DIW Wochenbericht 26 / 2020, S. 480
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Zehn Jahre ist es nun her, seit der griechische Staat fast bankrottgegangen wäre. An das unerfreuliche Jubiläum wollte sich dieser Tage kaum einer erinnern. Der Grund liegt auf der Hand: Griechenland ist von der nächsten Krise getroffen, den wirtschaftlichen Folgen aus der Bekämpfung der Corona-Pandemie.
War vor zehn Jahren die griechische Regierung noch von den negativen Nachrichten getrieben, hat die heutige Regierung die Pandemie wohl erfolgreicher als die meisten anderen Regierungen in Westeuropa bewältigt. Frühzeitige Ausgangsbeschränkungen und strenge Überwachung retteten viele Menschenleben und begrenzten die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft. Griechenland wurde mit diesen Maßnahmen zum Vorbild Europas. Erwartet hat das wohl kaum jemand. Nun gilt es dieses Momentum zu nutzen.
Denn trotz der entschlossenen Maßnahmen wird der Schock in Folge der Pandemie für die griechische Wirtschaft voraussichtlich gravierender ausfallen als für viele andere EU-Länder. Grund ist die Abhängigkeit vom Tourismus, der sich für das Land vom Segen zum Fluch entwickelt. Sein starkes Wachstum hat Griechenland in den letzten fünf Jahren gerettet, die Rezession wäre andernfalls noch stärker ausgefallen. Aber die Wirtschaft des Jahres 2019 liegt, gemessen am BIP, auf einem Niveau unter 80 Prozent des Jahres 2008. Eine auf den Tourismus ausgerichtete Ökonomie mit nur geringer Wertschöpfung wird auch in Zukunft bestenfalls zu begrenztem Wachstum führen. Daneben zeigt die aktuelle Krise, wie verwundbar eine auf Tourismus ausgerichtete Wirtschaft ist.
Dies führt zurück zur letzten Krise. Diese hatte Griechenlands Staatsverschuldungs- und Wettbewerbsprobleme aufgedeckt. Erstere wurde mit einem rustikalen Sparkurs bis zu einem gewissen Grad gelöst: Griechenland verzeichnete bis 2019 für mehrere Jahre Primärüberschüsse. Doch wurden kaum Strukturreformen durchgeführt, die die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft erhöht hätten. Die letzten zehn Jahre können in dieser Hinsicht als das Jahrzehnt verpasster Gelegenheiten bezeichnet werden.
Insofern könnte die aktuelle Wirtschaftskrise eine zweite Chance für Griechenland sein, wenn es nun gelingt, überkommene Strukturen abzubauen und ein neues Wirtschaftsmodell zu entwickeln. Um die Einführung innovativer Produkte mit größerer Wertschöpfung in einem neuen Wirtschaftsmodell zu fördern, muss die Regierung Strukturreformen anstoßen: Bürokratie abbauen, ein effektives Wirtschafts- und Handelsrecht schaffen und den griechischen Rechtsrahmen systematisch kodifizieren. Dies sollte auch für Verwaltungsvorschriften gelten, die häufig byzantinische Ausmaße annehmen.
Kurzfristig gilt es, auch wenn die Ausgangsbeschränkungen gelockert sind, unter den strukturell erfolgreichen und eigentlich gesunden Unternehmen eine Welle von Insolvenzen in Folge der Corona-Krise zu vermeiden. Diese Gefahr wird zunehmen, wenn die wirtschaftliche Erholung nur schleppend verläuft und der Tourismus weit schwächer ausfällt als in den vergangenen Jahren. Dafür benötigen die Unternehmen Liquiditätshilfen aus den jüngst diskutierten europäischen Fördertöpfen. Insofern ist es auch für dieses Land von zentraler Bedeutung, dass man sich in Brüssel möglichst rasch auf das groß angekündigte Rettungspaket einigt.
Kommen diese Liquiditätshilfen rechtzeitig, werden neben den Strukturreformen Investitionen in Griechenlands Innovationssystem eine zweite wichtige Säule dieses Transformationsprozesses sein. Investitionen aus den „Europäischen Aufbaufonds“ werden dann auf fruchtbaren Boden fallen, wenn sie in enger Kooperation mit der bestehenden Forschungslandschaft getätigt werden. Die Schwerpunkte der geplanten Investitionen, wie Elektromobilität, Klimaschutz und Digitalisierung, eröffnen auch für griechische Unternehmen viele Möglichkeiten. Das gilt insbesondere, wenn es dem Land gelingt, für seine Diaspora wieder attraktiv zu werden. Griechenland muss die Weichen so stellen, dass es nach dieser Krise auf einen nachhaltigen Wachstumspfad kommt. Die zweite Krise wird dann zur zweiten Chance.
Dieser Beitrag ist in einer längeren Fassung am 20. Juni 2020 im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Öffentliche Finanzen, Konjunktur, Gesundheit, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2020-26-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/222951