkunftskosten ist zu erwarten, dass die Mindestbeitragszeiten zur Rentenversicherung erheblich zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen städtischen und ländlichen Regionen variieren. Während insbesondere für ländliche Regionen und Ostdeutschland eine schwächere Dynamik der Unterkunftskosten und damit auch kürzere Mindestbeitragszeiten zu erwarten sind, ist mit Blick auf Ballungsräume und Westdeutschland insgesamt von einer stärkeren Dynamik der Unterkunftskosten und damit längeren Mindestbeitragszeiten auszugehen.Bereits im Jahr 2018 lagen die Grundsicherungsquoten in Städten wie Hamburg (8,1 Prozent), Berlin (6,5 Prozent) oder Bremen (6,7 Prozent) deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2019): Tabelle B 3 Quote der Empfänger/-innen von Grundsicherung im Alter in Prozent nach Bundesländern und Geschlecht am Jahresende bzw. im Dezember (online verfügbar, abgerufen am 25.11.2019). Ein Grund für diese hohen Quoten sind die höheren Unterkunftskosten in Ballungsgebieten.
Der Abstand von Rente und Grundsicherung spielt auch in der Diskussion um die geplante Grundrente eine Rolle. Laut der Gesetzesbegründung soll ein langjähriges Einzahlen in die gesetzliche Rentenversicherung auch bei niedrigem Verdienst nicht dazu führen, dass Personen am Ende ihres Erwerbslebens auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind und im Prinzip kein Unterschied zwischen Personen besteht, die viele Jahre Beiträge gezahlt haben, und Personen, die nie oder nur wenig in die Rentenversicherung eingezahlt haben.Vgl. Bundesregierung (2020): Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz). Bundestags-Drucksache 19/18473 vom 8. April 2020 (online verfügbar). Die Grundrente nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung besteht im Kern aus zwei Elementen: Sie stockt die Zahl der Entgeltpunkte für eine bestimmte Gruppe von Versicherten auf und führt einen Freibetrag in der Grundsicherung ein, falls dieser Personenkreis trotz der Aufstockung der Entgeltpunkte bedürftig im Sinne der Grundsicherung bleibt. Wenn das Rentenniveau, wie im geltenden Recht vorgesehen, weiter sinkt und sich die Kosten der Unterkunft wie bisher entwickeln, besteht allerdings weiterhin die Gefahr, dass Menschen zunehmend in die Grundsicherung rutschen – da die Mindestbeitragszeit zur Rentenversicherung zum Erreichen des Grundsicherungsniveaus bis zum Jahr 2045 unter dem Strich leicht steigt, wie der vorliegende Bericht zeigt.
Will man systematisch einer möglichst großen Zahl von Versicherten ein Einkommen oberhalb des staatlich festgesetzten Existenzminimums ermöglichen, ist ein Freibetrag für Renten der gesetzlichen Rentenversicherung in der Grundsicherung im Alter eine Möglichkeit. Die neue Grundrente sieht zudem einen Freibetrag beim Wohngeld vor, so dass der Freibetrag in der Grundsicherung nicht dazu führt, dass viele Menschen aus dem Wohngeld in die Grundsicherung wechseln. Allerdings bleibt bei diesen Leistungen das Problem einer erheblichen Nichtinanspruchnahme bestehen. Alternativ könnte man Lösungen im Versicherungssystem anstreben, etwa erweiterte Maßnahmen zur Unterstützung von Geringverdienenden, steuerfinanzierte GRV-Beiträge für besondere Gruppen wie die BezieherInnen von Arbeitslosengeld II und eine Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus. Das hätte den Vorteil, dass Fürsorge- und Versicherungssystem nicht strukturell verknüpft würden, zöge aber auch einen höheren Finanzierungsbedarf nach sich.
Unabhängig davon wäre es sinnvoll, dem Vorschlag der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ zu folgen und den Unterschied zwischen Standardrente und durchschnittlichem Grundsicherungsniveau in die jährliche Berichterstattung im Rahmen des Rentenversicherungsberichts aufzunehmen.Vgl. Kommission Verlässlicher Generationenvertrag (2020): Bericht der Kommission Verlässlicher Generationenvertrag – Band I, Empfehlungen (online verfügbar). Aufgrund der Heterogenität der Armutsrisiken wäre es zudem sinnvoll, diese jährliche Kennziffer durch eine detaillierte Analyse im einmal pro Legislatur erscheinenden Alterssicherungsbericht zu vertiefen und beispielsweise nach regionalen Merkmalen zu differenzieren, um auch die heterogene Entwicklung der Wohnkosten zu berücksichtigen.
JEL-Classification: H55;I32;J14
Keywords: Public pensions, income distribution, old age poverty, replacement rate
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-26-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/222945